Möchte noch jemand von der SPD-Fraktion sprechen? – Das ist nicht der Fall. Für die Fraktion AfD erteile ich Herrn Abg. Dr. Dreher das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Von einem Strafverfolgungsnotstand möchte ich nicht sprechen, aber Baustellen und Mängel haben wir schon. Auch in Sachsen ist die sachliche und personelle Ausstattung von Polizei und Justiz von Mängeln und Baustellen geprägt. Hierauf haben die Berufsverbände seit Langem hingewiesen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft, die Gewerkschaft der Polizei, im Bereich der Justiz der Gerichtsvollzieherbund, der Verband der Justizwachtmeister, die Deutsche Justizgewerkschaft, der Deutsche Richterbund und die Neue Richtervereinigung weisen darauf seit Langem immer wieder hin. Gehört wurden sie kaum.
Nach wie vor sind Polizei und Justiz überlastet, personell unterbesetzt, unterbezahlt und technisch nicht angemessen ausgestattet. Kollege Wippel hat es für die Polizei ausgeführt; kommen wir zur Justiz. Bei der Besoldung ist seit Jahrzehnten eine Abkopplung vom allgemeinen Einkommensniveau zu beobachten. Seit dem Abgehen von der früher bundeseinheitlichen Besoldung ist nunmehr ein Wettlauf der Bundesländer um Armut und Besoldung entstanden – mittlerweile wohl in einem verfassungswidrig nicht mehr amtsangemessenen Alimentationsniveau. Das Bundesverfassungsgericht berät darüber ja gerade. Ich darf an dieser Stelle auf die sechs Kernthesen zur Besoldung, Versorgung und Beihilfe des Deutschen Richterbundes verweisen.
Das für den Staatsdienst geltende Prinzip der Bestenauslese ist so kaum noch zu halten, und die Absolventen von Hochschulen und anderen Laufbahnen gehen meist lieber in die Wirtschaft als in die Justiz. Die Hilferufe zum Personalmangel bleiben ungehört. Hinweise des eigenen Spitzenpersonals zu dem sich abzeichnenden Personalabbau infolge von Eintritten in das Rentenalter in den letzten 10 bis 15 Jahren werden praktisch ignoriert.
Der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden wies in einem Interview bei MDR 1/Radio Sachsen darauf hin, dass es ein personelles Defizit in allen Bereichen gibt, sowohl bei den Richtern als auch bei Rechtspflegern und im mittleren Dienst. Auch im Wachtmeisterbereich sieht es nicht gut aus. Er attestierte ganz erhebliche Problemlagen und verwies auf die Altersstruktur: In etwa 10 bis 15 Jahren werden absehbar die Hälfe der Richter und Staatsanwälte in den Ruhestand treten. Hier sei bereits jetzt mit Neueinstellungen gegenzusteuern, denn erst in 15 Jahren könnten nicht alle auf einmal ersetzt werden. Zugleich
könne man dem aktuellen Mangel und der Überlastung in der Justiz entgegenwirken, indem man jetzt einmal „einen ordentlichen Schluck aus der Pulle“ nehme und nicht nur 20 Richter einstelle, sondern ein Mehrfaches davon. Die Neue Richtervereinigung hat dieses Interview in ihrer Verbandszeitschrift abgedruckt. Getan hat sich praktisch nichts.
Anfang 2014, als der liberale Justizminister von der FDP ein Wahldebakel fürchten musste, raffte er sich auf, um einige Richterstellen einzuwerben. Wirklich geholfen hat dieser Tropfen auf den heißen Stein nicht, weder der FDP noch der Justiz.
Kommen wir zur sachlichen Ausstattung. Vor einigen Jahren wurde im Zuge des elektronischen Fortschritts in der Gerichtsbarkeit, auch in Hamburg und in Sachsen, ein Programm eingeführt, welches sich forumSTAR nennt. Von Anfang an – und ich weiß, wovon ich spreche – war und ist es geprägt von einem Rechtschreibprogramm, das nicht einmal den Komfort eines Word 2.0 aus den Neunzigerjahren erreicht. Auch sonst ist dieses Programm, welches regelmäßig aktualisiert wird und ebenso regelmäßig neue Fehler und Programmabstürze produziert, nicht wirklich eine ausgereifte Hilfe.
Ich verweise auf den Hamburger Richter, der in der „Deutschen Richterzeitung“ 2014, Seite 62 ff., unter der Überschrift „Sperrmüll im Rechner – eine Polemik zu forumSTAR“ verfasste. Seine Zusammenfassung lautet: forumSTAR ist ein wasserlösliches Fungizid zur Bekämpfung von Mehltau im Weinbau und wird von der BASF produziert. Wahrscheinlich funktioniert es auch. forumSTAR ist aber auch eine Gerichtssoftware. Sie funktioniert ein bisschen, aber nicht sehr. Wäre sie ein Fungizid, dann könnte der Winzer neben den Trauben auch Champignons ernten. Auf den folgenden Seiten – so viel Zeit habe ich bei diesem Redebeitrag leider nicht; lesen Sie es selbst nach – folgt eine bildhafte Beschreibung der Mängel und Defizite im Bereich des Strafrechts. Damit arbeitet auch die sächsische Justiz.
Meine Damen und Herren, ich bin seit weit über 20 Jahren als Richter tätig. Auch in den anderen Gerichtsgebieten, in der Zivilgerichtsbarkeit sieht es nicht besser aus. Bitte stärken Sie die sächsische Justiz, stärken Sie Gerichtsbarkeit, Staatsanwaltschaft und Polizei.
Ich frage die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ob das Wort noch einmal gewünscht wird. – Nein, das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, damit ist die zweite Runde beendet. Gibt es noch Redebedarf für eine dritte Runde? – Das Schlusswort, Herr Bartl? – Dann frage ich die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird.
Ich wollte unserem neuen Justizminister nur ganz kurz sagen: Sie haben eine große Aufgabe vor sich. Dazu wünsche ich Ihnen viel Kraft und Stärke.
Eine Anmerkung noch, die Ihnen sehr helfen könnte: Auch unsere Justizwachtmeister müssen Schildchen mit ihrem Namen tragen. Dazu gibt es in Ihrem Haus eine Verordnung. Damit werden sie auch in der Presse abgebildet und sind daher dann auch Gegenstand von Anfeindungen. Vielleicht könnte man die Verordnung ändern und, wie es Herr Lippmann für die Polizei gesagt hat, einen kurzen Code einführen. Das würde helfen.
Jetzt frage ich die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Herr Staatsminister Gemkow, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die Diskussion wurde zuletzt etwas breiter geführt, als der Antrag es ursprünglich zum Gegenstand hatte. Ich glaube, wir haben hier einfach viel Gesprächsbedarf für die kommenden Monate und Jahre. Doch zurück zum Antrag.
Unser Rechtsstaat ist auf eine leistungsfähige Justiz angewiesen, und eine leistungsfähige Justiz braucht leistungsfähige Akteure. Das heißt, die Gerichte und Staatsanwaltschaften können ihre anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgabe nur dann erfüllen, wenn alle am Verfahren Beteiligten effektiv mitwirken.
In strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist die Justiz vor allem darauf angewiesen, dass die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens mit ihren Ermittlungspersonen, also ganz überwiegend den Beamten der Polizei, reibungslos läuft. Zwar weist die Strafprozessordnung die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu, sie gestattet ihr aber auch, die Ermittlungen durch die Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen. Davon macht die Staatsanwaltschaft in größtmöglichem Umfang Gebrauch.
Wenn auf Straftaten schnell und effektiv reagiert werden soll, muss in der Zusammenarbeit also ein Rad ins andere greifen. Das betrifft nicht nur Ermittlungshandlungen wie Befragungen von Beschuldigten und Zeugen, sondern auch die Sicherung von Spuren und – noch komplexer – hinterher auch deren Auswertung. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist die Kernaufgabe des Kriminalwissenschaftlichen und -technischen Instituts, kurz KTI, im Landeskriminalamt.
Aber Justiz und Polizei arbeiten nicht nur im Rahmen von Ermittlungsverfahren zusammen. Es finden auch ständig Gespräche der beiden betroffenen Ressorts Justiz und
Inneres statt. Dadurch soll eine gleichbleibend hohe Qualität der Ermittlungsergebnisse sichergestellt werden, denn darauf ist die Justiz angewiesen. Diese Ergebnisse müssen am Ende nämlich vor Gericht standhalten.
An der Kontrolle ihrer Ermittlungspersonen und ihrer Arbeitsergebnisse kommen die Staatsanwaltschaften also gar nicht vorbei. Klar ist: Im Bedarfsfall muss hier auch nachgesteuert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es hier also mit einer hochkomplexen Daueraufgabe zu tun, die einen ständigen Kontroll- und Anpassungsprozess mit sich bringt. Neue Entwicklungen und Erscheinungsformen der Kriminalität, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Möglichkeiten verlangen einen ständigen Optimierungsprozess. Bei einem sprunghaften Ansteigen einzelner Deliktformen muss ein schnelles und effektives Reagieren möglich sein. Justiz und Polizei müssen hier natürlich Schritt halten können.
Gerade in den vergangenen Jahren haben einige Deliktarten ein besonderes Aufkommen nach sich gezogen, zum Beispiel Crystal. Zwischen 2009 und 2013 ist die Anzahl der Rauschgiftdelikte in Sachsen um 65 % angewachsen. Wir haben in diesem Hohen Hause häufig darüber gesprochen. Das ist maßgeblich auf die Modedroge Crystal zurückzuführen. Die Anzahl der Crystal-bezogenen Straftaten hat sich in den letzten fünf Jahren fast verdreifacht. Eine rechtsstaatlich einwandfreie Überführung von Straftätern erfordert hier qualitativ hochwertige Wirkstoffanalysen, die in kürzester Zeit abgeschlossen sein müssen. Das ist ohne die dafür erforderlichen Ressourcen in der Tat nicht leistbar.
Zweites Beispiel: DNA-Spuren sind ein unverzichtbares Beweismittel, gerade auch im Bereich der alltäglichen Kriminalität, und mittlerweile werden deshalb unzählige Analysen erforderlich. Auch hierfür ist eine angemessene Ausstattung unverzichtbar.
Als drittes Beispiel – das haben auch schon Vorredner angeführt – Cybercrime/Internetkriminalität. Bei Straftaten im Internet haben wir es mit ständig steigenden Anforderungen zu tun, weil sich die Kriminalitätsformen genauso schnell und genauso unvorhersehbar entwickeln wie die technischen Kommunikationsmöglichkeiten, die zugrunde liegen. Hier ist schon die schlichte Masse gespeicherter Daten auf herkömmlichen Datenträgern eine wirkliche Herausforderung. Das gilt ganz besonders in komplexen Verfahren, wie zum Beispiel in Wirtschaftsstrafverfahren; in denen sind riesige Datenmengen auszuwerten.
Nicht nur in Sachsen standen die kriminaltechnischen Institute in der Vergangenheit mit der Vielzahl der neu aufgetretenen Kriminalitätsformen, Substanzen und
Spurenlagen vor Schwierigkeiten. Deshalb stand dieses Thema – und ich glaube, das ist auch ein gutes Zeichen für das Funktionieren der Kontrollmechanismen in den Staatsanwaltschaften – auf der Tagesordnung der Tagung der Generalstaatsanwälte im Mai des vergangenen Jahres in Görlitz. In der Praxis wird mit dieser Herausforderung
verantwortungsvoll umgegangen, das muss man auch sagen. Denn bei der Auswertung von Spuren wird auch darauf Rücksicht genommen, dass vordringliche Spuren schnell ausgewertet werden müssen. Das gilt besonders bei Kapitaldelikten oder in Verfahren, in denen Untersuchungshaft angeordnet ist. Da sind die Prioritäten zu setzen und da werden sie auch gesetzt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Staatsregierung ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Deshalb stellen wir uns den bestehenden Herausforderungen grundlegend und werden die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen umsetzen, in dem es unter anderem heißt, dass in den nächsten zwei Jahren 100 Spezialisten eingestellt werden sollen, die insbesondere in den Bereichen Cybercrime, IT-Forensik und zur Sicherstellung der polizeilichen Informations- und Kommunikationstechnik eingesetzt werden. Diesen Vorgaben leistet die Staatsregierung im Entwurf für den Doppelhaushalt 2015/2016 Folge. Wir haben uns auf eine materielle und personelle Verstärkung des Kriminaltechnischen Instituts beim Landeskriminalamt verständigt. Beim KTI sollen die Bearbeitungskapazitäten in den Bereichen DNA-Analytik, Betäubungsmittelanalytik und Toxikologie erweitert werden. Genau hierfür sieht der Entwurf 15 Stellen bzw. Stellenhebungen vor. Außerdem sollen die Voraussetzungen für die Einstellung der bereits angesprochenen 100 IT-Spezialisten geschaffen werden.
Auch auf die angespannte Situation bei den Staatsanwaltschaften, aber auch bei den sächsischen Gerichten reagiert der Entwurf für den neuen Doppelhaushalt. Herr Dr. Dreher, Sie haben dazu ausgeführt. Ich glaube, hierauf zu replizieren würde bedeuten, einiges an Zeit mehr in Anspruch nehmen zu müssen. Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt mehr dazu.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Staatsregierung hat die Notwendigkeit einer leistungsstarken Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz fest im Blick. Sie wird auch künftig in einem ständigen Kontrollprozess darauf achten, dass die gute Qualität der Arbeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften gewährleistet bleibt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich für die sachliche Debatte. Den einen Ausreißer von Kollegen Kirmes möchte ich trotzdem ansprechen.
Ich habe es satt, nach dem vierten Sitzungstag hier im Landtag fortwährend darauf verwiesen zu werden, dass alles im Koalitionsvertrag steht.
Dann machen wir hier in Zukunft keine Anträge und keine Gesetzentwürfe mehr, sondern Lesungen des Koalitionsvertrages.
Das Verständnis der Aufgaben des Hohen Hauses scheint mir in Teilen der Koalitionsfraktionen Not leidend.
Das weiß ich nicht. Ich bin nun einmal hier gewählt und nicht in Thüringen. Ich war noch nicht dort.
An sich geht es hier um ein ganz sachliches Thema. Die Generalstaatsanwälte haben vor einigen Monaten – das Görlitzer Treffen liegt schon einige Monate zurück – ein Papier verfasst, in dem sie – ich sage das jetzt einmal so – die momentanen Schwerpunkte, bei denen es immense Reibereien im Ermittlungsprozess, in der Absicherung der Aufgaben des Ermittlungsverfahrens gibt, auflisten. Das ist unter anderem vor allen Dingen in Sachsen der Fall. Vier Länder wurden besonders genannt.