Protocol of the Session on August 30, 2017

(Sebastian Wippel, AfD: Die haben wir nicht allein!)

Meine Damen und Herren, das Ermessen soll in Punkt 2 Ihres Antrages eingeschränkt werden. Eine Interessenabwägung soll von vornherein für alle Fälle, in denen Stammberechtigte für den Unterhalt von anderen Familien- und Haushaltsangehörigen aufkommen müssen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, ausgeschlossen werden. Sie verkennen damit aber die Wirkung in der Praxis. Was ist, wenn der nachziehende Familienangehörige aufgrund seiner Vorbildung in Deutschland ein ausreichendes Einkommen erzielen könnte? Nachziehende Familienangehörige sind gemäß Aufenthaltsgesetz zur Ausübung einer Beschäftigung und Erwerbstätigkeit berechtigt. Was ist, wenn der Nachziehende über Vermögen verfügt, aus welchem er dauerhaft seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte? Sie sehen, es spräche einiges dafür, hier eine Erteilung des Aufenthaltstitels vorzunehmen. Die Möglichkeit, dass durch die Nachziehenden auch die Lebenssituation des Stammberechtigten verbessert wird, wäre durch Ihren vorgeschlagenen Ausschlusstatbestand direkt verwehrt.

Meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion, zusammenfassend sei gesagt: Ein Anreiz für den Nachzug von Familienangehörigen subsidiär Schutzberechtigter würde in der Tat wieder geschaffen werden, wenn die Begrenzung des Familiennachzugs im März des kommenden Jahres auslaufen sollte. Ob dies eintritt, kommt auf das Ergebnis der Bundestagswahl in dreieinhalb Wochen und auf die anschließende Regierungsbildung an. Ein starkes Ergebnis für die Union erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es eine Nachfolgeregelung gibt, die sich an der bestehenden Regelung orientiert.

(Sebastian Wippel, AfD: Und wir machen Wahlkampf!?)

Vielleicht werben Sie etwas für das Bundestagswahlprogramm von CDU und CSU.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Eine Kurzintervention, bitte.

Ja, sehr geehrte Frau Präsidentin, vielen Dank. Wir haben gerade von dem Kollegen eine schöne Wahlkampfrede gehört, indem er uns vorgeworfen hat, dass die AfD angeblich Wahlkampf machen wollen würde.

(Sebastian Fischer, CDU: Das machen Sie doch jeden Tag!)

Ich möchte auf seinen Redebeitrag eingehen. – Halten Sie doch mal den Mund, bitte. Brüllen Sie mich nicht so von der Seite an!

Bitte, meine Damen und Herren, etwas Mäßigung!

(Zuruf des Abg. Sebastian Fischer, CDU)

Mann, Junge, das ist hier ja wie im Kindergarten!

Eines möchte ich auf diesen Redebeitrag antworten: Wir können feststellen, dass die Koalition das Problem für Bürger bis nach der Bundestagswahl vertagt hat, nämlich bis 2018, dann läuft es aus. Kollege Vogt, Sie verwechseln Asyl und Einwanderung. Wer hierher kommt, kommt mit dem Schutzgrund und möchte gern Asyl haben, weil er verfolgt wird. In dem Moment, wo ich das Ganze ermögliche und damit eine Ketteneinwanderung mache, ist das die Problematik, die man in Deutschland schon einmal hatte, nämlich zum Beispiel auch in anderen Bereichen zu Zeiten des Einwanderungsstopps und in der Zeit danach. Eine Sache, auf die Sie gleich antworten können: Hätten wir den Antrag anders erarbeitet, hätten Sie dann zugestimmt, ja?

(Beifall bei der AfD)

Herr Voigt, wollen Sie darauf antworten? – Nein. Dann fahren wir in der Diskussion fort. Die Linksfraktion, Frau Abg. Nagel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte meinem Vorredner beinahe zugestimmt, ähnlich wollte ich die Rede auch beginnen. Es scheint tatsächlich Wahlkampf hier im Landtag zu sein, aber Sie haben das am Ende mit Ihrer Wahlempfehlung für die CDU auch trefflich gemacht.

Auch meine Meinung ist, dass dieser Antrag scheinbar nur für das diesmalige Plenum gestrickt wurde, um hier vor der Bundestagswahl noch einmal ordentlich Ressentiments und Angst vor weiteren Menschen zu schüren, die in Deutschland Schutz suchen könnten. Auf der anderen Seite könnte man meinen, dass sich Fraktionen, bevor sie Anträge schreiben, einmal mit rechtlichen Grundlagen oder mit den Auswirkungen, die Anträge auf das Schicksal von Menschen haben, auseinandersetzen. Doch das ist bei der AfD-Fraktion, denke ich, hoffnungslos.

Ich will die Gelegenheit nutzen, schlaglichtartig zumindest zu illustrieren, wen Ihr Antragsbegehr betreffen kann. Zum Beispiel Herrn M. aus Syrien. Er ist anerkannter Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Einen Monat nach seiner Flucht wurde seine Tochter in Syrien auf dem Weg zur Schule vom IS erschossen. Seitdem ist der Mann schwer traumatisiert und wird psychotherapeutisch behandelt. Er hat große Angst um seine verbliebene Familie, die derzeit immer noch in Syrien weilt und regelmäßig vom Geheimdienst verhört und bedroht wird, natürlich um zu wissen, wo er abgeblieben ist.

Oder am Beispiel von Hotman aus Somalia: Als Schülerin hielt ein Verehrer um ihre Hand an. Ihr Vater lehnte ab. Sie studierte später, wurde Krankenschwester, heiratete den Mann, den sie liebt, und bekam Kinder. Doch ihr früherer Verehrer war inzwischen Anführer einer Terrormiliz geworden und wollte Rache nehmen – so lange hielt

das an. Er sorgte dafür, dass die gesamte Familie der jungen Frau inhaftiert wurde. Sie selbst wurde Opfer von Vergewaltigungen der Helfer des Anführers der Terrormiliz. Sie konnte entkommen und floh Hals über Kopf nach Deutschland, wo sie als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurde. Die freigekaufte Familie versteckt sich bei Verwandten in Somalia und Sambia. Für Hotman ist das eindringlichste Anliegen – verständlicherweise –, ihren Mann und ihre Kinder nach Deutschland nachzuholen.

In diesen beispielhaften Fällen, die nicht erfunden, sondern real sind, soll, wenn es nach der AfD geht, der Familiennachzug also prinzipiell versagt werden, weil die Anerkennung als Asylberechtigter nach dem Grundgesetz nicht vorliegt. Für die wenigen verbliebenen Asylberechtigten, die dann noch ein Recht auf Familiennachzug hätten, sollen zusätzliche finanzielle Hürden eingezogen werden, als wenn die realen Hürden, bürokratischen Hürden nicht schon schlimm genug wären und Familienzusammenführungen in vielen Fällen endlos verzögern und de facto erschweren, aber auch fast verunmöglichen.

Fakt ist, eine beschwerliche Flucht über das Mittelmeer mit tage- oder wochen- oder monatelangen Fußmärschen ist Frauen und Kindern nicht zuzumuten. Genau darum – und das ist erwiesen – fliehen alleinstehende Männer, ebenso wie es Situationen gibt, die ein sofortiges Fliehen von Personen notwendig machen, um Gefahrensituationen zu entkommen, und die Familie wird dann trotzdem zurückgelassen.

Ganz anders sähe es aus, wenn es gesicherte und unbürokratische Möglichkeiten zur Ausreise gebe, mit der Perspektive ohne Hürden in ein Zielland einzureisen und Asyl zu finden. Das ist das, was wir als LINKE fordern: sichere und legale Fluchtwege für Schutz suchende Menschen, Fähren statt Frontex und humanitäre Visa statt lebensgefährliche Grenzübertritte.

Ich erinnere mich gut: Im Zuge der Debatte um die Kinderehe taten Sie, die antragstellende Fraktion, sich als Vorkämpfer für die Rechte von Kindern und Frauen hervor. Wer Argumente allerdings nur punktuell und instrumentell einsetzt, der kann auch keine schlüssige Argumentation entwickeln. Dass es vor allem Frauen und Kinder sind, die auf der Flucht und auch in den immer wieder gehypten Flüchtlingslagern in den Anrainerstaaten zum Beispiel Syriens potenziell Opfer von Gewalt und Vergewaltigung werden, blenden Sie an dieser Stelle einfach einmal aus, weil es nicht in die Argumentation passt.

Ihr Familienbegriff – und das ist das Weitere – schließt den Zusammenschluss nicht biodeutscher Menschen aus.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Moment, bitte.

Sehr geehrte Frau Nagel, stimmen Sie mir bei der Feststellung zu, dass es tatsächlich so ist, dass alleinreisende Kinder und alleinreisende Frauen das Problem sind? Wenn sie in Begleitung eines Mannes sind, dann kommen sie in aller Regel ungeschoren durch.

Das kann ich nicht beantworten, weil ich nicht in dieser Situation bin. Ich kenne die Motivation vieler geflüchteter Menschen, die davon erzählen, dass sie den Weg nehmen wollen und ihre Familie dann sozusagen in Sicherheit, auf einem sicheren Weg – da hätten Sie mir einmal zuhören können – nachholen wollen. Wenn Sie das besser wissen und Sie diese Tortur schon mitgemacht haben oder Erfahrungsberichte kennen, bin ich sehr offen.

Wir reden auch über Erfahrungsberichte, ja?

Ihr Familienbegriff – dort war ich stehengeblieben – schließt den Zusammenschluss nicht biodeutscher Menschen aus. Doch nicht nur die Moral, sondern auch das Recht steht dabei gegen Sie. Der besondere Schutz der Familie – das hat auch der Vorredner schon bekundet – ist in Artikel 6 des deutschen Grundgesetzes und in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbrieft. Das Recht auf ein Zusammenleben von Kindern mit ihren Eltern wird darüber hinaus in Artikel 9 und 10 der UN-Kinderrechtskonvention betont. Daraus ergibt sich auch für Nichtdeutsche ein Anspruch auf Familiennachzug. Insbesondere bei Flüchtlingen, egal, ob nach Grundgesetz asylberechtigt, als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder mit subsidiärem Schutzstatus, ist regelmäßig nicht absehbar, wann der Aufenthalt enden wird. Wenn die Familieneinheit im Herkunftsland oder in einem Drittstaat nicht hergestellt werden kann, dann tritt die Pflicht, die Familie zu schützen, vor migrationspolitische Erwägungen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Artikel 6 Grundgesetz und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention ist der Staat zum Schutz der Familie verpflichtet. Entscheidungen über einen Familiennachzug sind nicht pauschal abzulehnen. Genau das ist – das war, glaube ich, auch eine Frage an den Vorredner – im Hinblick auf die mit dem Asylpaket II vorgenommene Gesetzesänderung

durch die große Regierungskoalition zu kritisieren. Es ist bekannt: Im März 2016 wurde der Familiennachzug der subsidiären Schutzberechtigten für zwei Jahre ausgesetzt. Unter anderem weist das Institut für Menschenrechte darauf hin, dass diese pauschale Aussetzung nicht rechtskonform ist. Anträge auf Familiennachzug müssen demnach weiter von deutschen Auslandsbotschaftsvertretungen entgegengenommen und einer Einzelfallprüfung unterzogen werden. Auch die EU-Qualifikationsrichtlinie spricht von einer prinzipiellen Gleichbehandlung von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und

von denen, die nur einen subsidiären Schutzstatus bekommen haben.

Die AfD-Fraktion will ungeachtet dessen die zutiefst inhumane, familienfeindliche und rechtlich zweifelhafte Aussetzung des Familiennachzugs – als etwas anderes können wir das, was CDU und SPD auf Bundesebene für eine Flüchtlingsgruppe vereinbart haben, nicht bezeichnen – nun noch auf die Spitze treiben. Das tun Sie – und Sie haben das hier vorgetragen – auf der Basis deutlich übertriebener Zahlen. Dabei unterscheiden Sie sich – das will ich auch noch einmal unterstreichen – kaum vom Bundesinnenminister, von dem wir ja falsche Zahlenspiele zur Genüge kennen.

Thomas de Maizière machte im Jahr 2015 Panik, indem er von einer Verdreifachung der Zahlen der Geflüchteten durch Familiennachzug sprach. Ich erinnere noch einmal daran: Im Jahr 2015 hatten wir teilweise Zahlen im Raum schwirren, die von einer Million Geflüchteten, die hier angekommen sind, gesprochen haben. Die bayerische CSU-Ministerin Aigner war sogar mit einer Zahl von sieben Millionen zusätzlichen Geflüchteten durch Familiennachzug im Spiel. Dass die AfD dies mit ihrer aktuellen Pressemitteilung und einer Zahl von 1,2 Millionen unterbietet, macht es kaum besser.

Die Institutionen, die dafür verantwortlich sind, gehen mit den Zahlen ein wenig seriöser um. Das BAMF meldete Mitte 2016, dass von durchschnittlich etwa 0,9 bis 1,2 Familienangehörigen pro syrischem Geflüchteten auszugehen ist. Das Auswärtige Amt prognostizierte erst vor eineinhalb Monaten 200 000 bis 300 000 Familiennachzüglern, von denen auszugehen ist.

So oder so gilt hierbei für uns, aber auch jenseits von Zahlenspielen, Folgendes: Menschenrechte kennen keine Obergrenze. Die zu erwartenden Zahlen, mit ihnen wird sehr viel Schindluder betrieben, können menschen- und europarechtlich sowie grundgesetzlich verbriefte Rechte und Schutzgüter nicht infrage stellen.

Wir lehnen den Antrag der AfD selbstverständlich ab. Wir appellieren an die Koalition, vor allem an die SPD – von der CDU haben wir eine klare Position gehört –, sich stattdessen auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte nicht nur unverzüglich beendet wird, sondern der Familiennachzug entbürokratisiert und erleichtert wird. Das ist nämlich ein ganz anderes Thema. Dazu gehört auch die Ausweitung des Familienbegriffs. Ich habe zum Beispiel derzeit einen Fall auf dem Tisch, bei dem ein Kind im Spiel ist. Es handelt sich um einen anerkannten Flüchtling aus Syrien und eine Frau aus der Ukraine. Sie sind nicht verheiratet, ein Familiennachzug ist damit faktisch unmöglich.

Machen Sie Ihre Wahlkampfreden endlich wahr! Schützen Sie Familien und befördern Sie Integration.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Frau Nagel für Fraktion DIE LINKE. Es folgt eine Kurzintervention an Mikrofon 7. Bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident! Verehrte Frau Nagel, unser Antrag ist natürlich nicht inhuman. Inhuman ist es aus unserer Sicht, wenn wir die Zugfaktoren nicht abstellen, immer mehr Leute auf das Mittelmeer gehen und ersaufen. Das ist inhuman.

Unser Antrag ist auch nicht rechtswidrig. Rechtswidrig ist das, was die Koalition im Bund getan hat. Es wurde auf Artikel 16 a Grundgesetz überhaupt kein Wert mehr gelegt. Man hat nicht mehr kontrolliert, wer nach Deutschland gekommen ist. Das sind die Punkte.

(Juliane Nagel, DIE LINKE: Menschenrechte sind keine Zugfaktoren, sondern Garantien!)

Ich komme noch einmal zu Ihrem Familienbegriff im Sozialsystem zu sprechen. Jetzt möchte ich noch einmal zu Ihrer Familiendefinition etwas sagen. Ich weiß, dass Sie die EU-Definition aufgenommen haben. Die Europäische Union möchte erreichen, dass auch Familien, die auf der Flucht gebildet werden, davon erfasst werden. Das halten wir für fatal. Wir werden uns mit den Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben, dagegen stemmen, damit das nicht passiert.

Ich komme nun zu Ihren Zahlen in Bezug auf die Syrer. Wir haben keine anderen Zahlen genannt. Sie unterstellen uns aber, dass wir Panikmache betreiben.