Zu ähnlichen Schlüssen kommt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in einer Stellungnahme, die sich insbesondere den Fragen der Anwendung radiologischer Verfahren widmet.
Grundsätzlich muss also festgestellt werden, dass es aus ärztlicher Sicht keine wissenschaftliche Methode oder ärztliche Untersuchung gibt, die das Alter eines Menschen exakt feststellen kann. Allenfalls ist eine grobe Schätzung möglich. Da die meisten der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren alt sind, ist eine medizinische Untersuchung für die Feststellung der Minderjährigkeit zumeist nicht hilfreich und zielführend. Sowohl die qualifizierte Inaugenscheinnahme als auch die ärztliche Untersuchung auf dem Gebiet der Altersdiagnostik bleiben lediglich Schätzungen und können Abweichungen von ein bis zwei Jahren beinhalten.
Ich bin mir sicher – und das sage ich als jemand, der in seiner beruflichen Laufbahn schon einmal ein Jugendamt leiten durfte –, dass die Mitarbeiter der Jugendämter qualifiziert und sehr wohl in der Lage sind, das Alter der Jugendlichen im Sinne des SGB VIII festzustellen und daraus folgend geeignete Maßnahmen der Jugendhilfe im konkreten Einzelfall auf den Weg zu bringen. Die Mitarbeiter der Jugendämter sind qualifiziert und besitzen in der Regel jahrelange Berufserfahrungen. Ich vertraue auf deren Kompetenzen. Allein das Kindeswohl kann und darf der Maßstab für jugendhilferechtliche Maßnahmen sein. Das gilt auch bei der Altersfeststellung. Die derzeitige bundesgesetzliche Regelung, insbesondere die qualifizierte Inaugenscheinnahme bildet für mich die Grundlage und das Mittel, das geeignet, erforderlich und angemessen ist, das Ziel der Altersfeststellung zu erreichen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nichts Neues von der rechten Seite, so ließe sich der Antrag der AfD-Fraktion kurz und schmerzlos ablehnen. Die Motivation des uns vorgeschlagenen medizinischen Altersfeststellungverfahrens für unbegleitete minderjährige Geflüchtete ist es, Missbrauch zu unterstellen und auf Stammtischniveau die Steuerzahler als vermeintlich
Wenn das die Logik ist, aus der heraus wir Politik machen und Fürsorge auch für die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft organisieren, dann gute Nacht. Wo, sehr geehrte Damen und Herren der AfD-Fraktion, sind denn die Fakten für Ihre Unterstellung, dass unbegleitete minderjährige Geflüchtete massenhaft ein falsches Alter angeben? Anders herum belegt eine Stichprobe aus Bayern, dokumentiert im Ärzteblatt Nr. 18 von 2014, dass dort zu Hunderten geflüchtete Jugendliche älter gemacht werden, mutmaßlich um keine Jugendhilfemaßnahmen zu gewähren.
Aus unserer Sicht ist es gut und richtig, dass in Deutschland – Herr Kiesewetter hat die rechtlichen Grundlagen gut und ausführlich dargestellt – die primäre Zuständigkeit für die Alterseinschätzung beim Jugendamt liegt und es nicht vornehmlich um die Einschätzung von Knochenalter oder Genitalien geht, sondern um die Berücksichtigung der individuellen Lebenssituation und der spezifischen Bedürfnisse der jungen Menschen. Diese Alterseinschätzung erfolgt folgerichtig nicht durch medizinisches Personal, sondern durch sozialpädagogische Fachkräfte. Wichtig zu wissen ist außerdem – das wurde auch ausgeführt –, dass Alterseinschätzungen überhaupt nur im begründeten Zweifel zum Zuge kommen. Dafür reichen allein die für die Fluchtsituation typischen fehlenden Ausweispapiere bei den Flüchtlingen nicht aus.
Doch hier erkennt man eine gewisse Methode: Einmal sind es Schüsse an der Grenze auf Menschen, die einreisen wollen, oder Sonderlager für papierlose Geflüchtete – immer wieder geht es der AfD darum, Menschen Rechte abzusprechen. Der Hintergrund dieses recht neuen Antrages ist offensichtlich die Diskussion um die Situation in Bautzen. Jetzt sind also die Jugendlichen dran.
(Sebastian Wippel, AfD: Frau Nagel, vielleicht haben die Kinder keine Ausweise, weil sie zu jung sind!)
Doch zurück: Kritik an der medizinischen Alterfeststellung gibt es auch aus der medizinischen Ecke. Denn es sind ganz verschiedene Faktoren, die Einfluss sowohl auf die körperliche Entwicklung als auch auf die momentane physische Verfasstheit von Menschen ausüben, sprich: soziale, kulturelle, aber auch klimatische Einflüsse. Auch die beschwerliche Flucht an und für sich kann für junge Menschen tatsächlich buchstäblich bedeuten, dass sie graue Haare bekommen.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie weist zudem darauf hin, dass die in der Medizin bei den Knochenaltersbestimmungen verwendeten Referenzen entweder überaltert oder in Bezug auf die Herkunftsländer lückenhaft sind. Das habe ich gerade ausgeführt. Auch die Situation in Herkunftsländern hat durchaus Einflüsse auf die körperliche Ausprägung von Menschen.
Im Deutschen Ärzteblatt – das wollte ich jetzt auch zitieren – wird grundsätzlich gesagt – ich wiederhole das noch einmal –, dass es sich um einen weitverbreiteten Irrglauben handelt, dass Ärzte das Alter exakt definieren können.
Wir als LINKE lehnen medizinische Alterseinschätzung prinzipiell ab und schließen uns damit verschiedenen Fachverbänden an. Was es stattdessen braucht, ist ein einheitliches Verfahren – das wäre auch ein Schritt für Sachsen – der Alterseinschätzung ohne entwürdigende medizinische Untersuchungen, ein Verfahren, das den Kinderschutzprinzipien entspricht und der Herkunft und der spezifischen Fluchterfahrung der Betroffenen gerecht wird.
Doch anstatt sich jetzt weiter an dem Antrag abzuarbeiten, will ich kurz einen Blick auf andere Aspekte des Themas werfen. Die Situation bei jungen Geflüchteten, die nach SGB VIII in den Städten und Landkreisen betreut werden, ist keineswegs rosig.
Oft fehlt es an kultursensibler Betreuung, an Übersetzerinnen, an kompetenten und engagierten Vormündern, an psychosozialen Angeboten und an Zukunftsperspektiven für die Zeit nach der Volljährigkeit.
Ohne Eltern und in einer fremden, oft feindlichen Umgebung kommt diesen jungen Menschen keine persönliche weiterführende Unterstützung zu, wie es oft für hier Geborene der Fall ist. Während wir tatsächlich und richtigerweise Geld in die Hand nehmen, um für minderjährige Geflüchtete ohne Eltern würdige und altersgerechte Lebensbedingungen zu schaffen, bricht dieses Hilfesystem mit 18 Jahren zumeist ab, werden durch Umverteilung soziale Kontakte oder Integrationsbemühungen und durch die Schließung der Berufsschulen für über 18jährige Geflüchtete auch Bildungsperspektiven gekappt.
Das hat sehr wohl mit dem Antrag zu tun, weil ich damit implizit sage: Es braucht mehr weiterführende Hilfen auch für über 18-jährige Geflüchtete.
Sie sind aber fachpolitisch nicht besonders versiert, weil Sie den Zusammenhang – – Zwischen Altersschritten 16, 17, 18 bis 21 können weiterführende Hilfen gewährt werden.
(Uwe Wurlitzer, AfD: Sie verkaufen auch dem Eskimo einen Kühlschrank! Das hat mit dem Antrag nichts zu tun!)
Der Beschluss der Konferenz der Regierungschefinnen und -chefs in Rostock von Ende Oktober – das muss an dieser Stelle klar gesagt werden – ist vollkommen kontraproduktiv und will eine Zwei-Klassen-Jugendhilfe, quasi eine Billigjugendhilfe für junge Geflüchtete schaffen. Wir kritisieren das scharf. Mit uns als LINKE ist weder die Diskriminierung und Schlechterstellung von minderjährigen Geflüchteten á la CDU/CSU zu machen noch eine Stigmatisierung und populistische Stimmungsmache á la AfD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Motto „Im Zweifel für den Zweifel“ spricht dieser Antrag nicht nur den Jugendämtern ihre Fachlichkeit ab, hierbei sowohl den sächsischen als auch den Jugendämtern anderer Bundesländer. Er zeigt vielmehr, dass der AfD-Fraktion die Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Zweifel auch nichts wert ist. Denn im Artikel 24 kann man dort lesen: „Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“
Dies gilt auch für die Alterseinschätzung. Die Fachkräfte in den Jugendämtern haben durchaus die Kompetenz, um mithilfe der qualifizierten Inaugenscheinnahme eine pädagogisch und psychologisch qualifizierte Alterseinschätzung vorzunehmen. Anders als im AfD-Antrag aufgeworfen kann das Alter nicht wissenschaftlich exakt festgestellt werden. Sowohl die Bundesärztekammer als auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie lehnen eine Altersdiagnostik bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mittels radiologischer
Verfahren und Genitaluntersuchungen ab. Neben den ethischen Bedenken fehlt es auch an der wissenschaftlichen Eindeutigkeit, denn keine der aufgeführten Methoden ermöglicht eine exakte wissenschaftliche Messung des Alters. Sie liefern allenfalls Näherungswerte.
Vor diesem Hintergrund, so finde ich, ist der Preis, den die AfD-Fraktion anscheinend bereit ist zu zahlen, zu hoch; denn eine grundsätzliche medizinische Untersuchung verletzt die körperliche Integrität von jungen Flüchtlingen. So sollen laut Antrag junge Flüchtlinge ohne medizinische Indikation Röntgenstrahlen oder einer Untersuchung intimer Körperteile ausgesetzt werden. Wie die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie erläutert, kann ein derartiges Vorgehen auch aufgrund der Fluchterfahrungen retraumatisierend sein. Somit kann man klar sagen, dass die Anwendung dieser
Wenn man sich die Situation der UMAs in Sachsen anschaut, stellt man fest, dass es weit drängendere Probleme gibt. Beispielhaft ist hierfür die hohe Quote an traumatisierten Flüchtlingen, die diametral zu der Quote an Folgemaßnahmen in Sachsen – diese liegt leider nur bei 4 % – steht oder die bislang noch nicht geklärte Frage der Beschulung von UMAs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Das ist eine andere Debatte, und ich werde darauf nicht weiter eingehen.
Der Antrag ist weder der Situation angemessen noch dem Wohle der Kinder dienend. Herr Urban hat vorhin in der Debatte zur Landeskompensationsverordnung so schön gefragt, ob es nicht wichtigere Themen gebe. Die Frage gebe ich an dieser Stelle gern zurück, und ich werde Ihnen auch nicht den Gefallen tun und auf die pauschalen Fallbeispiele eingehen. Das finde ich an der Stelle unangemessen, ja fast schon unanständig; denn wenn es um das Kindeswohl geht, sind, glaube ich, Polemik –
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Wippel, Anliegen Ihres Antrages und Ihrer Pressearbeit dazu, die ich mir angeschaut habe, ist, vorhandene Vorurteile und Ressentiments gegen Ausländer zu verstärken.
Gleichzeitig geht es Ihnen darum, staatliche Instanzen als unfähig und überfordert zu diffamieren. Wenn der Landtag heute Ihren Antrag ablehnt, haben Sie Ihr Ziel erreicht. Dann werden Sie nämlich das Feuer der Wut über das System und die sogenannten etablierten Parteien und deren Ignoranz wieder schön entfachen.
Was sind eigentlich die Subbotschaften, die Sie mit Ihrem Antrag und mit Ihrer Pressemitteilung senden? Erstens. Minderjährige Asylbewerber sind privilegiert und leben in besonderen Heimen. Ihre Betreuung ist extrem teuer und belastet die Steuerzahler massiv.
Zweitens. Sie können leider nicht schnell wieder abgeschoben werden und holen dann auch noch ihren ganzen Clan nach Deutschland. Es gibt drittens einen grassierenden Asylmissbrauch in diesem Bereich. Weit über die Hälfte sind möglicherweise Betrüger. Das behaupten Sie. Viertens. Jugendamtsmitarbeiter arbeiten unprofessionell und rechtswidrig. – Das sind die Botschaften, die Sie senden.