Überraschend ist es natürlich, weil wir mit dem Antrag ja die Absicht verfolgen, dem Justizminister den Rücken zu stärken bei seinen Verhandlungen in dieser Richtung. Ich sage mal, es ist doch eher ungewöhnlich, dass die Opposition das gleiche Ziel verfolgt – aber nun gut.
Nicht, dass Sie ihm in den Rücken fallen, aber dass Sie ihm den Rücken stärken, das ist doch eher neu.
Nichtsdestoweniger ist es ja schön, wenn wir uns insoweit einigen können. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag, da wir meinen, dass er der Weitergehende ist. Die Einrichtung eines Ermittlungsrichters in Leipzig ist, glaube ich, in Ihrem Antrag nicht enthalten. Ansonsten sind wir übereinstimmend. Jedenfalls würden wir uns freuen, wenn Sie dem Antrag der Regierungsfraktionen zustimmen könnten.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Modschiedler, im ersten Moment war ich etwas irritiert, weil ich nicht wusste, welchen Antrag Sie denn eigentlich begründen – unseren oder Ihren. Unser Antrag war eher da, der kam schon am 22. Juni 2017 in den Geschäftsgang. Sie haben Ihren dann am 16. August 2017 nachgeschoben.
Die Gründe sind mir schon plausibel. Das ist nun einmal so: Eher schneit es nach oben, bevor hier im Landtag in Sachsen einem Antrag der Opposition zugestimmt werden darf. Ein Ersetzungsantrag hätte es auch getan – aber bitte schön, wenn wir einen neuen Antrag haben, der dasselbe will und dasselbe intendiert – so ist es ja in dem Fall –, dann können wir damit leben. Dann können wir damit leben, dass es ein bisschen abgekupfert ist, im wahrsten und doppelten Sinne des Wortes.
Das ist das, was man „Opposition wirkt!“ nennt. Damit habe ich auch kein Problem. Der feine Unterschied war wirklich, dass Sie hier schon einen Antrag hatten, als wir unseren einreichten, mag sein. Nur konnte ich da nicht hineinschauen.
Wir haben tatsächlich in dieser Sache keinen Dissens. Ich kann bloß unmöglich zweimal innerhalb von zwei Tagen der Koalition beitreten oder ihr zustimmen. Das geht nicht.
Ich will zum Einstieg etwas prinzipieller werden. Der Artikel 72 des Grundgesetzes setzt die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet als Ziel der Politik des Bundes. Davon sind wir in diesem Land im 27. Jahr nach der staatlichen Herstellung der Deutschen Einheit noch weit entfernt. Meine Partei, allen voran Gregor Gysi und Dietmar Bartsch, hat dieser Tage
wie auch die Ministerin für Integration in Sachsen, Frau Köpping, darauf aufmerksam gemacht, dass das Gefühl der Geringschätzung, des Abgehängtseins, des Nichternst-genommen-Werdens zu viele Menschen im Osten an ihrem Wert für unsere Gesellschaft, am Wert der demokratischen Gesellschaft für sie selbst zweifeln lässt.
Dieses Problem steckt weitergehend schon dahinter. Das hat nicht nur mit geringeren Löhnen zu tun, mit längerer Arbeitszeit, mit längerer oder höherer Arbeitslosigkeit oder dem Ausbluten ganzer Landstriche wegen einer verfehlten Regionalpolitik aus Leuchttürmen und dergleichen mehr. Es sind vielmehr auch solche Anlässe, die die Menschen sehr wohl zur Kenntnis nehmen, die sehr wohl in irgendeiner Form aufgenommen werden und natürlich zu bestimmten Eindrücken führen, dass man meint, dass nach wie vor die Ostdeutschen, wenn es um die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse geht, nicht in dem Maße von der praktischen Bundespolitik und bei den Entscheidungen der sonstigen Entscheidungsträger, wie im Falle des Bundesgerichtshofes, ernst genommen werden, wie sich das gehört. Dieses Unterrepräsentiertsein in Spitzenpositionen unserer Gesellschaft und dieses Unterrepräsentiertsein im Sitz der Bundesbehörden ist ein Mosaikstein in diesem Gefühl der Distanz und des mangelnden Resonanzbogens zwischen der Politik und einem erheblichen Teil der Bevölkerung.
Das Beispiel der nicht erfolgten Verlegung bzw. der Neueinrichtung von Strafsenaten zeigt schlicht und ergreifend einen Wortbruch. Wie das historisch entstanden ist, welche Genese es hat, dass haben meine Kollegen Modschiedler und Baumann-Hasske soeben völlig zutreffend auch im historischen Zusammenhang gesagt. Damals haben sich alle darauf verlassen, dass es ernst gemeint ist, dass so ein originärer Weg mit der Rutschklausel gegangen wird. Alle haben darauf gewartet.
Wenn ich nun frage: „Was hat sich in dieser Richtung bewegt?“, dann muss man sagen: wenig bis nichts, und zwar trotz eines ständig steigenden Arbeitsvolumens der bestehenden Karlsruher Senate, was in einem Tätigkeitsberichts vom März dieses Jahres von der BGH-Präsidentin paradoxerweise selbst beklagt wird. Sie beklagt diese wachsenden Belastungen und die Arbeitszeitverdichtungen. Trotzdem haben die Entscheidungsträger des BGH und des Bundesjustizministeriums keinerlei Anstalten erkennen lassen, diesen Beschluss umzusetzen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass dieser Beschluss bewusst unterlaufen würde.
Die bestehenden Senate werden trotz mahnender Worte auch aus der juristischen Fachwelt bis an die Grenze der Verfassungsmäßigkeit aufgebläht, nur damit sie in Karlsruhe bleiben können. Dem Fass wird endgültig der Boden ausgeschlagen, wenn eine Sprecherin des BGH unlängst statt der längst überfälligen Etablierung neuer Senate in Karlsruhe und damit auch in Leipzig eine Verkleinerung der Aufgabenbereiche des BGH fordert. Die Sprecherin des BGH fordert eine Verkleinerung der Aufgabenbereiche des BGH, weil dieser überlastet ist. Der normale Weg
wäre, Senate einzurichten. Die Konsequenz wäre dann, dass einer nach Leipzig müsste. Lieber zu fordern, dass der Aufgabenbereich des BGH reduziert wird, was eine Minderung an Rechtsschutz und Rechtssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet, ist schon einigermaßen bemerkenswert.
Was nimmt es dann wunder, dass die Ostdeutschen sagen: Wir fühlen uns benachteiligt, wenn politische und juristische Eliten dieses Landes lieber höchst schützenswerte Güter des Rechtsstaates einschränken möchten, als Senate eines obersten Bundesgerichts im Osten der Republik anzusiedeln. Da darf letzten Endes das Parlament nicht schweigen.
In diesem Anliegen, in dieser Form der Unterstützung des Justizministers und des Ministerpräsidenten, der dazu auch etwas gesagt hat, sind wir uns in dem Fall wirklich einig. Da haben wir keinen Dissens. Da ziehen wir, glaube ich, an einem Strang.
Der Fall al-Bakr hat gezeigt, dass die Generalbundesanwaltschaft eine stärkere Präsenz in der Fläche benötigt und dass dafür eine notdürftig besetzte Außenstelle in Leipzig nicht ausreichend sein kann. Gleiches gilt für Ermittlungsrichterinnen und Ermittlungsrichter, wo wir letztenendes das Problem sehen, dass die Steigerung der entsprechenden Tätigkeiten im hohen zweistelligen Prozentbereich erfordert, hier unbedingt eine personelle Aufstockung am Standort Leipzig vorzunehmen.
Dafür plädieren wir mit unserem Antrag. Wir wollen mit dem Antrag auch die Einrichtung einer Außenstelle des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof in Leipzig – das ist Punkt 3 –, genauso, wie es in Ihrem Antrag steht. Also, auch in dieser Frage gibt es keinen Unterschied.
Summa summarum: Wir beherrschen die Arithmetik. Wir wissen, wie im Ergebnis der Abstimmung das ganze Rennen ausgehen wird. Wir meinen zwar, unser Antrag ist der weiterreichende – nicht nur, weil er eher kam, sondern weiterreichend in der Sache ist. Wenn man die Punkte vergleicht, so gibt es nicht nur quantitativ einen oder zwei Punkte mehr, sondern auch im Detail. Nichtsdestotrotz würden wir uns nicht in Fingerhakeleien verlieren. Wir bitten, auch unserem Antrag zuzustimmen. Wenn Sie dies nicht übers Herz bringen, leben wir damit auch weiter. Dem Herrn Justizminister wünschen wir viel Erfolg!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits im März 2017 hat Justizminister Gemkow gefordert, dass mehr Strafsenate des BGH nach Leipzig kommen sollen. Im Interview haben alle Obleute des Verfassungs- und Rechtsausschusses dieses Ansinnen unterstützt. An dieser Stelle möchte ich nochmals Justizminister Gemkow sehr herzlich für das gute
Miteinander im Ausschuss danken und dass er uns als Landtagsabgeordnete immer frühzeitig einbezogen hat.
Im Juni dieses Jahres haben die LINKEN ihren Antrag eingereicht. Er heißt: „Bundesversprechen einhalten: Leipzig als Justizstandort im Osten stärken – endlich weitere Strafsenate des Bundesgerichtshofes in Leipzig einrichten!“ Jetzt, zwei Monate später, im August, kommt von der CDU und der SPD der Antrag: „Bundesgerichtshof in Leipzig stärken, Außenstelle des Generalbundesanwalts in Leipzig ausbauen“. Sehr geehrte Damen und Herren, ich werde mich jetzt nicht an der wenig konstruktiven Diskussion über Originale und Plagiate beteiligen. Beide Anträge haben dasselbe Ziel: den Justizstandort Leipzig zu stärken, indem weitere Strafsenate des BGH nach Leipzig geholt werden.
Um es vorwegzunehmen: Die AfD-Fraktion hat sich bereits im März für diese Ziele ausgesprochen, und wir werden den Anträgen zustimmen.
Unter den Vorschlägen der Unabhängigen Föderalismuskommission befand sich für Sachsen auch die Regelung, die bereits Herr Modschiedler und Herr Baumann-Hasske erklärt haben: die Rutschklausel. Dies ist bereits mehrfach gesagt worden. Trotzdem ist nur der 5. Strafsenat des BGH nach Leipzig verlegt worden. Hinsichtlich der Einrichtung weiterer Strafsenate in Leipzig besteht eine Verweigerungshaltung.
Um keinesfalls die Rutschklausel auszulösen, werden in Karlsruhe trotz der stetig ansteigenden Arbeitsbelastung keine weiteren Senate gebildet. Die vorhandenen Senate werden dafür mit zusätzlichen Richtern aufgebläht; auch dies hat Herr Modschiedler anschaulich dargestellt. Das sind Tricksereien, weil die Damen und Herren Bundesrichter nicht von Karlsruhe nach Leipzig umziehen wollen. So geht es nicht!
Im März 2017 hatte Sachsen auf Nachfrage des Generalbundesanwalts zwei Staatsanwälte zum GBA nach Karlsruhe abgeordnet. Sachsens Richter und Staatsanwälte würden allerdings lieber nach Leipzig als nach Karlsruhe abgeordnet werden. Daher ist es besonders wichtig, Leipzig als einen bedeutenden Justizstandort zu stärken, indem – erstens – weitere Strafsenate des BGH hier einzurichten sind, – zweitens – die Außenstelle des Generalbundesanwalts ausgebaut wird und – drittens – eine zusätzliche Dienststelle des Ermittlungsrichters beim BGH am Standort Leipzig eingerichtet wird.
Diese drei Forderungen aus den uns vorliegenden Anträgen wird die AfD-Fraktion ebenfalls unterstützen. Wir halten es für geboten, dass sich Sachsen auf allen Ebenen, so zum Beispiel beim Bund, aber auch auf der nächsten Justizministerkonferenz, erneut dafür einsetzt, dass der Bundesjustizminister weitere BGH-Senate einrichtet; denn nach § 130 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz bestimmt er die Anzahl der Zivil- und Strafsenate beim Bundesgerichtshof. Er ist auch ermächtigt, Senate außerhalb des Sitzes des Bundesgerichtshofes zu bilden und die
Dienstsitze für Ermittlungsrichter des BGH zu bestimmen. Aber dafür müssen wir wohl erst die anstehende Bundestagswahl abwarten und auf das Wohl des nächsten Bundesjustizministers hoffen!
Insgesamt unterstützt die AfD-Fraktion das Anliegen der Anträge der LINKEN sowie der CDU und der SPD. Wir werden daher, wie gesagt, beiden Anträgen zustimmen.
Vielen Dank, Frau Dr. Muster. Ich rufe die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf, Frau Abg. Meier. Das sind heute Ihre Festspiele, ja? Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Um es kurz zu machen: Die GRÜNE-Fraktion wird sowohl dem Antrag der Koalition als auch dem der LINKEN zustimmen, da beide in der Sache das Gleiche wollen und in die richtige Richtung gehen. Die Berliner und Karlsruher Hinhaltetaktik muss endlich ein Ende haben, und das personelle Aufblähen der Senate – offensichtlich nur, um keinen weiteren Senat bilden zu müssen – stößt irgendwann an die Grenzen der rechtlichen Zulässigkeit. Der Bundesjustizminister muss hier endlich von seinen Befugnissen Gebrauch machen.
Interessanterweise ist die Fraktion DIE LINKE den großen Worten des Justizministers in der Presse gefolgt und hat ihren Antrag bereits vor zwei Monaten eingereicht. Die Begründung ist stichhaltig: Es wird auf den Tätigkeitsbericht des BGH verwiesen, der von der steigenden Arbeitsbelastung der Senate berichtet, und auf die dazu in krassem Widerspruch stehenden Aussagen der Sprecherin des BGH, die sogar von einer Verkleinerung spricht. Es wird deutlich, dass Leipzig als Profiteur der Rutschklausel bewusst hingehalten wird.
DIE LINKE hat in der Begründung den Lösungsweg aufgezeigt: § 130 Gerichtsverfassungsgesetz, der die Grundlage für das Handeln des Justizministers bildet; und sie zeigt dennoch auch die unmittelbare Handlungsverantwortung der Sächsischen Staatsregierung auf.
Dann schaue ich mir den – insoweit gleichlautenden – Antrag der Koalition und dessen Begründung an und stelle fest: Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in der sächsischen Justiz, für die die Regierungskoalition ja durchaus mitverantwortlich ist, ist es schon etwas keck, die Bundesebene anzugehen, statt erst einmal vor der eigenen Tür zu kehren.
Sie, liebe Koalition, begründen Ihren Antrag mit den demokratischen Erfordernissen der Rechtssicherheit und des effektiven Rechtsschutzes – und natürlich mit den Freizeitangeboten in Leipzig; Herr Modschiedler hat es eben ausgeführt. Sie schreiben, dass der Rechtsstaat zuerst die zur zügigen Durchführung von Gerichtsverfahren notwendigen personellen und strukturellen Ressourcen vorhalten muss – und was, frage ich Sie, ist mit dem
effektiven Rechtsschutz und der Rechtssicherheit in den ersten beiden Instanzen oder den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren?
Ihre Antragsbegründung ist, gelinde gesagt, blanker Hohn, wenn man weiß, wie es um die sächsische Justiz bestellt ist: Die Verfahrenszuwächse an den sächsischen Amts-, Sozial- und Verwaltungsgerichten sind genauso hoch, wenn nicht sogar höher als beim BGH. Die Richterinnen und Richter sind chronisch überbelastet. Beim Landgericht Dresden hängen mindestens genauso große Staatsschutzsachen an wie beim BGH, die monatelang in Zwischenverfahren festhängen. Hier muss etwas passieren! So könnte doch der Justizminister einmal Sorge dafür tragen, dass auch in Sachsen zusätzliche Kammern eingerichtet werden. Sie bieten dem BGH stattdessen pressewirksam schöne Leipziger Villen an! Das Leipziger Verwaltungsgericht, das aus allen Nähten zu platzen droht, würde sich, denke ich, auch über weitere Räumlichkeiten freuen.
Mir ist natürlich klar, dass Ihnen mit einem solchen Beschluss, den wir heute – ich glaube, einstimmig – fassen werden, im Leipziger Wahlkampf der Rücken gestärkt wird. Aber ich bitte Sie doch, lieber Herr Gemkow, wenn wir das hier geschafft haben, sich wieder dem zu widmen, wofür Sie zuständig sind: der gesamten sächsischen Justiz.