Für die Fraktion DIE LINKE sprach Kollege Richter. Jetzt ergreift für die SPDFraktion Frau Kollegin Kliese das Wort. Bitte.
Besatzungszone wurde ein damals 14 Jahre altes Mädchen zu acht Jahren Haft verurteilt, weil es in jugendlichem Leichtsinn auf ein Porträt von Stalin mit einem Lippenstift eine Schleife gemalt hat. In den 1970er-Jahren wurde in der DDR eine junge Frau, damals 17 Jahre alt, im Vogtland verhaftet, weil sie auf die Straße geschrieben hat: „Wir wollen die Wiedervereinigung.“ Sie wurde dafür drei Jahre unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert.
Etliche Menschen haben in der DDR die Ausübung ihrer freien Meinung bitter bezahlt. Sicherlich war das auch ein Grund, weshalb sich 1989 die Menschen auf der Straße erhoben haben. Heute, 25 Jahre später, haben wir die Meinungsfreiheit, und sie wird auf vielfältige Weise genutzt. Sie wird genutzt von Wolf Biermann, wenn er im Bundestag die Partei DIE LINKE beleidigt und beschimpft. Man kann das gut oder schlecht finden. Trotzdem muss man am Ende sagen: Ich lebe gerne in einem Land, in dem das für ihn möglich ist, auch wenn ich das nicht teilen muss.
Es wird auch von Menschen in Internetforen genutzt. Da allerdings stelle ich fest, dass die Meinungsfreiheit sehr interessante, doch für mich sehr unschöne Blüten treibt; denn die Anonymität des Internets macht es möglich, Leute rassistisch, homophob und anderweitig zu beleidigen. Auch das ist die Meinungsfreiheit, die es heute gibt und mit der wir umgehen müssen.
Was ich allerdings überhaupt nicht sehe, ist, dass die Meinungsfreiheit in irgendeiner Art und Weise beschnitten oder infrage gestellt wird. Deswegen sage ich zu dieser Aktuellen Debatte, dass ich gar nicht weiß, wo Ihr Problem im Moment liegt.
Die AfD erklärt es zum Problem, dass wir um die Meinungsfreiheit fürchten müssten. Was ist denn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit bisher von der AfD geäußert worden? Ich habe Äußerungen von völkisch rassistisch motivierten Burschenschaftlern, Äußerungen aus den Reihen der AfD, die feindlich und diskriminierend gegenüber Menschen mit Behinderungen waren, gehört.
Das ist also die Art, wie von der AfD von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht wird. Davon sollten wir uns doch alle als Demokraten ausdrücklich distanzieren.
Sie nehmen Bezug auf die friedliche Revolution. Das machen im Moment viele. Der Kampf um die Deutungshoheit zum Geist von 1989 ist ja längst entbrannt. Ich sehe allerdings, wenn ich mir diese von Ihnen bisher vertretenen Werte und die Werte der friedlichen Revolution anschaue, hier leider keinerlei Parallelen. Für mich
(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN – Dr. Frauke Petry, AfD: Wie alt waren Sie denn 1989?)
Die Beweggründe der Demonstranten 1989 waren damals sehr heterogen. Deswegen glaube ich auch, dass es nicht klug wäre, wenn wir im Saal für irgendeine Partei oder irgendeine politische Strömung oder bestimmte Personen einen Alleinvertretungsanspruch auf den Geist von 1989 erheben könnten.
Es gab allerdings einen ganz zentralen Wert der friedlichen Revolution, den viele Menschen, vor allem aber die kirchliche Opposition vertreten haben. Das war die Freiheit der Ausübung der Religionen. In der DDR mussten viele Menschen mit Schwierigkeiten rechnen, zum Beispiel Behinderung auf ihrem Bildungsweg, wenn sie aus ihrem Glauben keinen Hehl gemacht haben. Da sind ihnen viele Steine in den Weg gelegt worden. Sie haben 1989 demonstriert. Ich habe zum Beispiel vor eineinhalb Wochen auf einer Anti-Pegida-Demonstration bzw. auf einer Gegendemonstration zu den „Besorgten Chemnitzern“ etliche Vertreter der Bonhoeffer-Gemeinde in Chemnitz gesehen, die damals 1989 für Menschenrechte und für die Ausübung der Religionsfreiheit demonstriert haben und die das heute genauso tun. Vereinnahmen Sie diese Menschen bitte nicht für sich! Sie stehen heute auf derselben Seite der Barrikade, nämlich auf der Seite der Menschlichkeit.
Frau Petry, Sie haben in der Debatte zu 25 Jahre friedliche Revolution beklagt, dass wir in Deutschland ein sehr großes Problem mit der Political Correctness hätten, dass das ein gesellschaftliches Problem wäre und man bestimmte Sachen so nicht sagen dürfe. Ich habe neulich einmal auf die Internetseite der Stadt Chemnitz geschaut, auf der es einen Aufruf gab, Asylbewerber mit kleinen Weihnachtsgeschenken zu bedenken. Dieser Aufruf stand keine zehn Minuten im Internet, da geschah Folgendes: Er wurde völlig mit rassistischen und diskriminierenden Kommentaren überschüttet. Das Problem in Deutschland heißt nicht Political Correctness, sondern Rassismus, das sage ich Ihnen.
DDR-Vergleich war schlichtweg peinlich. Gerade auch Sie sollten es besser wissen. In der DDR wurde man für illegale Demonstrationen verhaftet, geschlagen, verlor seinen Beruf und wurde des Landes verwiesen.
Sie verdrehen in einer unglaublichen Form das Thema. Es geht doch niemandem darum, diese Meinungsäußerungen, diese Demonstrationen zu verbieten. Damit haben wir kein Problem. Aber deshalb sagen wir auch unsere Meinung, und damit scheinen Sie ein Problem zu haben.
Wir haben ein Problem mit dem Rassismus, den wir auf diesen Demonstrationen erleben. Die Inhalte, die Aussagen, mit denen die Demonstrationen verbunden werden, Forderungen nach schnellen Verfahren und Abschiebungen von Asylbewerbern – als ob diese die Ursache aller sozialen Probleme Deutschlands wären – sind eine Sündenbockmanie, eine unbegründete Angstmache vor dem Islam in Deutschland bis hin zu Naziparolen. Ja, leider, es ist in Dresden kein Tabubruch mehr, Naziparolen zu hören. Das sind wir ja schon gewöhnt, und deshalb gehen wir auch regelmäßig auf die Straße.
Aber wer so handelt, muss sich überlegen, in wessen Gesellschaft er demonstriert. Ich habe kein Problem damit, mit Fleischessern oder Veganern zu demonstrieren, aber ich habe ein Problem damit, mit Rassisten und Nazis zu demonstrieren.
Meine Damen und Herren! Heute ist der internationale Tag der Migranten. Gerade auch deshalb möchte ich sagen, wofür ich vor 25 Jahren auf die Straße gegangen bin. Ja, ich hatte Sehnsucht nach Freiheit. Das schloss ein: Vielfalt, Integration, eine offene Gesellschaft.
Ich ging zwischen Menschen, die wollten, dass die Grenzen fallen, in beiden Richtungen, und die ein offenes Land wollten, ein Land, das sich nicht abschottet, auch nicht für Menschen, die in das Land kommen. Ich habe vor 25 Jahren selbst erlebt, mit welcher Solidarität die Flüchtlinge aus meinem Land, aus der DDR, in anderen Ländern behandelt wurden – im anderen Teil Deutschlands, in Ungarn, in Tschechien, in Polen –, unabhängig von ihren Motivationen.
Gerade vor dem Hintergrund dessen, was vor 25 Jahren war, möchte ich keine neue Abschottung. Ich möchte nicht, dass wir die Grenzen schließen. Ich möchte nicht, dass wir hier niemanden mehr reinlassen. Ich möchte ein weltoffenes Land. Und dafür werden auch wir mit unserer Meinung, mit unseren Äußerungen weiterhin stehen. Das sollten Sie akzeptieren.
Sie bedienen Rassismus und Vorurteile, Sie distanzieren sich davon nicht. Sie wollen sich auf diesem Weg profilieren. Für den demokratischen Dialog in unserem Land, den wir brauchen, stehen Sie nicht.
Das war Frau Kollegin Jähnigen für die Fraktion GRÜNE. Wir haben die erste Rednerrunde absolviert. Kann ich davon ausgehen, dass wir in eine zweite Runde eintreten? – Es gibt weiteren Redebedarf bei der einbringenden Fraktion. Das Wort ergreift erneut Frau Dr. Petry.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Danke, Frau Jähnigen – was wäre von Ihrem Redebeitrag denn übrig geblieben, wenn nicht das Wort Rassismus gefallen wäre? Sie transportieren hier gerade keine Inhalte. Sie tun genau das, was ich zuvor schon angeprangert habe: Sie können immer nur in Floskeln reden. Über Inhalte wollen Sie aber nicht streiten.
Das ist der wesentliche Unterschied zwischen uns. Wir brauchen diese Phrasen nicht und werden auch vermeiden, sie zu benutzen.
Meine Damen und Herren, wir haben keine Angst vor dem Dialog. Ich hoffe, dass viele Damen und Herren in diesem Hohen Haus das ähnlich sehen, auch wenn wir uns am Ende nicht einig sind. Ein Kompromiss kann nämlich nur das Ergebnis einer offenen Diskussion sein. Wer eine solche von vornherein abwürgt, indem er sein Gegenüber diskreditiert und in eine Richtung drängt, die ihn menschlich diffamieren soll, hat genau genommen die Bereitschaft zum Diskutieren schon aufgegeben.
Aber seien Sie unbesorgt, meine Damen und Herren, wir werden trotz dieser Äußerungen die Lust am Diskutieren nicht verlieren. Wir werden uns also nicht zurücklehnen; denn die Stärke der Gegner der Meinungsfreiheit ist nur so groß wie die Schwäche ihrer Befürworter. Wenn Sie auf die Straßen schauen, dann sehen Sie, dass die Befürworter der Meinungsfreiheit überhaupt nicht schwach sind, sondern in den letzten neun Wochen in Dresden und anderen Städten Deutschlands immer stärker geworden sind. Darüber bin ich sehr froh.
Ja, seien Sie doch froh. – Schauen Sie, welche Gesetzesinitiativen es in den letzten Jahren in Europa gegeben hat. Darunter sind einige, die mit der Meinungsfreiheit ganz offensichtlich ein Problem haben, zum Beispiel der sogenannte Lunacek-Bericht im EU-Parlament, ein Entschließungsantrag, der alle Kritik an Formen sexueller Vorlieben unter Strafe stellen möchte. Dann werden Maßnahmen eingefordert gegen Intoleranz und Rassismus als qualifizierte Straftaten. Grundschüler sollen in Kursen Toleranz lernen. Ich wäre eher dafür, dass Grundschüler und Schüler an weiterführenden Schulen, so wie hier im Landtag vor einigen Wochen, eine offene Diskussion erlernen.