Protocol of the Session on November 15, 2017

Ich zitiere: „Wir wollen das Vertrauensverhältnis zwischen der sächsischen Polizei und den Bürgerinnen und Bürgern weiter stärken und Hinweise, Anregungen und Beschwerden ernst nehmen. Zu diesem Zweck wird eine unabhängige zentrale Beschwerdestelle der sächsischen Polizei im Staatsministerium des Innern eingerichtet. Sie dient als Ansprechpartner für die Bürger und die Beschäftigten der Polizei. Ein solches Beschwerdemanagement bietet der Polizei die Chance, fehlerhaftes Verhalten zu erkennen und abzustellen, und eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit, Notwendigkeiten des polizeilichen Handelns

gegenüber den Bürgern zu erläutern und transparent zu machen.“. Auf diese –

(Beifall der Abg. Christian Hartmann, CDU, und Albrecht Pallas, SPD)

Kollege Hartmann, nicht zu früh – Vereinbarung Ihres Koalitionsvertrages sowie den impliziten Antagonismus von „unabhängig“ und „zentral im Staatsministerium des Innern eingerichtet“ habe ich Sie bereits in der Lesung des Gesetzes in der 37. Sitzung des Sächsischen Landtags am 23. Juni 2016 hingewiesen. Wenn also die Koalition zur Stärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürgerinnen und Bürgern einerseits und der sächsischen Polizei andererseits die Einrichtung einer zentralen Beschwerdestelle als hilfsreich ansieht, die der Dienst-, Rechts- und Fachaufsicht des Staatsministeriums des Innern, also im Zweifel einer Streitpartei, unterstellt ist, dann kann und muss mit Blick auf den heute redegegenständlichen Gesetzentwurf die Erkenntnis nur sein, dass eine solche von uns angestrebte unabhängige Ombudsstelle auf gesetzlicher Grundlage, mit weitreichenden Untersuchungs- und Berichtsbefugnissen sowie Transparenzverpflichtungen des Innenministeriums und der Dienststellen der Polizei ausgestattet, die Daten und Interessen der Verfahrensbeteiligten auf gesetzlicher Grundlage schützend, dieses Vertrauensverhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei sowie der Polizeibediensteten in den Dienstherren weit mehr zu stärken geeignet ist.

Damit will ich den von Eigeninteresse geleiteten und aus diesem Umstand heraus vielleicht auch nachvollziehbaren, aber dennoch unzutreffenden Einwänden der Vertreter der Polizeigewerkschaften während der öffentlichen Sachverständigenanhörung am 30. März 2017 begegnen, aus dem Gesetzentwurf spräche ein tiefes Misstrauen gegen die Polizei.

(Albrecht Pallas, SPD: Ich kann das bestätigen!)

Hören Sie zu! Folgendes sei Ihnen hier gesagt, meine Damen und Herren. Einige Verwirrung herrscht offensichtlich selbst im Innenministerium über die rechtliche Ermächtigung, auf deren Grundlage die zentrale Beschwerdestelle der sächsischen Polizei zum 5. Januar 2016 errichtet wurde. Da die Beschwerdestelle unzweifelhaft als Hoheitsträger tätig wird – mir fiel zumindest kein Privater ein, der Zwischenbescheide erteilt –, bedarf es einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage. Dieses verfassungsrechtliche Gebot können Sie aus Artikel 80

Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip und aus den Grundrechten herleiten. Auf unsere ausdrückliche Nachfrage in der Anhörung haben die Sachverständigen zu Recht darauf hingewiesen, dass es für die Errichtung einer solchen Beschwerdestelle einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf.

In der Antwort vom 9. Juni 2016 auf meine Kleine Anfrage zur Drucksache 6/5204 heißt es zu dieser Frage: „Die Basis bilden Artikel 17 des Grundgesetzes sowie Artikel 35 der Verfassung des Freistaates Sachsen.“ Ermächtigungsgrundlage soll also das Petitionsrecht sein. Im alten Rom hieß dieses Recht noch Supplikation, und supplicare bedeutet so viel wie vor jemandem auf die Knie gehen, sich demütigen oder auch flehentlich bitten. Mit dem allgemeinen preußischen Landrecht sprechen wir etwas moderner von der Petition und es gilt, vor dem Oberhaupt des Staates auf die Knie zu fallen oder flehentlich zu bitten. Das passt durchaus zu dem Selbstbild des aufgeklärt-absolutistischen Regierungsverständnisses hier in Sachsen.

Der heute vorliegende Gesetzentwurf atmet nicht diesen vordemokratischen Geist. Ich darf mir erlauben, zur Illustration § 1 Satz 2 unseres Gesetzentwurfs zu zitieren: „Zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens und Verständnisses zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Polizei im Freistaat Sachsen dient die Ombudsstelle als unabhängige Instanz der außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Bürgerinnen und Bürgern mit Polizeibediensteten sowie von Streitigkeiten innerhalb der Polizei.“

So sieht zeitgemäße Gesetzgebung aus. Hier gibt es keine Über- und Unterordnungsverhältnisse. Hier tritt der Bürger und der Polizeibedienstete nicht als demütiger Bittsteller mit Hundeblick auf, sondern ist selbst Teil einer verstetigten Fehlerkultur. Hier herrscht nicht der Obrigkeitsstaat. Hier verstehen sich Bürger und Staat als Partner, gerade wenn es um grundrechtsintensive Eingriffe geht. Und gerade weil hier mögliche Grundrechtsverletzungen zu überprüfen sind, kann es auch nicht mit Leitlinien für die Arbeit der Beschwerdestelle sein Bewenden haben. Anderthalb Seiten Leitlinien.

Das Petitionsrecht nach Art. 35 der Sächsischen Verfassung kann auch deshalb nicht passen, weil hier keine Massenpetitionen an die Beschwerdestelle vorgesehen sind. Davon ist weder in den Antworten der Staatsregierung auf meine Kleinen Anfragen noch im Jahresbericht der Beschwerdestelle die Rede. Im Jahresbericht wird sogar behauptet, die Beschwerdestelle sei auch „auf der Basis des Koalitionsvertrages“ eingerichtet worden. Kein Wort mehr über Petitionen, es bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung, dass ein politischer Vertrag zwischen zwei Parteien keine Rechtsgrundlage für die Verwaltungspraxis ist und sein kann. So etwas ist offenbar nur in Sachsen möglich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die durchgeführte Sachverständigenanhörung hat sicherlich auch bedenkenswerte Hinweise zur Aufgabengestaltung der

Ombudsstelle gegeben. Hier muss im Zuge der Evaluation, sofern diese wichtige Institution endlich zustande kommt, unter Betrachtung der praktischen Erfahrungen gegebenenfalls nachgesteuert werden. Die Anhörung hat aber auch andere wichtige Aspekte beleuchtet. So lässt Prof. Kersten von der Deutschen Hochschule der Polizei, ein ausgewiesener Kenner der Materie mit internationaler Lehr- und Forschungserfahrung, wissen: „Grundsätzlich geht es mir darum, Polizei nicht schlechter zu machen, dazu habe ich zu lange mit Polizistinnen und Polizisten gearbeitet, sondern es geht mir darum, Polizei besser zu machen.

Dazu gibt es verschiedene Auffassungen, wie man Polizei besser machen kann. Ich bin der Auffassung, dass eine unabhängige Polizeiaufsicht, die professionell, kompetent und akzeptiert ist, die Polizei besser machen kann und nicht dazu dient, die Polizei schlechter zu machen. Die Beschwerdestelle ist die interne Aufsicht, von außen zugänglich. Das Problem der Beschwerdestelle ist, dass sie durch die Anlagerung im Innenministerium bzw. in einer Polizeibehörde eine hohe Schwelle hat. Die Forschung sagt, dass eine unabhängige Polizeiaufsicht außerhalb des polizeilichen Apparates und unter der Regie einer Ombudsperson, die nicht von polizeilicher Seite beeinflusst werden kann, stattfinden muss. Es gibt zu wenig Raum. Das liegt aber nicht am schlechten Willen der Polizei, der Innenministerien oder der Berufsverbände.“ Da würde ich Zweifel anmelden. „Es gibt zu wenig Raum für außergerichtliche oder nichtadversative“ – so ist der Fachausdruck, also nicht im Gegensatz beruhende – „Konfliktausgleiche zwischen Bürgern und der Polizei.

Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass dieser Konfliktausgleich möglich ist. Bürger und Polizisten können zufriedener sein, wenn diese Dinge, die im Argen liegen, besprochen werden können und wenn es dazu saubere, transparente Verfahren gibt, die sowohl für die Polizisten als auch für die Bürger einsichtig sind. Aber die hervorgehobene Möglichkeit, dass vor allem junge Polizisten eine Stelle haben, bei der sie ohne Dienstweg über die Probleme, die ihnen quer im Magen oder vielleicht sogar auf dem Gewissen liegen, sprechen können, muss vorhanden sein. Wir hatten solche Fälle. Mir erscheint das sehr wichtig und darüber wird zu wenig diskutiert.“

Dieser Sachverständige ist deshalb so profund, weil er die Problemlage aus seinem internationalen Praxis- und Forschungsverbund beleuchtet, ohne die üblichen Reflexe, und weil er aus Sicht eines mit hohem Respekt vor der Arbeit der Polizei ausgestatteten Polizei-Hochschullehrers das Erfordernis einer tatsächlich unabhängigen Ombudsstelle begründet, um das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger und der Polizistinnen und Polizisten zueinander zu entlasten und diesen vertrauensbildenden Prozess auf die Grundlage sauberer und transparenter Verfahren zu stützen.

Meine Damen und Herren! Wer sich den Bericht der Beschwerdestelle anschaut, der muss in gewisser Weise

schon mit den Ohren schlackern, um es einmal so auszudrücken. Es ist erstaunlich, dass wir im Jahr 2016 in drei Fällen in Sachsen tatsächlich dazugekommen sind, dass Beschwerdeführer mit Gegenanzeigen malträtiert wurden. Das gibt mir zu denken, weil genau das nicht Sinn und Ziel einer Beschwerdestelle sein kann, dass am Ende der Beschwerdeführer einem gerichtlichen Verfahren ausgesetzt ist. In zwei Fällen wurde es eingestellt. Im dritten Fall dürfen wir uns gemeinsam auf den 5. Dezember freuen. An diesem Tag wird es gerichtlich verhandelt. Das kann nicht Sinn und Ziel einer Beschwerdestelle sein.

Der Gesetzentwurf umfasst ebenso die individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte im Dienst. Dabei berücksichtigt er ausdrücklich die Schutzbedürfnisse der Polizeibediensteten und bietet neben dem Namensschild mit Nennung des Nachnamens und des abgekürzten Vornamens auch die Möglichkeit der anderweitigen individuellen Kennzeichnung.

In der Begründung für unseren Gesetzentwurf weisen wir auf Folgendes hin – Zitat –: „Bereits am 23. Juni 1848 führte der Berliner Polizeipräsident Karl Ludwig Friedrich von Hinckeldey auf der Grundlage einer ,Allerhöchsten Kabinettsordre’ des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. die Kennzeichnungspflicht ein. Die Mitglieder der ,Executiv-Sicherheits-Mannschaft’ trugen einen Zylinder mit der Dienstnummer des einzelnen Beamten.“

Das fordere ich heute nicht.

„Historische Porträts von Polizisten bezeugen, dass diese Kennzeichnungspflicht bis ins Jahr 1910 beibehalten wurde.

In der amerikanischen Besatzungszone wurde diese Tradition wieder aufgegriffen. Polizeibeamte trugen dort zunächst eine Dienstnummer und später Namensschilder. Mit der Neugründung der Bundesrepublik Deutschland verschwanden Dienstnummern und Namensschilder

wieder.

Die Diskussion ebbte allerdings nicht ab. Auf der Grundlage von Petitionen der Humanistischen Union, die bereits sehr konkrete Regelungsvorschläge enthielten, reichte erstmals im Mai 1968 die FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus eine parlamentarische Initiative

gleichen Inhalts ein. Spätestens ab Ende der 1980er-Jahre nahm deren Zahl stetig zu.“

Unser Gesetzentwurf nimmt diesen Faden auf, um den vertrauensbildenden Prozess zu befördern.

Ich darf noch einmal auf den einen Fall zurückkommen, der am 5. Dezember verhandelt wird, weshalb diese Kennzeichnungspflicht auch so wichtig ist.

Der dort vor Gericht Stehende hat die Polizeibeamtin gebeten, sich auszuweisen, was sie mit kreisenden Bewegungen mit dem Dienstausweis dann auch vollzog.

(Enrico Stange, DIE LINKE, kreist mit den Armen.)

Gut lesbar. Das können wir zusammen einmal ausprobieren, Herr Staatsminister. Er hat diese Handlung tatsächlich mit seinem Handy aufgenommen und diese Aufnahme der Beschwerdestelle zur Verfügung gestellt. Pups. Am Ende – was ist das Problem? – steht er vor Gericht. Bravo!

Meine Frage ist: Was ist denn mit der Bediensteten passiert? In der Stellungnahme der Zentralen Beschwerdestelle steht, für den Fall, dass es sich so zugetragen haben könnte, wäre das nicht in Ordnung. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!

(Heiterkeit der Abg. Kerstin Köditz, DIE LINKE)

So kann man mit Bürgern in diesem Land nicht umgehen. Deshalb ist diese Zentrale Beschwerdestelle mit einem Geburtsfehler behaftet, den wir mit diesem Gesetzentwurf beheben müssen.

(Beifall bei den LINKEN)

Zusammenfassend steht fest: Die jetzt bestehende zentrale und nicht unabhängige Beschwerdestelle im Staatsministerium des Innern ist keinesfalls geeignet, die wichtigen Konfliktlösungs- und Auslassprozesse zu betreiben, und mithin nicht geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Polizei zu stärken oder positiv zu entwickeln.

Ich kann Sie nur auffordern, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen, um das zu beheben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Hartmann, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wahrscheinlich muss man der Fraktion der LINKEN angehören, wenn man solche Fantasien vom Bittstellertum römischer Cesaren über den preußischen Staat bis hin zum absolutistischen Staatssystem aufruft, um damit auch etwas das Petitionsrecht in unserem Land zu konterkarieren. Möglicherweise ist es aber auch Ihre Art, 40 Jahre Verantwortung zu kompensieren,

(Oh! bei den LINKEN)

wozu Sie jetzt natürlich auch intensiv die Erfahrungen mit der Kennzeichnung von Polizeibeamten bemühen. Das scheint offensichtlich zu sein. Aber zum Thema zurück.

(Unruhe bei den LINKEN – Frank Heidan, CDU: Da hat er recht! – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Herr Heidan! – Frank Heidan, CDU: Na, es ist so! Ihr habt es immer noch nicht überwunden! – Enrico Stange, DIE LINKE, meldet sich zu Wort.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Hartmann?

Gestatte ich.

Herr Stange, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Kollege Hartmann, konnten Sie mir dahingehend folgen, dass ich versucht habe, das Petitionsrecht herzuleiten? Nicht mehr und nicht weniger.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Das konnte er nicht, sonst hätte er es nicht gesagt!)

Haben Sie verstanden, dass ich ausgeführt habe, dass sich das Innenministerium auf das Petitionsrecht bezieht, wenn es um die Rechtsgrundlage für diese Beschwerdestelle geht, die jetzt existiert?