Protocol of the Session on May 17, 2017

Wir wollen, dass nach unseren Vorstellungen etwa für Gründerphasen, aber auch für Zeiten der Auftragslosigkeit, der Weiterbildung, in Familienphasen oder bei Krankheit für Sicherheit gesorgt ist.

Ich komme noch kurz zur Krankenversicherung: Sie wissen es, seit Januar 2009 sind alle Bürger verpflichtet, sich zu versichern. Existenzbedrohende Probleme für Solo-Selbstständige waren seitdem vor allem die hohe Bemessung der Beiträge – das spielte heute schon eine Rolle – sowie die durch Zeiten schlechter Einnahme verursachten Beitragsrückstände der Kassen, die in den letzten Jahren mit Wucherzinsen belegt waren. Auch dank meiner Gewerkschaft haben wir es geschafft, dass sie diese Praktik weglassen.

Bitte zum Ende kommen!

Trotzdem bleiben noch genügend Baustellen. Ich könnte noch mehr berichten, aber vielleicht sind fünf Minuten doch zu kurz. Wir

fordern deshalb, dass Selbstständige Krankenversicherungsbeiträge wie Arbeitnehmer zahlen. Das heißt, die Bemessungsgrundlage ist das reale Erwerbseinkommen.

Jetzt mache ich einen Schnitt. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin sehr gespannt, was die Sächsische Staatsregierung, die Fachminister, in dieser bundespolitischen Debatte –

Sie müssten bitte zum Ende kommen.

– bis jetzt beigetragen haben. Gehört habe ich bisher sehr wenig.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Es gibt noch eine Wortmeldung von Herrn Heidan.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Tischendorf, es war mir neu, dass Selbstständige jetzt in der Gewerkschaft organisiert sind.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Da können Sie mal sehen, Herr Heidan!)

Aber man kann hier immer nur lernen. Die Lösung des Problems ist ein Teil dessen, was Sie vorgetragen haben. Aber das wird so nicht funktionieren. Deshalb komme ich noch einmal auf meinen Redebeitrag von vorhin zurück: Wir brauchen die Wahlfreiheit. Es muss verschiedene Möglichkeiten geben, wie ein Selbstständiger für seine Altersabsicherung vorsorgen kann; denn alles das, was Sie hier vorgetragen haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, wird so nicht funktionieren, weil es staatlich vorgegeben ist.

Ich habe Ihnen vorhin gesagt: Wenn Sie 216 Monate, also 18 Jahre, in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, können Sie gerade einmal mit Ihrer Frau essen gehen. Das sind rund 300 Euro – ich kann es an meinen eigenen Bescheiden nachweisen –, was Sie als Monatsrente im Rentenalter bekommen.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Das kann es nicht sein! Deshalb sage ich noch einmal: Wir müssen Lösungen finden, bei denen die Wahlfreiheit für die Selbstständigen garantiert ist, wo verschiedene Möglichkeiten der Altersvorsorge möglich sind. Deshalb werden diese Dinge noch tiefer greifend hier in diesem Hohen Haus – aber ich hoffe, auch auf Bundesebene – mit den Kammern, mit den IHKs zu beraten und zu beschließen sein. Ich bitte deshalb darum: Machen Sie das nicht nur einseitig. Die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung ist überholt, auch für Selbstständige.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: In Österreich kriegen die alle mehr als bei uns! Ist das nicht vielleicht doch ein Modell?)

Jetzt darf ich die Staatsregierung bitten; Herr Minister Dulig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die Frage der sozialen Absicherung auch für Selbstständige, ist eine Gesamtaufgabe, die sich nicht in Ost und West unterteilen lässt, sondern es ist eine gesamtpolitische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

(Beifall bei der SPD)

Trotzdem gibt es Unterschiede zwischen Ost und West, schon allein, wenn man sich die Gründungsgeschichte anschaut. Wir haben eben nicht die Tradition von Familienunternehmen, die über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte hinweg hier im Osten ihre Traditionen fortsetzen konnten – sie waren unterbrochen. Viele, die als Familienunternehmen neu angefangen haben, haben das unter widrigsten Umständen getan.

Wir haben in den Neunzigerjahren erlebt, wie aufgrund von Massenarbeitslosigkeit viele gerade aus der jungen Generation in die Selbstständigkeit gedrängt wurden. Das heißt, es handelt sich hier um einen Gründungsmythos aus der Not heraus. Die Umstände waren aber immer – gerade in den Neunzigerjahren und Anfang der Zweitausenderjahre – schwierig. Natürlich gibt es da einen Unterschied zwischen Ost und West, aber bei den sozialpolitischen Herausforderungen gibt es diesen nicht. So müssen wir auch die Debatte anlegen: Es gibt nicht den typischen Selbstständigen. Hier müssen wir unterscheiden, ob es sich um Kreativwirtschaft handelt, wo sozusagen vom Künstler bis zum Architekten, bis hin zum Unternehmensberater, zu Programmierern, freien Künstlern alles vertreten ist, oder um Paketzusteller, häusliche Krankenpflege etc. Auch das Bild von Selbstständigen hat sich mittlerweile komplett verändert; es verändert sich weiter. Was wir außerdem festgestellt haben – das hat auch die Debatte gezeigt –, ist, dass gleichzeitig viel mehr Selbstständige ohne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten und dabei selbst ein sehr geringes Einkommen erzielen. Diesen Personenkreis nennen wir Solo-Selbstständige.

200 000 Bürgerinnen und Bürger in Sachsen haben sich eine selbstständige Existenz aufgebaut. Davon sind knapp über die Hälfte Solo-Selbstständige. Deren Einkommen ist oft niedrig, obwohl sie gut ausgebildet sind. Hier gibt es wiederum keinen Unterschied zwischen Ost und West; vor dieser Frage steht man überall. Die Hälfte der SoloSelbstständigen verdient höchstens 12,70 Euro pro geleisteter Arbeitsstunde. Dieser sogenannte Medianlohn liegt deutlich unter dem Lohn von Selbstständigen mit Beschäftigten, sie liegt sogar noch unter dem Wert von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Allerdings ist auch dort die Situation von Solo-Selbstständigen sehr

unterschiedlich, weil die Einkommensspreizung innerhalb dieser Gruppe deutlich größer ist als bei anderen Selbstständigen und bei abhängig Beschäftigten.

Die Selbstständigkeit wandelt sich so dynamisch wie die gesamte Arbeitswelt: Durch Outsourcing sowie durch das gesamte Thema Digitalisierung wächst auch der Umfang von selbstständig erbrachter Arbeitsleistung. In vielen Branchen, wie beispielsweise der Kultur- und Kreativwirtschaft, wechselt zudem auch noch der Status: einmal selbstständig, einmal angestellt, einmal künstlerisch tätig und dann abgesichert durch die Künstlersozialkasse, dann wieder gewerblich ohne ausreichende soziale Absicherung. Schon heute finden sich ehemalige Selbstständige zu einem höheren Prozentsatz in der Grundsicherung im Alter wieder. Wir müssen und werden das Problem der Altersarmut von Selbstständigen angehen. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, muss mehr Rente bekommen als derjenige, der es nicht getan hat. Diese Solidarrente muss für abhängig Beschäftigte genauso gelten wie für SoloSelbstständige. So sehe ich das.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die allermeisten Selbstständigen sorgen eigenverantwortlich für ein tragfähiges Unternehmenskonzept. Auch Solo-Selbstständige müssen Kosten der privaten Absicherung im Alter, bei Krankheit oder bei Unternehmensinsolvenz erwirtschaften können. Wir als Wirtschafts- und Arbeitsministerium unterstützen sie dabei mit einer Vielzahl von Angeboten – sei es im Rahmen der Mittelstandsrichtlinie, sei es mit einem Angebot der Gründungsberatung oder mit einer Betriebsberatung für Fragen der Unternehmensführung. Das betrifft auch das Thema Unternehmensnachfolge, wo wir beratend zur Seite stehen. Auch das ist ein wachsendes Thema.

Die Gründungs- und Wachstumsfinanzierung stellt Investitionsdarlehen mit verbilligten Zinsen bereit. Wir haben unsere Förderrichtlinien für Selbstständige der Kultur- und Kreativbranche geöffnet. Unsere Angebote fügen sich in die des Bundes und die der Kammern ein. Damit erfüllen wir unsere Aufgabe als Wirtschafts- und Arbeitsministerium, nämlich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass die Selbstständigkeit gezielt gefördert und unterstützt wird. Volkmar Zschocke hat bereits darauf hingewiesen, dass dies auch unsere Landesaufgabe ist. Neben diesen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen wir auch in Bezug auf die soziale Absicherung der Selbstständigen neue Wege beschreiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tradition des deutschen sozialen Versicherungssystems ging davon aus, dass Selbstständige auch ihre soziale Absicherung selbst regeln können. Allerdings entspricht diese Annahme nur bei einem Teil der Selbstständigen der sozialen Realität. Unser Ziel muss daher auch sein, die sozialen Sicherungssysteme fit zu machen für einen grundlegenden Wandel unserer Arbeitsgesellschaft. Deshalb bin ich persönlich

der Meinung, dass auch Selbstständige den Schutz der gesetzlichen Sicherungssysteme brauchen. Warum sollten Selbstständige in Zukunft nicht umfassend in die verschiedenen Zweige der gesetzlichen Sozialversicherung einbezogen werden, um persönlich vor Krankheit und Alter besser geschützt zu sein, aber auch, um sich solidarisch an den sozialen Sicherungssystemen zu beteiligen?

Heute gelten pauschale Mindestbeiträge für Selbstständige, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung sind. Warum sollten sie nicht Beiträge nach ihren tatsächlichen Einkünften zahlen, genauso wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch? In Deutschland haben 0,8 % aller Solo-Selbstständigen keinen Krankenversicherungsschutz. Ich bin nicht bereit, das zu akzeptieren – nicht in diesem Land und nicht 2017.

(Beifall bei der SPD)

Warum sollte nicht – langfristig und mit Übergangsregelungen versehen – eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung für Selbstständige eingerichtet werden, außer für diejenigen, die ohnehin Mitglied in einem bestehenden Versorgungswerk sind? Ich weiß: Hier unterscheiden wir uns, aber man kann ja einmal die Unterschiede herausarbeiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir jetzt an sozialpolitischen Herausforderungen beschrieben haben, ist tatsächlich eine bundespolitische Diskussion, die wir zu führen haben. Das sage ich nicht, weil ich dafür nicht die Verantwortung übernehme. Wir sind ja mitten im Bundestagswahlkampf, da kann man die verschiedenen Konzepte einmal nebeneinander legen. Es gibt bestimmte Bandbreiten, wo wir nah beieinander sind; bei anderen ist die Differenz dagegen etwas größer. Wichtig ist nur, dass wir im Interesse der Beschäftigten und im Interesse der Solo-Selbstständigen Regelungen finden, weil es nicht sein kann, dass bestimmte Branchen nur überlebensfähig sind, weil sie sich durch pure Selbstausbeutung über Wasser halten. Das ist eine sozialpolitische Herausforderung; diese müssen wir im Bund angehen. Es geht mir besonders darum, was wir in Sachsen tun. Ich hatte bereits am Anfang gesagt, dass wir es mit einer Gründergeneration zu tun haben, die aus der Not heraus geboren wurde. Ich habe vor zwei Jahren in meiner Regierungserklärung vom zweiten Schwung gesprochen. Ich möchte diese zweite Dimension auch noch einmal aufnehmen, weil es eben nicht nur um die sozialpolitische Ebene geht.

Wie schaffen wir es, den zweiten Schwung in Sachsen so zu nutzen, dass wir Gründungen aus Lust heraus und aus einer Motivation heraus bekommen, dass es gut ist, etwas leisten zu können, dass es gut ist und dass die Bedingungen dafür stimmen? Wie schaffen wir es, einen neuen Geist zu schaffen, wie es in der Debatte auch schon von Herrn Vieweg angesprochen wurde, in dem Motivation möglich und das Scheitern kein Makel ist, sondern daraus sogar Innovation erwachsen kann?

(Beifall der Abg. Iris Raether-Lordieck, SPD)

Wir haben in Sachsen gute Bedingungen. Man kann sich das bei SpinLab in Leipzig oder bei Impact Hub in Dresden anschauen. Ich war kürzlich dort und total begeistert davon, weil dort eine Start-up-Szene unterwegs ist, die mir Mut macht, dass ein solcher Geist tatsächlich auch hier in Sachsen vorhanden ist. Dort können Sie ein Unternehmen kennenlernen, das Solarzellen recycelt. Das ist ein sehr innovatives Thema und spitzenmäßig wirtschaftlich tragfähig. Dort ist auch, liebe AfD, LAVIU angesiedelt. Das heißt, wir haben dort ein Umfeld, wo Innovation wachsen kann. So etwas brauchen wir öfter in Sachsen. Deshalb wollen wir den zweiten Schwung nutzen, damit Gründungen und Selbstständigkeit in

Sachsen gelingen können, und zwar nicht aus der Not heraus, sondern weil es das Wesen von Sachsen ist, dass man etwas unternimmt, was erfolgreich ist, und dies dann auch im Interesse der Menschen – egal ob selbstständig oder beschäftigt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Die Aktuellen Debatten sind damit abgeschlossen. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 3

Zweite Beratung des Entwurfs

Sächsisches Ausreisegewahrsamsvollzugsgesetz (SächsAusrGewahrsVollzG)

Drucksache 6/6352, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Drucksache 6/9561, Beschlussempfehlung des Innenausschusses

Wir beginnen die allgemeine Aussprache. Das Wort erhält zunächst die CDU-Fraktion, gefolgt von der Fraktion DIE LINKE, SPD, AfD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Staatsregierung, falls sie das Wort wünscht. Ich erteile Herrn Abg. Hartmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Grunde könnten wir die heutige Debatte sehr unaufgeregt miteinander bestreiten. Der Freistaat Sachsen zeichnet die entsprechenden Regelungen des § 62b Asylgesetz für den Freistaat Sachsen nach und eröffnet damit die Möglichkeit, Ausreisegewahrsam auch in Sachsen durchzuführen, das Ganze als Ultima Ratio, nämlich dann, wenn alle anderen möglichen Maßnahmen gescheitert sind.