Auch alle Befürchtungen über erhebliche Nachteile oder sogar Gefahren für Polizeibedienstete durch eine Kennzeichnungspflicht haben sich schlicht nicht bewahrheitet. Das zeigen die Erfahrungen in mittlerweile acht Bundesländern, in denen die Kennzeichnungspflicht eingeführt wurde. Beispielsweise war die Aufregung in Hessen ähnlich groß, wie sie hier und heute wahrscheinlich auch bei einigen im Sächsischen Landtag sein wird. Nach einem Jahr konstatierte der Sprecher des Innenministeriums – unverdächtig ein GRÜNER zu sein –, dass es beim Tragen der individuellen Kennzeichnung im Einsatz zu keinerlei Problemen gekommen sei.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Gern wird uns GRÜNEN im Zusammenhang mit der heute abzustimmende Forderung vorgeworfen, wir wären ein Sicherheitsrisiko für die Polizei. Das ist einfallslos wie falsch und verlogen. Das eigentliche Sicherheitsrisiko für den Polizisten ist nicht die Nummerncodierung, sondern die langjährige Personalpolitik der CDU-geführten Staatsregierung in Sachsen.
Wenn ich von Ihnen höre, dass Sie Ihre Polizisten im Dienst schützen und sie deswegen keine Kennzeichnung tragen müssen, dann ist das in Anbetracht der guten Erfahrungen mit der Kennzeichnungspflicht in anderen Bundesländern, vor allem aber im Zusammenhang mit dem sicherheitsrelevanten Kaputtsparen der sächsischen Polizei fast schon zynisch.
Es ist für die sächsische Polizei riskanter, mit wenig und überlastetem Personal zu einem Hochrisikospiel der Fußballbundesliga zu gehen, die Festnahme eines Terrorverdächtigen zu versuchen oder eben auch Familienstreitigkeiten zu schlichten, als mit einer eindeutig identifizierbaren Nummer Demonstrationen abzusichern.
Wir GRÜNEN stehen mit diesem Gesetzentwurf für Rechtsstaatlichkeit, Transparenz und Sicherheit. Wir werben aber gleichzeitig auch für eine Kultur des Res
pekts gegenüber sächsischen Polizistinnen und Polizisten. Mit dem Namen wird aus dem anonymen, uniformierten Gegenüber ein Kommunikationspartner auf Augenhöhe und der Obrigkeitsstaat tatsächlich auch zu einem wahrnehmbaren Rechtsstaat für den Bürger.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Warum lassen wir gerade jetzt über diesen Gesetzentwurf abstimmen? – Weil Sie, Herr Innenminister, mittlerweile tief in den Giftschrank der Sicherheitsgesetzgebung greifen und uns eine Vielzahl weiterer, sinnloser, aber schwerwiegender Grundrechtseingriffe angekündigt haben.
Bei jeder Ausweitung der Befugnisse der Polizei, bei legitimer Gewalt oder wenn verdeckt in die Grundrechte von Menschen eingegriffen wird, muss gewährleistet sein, dass diese Maßnahmen auch gerichtlich überprüft werden können. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass Polizistinnen und Polizisten bei ihren Diensthandlungen eindeutig identifizierbar sind.
Herr Innenminister, ich gebe Ihnen zum Schluss dieser Rede das Versprechen: Solange Sie die Grundrechte weiter aushöhlen wollen, solange Sie vermeintliche Sicherheit über Freiheit stellen, werden wir GRÜNE den liberalen Rechtsstaat mehr und mehr verteidigen und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem staatlichen Gewaltmonopol stärken, auch mit derlei Gesetzentwürfen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es seien zwei Dinge vorausgeschickt: Erstens. Natürlich ist dieser Gesetzentwurf verfassungsrechtlich zulässig. Zweitens. Ich werde mich jetzt nicht darin ergießen, die GRÜNEN zum Sicherheitsrisiko zu machen. Aber, Herr Lippmann, ich muss schon sagen: Es ist relativ unverfroren, dem Sächsischen Staatsminister des Innern eine Aushöhlung der Grundrechte vorzuwerfen. Ich darf Ihnen sagen: Sie sind auf sehr dünnem Eis.
Natürlich haben wir Herausforderungen in der inneren Sicherheit zu bewältigen. Das hat auch etwas mit der Frage von Personal und Ausstattung zu tun. Aber, Herr Lippmann, tun Sie nicht so, als ob wir hier allein über ein sächsisches Problem redeten, sondern stellen Sie es in den Kontext einer Verantwortung. Wenn Sie den Anspruch haben, sich als GRÜNE zum Anwalt Ihrer Wählerklientel zu machen, dann ist es legitim, dass Sie für die 10 % oder für die 8 % sprechen. Wenn Sie sich zum Anwalt Ihrer Klientel machen, dann seien Sie so offen und reden Sie auch darüber, wie in den Ländern, in denen die GRÜNEN in der Verantwortung stehen, mit Sicherheitsfragen
Wir müssen über die Kernfrage reden, wie die Bundesländer und der Bund auf die Herausforderungen, die die veränderte Sicherheitslage mit sich bringt, reagieren sollen. Für uns ist klar, dass es auch im Sicherheitsbereich einer verantwortungsvollen Politik bedarf.
Aber zurück zu dem, worum es in dem Gesetzentwurf geht: die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte. Der Gesetzentwurf ist zwar zulässig. Aber nach Überzeugung meiner Fraktion bedient er ein Randthema, ein Thema, das nicht von originärer Bedeutung ist. Die Sicherung und der Schutz von Polizeibeamten vor Bedrohungen in Einsatzlagen, insbesondere in Demonstrationslagen, ist derzeit durchaus ein aktuelleres Thema. In diesen Kontext müssen wir die Diskussion über die Kennzeichnungspflicht stellen.
Ich komme – im Gegensatz zu Ihnen, Herr Lippmann – für meine Fraktion nicht zu dem Ergebnis, aus der Tatsache, dass von den besagten 767 Verfahren nur 11 in Strafbefehle gemündet sind, lasse sich ablesen, dass dies das Ergebnis einer Geheimhaltungs- bzw. Tarnstrategie der Polizei sei. Ich glaube, dass in der Mehrheit der Fälle an den Vorwürfen in der Tat wenig drangewesen ist.
Was die Forderung nach der Kennzeichnungspflicht angeht, so verweise ich auf § 8 des Sächsischen Polizeigesetzes. Dieser besagt schon heute, dass sich Polizeibeamte bei polizeilichen Maßnahmen auszuweisen haben, es sei denn, dass die besondere Einsatzsituationen dies nicht ermöglicht. Im laufenden Verfahren gegen einen Bürger ist in der Frage der Aktenkundigkeit die Nachweispflicht gegeben.
Nach unserer Meinung – diese deckt sich mit der Auffassung, die der Chef der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen in der Anhörung zum Ausdruck gebracht hat – besteht für die geforderte Kennzeichnungspflicht gar kein Bedarf. Der Polizeibeamte ist an der Uniform erkennbar. Bei dienstlichen Maßnahmen muss er sich auf Verlangen ausweisen. Im Bereich der geschlossenen Einheiten, wenn die Kollegen mit Visier im Einsatz sind, haben wir bis auf die Halbgruppe herunter die Kennzeichnung. Das heißt, bis zur Halbgruppe – das sind fünf Leute – ist die Zuordnung ohne Weiteres möglich.
Kurzum, man kann diese Forderung aufstellen, muss sie aber nicht teilen. Herr Lippmann, ich sage es noch einmal sehr klar: Aus unserer Sicht besteht die Priorität derzeit in der Stärkung der sächsischen Polizei; dazu gehören auch die Aspekte Ausstattung und Eingriffsbefugnisse. Die Notwendigkeit, die Polizei quasi durch Herstellung besonderer Transparenz zu schützen, sehen wir nicht. Ich finde es übrigens besonders interessant, dass unsere Berufsgruppe sich über die Wertschätzung einer der renommiertesten Berufsgruppen der Gesellschaft Gedanken machen soll. Wir sollten vielmehr an der weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen arbeiten, damit die Polizei ihre Arbeit weiterhin ordnungsgemäß erledigen kann.
Deswegen werden wir eine Diskussion darüber führen müssen, was an zusätzlichen Eingriffsbefugnissen und an zusätzlicher Ausstattung für die Polizei erforderlich ist.
Herr Lippmann, lassen Sie mich, bevor Sie es in den falschen Hals bekommen, auch betonen, dass zusätzliche Eingriffsbefugnisse der Polizei gegen die Grund- und Menschenrechte und die datenschutzrechtlichen Erfordernisse abzuwägen sind. Das muss sehr verantwortungsvoll geschehen, gerade in dieser Zeit.
Wir stellen uns der Herausforderung, die Stärkung der sächsischen Polizei nicht nur in Bezug auf Ausstattung und Personal, sondern auch in Bezug auf ihre Rechtsbefugnisse zu befördern. Wir stehen dafür, den Schutz der Polizeibeamten im Dienst zu stärken. Wir stehen nicht dafür, in der jetzigen Situation eine aus unserer Sicht unnötige Kennzeichnungspflicht zu beschließen, denn damit würden wir in der Sicherheitsdebatte in unserem Land die völlig falschen Signale senden.
Abschließend möchte ich auf die durch unseren Koalitionspartner vorangebrachte Diskussion über das Beschwerdemanagement in der sächsischen Polizei verweisen. Mit der Beschwerdestelle haben wir ein ergänzendes Instrument geschaffen. Die Beschwerdestelle nimmt Hinweise und Anregungen sowohl in die eine als auch in die andere Richtung auf. Dies zeigt, dass wir uns unserer Verantwortung auch in Bezug auf dieses Thema sehr wohl bewusst sind. Aber es bedarf dieser Kennzeichnungspflicht nicht.
Bringen Sie Ihren Gesetzentwurf gegebenenfalls wieder ein. Ich bin gern bereit, ihn auch im Laufe dieser Legislaturperiode ein weiteres Mal abzulehnen.
Meine Damen und Herren! Für die Fraktion DIE LINKE erhält Herr Abg. Stange das Wort. Bitte, Herr Stange.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Hartmann, an dieser Stelle zunächst einmal gute Besserung! Ich meine das ernst. Wir hoffen, dass Sie bald wieder „auf dem Dampfer“ sind.
Sie werden schon in Bälde Gelegenheit haben, eine echte Ombudsstelle, eine echte Beschwerdestelle hier im Hohen Haus mit uns gemeinsam zu beschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie alle, nicht nur Herrn Hartmann, zu der Anhörung am 30. März herzlich ein. Dort können Sie lauschen, wie ein solches – sinnvolles – Instrument richtig funktionieren kann.
Aber wir können schon sagen, dass das Instrument des Herrn Staatsministers nicht wirklich brauchbar ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Polizei ist mit starken Machtmitteln ausgestattet. Das macht es erforderlich, deren Handeln zu jeder Zeit einer konkreten Person zuordnen zu können; insofern stimmen wir mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN absolut überein.
Der Kennzeichnungspflicht wird bisher durch die Ausnahmeregelung – Kollege Hartmann, Sie haben darauf Bezug genommen – in § 8 des Sächsischen Polizeigesetzes eine Grenze gesetzt. Dort heißt es wörtlich: „Auf Verlangen des Betroffenen haben sich Bedienstete der Polizeibehörden und des Polizeivollzugsdienstes auszuweisen. Das gilt nicht, wenn die Umstände es nicht zulassen oder dadurch der Zweck der Maßnahme gefährdet wird.“
Gerade in geschlossenen Einheiten wird diese Ausnahmeregelung sehr großzügig gehandhabt. Auch macht die Ausweispflicht es erforderlich, dass der die Information begehrende Bürger direkt mit dem Beamten in Kontakt treten muss – und auch kann. Durch die Realität beim Einsatz geschlossener Einheiten werden der Ausweispflicht durchaus Grenzen gesetzt, lieber Kollege Hartmann.
Die Kennzeichnungspflicht ist auch Teil unseres Gesetzentwurfs. Aber es geht auch uns nicht darum, die Polizei unter Generalverdacht zu stellen. Ziel ist es vielmehr, die Rechte der Bürger zu stärken und damit die Grundlage für das Vertrauen der Bürger in die Polizei zu verbreitern; denn mit der Kennzeichnungspflicht würde etwaiges Fehlverhalten nicht mehr allgemein „der Polizei“, sondern konkret einem einzelnen Beamten zuordenbar. Lieber Kollege Hartmann, genau das ist – aber von der anderen Seite – sehr wohl ein Beitrag zur Erhöhung des Ansehens der Polizei und somit zu deren Stärkung.
Die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht wird aus verschiedenen Gründen von zahlreichen Organisationen erhoben, allen voran – es verwundert nicht – von Amnesty International. Ich darf zitieren: „Rechtswidrige Polizeigewalt geschieht in Deutschland nicht systematisch.“ Dem schließe ich mich an.
„Amnesty International ist überzeugt, dass die große Mehrheit der Polizisten in Deutschland sehr gute Arbeit unter zum Teil sehr schwierigen Bedingungen leistet.“ Auch dem schließe ich mich an.
„Dennoch ist jeder Einzelfall ein Einzelfall zu viel.“ So steht es im Argumentationsleitfaden auf der Homepage von Amnesty International Deutschland.
Und weiter: „Polizisten sind berechtigt, im Dienst Gewalt anzuwenden – und verpflichtet, die Menschenrechte zu achten. Tun sie das nicht, ist der Staat in der Pflicht, umgehend und umfassend aufzuklären. Doch hier liegt das Problem. Deshalb fordert Amnesty International mehr Transparenz und Verantwortung bei der Polizei – und nennt überzeugende Argumente.“
Diese werden erläutert: „Die Aufklärung unrechtmäßiger Polizeigewalt in Deutschland scheitert oft daran, dass die Täter nicht identifiziert werden können. Körperlicher oder psychischer Misshandlung hilflos ausgesetzt zu sein, kann die Betroffenen traumatisieren. Die Unmöglichkeit, den oder die Täter dafür zur Rechenschaft ziehen zu können, auch. Amnesty International stellt immer wieder fest, dass Ermittlungsverfahren gegen Polizisten eingestellt werden, weil diejenigen, die strafbare Handlungen begangen haben sollen, nicht ausgemacht werden können. Die Täter bleiben unerkannt – insbesondere wenn sie Helme tragen oder in der Anonymität geschlossener Einheiten agieren. Denn in Deutschland gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten.“
„Die persönliche Kennzeichnung durch das sichtbare Tragen des Namens oder einer Nummer holt Täter aus der Anonymität. Sie verbessert die effektive Strafverfolgung von Polizisten bei Misshandlungen oder der Anwendung von exzessiver Gewalt. Täter, die die Anonymität nutzen, um bei Straftaten im Amt nicht bestraft zu werden, diskreditieren die Mehrheit der Polizisten, die unter zum Teil schweren Bedingungen gute Arbeit leisten. Sie untergraben das Vertrauen in eine rechtsstaatlich handelnde Polizei. Eine falsch verstandene Solidarität innerhalb des Polizeiapparates führt teilweise dazu, dass Polizisten nicht bereit sind oder es nicht wagen, Kollegen anzuzeigen oder gegen sie auszusagen. Individuelle Kennzeichnung hilft, diese sogenannte ‚Mauer des Schweigens‘ zu durchbrechen. Denn: Über Schuld und Unschuld, Strafe und Strafmaß entscheiden in einem Rechtsstaat Gerichte. Nicht die Polizei.“ – So weit Amnesty International.
Kollege Hartmann, auch dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Man kann der Polizei vertrauen, auch jedem einzelnen Beamten. Das Problem ist nur genau diese Mauer des Schweigens, der Korpsgeist. Darüber gibt es wissenschaftliche Abhandlungen en masse. Die sollten Sie sich zu Gemüte führen. Dann wissen Sie, dass man mit dem Vertrauen allein im Ernstfall nicht weit kommt, sondern dass Kontrolle und vor allem Aufklärung, Transparenz wesentlich erforderlich sind.
Sie alle wissen, dass wir als DIE LINKE dazu schon mehrfach im Hohen Haus Gesetzentwürfe eingebracht haben und selbstverständlich die Initiative der GRÜNEN unterstützen, insbesondere auch aus aktuellen Erfahrungen im Umgang mit beschwerdeführenden Personen. Wir haben das vor Kurzem hier im Hohen Haus erörtert. Es ist auch über den Mitteldeutschen Rundfunk verbreitet worden. Der Umgang der Strafverfolgungsbehörden mit Anzeigen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte bestärkt uns in dem Ansinnen, genau an dieser Stelle weiterzumachen.