Protocol of the Session on May 17, 2017

– geht die ganze Welt bankrott!

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

– auf den Redebeitrag von Frau Staatsministerin. – Möchten Sie darauf reagieren, Frau Staatsministerin Kurth? – Nicht. Damit sind wir am Ende der ersten Aktuellen Debatte angekommen; sie ist abgeschlossen.

Wir kommen nun zu

Zweite Aktuelle Debatte

Soziale Gerechtigkeit im Osten – wie steht es um die

soziale Absicherung von Selbstständigen in Sachsen?

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Für die einbringende Fraktion DIE LINKE ergreift jetzt Frau Kollegin Neuhaus-Wartenberg das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, herzlichen Dank! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In der medialen Öffentlichkeit

greift scheinbar nun doch die Erkenntnis, dass häufig Selbstständigkeit und Armut irgendwie zusammenhängen. Ich erinnere zum Beispiel an den Beitrag des ARDMagazins „Plusminus“ vom 3. Mai dieses Jahres „Selbstständig in Armut“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war scheinbar ein Fehler, die Sozialsicherungssysteme hauptsächlich auf die abhängig Beschäftigten auszurichten. Die Krankenkassenverbände beklagen steigende Beitragsschulden, gerade bei den Selbstständigen. Die Antwort auf eine Anfrage meiner Kollegin Susanne Schaper war: Wir reden über 80 000 Menschen in Sachsen, davon meist Selbstständige, die den Krankenkassen die Beiträge schulden.

Selbst Arbeitsministerin Andrea Nahles warnt vor Altersarmut bei ehemals Selbstständigen. Was von ihrem Vorschlag zu halten ist, Selbstständige in die Rentenversicherung zu zwingen, dazu komme ich gleich.

Zunächst ein paar Worte zur Gesundheitsvorsorge von Selbstständigen. Die Beiträge zur Gesetzlichen Krankenkasse werden nicht nach dem Einkommen der Selbstständigen berechnet; vielmehr gilt für ebendiese die sogenannte Mindestbemessungsgrundlage. Dabei wird von einem monatlichen Einkommen von 2 231 Euro ausgegangen, bei Existenzgründung und in Härtefällen sind es 1 487 Euro. Darunter geht nichts mehr. Das heißt, je geringer das Einkommen, desto höher der Anteil der Krankenkassenbeiträge. Deshalb geraten viele mit ihren Beitragszahlungen in Rückstand und die Folge ist eine eingeschränkte gesundheitliche Versorgung.

Das darf nicht sein und hier müssen Änderungen her, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den LINKEN)

Deshalb fordern wir in einem ersten Schritt, dass sich der Mindestbeitrag nach der Geringfügigkeitsgrenze – aktuell 450 Euro im Monat – bemisst und dass sich der Beitrag ab dieser Grenze nach dem tatsächlichen Einkommen richtet, und das bitte punktgenau. Das ist, wie gesagt, nur ein erster Schritt; denn eigentlich wollen wir LINKE eine Krankenkasse für alle, eine Krankenkasse, in die alle einzahlen, auch die gut und sehr gut Verdienenden.

(Beifall bei den LINKEN)

Nun zum Problem der Altersvorsorge. Lediglich ein Viertel der Selbstständigen ist in ein obligatorisches System der Altersvorsorge einbezogen. Nun will Arbeitsministerin Nahles sie in die Kassen zwingen. Doch genauso wie bei den Krankenkassenbeiträgen gilt – und das übersieht Frau Nahles meiner Meinung nach an dieser Stelle –: Selbstständige sind nicht so schlecht kranken- oder kaum bis gar nicht rentenversichert, weil sie nicht zahlen wollen, sondern weil sie es schlichtweg nicht können.

Gerade hier im Osten nach 1990 – das muss ich Ihnen nicht erklären – haben Leute oft aus der Not eine Tugend gemacht, haben sich selbstständig gemacht, haben angefangen, 60 bis 70 Stunden in der Woche zu arbeiten,

haben so gut wie nie Urlaub gemacht, haben ihre Ehefrau oder ihren Ehemann als Buchhalterin oder Buchhalter angestellt, ihre Kredite fleißig abbezahlt und auch sehr redlich Steuern bezahlt.

Bei all den Amplituden, unterschiedlichen Marktlagen usw. usf. der letzten 27 Jahre – auch das muss ich Ihnen nicht erklären – blieb schlichtweg bei vielen für die Altersvorsorge nichts übrig, und ihr Betrieb war ihre Altersvorsorge; so war zumindest ihr Plan.

Jetzt reden wir genau über die Flächenlandkreise. Wenn man am Ende des Arbeitslebens genau diesen Betrieb eben nicht verkauft bekommt – das scheinen keine Einzelfälle mehr zu sein; es hat auch etwas mit der Infrastruktur in der Fläche zu tun, dass nicht mehr so viele Leute solche Betriebe kaufen wollen –, dann reden wir genau an der Stelle über Altersgrundsicherung. Wir reden von den Selbstständigen, die aus Scham oder Stolz noch nicht einmal diese Altersgrundsicherung in Anspruch nehmen und so lange arbeiten, bis es gar nicht mehr geht. Unserer Meinung nach darf ein Lebensabend so nicht aussehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Fraktion hatte Ende März zu einer Veranstaltung zu genau diesem Thema eingeladen. Mehr als 50 Gäste waren erschienen. Sie werden verwundert sein: Mehr als 30 Leute waren Selbstständige, und zwar wirklich aus der Wirtschaft. Was ich dort zu hören bekam, war zuweilen gruselig. Den Leuten graut vor Alter und Krankheit, und sie fühlen sich alleingelassen. Oder sie nehmen es mit Galgenhumor wie ein fast 70-jähriger Handwerker aus Zittau, der meinte, sich nächstens in seinen Transporter einen Sarg zu stellen, um fix hineinspringen zu können, wenn es so weit ist.

Das Problem Altersarmut, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist kein zukünftiges, sondern meiner Meinung nach ein bereits vorhandenes.

Was nun tun? Zuallererst wäre es schlau, das Problem überhaupt anzuerkennen. Wir reden in Sachsen von über 220 000 Selbstständigen; 56 % von ihnen sind SoloSelbstständige. Wir fordern, in einem ersten Schritt auf die fiktiven Arbeitnehmerbeiträge bei der Renten-, aber auch bei der Arbeitslosen- und der Pflegeversicherung zu verzichten. Die Staatsregierung – das zeigen die Antworten auf Kleine Anfragen von mir – fühlt sich an dieser Stelle nicht zuständig, weil es sich um ein Bundesthema handele. Aber die Bundesregierung fühlt sich irgendwie auch nicht zuständig bzw. sie sagt, es gebe keinen Handlungsbedarf.

Trotzdem gab es im Bundesrat jüngst eine Initiative dreier Regierungen. Mich würde interessieren, wie die Sächsische Staatsregierung abgestimmt hat.

Aber sei es drum! Es wäre schön, wenn wir uns darum kümmern würden. Die Selbstständigen haben uns gesagt – das ist mittlerweile auch Thema in den Kammern –, dass eine Mindestrente von 1 050 Euro ein ganz vernünftiger Schritt wäre.

Bitte zum Ende kommen!

Ja. – Es wäre schön, wenn wir jetzt nicht wieder über „JammerOssis“ oder die Misswirtschaft in der DDR reden, sondern uns einfach einmal einem Problem nähern würden, das wir jetzt haben.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die CDUFraktion Herr Abg. Krauß, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema der sozialen Absicherung für Selbstständige ist wichtig – übrigens nicht nur im Osten –, deshalb ist es gut, dass wir darüber sprechen. Ich bin auch dankbar, dass DIE LINKE das Thema aufgerufen hat, weil die Selbstständigen bislang nicht unbedingt die Zielgruppe waren, für die Sie sich übermäßig verkämpft hätten. Sie haben ja ein anderes Gesellschafts- und Wirtschaftsbild, in dem ein Unternehmer bzw. ein Selbstständiger im Regelfall nicht vorkommt.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Herr Krauß, da täuschen Sie sich!)

Insofern sehe ich es als Vorteil an, dass auch Sie sich mit diesem Thema beschäftigen.

Zu den Unternehmern. Es gibt ein Zitat von Winston Churchill, das die Bewertung des Unternehmers durch die Gesellschaft sehr schön beschreibt:

„Es gibt Leute, die halten den Unternehmer für einen räudigen Wolf, den man totschlagen müsse. Andere meinen, der Unternehmer sei eine Kuh, die man ununterbrochen melken könne. Nur ganz wenige sehen in ihm das Pferd, das den Karren zieht.“

Nicht wenige haben vom Unternehmer ein bestimmtes Bild: Das sind Leute, die wenig arbeiten und ganz viel Geld haben. – Meist ist das Gegenteil richtig. Das sind Leute, die keinen Acht-Stunden-Tag haben, die deutlich mehr als andere arbeiten und die mitunter auf einen Stundenlohn kommen, der unter dem der Mitarbeiter liegt. Sie sind auf jeden Fall die Leistungsträger in unserer Gesellschaft. Die ganze Gesellschaft würde nicht funktionieren, wenn wir nicht diese Leistungsträger hätten, die Selbstständigen, die sich Tag für Tag richtig engagieren.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Lassen Sie uns auf die soziale Absicherung blicken und dabei insbesondere auf das Thema Altersvorsorge. Wir haben unterschiedliche Regelungen. Wir verlangen von jedem Angestellten – das stellen wir ihm nicht frei –, sich für die Rente zu versichern; denn wir wollen nicht, dass er im Alter in ein Loch fällt. Es handelt sich also um eine Pflichtversicherung. Wir verlangen von jedem Handwerker, dass er mindestens 18 Jahre lang Mitglied der gesetz

lichen Rentenversicherung ist. Wir verlangen auch von einigen Selbstständigen, zum Beispiel Publizisten oder Künstlern, sich in der Rentenversicherung zu versichern.

Wir haben auf der anderen Seite sogenannte SoloSelbstständige. Wir bekommen mit, dass deren Altersvorsorge nicht ausreicht. In meiner Bürgersprechstunde war ein Gastwirt, der kürzlich in den Ruhestand gegangen ist. Er sagte mir: Ich habe die Kneipe 25 Jahre lang betrieben und bekomme 500 Euro Rente. Davon kann ich nicht leben. Ich habe die letzten 25 Jahre für das Alter eigentlich nicht vorgesorgt. – Das kann man zu dem Zeitpunkt nicht mehr nachholen, wenn man nichts zurückgelegt hat.

Wenn wir uns die Grundsicherung anschauen – das ist Hartz IV im Alter –, dann stellen wir fest, dass mittlerweile jeder Zweite, der in die Grundsicherung hineinkommt, ein ehemaliger Selbstständiger ist. Seit 2005 hat sich die Zahl der Selbstständigen in der Grundsicherung vervierfacht.

Wir haben also bei dem Thema Alterssicherung oder Grundsicherung im Alter eine Problemgruppe, die relativ groß ist, und das sind die ehemaligen Selbstständigen. Ich finde, man muss sich das Problem anschauen und überlegen, was man tun kann.

Das Bundesarbeitsministerium hat im vergangenen Jahr das Ergebnis einer Studie vorgestellt, wonach über die Hälfte der Solo-Selbstständigen nichts für das Alter tut. Noch einmal: Über 50 % tut überhaupt nichts für das Alter! Dass das später schiefgeht, ist klar. Wenn keine Rückstellungen gebildet worden sind, keine private Versicherung abgeschlossen oder nicht in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt worden ist, dann ist man irgendwann auf die Grundsicherung angewiesen.

Deshalb ist es unter den großen Parteien – und selbst bei der FDP – Konsens, dass wir eine verpflichtende Altersvorsorge brauchen, auch für Solo-Selbstständige. Jeder muss etwas für sein Alter tun und kann nicht darauf hoffen, dass der Staat ihn im Alter auffängt. Jeder muss etwas tun! Ich glaube, eine entsprechende Regelung wird der Bundestag in der nächsten Wahlperiode umsetzen.

Wenn es um die Frage des Wie geht, sollten wir den Unternehmern einen Spielraum belassen. Sie sollen die Art der Versicherung selbst auswählen können. Das muss nicht unbedingt die gesetzliche Rentenversicherung sein. Für Ärzte und Rechtsanwälte gibt es bereits Versorgungswerke, die die Altersvorsorge übernehmen. Dort muss sich der Staat nicht einmischen. Wir sollten nur sagen: Ihr müsst euch kümmern! Ihr müsst etwas für das Alter tun! Aber wie ihr es macht, bleibt euch überlassen. Das könnt ihr selbst ausgestalten.

Ich will die Gründe noch einmal nennen. Wir verlangen von allen anderen, dass sie für das Alter vorsorgen. Also finde ich, dass auch die Solo-Selbstständigen die Kosten für die Altersvorsorge in ihr Geschäftsmodell einpreisen müssen. Das verlangen übrigens auch die Unternehmer. Bei mir war eine Unternehmerin, die im Bereich Trockenbau tätig ist. Sie sagte: Ich muss in meiner Kalkulati

on die Altersvorsorge für mich und meine Mitarbeiter einpreisen. Wenn ein Solo-Selbstständiger kommt, der das nicht macht, dann haben wir ungleichen Wettbewerb. – Schon um diesen zu vermeiden, das heißt, damit es nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung kommt, müssen wir die Pflicht zur Altersvorsorge verlangen.