Protocol of the Session on June 22, 2017

Man hat inzwischen beinahe vergessen, dass sich die AfD in ihrer Anfangszeit aus einer volkswirtschaftlichen Kritik an der Realität der

europäischen Wirtschafts- und Währungsunion gegründet hat.

Ihr heutiger Versuch, daran anzuknüpfen, geht jedoch gehörig schief. Mit Ihrem Gründungsvater Lücke hat Sie offenkundig auch Ihr volkswirtschaftlicher Sachverstand verlassen. Ja, DIE LINKE hat damals im Bundestag die Umsetzungsgesetze zur Einrichtung der Bankenunion abgelehnt. Aber unsere Argumente und unsere Ziele waren damals komplett andere als die Ihrigen heute. Unsere Ablehnung bezog sich darauf, dass die vernünftige Idee einer europäischen Bankenunion damals im HickHack der EU-Politik und einem hochmütigen deutschen Gehabe nach dem Motto „keine guten deutschen Steuergelder für die faulen Südländer und ihre Pleite-Banken“ unter die Räder kam bzw. in der Diskussion letztlich kaum eine Rolle spielte.

Aber genau dieser Kritikpunkt ist der eigentliche Leitgedanke Ihres Antrages, und genau das, meine Damen und Herren, unterscheidet uns. Trotz aller Kritik an der Bankenunion ist unsere Argumentation keine antieuropäische. Im Gegenteil: Wesentliche Anliegen befürworten wir dem Grunde nach.

Die europäischen Volkswirtschaften sind auf das engste miteinander verflochten. Das mag die AfD vielleicht schlecht finden, aber auch Sie tun gut daran, diese Realität erst einmal zur Kenntnis zu nehmen und sich dann zu fragen, was das für den Banken- und Finanzsektor bedeutet.

Nüchtern betrachtet ist es eine Frage der Vernunft, für die großen, europaweit systemrelevanten Banken eine einheitliche Praxis der Aufsicht sicherzustellen. Das eigentlich Bizarre bei Ihnen ist ja, dass Sie in Ihrer Begründung zunächst ausführlich die Vorteile der von Ihnen kritisierten gemeinsamen Bankenaufsicht und der gemeinsamen Einlagensicherung darstellen.

Ich zitiere wortwörtlich aus Ihrem Antrag: „Die einheitliche Bankenaufsicht soll die einheitliche Auslegung und Anwendung der Regeln in allen Euroländern gewährleisten und eine schnellere und bessere Reaktion bei Bankenkrisen ermöglichen.“ – Glückwunsch, das haben Sie gut erkannt! – Trotzdem fordern Sie eine Seite weiter, dieses System abzuschaffen. Womöglich sollten Sie selbst nochmals Ihre eigene Antragsbegründung gründlich lesen. Aber zum Detail.

In der jetzigen Regelung den „einheitlichen Aufsichtsmechanismus“ bei der EZB anzusiedeln liegt durchaus ein permanenter Zielkonflikt zwischen Geldpolitik und Aufsichtspflicht. Das haben wir als LINKE auch immer gesagt. Wir haben daher eine eigenständige Behörde für die europäische Bankenaufsicht gefordert und tun das noch immer. Aber das ist nicht Anliegen Ihres Antrages. Mit diesem Zielkonflikt beschäftigen Sie sich gar nicht.

Sie wollen einfach aus Prinzip eine europäische Regelung zurückdrehen. Ihr Ansatz heißt, nationale Alleingänge seien immer besser als Kooperation. Wenn Sie Angst davor haben, dass deutsche Gelder einseitig für die

Zahlungsunfähigkeit ausländischer Banken verwandt würden, dann zeugt das von Ihrem Chauvinismus. Unterstellen Sie doch implizit, dass deutsche Institute nicht in eine Schieflage kommen könnten.

Da scheinen Sie mit Rückblick auf das letzte Jahrzehnt augenscheinlich ein sehr kurzes Gedächtnis zu haben. Wenn Sie tatsächlich Angst davor haben, dass deutsche Steuerzahler oder Sparer für die Schieflage ausländischer Banken in Haftung genommen werden könnten, dann müssten Sie sogar eher für eine Vertiefung der von Ihnen gegeißelten Union sein. Es ist doch so: Bei einer nationalen Lösung sind die Refinanzierungsbedingungen der Banken nie besser als die ihres Heimatlandes. Das heißt, dass auch nachhaltig geführte Banken automatisch in Bedrängnis geraten, wenn das Rating des Sitzlandes sinkt. Diese Bonitätsverschränkung aufzulösen kann durchaus sinnvoll sein.

Auch wenn letztlich fraglich bleibt, ob eine als systemrelevant eingestufte Großbank im Ernstfall tatsächlich vernünftig abgewickelt und in die Insolvenz geschickt werden kann, gehen die derzeitigen Restrukturierungsmechanismen und -fonds im Grundsatz in die richtige Richtung.

Auch die Europäisierung der Einlagensicherung ist der Idee nach richtig. Und ja: Sie hat in ihrer Ausgestaltung einen Fehler, der korrigiert werden muss.

Sie darf nicht zum Ausgleich zwischen Großbanken mit riskantem Geschäftsmodell einerseits und Sparkassen und Genossenschaftsbanken andererseits führen.

Ähnlich wie in Deutschland müssen Banken mit unterschiedlichem Risikopotenzial auch europaweit in unterschiedlichen Einlagensicherungssystemen zusammengefasst werden. Und: Es gibt noch ein weiteres Defizit der europäischen Bankenunion, warum diese derzeit nur begrenzte Verbesserungen bringen kann. Allerdings liegt die Lösung hier ebenfalls nicht in ihrer Abschaffung, sondern im Ausbau.

Worum geht es? In der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen werden ganz bewusst alle drei Bereiche – Banken, Versicherungen und Börsen – beobachtet. Es werden auch ihre Vernetzungen unter die Lupe genommen. Ohne eine solche Allfinanzaufsicht hat die europäische Regelung eine gravierende Schwäche. Dies birgt durchaus Gefahren, dass Krisen innerhalb des Finanzsektors von einem Bereich auf einen anderen überschwappen. Hier nachzubessern fordern Sie in Ihrem Antrag nicht einmal im Ansatz. Wahrscheinlich haben Sie das Problem nicht mal erkannt.

Das lässt sich nicht national regeln, es sei denn, Sie wollen alle europäischen Finanzbeziehungen komplett kappen. Als Lehre aus der letzten Finanzkrise liegt die Lösung in einer Schrumpfung und schärferen europaweiten Regulierung des Finanzsektors. Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der AfD, geht in eine völlig falsche Richtung. Ihre Forderungen würden im Krisenfall jedoch nicht nur nicht helfen, sondern aus kurzsichtigem

nationalen Egoismus heraus zur Verschärfung und Ausweitung der Krise führen.

Auch im Interesse der von Ihnen in Ihrem Antrag ins Feld geführten zu schützenden sächsischen Sparer lehnen wir Ihren Antrag ab.

Hier kommt erneut ein Antrag der AfD, mit dem diese Fraktion in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken will, sie setze sich für die Sicherheit der Bankguthaben des sprichwörtlichen „kleinen Mannes“ ein. Denn diese Sicherheit sei durch die böse Europäische Union, konkret durch die Europäische Zentralbank, noch konkreter durch den kommenden europäischen Einlagensicherungsfonds bedroht.

Diese Behauptung trifft nicht zu. Das letzte Mal haben wir das Thema vor drei Monaten, am 15. März, debattiert. Die Behauptung wird durch ständige Wiederholung nicht besser, auch nicht origineller. Der Einlagensicherungsfonds wird gebildet, weil – darin ist dem Antrag zu folgen – nach der Finanzkrise 2008 Banken mithilfe von staatlichen Garantien, also Steuermitteln, gerettet werden mussten.

Schon hier wird die erste Konsequenz des Antrags deutlich: Wer die Einlagensicherung der Banken und wer die teilweise Haftung auch der Bankkunden abschaffen will, der will auch bei der nächsten Spekulationsblase die Risiken erneut beim Steuerzahler abladen. Das sollte nicht so sein: Warum soll der Steuerzahler für spekulative Geschäfte die Risiken tragen?

Dass es bei der Haftung im Wesentlichen um solche spekulativen Einlagen geht und weder um Sparguthaben noch um die Geschäftsverbindlichkeiten kleiner und mittlerer Unternehmen, lässt sich dem „Sanierungs- und Abwicklungsgesetz“ (§ 91 II SAG) entnehmen. Dort sind die Ausnahmen aufgeführt. Auch das will die AfD abschaffen.

Machen wir uns nichts vor: Die Kombination aus Bankenaufsicht, Einlagensicherung und Regulierung der Finanzmärkte ist zwar schon geeignet, die Gefahr von Finanzkrisen einzudämmen. Man könnte sich auch noch weitere Regulierungen vorstellen. Es sind Schutzvorschriften für die Bürgerinnen und Bürger, nämlich für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die die AfD abschaffen will.

Auch mit diesen Vorschriften kann man nicht verhindern, dass in der Branche mit kriminellen Mitteln unter Umgehung oder Bruch von Vorschriften Geschäfte gemacht wurden und werden. Bei organisiertem Betrug in bestimmten Größenordnungen werden auch die verletzten Gesetze niemanden davor bewahren können, sein Geld zu verlieren. Es ist auch in Zukunft vorstellbar, dass solche Fondslösungen, also Rücklagen zur Absicherung gegen solche Gefahren, nicht ausreichen und dass es auch nicht ausreicht, spekulative Einlagen zur Haftung heranzuziehen, weil sich das Risiko, das sich in hohen Zinsen ausdrückt, realisiert hat.

Wenn das nicht ausreicht, dann werden die Steuerzahler wieder gefragt sein. Was die AfD will, ist, dass der Steuerzahler immer haftet.

Banken sind nicht besonders anfällig für Ausfallrisiken, weil sie in Südeuropa liegen, sondern weil sie zu viele Wertpapiere von zweifelhaftem Risiko oder Schuldverschreibungen von Staaten mit geringer Liquidität und Bonität halten. Das können südeuropäische Banken sein, aber genauso deutsche Banken. Beim letzten Mal ist die Dresdner Bank komplett von der Commerzbank übernommen worden, die wiederum zuvor mit staatlichen Mitteln gerettet worden war.

Es stimmt nicht, dass durch hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Wettbewerbsfähigkeit die Risiken, insbesondere die Ausfallrisiken, steigen. Zutreffend ist allenfalls, dass dann die Neigung steigt, sich regelwidrig unter Umgehung der Voraussetzungen Kredite zu besorgen bzw. sich hohe Risiken durch hohe Zinsen vergüten zu lassen. Diese hohen Risiken sollen die Banken aber selbst absichern.

Werden die Möglichkeiten überschritten, ist eine geordnete Abwicklung einer systemrelevanten Bank nicht möglich, wird es erneut nicht ohne den Steuerzahler gehen. Diese Zusammenhänge, die alle im Sinne unserer Bürgerinnen

und Bürger konstruiert wurden, scheinen Sie, meine Damen und Herren von der AfD, nicht erkennen zu wollen.

Seien Sie doch ehrlich und sagen Sie es auch: Sie treibt nicht die Sorge um die Guthaben der Deutschen, Sie treibt der Wunsch, Deutschland möge aus dem Euro aussteigen, ja, Deutschland möge aus der Europäischen Union austreten. Sie wollen das im Sinne ihres verquasten Nationalismus, Sie suchen das Heil in der Nation. Dann sagen Sie das doch einfach. Dann können die Wählerinnen und Wähler entscheiden, ob sie weiter in einem Bündnis leben wollen, das uns 60 Jahre Frieden, Sicherheit und wirtschaftlichen Wohlstand beschert hat, oder ob sie zurück wollen in ein vorkonstitutionelles Europa, in dem soziale und wirtschaftliche Unterschiede gegebenenfalls mit Waffen ausgeglichen werden.

Wir lehnen Ihren Antrag ab.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 11

Impulse für ein geeintes Europa aufnehmen –

Die Zukunft der Europäischen Union mitgestalten

Drucksache 6/9504, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,

mit Stellungnahme der Staatsregierung

Wir beginnen mit der Aussprache, zunächst die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Abg. Dr. Maicher. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Last but not least vor der Sommerunterbrechung ein Antrag, der sich mit der Zukunft Europas befasst. Seit Jahren engagieren sich proeuropäische Initiativen in Sachsen in der Bildungsarbeit und bauen mit an einem Europa der Bürgerinnen und Bürger: kleine Vereine vor Ort, Stiftungen, überparteiliche Verbände oder deren Jugendorganisationen. Mit wenig Budget und umso mehr persönlichem Einsatz bewegen sie viel. In den vergangenen Monaten haben sich darüber hinaus zahlreiche Menschen in Kundgebungen von Pulse of Europe in Chemnitz, Dresden, Leipzig und Zwickau angeschlossen und ein Zeichen gesetzt gegen spalterischen Populismus in Europa und für eine geeinte Europäische Union. Diesem europäischen Engagement in Sachsen gebührt an dieser Stelle unsere ausdrückliche Anerkennung.

Beeindruckend ist der kontinuierliche Einsatz für ein enger zusammenwachsendes Europa. Gerade in Phasen, in denen die europäische Integration nicht voranschreitet, weil mutige politische Entscheidungen ausbleiben, braucht es unerschütterliche Ideale. Umso wichtiger ist es, das Momentum für politische Veränderungen zu erkennen

und das heute offenstehende Zeitfenster dafür auch zu nutzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im März hat die Europäische Kommission mit der Veröffentlichung ihres Weißbuches einen Diskussionsprozess über die Zukunft der Europäischen Union angestoßen. Darin gibt sie den Bürgerinnen und Bürgern wie auch den Parlamenten und den Regierungen in unterschiedlichen Zukunftsszenarien Denkanstöße für die Diskussion über die EU im Jahr 2025. Bis Ende dieses Jahres sind wir alle aufgerufen, Ideen zu entwickeln, wie die Zukunft in der EU mit der EU aussehen soll.

Als Sächsischer Landtag sollten wir uns in diesen Diskussionsprozess aktiv einbringen, Vorschläge machen und eben auch die Staatsregierung in die Pflicht nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Nun ist die EU-Zukunftsdebatte zuallererst eine der Bürgerinnen und Bürger. In den letzten repräsentativen Meinungsumfragen hat sich eine klare Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland für eine engere Zusammenarbeit in der EU ausgesprochen. In welchen Bereichen braucht es also mehr europäische Entscheidungen? Die Antwort darauf sollen die Bürgerinnen und Bürger auch in Sachsen geben.

In unserem Antrag fordern wir, im Rahmen des Weißbuchprozesses Beteiligungsformate zu schaffen, in denen die Menschen ihre Vorstellungen von einer Europäischen Union einbringen können. Wir wollen den Antworten auf die Frage, in welchen Bereichen mehr europäische Entscheidungskompetenzen sinnvoll sind, nicht vorgreifen. Vielmehr nehmen wir den Weißbuchprozess zum Anlass zur Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger an europäischen Entscheidungen. Etwa mit der Herabsetzung der Beteiligungshürden für die europäische Bürgerinitiative, mit einer Absenkung der Altersgrenze zur Unterstützung einer Bürgerinitiative auf 16 Jahre und der Garantie für die Initiatorinnen und Initiatoren, dass die Kommission innerhalb eines Jahres einen Gesetzesvorschlag vorlegen muss, wollen wir dem europäischen Bürgerinstrument zum Durchbruch verhelfen.

Mit der Stärkung des Europäischen Parlaments möchten wir zudem den mittelbaren Einfluss der Bürgerinnen und Bürger Sachsens auf das europäische Agendasetting stärken. Wir erleben trotz der Aufwendung des Europäischen Parlaments und der Parlamente der Mitgliedsstaaten im Vertrag von Lissabon die Renationalisierung europäischer Entscheidungen. Die Staats- und Regierungschefs bestimmen immer stärker die Agenda der EU. So werden die Bürgerinnen und Bürger in der EU hinters Licht geführt. Das Mauern einzelner Regierungen und der mangelnde Einigungswille insgesamt fällt dann als Schwäche auf die europäischen Institutionen selbst zurück, und für Eurogegner ist es ein Leichtes, in dieser Situation zumindest vorübergehend politisch Kapital zu schlagen.

Daher fordern wir, dass im Zuge einer möglichen Vertragsreform das Europäische Parlament ein Gesetzesinitiativrecht erhält und damit selbst darüber bestimmen kann, in welchen Bereichen es gesetzgeberisch tätig wird. Mehr Transparenz, mehr Demokratie ist das beste Mittel gegen Europaverdruss.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)