Wunderbar! – Was mich an dieser Stelle interessiert: Wären nicht auch Sie, selbst wenn die Diskussion so erfolgt, wie Sie es beschrieben haben, für die Erhöhung des Regelsatzes, weil dies den Leuten tatsächlich helfen würde?
Das habe ich ja gesagt. Obwohl es dieses Paradox gibt, ist dies kein Argument, diese Maßnahme nicht umzusetzen. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht eindeutig so festgestellt. Wir müssen nur in der Debatte darüber aufpassen, dass wir uns nicht in dem Dafür und dem Dagegen neutralisieren; denn durch die Dramatisierung oder Pauschalisierung droht uns der Blick auf die konkrete Maßnahme abhandenzukommen. Wir haben es heute wieder erlebt: Ein Problem wird als groß eingeschätzt und entsprechend besprochen, und dann kommt wieder die Antwort: Na ja, so schlimm ist das alles ja nicht! – Man geht dann relativ ratlos auseinander. Ich denke, es bedarf wirklich eines differenzierten Blicks und konkreter Maßnahmen, über die man dann auch sprechen muss.
Wir haben uns in dieser Legislatur vorgenommen, für den sächsischen Sozialbericht eine grundlegende und aussagefähige Statistik für Sachsen vorzulegen, damit wir in den Folgejahren nicht alle fünf Jahre auf einen Bericht warten müssen, sondern jederzeit Daten abrufen können, die uns zeigen, welche Problemlagen die Menschen in Sachsen beschäftigen. Ich finde es derzeit auch nicht zufriedenstellend, dass sich die Umsetzung dieses vermeintlich einfa
chen Vorhabens als anscheinend so schwierig darstellt, dass der vorgesehene Zeitplan nicht eingehalten werden konnte und der Bericht nach wie vor nicht vorliegt.
Deshalb sind die Argumente gegen den Antrag der LINKEN relativ schlicht, denn einerseits kann dieser Sozialbericht bis März 2018 wie im Antrag gewünscht nicht vorliegen, andererseits kann aber die geforderte Stellungnahme der Staatsregierung ohne diesen Bericht einfach nicht den geforderten Sinn erfüllen. Deshalb ist es an der Stelle einfach nicht sinnvoll, diesem Antrag der LINKEN zuzustimmen.
Ich will aber, um mich da nicht aus der Affäre zu ziehen, kurz noch einmal auf die inhaltlichen sozialpolitischen Schwerpunkte eingehen. Ich will zum Thema Armut nicht nur über diese formellen Dinge sprechen, sondern ganz klar sagen, worauf die SPD-Fraktion Wert legt. Wir haben vier Schwerpunkte bei diesem Thema. Das eine ist natürlich die soziale Sicherheit, das zweite die Teilhabe, das dritte die Befähigung und das vierte die Prävention.
Das alles sind Maßnahmen, die wir Stück für Stück, wie Georg Cremer das beschreibt, verfolgen. Beim Thema soziale Sicherheit war die Maßnahme des Mindestlohns und damit die Anhebung des Lohnniveaus insgesamt ganz wichtig. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass unser gutes Sozialversicherungssystem, und da beziehe ich die Rente ausdrücklich ein, weiterhin erhalten und verbessert werden kann. Wir brauchen eine permanente Anpassung der Sozialleistungen. Ich sprach gerade von der Berechnungsgrundlage für die Grundsicherung für Erwerbslose, die angepasst werden muss. Das sollte auch erfolgen.
Bei den nächsten beiden Themen – Teilhabe und Befähigung – geht es vor allem darum, Zugänge zu Bildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen. Es geht darum, Versorgungs- und Beratungseinrichtungen für soziale Problemlagen, für Gesundheit und Pflege zur Verfügung zu stellen. Denn auch das hat sich in der Armutsforschung ganz klar erwiesen: Eine ordentliche öffentliche Infrastruktur entlastet die Menschen und kommt vor allem denen zugute, die nicht so viel Einkommen besitzen. Sie merken, das Thema Armut und Ausgrenzung ist sehr komplex und vielfältig, weil eben auch soziale Armutslagen komplex und vielfältig sind.
Zum Schluss möchte ich noch ein Wort von Georg Cremer bringen. Er hat gesagt, das Problem unseres Sozialstaates ist nicht, dass er zu wenig Hilfe böte, sondern eher dass er viele Potenziale, um Notlagen zu vermeiden, ungenutzt lässt. Hier, bin ich der Meinung, kommen wir nur Stück für Stück voran. Für einen Gesamtplan und für die Klammer darum, wie es gewünscht ist, benötigen wir schließlich den sächsischen Sozialbericht. Dann können wir an dieser Stelle weiterarbeiten.
Das war Frau Kollegin Neukirch, SPD-Fraktion. Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Wendt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Linksfraktion greift mit ihrem Antrag ein wichtiges Thema auf. Wir haben am heutigen Tag bereits kontrovers und auch sehr emotional über die Armut in unserem Land debattiert und auch die Politik der CDU und der SPD angeprangert. Mit dem Antrag der Linksfraktion kommen wir aber auch keinen Schritt weiter, denn ich habe heute Morgen schon erläutert, woran Armut wirklich festzumachen ist.
Natürlich müssen wir die Problematik der Armut differenziert betrachten. Zudem ist dies nicht allein an statistischen Zahlen festzumachen. Hierbei verweise ich gern auf eine Formulierung im Fünften Armuts- und Reichtumsbericht: „Armut wird im Wesentlichen als ein Mangel an Mitteln und Möglichkeiten verstanden, das Lebens so zu leben und zu gestalten, wie es in unserer Gesellschaft üblicherweise auf Basis des historisch erreichten Wohlstandsniveaus möglich ist.“
Deshalb müssen wir uns verstärkt mit den Ursachen und nicht den Symptomen beschäftigen, und wir sollten davon wegkommen, noch mehr Berichte einzufordern. Wir sollten endlich handeln, denn die Defizite sind allen bekannt. Ich mache jetzt auch ein paar Lösungsvorschläge.
Wir sollten schauen, dass das Ehegattensplitting durch ein sozial gerechtes Familiensplitting ergänzt wird. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass Arbeitslose bedarfsgerecht qualifiziert werden und dies in enger Abstimmung mit den Unternehmen erfolgt. Wir sollten uns für eine aktivierende Grundsicherung einsetzen, bei welcher der staatliche Unterstützungsbeitrag erst ab einem bestimmten Einkommen in voller Höhe abgezogen wird, sodass derjenige, der arbeitet, auf jeden Fall mehr Geld zur Verfügung hat als derjenige, der nicht arbeitet. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass Familienarbeit wie jede andere berufliche Tätigkeit als gleichwertig anerkannt wird. Wir sollten uns für eine Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I in Abhängigkeit von der Dauer der Vorbeschäftigung einsetzen und den Selbstbehalt bei der Berechnung von Arbeitslosengeld II erhöhen. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass unseren Familien Ehestartkredite mit Teilerlassen für Kinder angeboten werden. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass durch Arbeitsleistungen und andere anrechenbare Zeiten erworbene Rentenansprüche mit einem angemessenem Aufschlag Berücksichtigung finden. Hier verweise ich unter anderem auf Erziehungszeiten. Wir sollten uns für eine Abgabenbremse bei Steuern, Beiträgen und Gebühren zugunsten der Bürger einsetzen. Wir sollten uns für eine Obergrenze bei Leih- und Werkverträgen einsetzen und dafür sorgen, dass Leiharbeit nach einer sechsmonatigen Beschäftigungszeit einer festen Anstellung gleichgesetzt wird. Zu guter Letzt sollten wir dafür sorgen, dass geringe und mittlere Einkommen entlastet werden.
Herr Gebhardt, können Sie dem zustimmen, auch wenn dies von der AfD-Fraktion kommt? – Nicht? Schade, aber unser Parteiprogramm gibt genau diese Punkte her. Für diese Punkte werben wir, weil sie auf die Agenda gehören. Dennoch werden wir Ihren Antrag ablehnen, weil wir schon genug Berichte haben. Wir müssen jetzt handeln.
Auf Herrn Wendt folgt jetzt Herr Kollege Zschocke, Fraktion GRÜNE, als Letzter in dieser ersten Runde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die LINKE nimmt den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sowie Berichte von Sozialverbänden und Gewerkschaften zum Anlass und fordert die Staatsregierung auf, Stellung zu beziehen. Man könnte sogar sagen, endlich Stellung zu beziehen. Es ist der verzweifelte Versuch, in diesem Haus eine ernsthafte Debatte darüber zu beginnen, was Sachsen tun kann, um Armut entgegenzuwirken, und was Sachsen tun will.
Die LINKEN haben jüngst zur Kinderarmut eine Große Anfrage eingereicht und dann auch hier ausgewertet und unsere Fraktion zu den Lebenslagen Alleinerziehender. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Wir wissen das.
Kinderreiche Familien sind zu 11 % von Armut betroffen. Bei Ein-Kind-Familien waren es 2014 deutlich weniger. Alleinerziehende und ihre Kinder sind als Familien am häufigsten von Armut bedroht. Aktuell betrifft das fast jedes dritte Kind in Sachsen. Außerdem wissen wir durch das Statistische Landesamt, arm trotz Arbeit sind über 18 000 Erwerbstätige in Sachsen. Sie haben eine Grundsicherung erhalten, weil deren Einkommen unter dem gesetzlichen Mindesteinkommen lag. Über 10 000 Seniorinnen und Senioren in Sachsen waren 2016 trotz Rente so arm, dass sie auf die Grundsicherung im Alter angewiesen waren. Immer mehr Menschen sind arm, weil sie pflegebedürftig sind. In Sachsen haben 17 130 Menschen Hilfe zur Pflege gebraucht, weil das eigene Geld nicht reichte. Die Zahlen liegen doch vor.
Diese Zahlen sind angesichts der ökonomischen Lage in Deutschland und in Sachsen wirklich ein Armutszeugnis. Erwähnt werden muss an dieser Stelle auch, dass wir über die Lebenssituation vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger so gut wie nichts wissen, weil die sogenannten Fallzahlen zu gering sind. Das betrifft vor allem Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderung. Was fehlt, ist der Wille der Staatsregierung, sich mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen und eine Gesamtstrategie zu entwickeln. Die Koalition hier im Haus lässt das zu, indem konkrete Vorschläge der Opposition oft mit der lapidaren Begründung „das machen wir doch schon alles“ weggewischt werden.
Ich sage Ihnen einmal, was Sie machen. Die selbst gesteckten Ziele der CDU und der SPD wurden weit verfehlt. Für das Jahr 2016 haben Sie eine sächsische Präventionsstrategie angekündigt. Das steht im Koalitionsvertrag. Maßnahmen zum Abfedern bestehender Armut sowie zur Minimierung von Armutsrisiken insbesondere bei Kindern und Älteren sollten entwickelt werden. Wir haben davon bis jetzt noch nichts gehört. Ich werde nicht müde, dieses Versprechen in Erinnerung zu rufen; denn es ist dringend notwendig, dass Sie dieses Versprechen umsetzen.
Natürlich wird Sozialpolitik maßgeblich auf der Bundesebene gemacht, doch auch wir haben im Sozialbereich in Sachsen große Baustellen. Zum Beispiel muss jetzt die Überarbeitung der Förderrichtlinien im Sozialministerium gemeinsam mit den Sozialverbänden und Vereinen angegangen werden. Die Mittel, die der Freistaat für Bedürftige und Hilfesuchende bereitstellt, für soziale Arbeit, müssen auch bei den Betroffenen ankommen.
Über eine gute Finanzausstattung sozialer Arbeit haben wir schon oft diskutiert. Die Förderpraxis wird für viele Verbände und Vereine nicht einfacher, ganz im Gegenteil: Oft wird die Arbeit der Träger durch die Fördervoraussetzungen verkompliziert und erschwert.
Eines muss hier auch noch einmal ganz deutlich gesagt werden: Armut verhindern wir eben nicht nur durch sozialstaatliche Leistungen. Auf den Freistaat kommt es an, wenn es darum geht, Armut vorzubeugen. Exemplarisch kann ich hier nur gute Arbeitsbedingungen nennen, gut bezahlte Jobs, einen inklusiven Arbeitsmarkt, auf dem jeder seinen Fähigkeiten entsprechend eine Chance erhält, ein gut funktionierendes Bildungssystem, gute Bildung von Anfang an, qualifiziertes Personal und geringe Abbrecherquoten in Schule und Ausbildung. Das sind alles Dinge, die Armut vorbeugen, auch die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, meine Damen und Herren, zum Beispiel durch ein Landesförderprogramm, das die Kommunen bei dieser großen Aufgabe unterstützt, anstatt weiterhin alles dem freien Markt zu überlassen.
Auch zu diesen großen Aufgabenbereichen haben wir GRÜNEN in den letzten Jahren immer wieder ganz konkrete Vorschläge in den Landtag eingebracht. Deswegen sage ich deutlich, wir stimmen dem Antrag der Fraktion der LINKEN zu, weil es nicht mehr und nicht weniger ist als ein Auftrag an die Staatsregierung, das Thema Armut in den Fokus zu rücken und, Frau Neukirch, differenziert darzustellen – das kann die Staatsregierung tun – und differenziert zu beschreiben, um soziale Ungleichheit, Armut und Ausgrenzung abzubauen und dem vorzubeugen, wie wir es in Sachsen realisieren wollen.
Es gibt aus meiner Sicht überhaupt keine schlüssige Begründung dafür, diesen Handlungsauftrag abzulehnen. Auch der Verweis auf die Zeitschiene ist aus meiner Sicht
eine Ausflucht. Selbst wenn dort stehen würde, „bis zum Ende der Legislatur“, würden Sie es ablehnen. Wir brauchen diese Handlungsstrategie ministeriumsübergreifend jetzt. Deswegen bitte ich Sie zuzustimmen.
Mit Herrn Kollegen Zschocke haben wir das Ende der ersten Runde erreicht. Möchte die einbringende Fraktion eine nächste Runde eröffnen? – Ja, das sehe ich gerade. Bitte, Frau Kollegin Schaper, Sie eröffnen jetzt die zweite Rederunde für Ihre Fraktion DIE LINKE.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe bereits in der ersten Runde auf die alarmierenden Zahlen im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hingewiesen. Das ist kein Skandalisieren, sondern das ist ein Skandal; denn fast ein Fünftel der Bevölkerung in Sachsen ist arm.
Sie haben heute wieder demonstriert, dass Sie dieses Thema herunterspielen und sich aus der Verantwortung stehlen wollen oder diesen Antrag aus ideologischen Gründen ablehnen. Wir entlassen Sie aber nicht aus dieser Verantwortung, auch wenn Sie alle Hinweise auf Armut im Freistaat an sich abperlen lassen und diejenigen, die darauf hinweisen, bei Ihnen als Nestbeschmutzer gelten. Die Situation ist nun einmal alles andere als rosig.
Besonders empörend ist die Lage armer Kinder. Kinderarmut beruht letztlich auf Elternarmut. Laut dem Bericht der Bundesregierung sind 21 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland arm. Das sind mindestens 150 000 Kinder allein in Sachsen.
Gewiss legen Sie keine offizielle Statistik vor, weil Sie schlechte Zeugnisse für Ihre Politik fürchten. Wir haben deshalb selbst nachgerechnet und die relevanten Fallgruppen betrachtet. Das sind mindestens die Kinder in HartzIV-Bedarfsgemeinschaften. Das sind die Kinder in Wohngeldhaushalten. Das sind Kinder in Sozialhilfehaushalten und zudem Kinder, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass manche Eltern aus Scham oder falschem Stolz gar keine Sozialleistungen beantragen, obwohl diese ihnen zustehen. Außerdem sind Familien nicht deshalb der Armut entronnen, weil ihr Einkommen ein paar Euro über den jeweiligen Bedarfsgrenzen liegt.
Bei der Armutsquote von mehr als 18 % kann man auch nicht mehr von Einzelschicksalen sprechen. Damit können Sie nicht über ein Versagen hinwegtäuschen. Sie hätten längst etwas dagegen unternehmen können, aber nein, stattdessen werfen Sie uns vor, wir würden lügen, wenn wir auf die Dimension des Problems hinweisen, darauf, dass 150 000 sächsische Kinder betroffen sind.
Es geht Ihnen vor allem darum, die Kinderarmut kleinzureden. Sie wollen das Problem nicht erkennen, geschweige denn bearbeiten. Sie verweisen lieber auf einen Teil des Gesamtbildes, um den Leuten vorzugaukeln, die CDU
Das ist bezogen auf den Einwand des Herrn Krauß heute früh in der Aktuellen Debatte, die LINKE würde lügen bei der Darstellung der 150 000 armen Kinder im Freistaat.