Protocol of the Session on November 10, 2016

Deshalb müssen wir auch weg von unfreiwilliger Teilzeitarbeit, Arbeit auf Abruf, Leiharbeit mit Dumpinglöhnen; denn all diese Auswüchse tragen zur Verschärfung der Armut bei. Daher helfen auch hier keine großflächigen Einzelmaßnahmen, die separierend auf Kinder ausgerichtet werden, sondern die Situation in den Familien muss sich grundlegend verbessern; denn nur dann verbessert sich auch nachhaltig etwas bei den Kindern.

Wir benötigen daher eine Politik, die Familien unterstützt und Benachteiligungen gegenüber Kinderlosen aufhebt. Wir benötigen, wie im Programm der AfD festgeschrieben ist, eine aktivierende Grundsicherung, die Arbeitsanreize setzt und zugleich diejenigen belohnt, die arbeiten gehen. Das höchste Armutsrisiko, Herr –

(Henning Homann, SPD: Homann!)

Homann – entschuldigen Sie bitte, jetzt war mir gerade Ihr Name entfallen –, besteht hierbei insbesondere bei den Alleinerziehenden und kinderreichen Familien. Auffällig ist – das habe ich bereits im letzten Plenum, als wir unseren Antrag zum Unterhaltsvorschussgesetz eingebracht haben, gesagt –, dass jedes zweite Kind, das bei Alleinerziehenden aufwächst, auf Grundsicherung angewiesen ist. Das muss man sich einmal vorstellen: Jedes zweite Kind, also 50 %, ist auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Deshalb ist es für mich unverständlich, dass Sie alle unseren Antrag zum Unterhaltsvorschussgesetz abgelehnt haben. Das ist wirklich unverständlich, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der AfD)

Des Weiteren sind gerade die Alleinerziehenden in einer ganz misslichen Lage: meist wenig Einkommen aufgrund einer Teilzeitbeschäftigung oder Hartz IV, weil kein Unternehmen gefunden wird, das flexible, familienfreundliche Arbeitszeiten anbietet, oder weil es einfach an flexiblen Kinderbetreuungsmöglichkeiten scheitert. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass bei Migranten, insbesondere in Großstädten, hohe Armutsdichten zu verzeichnen sind. Da die Bundesregierung, an deren Spitze Frau Merkel steht, in den letzten Monaten überwiegend schlecht ausgebildete und zu zwei Dritteln Menschen, die kaum lesen und schreiben können und damit in der Folge

über Arbeit eben nur begrenzt zum erhofften Wohlstand kommen können, ohne jegliche Begrenzung und Vorgaben in unser Land gelassen hat und dies immer noch tut, wird sich bei diesem Personenkreis mit den dazugehörigen Kindern die Armut auch weiter und rasanter erhöhen, obwohl wir bereits jetzt in Deutschland flächendeckend massive Probleme haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Familien- und Sozialpolitik und, damit verbunden, auch die Steuerpolitik der letzten Jahrzehnte waren meines Erachtens ein Desaster und haben genau zu diesen Verwerfungen geführt – ein Machwerk aus fast 160 familien- und ehepolitischen Maßnahmen, die undurchschaubar und zum größten Teil wirkungslos sind, aber pro Jahr circa 200 Milliarden Euro verschlingen. Dieses Machwerk muss komplett auf den Kopf gestellt und zum Wohle der Familien reformiert und vereinfacht werden, so wie wir es als AfD-Fraktion in unserem Grundsatzprogramm einfordern.

Lassen Sie mich, damit verbunden, noch auf die Problematik der Besteuerung und die damit verbundene Benachteiligung von Familien mit Kindern eingehen. Wenn Sie verschiedene Statistiken bewegen, werden Sie feststellen, dass Familien mit Kindern stärker belastet werden als Alleinstehende oder Ehepaare ohne Kinder. Legt man hierbei einen Gehaltsdurchschnitt von circa 35 000 Euro im Jahr zugrunde, dann kommt man bei Abzug aller Sozialabgaben und unter Einbeziehung des Kindergeldes auf den ersten Blick zu dem Schluss, dass beispielsweise Familien mit zwei Kindern mit circa 8 000 Euro, auf das Jahr gerechnet, bessergestellt sind als Alleinerziehende. Bezieht man diese 8 000 Euro pro Jahr mehr aber auf die vier Personen im Haushalt, so muss man feststellen, dass die Familien, wenn man noch das steuerliche Existenzminimum einrechnet, am Ende schlechtergestellt sind als Alleinerziehende oder Ehepaare ohne Kinder. Familien mit Kindern müssen hierbei sogar Einbußen hinnehmen.

Dort möchten wir als AfD ansetzen. Wir möchten ein Familiensplittingmodell einführen, das Familien mit Kindern stärker berücksichtigt und das Einkommen gleichmäßig auf alle Familienmitglieder verteilt, und erst dann sollte es versteuert werden. Dies entlastet eben genau die Familien, die sich für Kinder entscheiden und sich um unseren Sozialstaat verdient machen. Des Weiteren würde dieses Vorgehen sicherlich auch einen Grundstein für ein erhöhtes Geburtenwachstum legen. Das ist verantwortungsvolle Sozialpolitik, von der die anderen Parteien gern sprechen, die sie aber unzureichend umsetzen.

Natürlich müssen wir auch über weitere Maßnahmen, wie beispielsweise eine spürbare Absenkung der KitaBeiträge, so wie wir es in den letzten Haushaltsverhandlungen gefordert haben, sprechen, aber wir müssen auch über eine kostenlose Schulverpflegung sprechen, die heute mein Fraktionskollege Wurlitzer vorstellen wird;

(Christian Piwarz, CDU: Darauf freuen wir uns schon!)

denn eine kostenlose Schulverpflegung entlastet die Eltern und beschert den Kindern eine warme und gesunde Mahlzeit am Tag. Ich denke, das sind wir uns selbst, den Steuerzahlern, den Familien und unseren Kindern schuldig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Die Fraktion GRÜNE; Herr Abg. Zschocke, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wendt, Ihre Forderung zur Unterstützung von Familien ist unglaubwürdig, denn Ihr Familienbegriff schließt ja schon von vornherein eine ganze Reihe von Familienformen schlichtweg aus.

(Karin Wilke, AfD: Das ist falsch! Was soll das?)

Frau Klepsch, ich habe mich gefragt, was ich tun würde, wenn ich die Verantwortung hätte, eine solche Große Anfrage zu beantworten. Ich glaube, ich würde zunächst die Perspektive klären, aus der ich mich dem Thema nähere: Geht es darum, den Erfolg sächsischer Politik zu bewerten, die Bildungsqualität in Sachsen als besonders hoch anzupreisen, das sächsische Schulsystem als besonders leistungsfähig zu präsentieren, Gesundheitsversorgung und gesellschaftliche Teilhabechancen in ein gutes Licht zu rücken, kurzum: die Lebensbedingungen in Sachsen für Kinder und Familien nach dem Motto „Wir machen hier schon alles richtig“ im Vergleich positiv darzustellen? Oder geht es darum, eine Große Anfrage der Opposition dafür zu nutzen, die Wirksamkeit sächsischer Politik daraufhin zu untersuchen, ob es ihr gelingt, den Teufelskreis von Armut als Generationenproblem zu durchbrechen?

Jedes arme Kind, welches wegen mangelnder Förderung in der Kindheit und Jugend später, als Erwachsener, auf staatliche Hilfe angewiesen bleibt, ist ein Verlust für die Gesellschaft insgesamt.

(Beifall der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Die erste Perspektive empfiehlt sich natürlich für Marketingzwecke, wenn Sie zum Beispiel einen Werbefilm für den Freistaat machen wollen. Dabei fallen mir viele gute Beispiele aus den Städten und Landkreisen ein, die man dort zeigen könnte. Die zweite Perspektive empfiehlt sich, wenn Sie wirklich einen Gestaltungsanspruch erheben und dafür sorgen wollen, dass die Potenziale jedes Kindes entwickelt werden.

Herr Staatsminister Dulig hat es vorhin deutlich gemacht: Wir können auf keinen Jugendlichen verzichten. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass möglichst niemand durch das Raster fällt – nicht nur wegen des Fachkräftebedarfs, sondern um gleiche Chancen für alle Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft, zu verwirklichen.

Meine Damen und Herren! Die Staatsregierung hat sich bei der Beantwortung überwiegend für die erstere Per

spektive entschieden. Sie bewerten die Entwicklung der Kinderarmut in Sachsen als Erfolg und sprechen von einem historischen Tiefstand. Die Armutsgefährdung der unter 18-Jährigen in Sachsen habe abgenommen. Was die Armutsgefährdungsquote von Kindern bis 18 Jahren anbelangt, würde Sachsen im Vergleich der Bundesländer ja im Mittelfeld liegen. Je nachdem, wie man die regionalen Bezüge wählt, kann man das Bild dann auch noch positiv anpassen.

Dazu will ich sagen: Der Umgang der Sächsischen Staatsregierung mit dem Thema Kinderarmut ist seit Jahrzehnten schon von Relativierung und statistischer Schönrechnerei geprägt.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: So ist es!)

Aber die Staatsregierung räumt auch ein, dass Kinder stärker von Armut betroffen sind als Erwachsene. Es gibt zwei zentrale Armutsfaktoren, die in der Antwort auch klar benannt sind. Am gefährdetsten sind Kinder von Alleinerziehenden. Hier ist aktuell beinahe jedes dritte Kind von Armut bedroht. Die Armutsquote steigt, je mehr Kinder in einer Familie leben. Im Jahr 2014 waren 6,5 % der Einkindfamilien von Armut betroffen, Familien mit mehreren Kindern zu 11 %.

Das zeigt, dass die Lebenslagen entscheidend sind, obwohl es darüber leider keinen vollständigen Überblick gibt. Zur Armutsgefährdung von Kindern mit Migrationshintergrund zum Beispiel liegen der Staatsregierung keine Daten vor. Als Grund dafür nennen Sie die geringen Fallzahlen. Das hat sich aber geändert. Abgefragt wurden auch die Einkommensverhältnisse der Eltern und die Anzahl der Kinder, deren Eltern auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Außer diesen harten Fakten, also der finanziellen Situation vieler Familien in Sachsen, weiß die Staatsregierung darüber hinaus aber wenig Genaues zu berichten. Inwiefern zum Beispiel die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets dabei helfen, die Kinderarmut in Sachsen zu verringern, kann das Sozialministerium nicht einschätzen. Stattdessen wird auf eine noch ausstehende Evaluation des Bundes verwiesen.

Ebenso wenig erfährt man darüber, wie viele Familien in Sachsen Leistungen des Bildungspaketes beantragt haben und wie viele diese Leistungen dann auch bewilligt bekommen haben. Das Sozialministerium verweist auf die Zuständigkeit der Kommunen und hat damit aber nur formal recht. Wenn ich mir die Antworten anschaue, dann befürchte ich, dass der Staatsregierung gerade in diesem Bereich jeglicher Gestaltungsanspruch verloren gegangen ist, meine Damen und Herren.

Auffallend ist, dass sich dieser Antwortstil wie ein roter Faden durch die Antwort auf die Große Anfrage zieht. Zu vielen Fragen liegen entweder keine Daten vor oder die Staatsregierung beruft sich darauf, nicht zur Auskunft verpflichtet zu sein. Abwechselnd wird auf die Verantwortung des Bundes oder der Kommunen verwiesen.

Klar ist: Viele Stellschrauben zur Vermeidung von Kinderarmut liegen natürlich auf Bundesebene, aber auch Sachsen hat Handlungsspielräume. Für uns als Mitglieder des Landtags sollte die Frage entscheidend sein, wie wir gute Kinderbetreuung, gute Schule und einen leistungsfähigen Sozialstaat künftig sicherstellen, mit funktionierender Gesundheitsversorgung, mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten für Familien in schwierigen Lebenssituationen und einer tragfähigen Finanzierung von Kinder- und Jugendarbeit sowie der sozialen Arbeit in Sachsen.

Doch das Sozialministerium windet sich, die Probleme klar zu benennen und die eigenen Spielräume zu nutzen. Die Verbände und Vereine in Sachsen weisen deutlich auf soziale Probleme hin und fordern die Koalition auf zu handeln. Zum Beispiel forderte die Diakonie im September eine landesweite Strategie gegen Wohnungsnot und kritisierte die Koalition wegen der Untätigkeit in diesem Bereich, obwohl sich das Problem weiter zuspitzt.

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände Sachsens beklagt die Benachteiligung armer Familien bei der Förderung von Familienbildung. Hier drohen Kürzungen in Höhe von knapp 1 Million Euro. Besonders Alleinerziehende leiden darunter.

Die Tafeln berichteten im Oktober, dass die Zahl der Bedürftigen in Sachsen in diesem Jahr um 20 % gestiegen sei. Darunter sind auch viele Geflüchtete. Die Ehrenamtlichen arbeiten dort schon am Limit.

Auch die Jugend- und Sozialarbeit in Sachsen leidet seit Jahren unter fehlenden mehrjährigen Finanzierungsperspektiven. Die Projekte hangeln sich von einer Haushaltslücke zur nächsten. Fachkräfte bei freien Trägern befinden sich selbst sehr schnell in prekären Verhältnissen, meine Damen und Herren. Es wird immer schwerer, unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch gute Fachkräfte zu finden und zu gewinnen.

Unklar ist mir auch, inwiefern das Ziel des Koalitionsvertrages umgesetzt wurde, bis zum Jahr 2016 eine sächsische Präventionsstrategie zu erarbeiten. Es sollten Maßnahmen zum Abfedern der Folgen bestehender Armut sowie zur Minimierung von Armutsrisiken, insbesondere bei Kindern und Älteren, entwickelt werden.

Kurzum: Die dünnen Antworten auf die Große Anfrage zeigen, dass Sachsen dringend eine Sozialberichterstattung braucht, die ihren Namen verdient. Inzwischen haben Sie und Ihr Ministerium uns in einen Beirat zur geplanten Sozialberichterstattung eingeladen, und ich hoffe, dass dadurch die Kenntnislücken mit Blick auf die Kinderarmut in Sachsen geschlossen werden können.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gibt es vonseiten der Fraktionen noch Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich jetzt die Staatsministerin, das Wort zu nehmen. Frau Klepsch, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns heute mit dem Thema Kinderarmut auseinandersetzen, sollten wir uns um eine sachliche Debatte im Interesse der Sache bemühen.

Festzuhalten ist: Der Armutsbegriff ist vieldeutig, denn mit seiner Bestimmung sind Werturteile verknüpft. Unsere Definition, die wir bei der Beantwortung der Großen Anfrage zugrunde gelegt haben, geht mit dem Begriff der Armutsgefährdung differenzierter um; denn das durchschnittliche Wohlstandsniveau in Deutschland liegt weit über dem Existenzminimum.

Wir haben für die Beantwortung die geltende Definition der EU zugrunde gelegt, wonach eine Person als arm gilt – der Abg. Homann ist bereits darauf eingegangen –, sofern sie weniger als 60 % des jeweiligen lokalen mittleren Einkommens zur Verfügung hat.

Frau Schaper, das hat nichts mit dem Versuch von Schönrechnerei zu tun – ganz im Gegenteil –, sondern es soll vielmehr dazu dienen, eine regional messbare und belastbare Quote zu beschreiben. Denn nur wenn wir einheitliche Standards und Definitionen zugrunde legen, ist es uns möglich, Vergleiche über Ländergrenzen hinweg zu ziehen und uns diesem, wie ich meine, sehr wichtigen Thema seriös zu nähern.

(Zuruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)

Armut stellt sich für eine alleinerziehende Verkäuferin in einem Supermarkt in München und ihre Kinder nun einmal anders dar als für eine in Görlitz lebende alleinerziehende Mutter mit ähnlicher Tätigkeit. Eine hohe Armutsgefährdung – darin gebe ich der Studie der Bertelsmann-Stiftung recht – haben Kinder Alleinerziehender, aber auch Kinder aus Mehrkindfamilien. Uns liegt dazu bereits eine Große Anfrage vor, die sich mit dem Thema der Alleinerziehenden auseinandersetzt. Die Beantwortung der Großen Anfrage zum Thema Alleinerziehende wird auch diese Große Anfrage genau zu dieser Thematik ergänzen.

Ja, wir müssen überlegen, ob bisherige Leistungen und Unterstützungsangebote ausreichend sind oder ob sie noch besser aufeinander abgestimmt werden müssen. Allerdings – auch das muss angesprochen werden – sind betroffene Eltern auch verantwortlich, diese Leistungen für ihre Kinder zu beantragen und für ihre Kinder zu verwenden. Positive Wirkungen haben zum Beispiel die im Jahr 2011 – es wurde angesprochen – eingeführten Leistungen für Bildung und Teilhabe entfaltet. Mit den Sachleistungen wurde sichergestellt, dass diese Leistungen die Kinder und Jugendlichen im Sinne einer individuellen Förderung wirklich erreichen.

Wir, der Freistaat Sachsen, haben ergänzend zur Sozialgesetzgebung des Bundes eigene Leistungen aufgelegt, die einkommensschwache und einkommensgefährdete

Familien weiterhin unterstützen. Sie kennen die Leistungen: Es ist der Landesfamilienpass, es sind Leistungen der