Protocol of the Session on November 9, 2016

Zweitens. Sie können leider nicht schnell wieder abgeschoben werden und holen dann auch noch ihren ganzen Clan nach Deutschland. Es gibt drittens einen grassierenden Asylmissbrauch in diesem Bereich. Weit über die Hälfte sind möglicherweise Betrüger. Das behaupten Sie. Viertens. Jugendamtsmitarbeiter arbeiten unprofessionell und rechtswidrig. – Das sind die Botschaften, die Sie senden.

Auf Ihrer Internetseite wird das übrigens von einem Ihrer Fans sehr treffend kurz zusammengefasst. Ich zitiere: „Diese meist kriminellen pubertierenden Rotzlöffel gehören postwendend strikt zu ihren Eltern zurückgeschickt bzw. den Behörden ihrer Herkunftsländer übergeben.“

(Sebastian Wippel, AfD: Auf meiner Internetseite?)

Das sehen viele so. Sie liegen mit Ihrem Antrag im Stimmungstrend.

Ja, Ihr Antrag selbst beruht auf Unterstellungen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Wippel.

Herr Zschocke, vielen Dank. Steht das auf meiner Internetseite?

(Zuruf von den LINKEN)

Das steht auf der Internetseite Ihrer Fraktion, AfD-Fraktion Sachsen.

(Sebastian Wippel, AfD: Da sind Sie sich sicher?)

Ja, da bin ich sicher.

Gut, das werden wir überprüfen. Dem Hinweis werden wir nachgehen. Auf meiner Seite steht es nicht. Das möchte ich richtigstellen.

(Zurufe aus dem Plenum)

Ihr Antrag selbst beruht komplett auf Unterstellungen. Ihm liegen keinerlei Tatsachen zugrunde. Sie behaupten, dass das behördliche Verfahren zur Altersfeststellung, das eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch Jugendamtsmitarbeiter

vorsieht, unzureichend sei. Sie behaupten – ich zitiere aus Ihrem Antrag, Herr Wippel –: „Der Gedanke, dass bei solchen Fachkräften im Zweifel eher kein Zweifel an der Minderjährigkeit besteht, ist zumindest nicht fernliegend.“ Sie diffamieren eine ganze Berufsgruppe. Sie zweifeln deren Professionalität an und unterstellen rechtswidriges Verhalten. Sie selbst haben mit dem Begriff der „Alterserrätselung“ Ihre Haltung gegenüber den Fachkräften deutlich gemacht.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Spangenberg.

Herr Zschocke, ist Ihnen bekannt, dass Schweden extra ein Verfahren entwickelt hat, um das zu klären, worüber wir heute sprechen? Ist Ihnen das bekannt?

Herr Spangenberg, es gibt eine Reihe von Verfahren. Wir haben in Deutschland ein behördliches Verfahren zur Altersfeststellung. Dieses sieht eine qualifizierte Inaugenscheinnahme durch einen Jugendamtsmitarbeiter vor. Dazu gibt es auch, das haben meine Vorredner deutlich illustriert, ein Regelwerk. Im Zweifel können weitere Untersuchungen hinzugezogen werden.

Sie fordern, dass das Alter stets und in jedem Fall durch medizinische Untersuchungen bis hin zu Röntgenuntersuchungen des Kiefers, der Handwurzel oder des Schlüsselbeins ärztlich festgestellt werden muss. Das hat in jedem Fall zu geschehen. Sie behaupten, dass sich durch diese medizinischen Untersuchungen das Lebensalter exakt bestimmen ließe. Das stimmt aber nicht. Das haben meine Vorredner deutlich gemacht. Als Nachteil der medizinischen Methode zur Altersfeststellung wird aufgeführt, dass es eine Schwankungsbreite bei der Genauigkeit von bis zu zwei Jahren geben kann. Das Ergebnis einer medizinischen Untersuchung könnte also wie folgt ausfallen: Es ist ein Alter zwischen 17 und 19 Jahren festzustellen.

Sie behaupten indirekt, dass gegen unbegleitete minderjährige Ausländer keine Strafverfahren eröffnet werden können. Das ist ebenfalls Unsinn. Die Strafmündigkeit liegt bei 14 Jahren. Das Jugendstrafrecht kann unter den Voraussetzungen des Jugendgerichtsgesetzes noch bis zum Erreichen des 21. Lebensjahres zur Anwendung kommen.

(Sebastian Wippel, AfD: Dann muss ich ja wissen, wie alt er ist!)

Das gilt unabhängig von der Herkunft.

Sie unterstellen, dass die Steuerzahler davon profitieren würden, wenn bei weniger unbegleiteten geflüchteten Jugendlichen das SGB VIII und die darin aufgeführten jugendhilferechtlichen Hilfen zur Anwendung kämen. Stattdessen sollen sie ohne individuelle Betreuung und Begleitung in Erstaufnahmeeinrichtungen und anderen Gemeinschaftsunterkünften unterkommen. Das ist ein Trugschluss. Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern und Verwandte wegen Krieg, Verfolgung und unmenschlicher Lebensbedingungen ihr Heimatland verlassen, die sich allein auf einen gefährlichen Weg nach Europa gemacht haben, brauchen natürlich besondere Unterstützung.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Jörg Urban, AfD: Der Letzte ist kein Asylgrund!)

Für diesen Bedarf spielt es keine Rolle, ob sie inzwischen 16 oder 18 Jahre alt sind. Minderjährige Flüchtlinge brauchen besondere Unterstützung und keine pauschalen Verdächtigungen oder Kriminalisierungen.

Wir lehnen Ihren Antrag ab. Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es folgt die AfDFraktion. Herr Wippel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Herr Hartmann würde jetzt Folgendes sagen: Und täglich grüßt das Murmeltier. Es ist immer dasselbe, die Art und Weise, wie wir hier die Debatten führen. Wir sagen hier vorne irgendetwas. Sie interpretieren irgendwas hinein und unterstellen uns etwas, was wir nicht gesagt haben.

Darüber hinaus finde ich besonders betonenswert, dass Sie sich in Ihrer Argumentation selbst widersprechen. Sie sagen, dass aufgrund psychiatrischer Gutachten das Alter nur mit einer gewissen Bandbreite ermittelt werden kann. Das sind drei bis fünf Jahre. Das ist richtig. Genau deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Das Verfahren zur Altersfeststellung – es ist keine Altersfeststellung, sondern eher eine Altersfestsetzung, ich gebe Ihnen recht, wir sind in diesem Punkt d'accord – ist unzureichend. Diese wird von Sozialpädagogen und Verwaltungsfachkräften vorgenommen. Sie wird nicht von Psychiatern, Medizinern oder von ausgebildetem und geschultem Personal vorgenommen. Selbst der Flüchtlingsrat in Niedersachsen hat im Jahr 2013 gesagt, dass es keine Ausbildung und keine vernünftigen Schulungen dafür gibt, die die Mitarbeiter dazu befähigen, das Alter vernünftig feststellen zu können. Das erklärt vielleicht auch die hohe Fehlerquote bei der Feststellung.

Sie sagten, dass ich keine Fakten habe. Doch, ich habe Fakten. Ich darf einmal aus Hamburg zitieren.

(Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD – Uwe Wurlitzer, AfD: Jetzt duzen wir uns schon, Herr Pecher!)

Herr Pecher, Sie dürfen gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich habe kein Problem damit.

(Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD)

Eine Zwischenfrage wäre besser. Das spart mir auch Redezeit.

(Mario Pecher, SPD: Da brauche ich aber Niveau vor den Augen! – Uwe Wurlitzer, AfD: Das sagt der Richtige, wunderbar!)

Ich komme zur Fehlerquote. Lassen Sie mich einmal auf den Punkt zu sprechen kommen. Es gibt eine Kleine Anfrage in der Freien und Hansestadt Hamburg. Sie stammt von einer FDP-Abgeordneten. Sie hat gefragt, wie die Altersquote aussah. Es fand eine erste Inobhutnahme statt. Daraufhin hat man die vorliegenden Zahlen überprüft. Die Personen, die begutachtet wurden, wurden einer medizinischen Untersuchung zugeführt. Man fand heraus, dass im Jahr 2012 eine Fehlerquote von 54 % vorhanden war. Die Menschen wurden alle als zu jung eingeschätzt. Im Jahr 2013 waren es 63 %.

(Dr. Jana Pinka, DIE LINKE: Wie bei mir!)

Im Jahr 2014 waren es 56 %. Im Jahr 2015 waren es 58 %. Die Größe der Stichprobe lag jeweils bei über 1 000 Personen. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Niedersachsen. In Österreich gibt es ähnliche Bilder. Sie aber sagen mir, dass es gerade hier in Deutschland bei uns, wo wir noch laxer an die Sache herangehen, anders wäre. Entschuldigung, das ist einfach nur lächerlich.

(Juliane Nagel, DIE LINKE: Sie müssen das beweisen! Sie können das nicht herleiten!)

Ich möchte etwas aus den UNHCR-Richtlinien über „Allgemeine Grundsätze und Verfahren zur Behandlung asylsuchender unbegleiteter Minderjähriger“ zitieren. Demnach ist es wichtig, dass wir versuchen, das Alter genau festzustellen und dem Missbrauch vorzubeugen. Ich zitiere: „Es ist nicht wünschenswert, dass

von diesem Kriterium“ – Anmerkung von mir: Kind – „ein Übermaß an rechtlichen Vor- oder Nachteilen abgeleitet wird, da dies einen Anreiz zur Manipulation darstellen könnte. Ausschlaggebend muss sein, ob der Betreffende eine ‚Unreife‘ und Hilflosigkeit zeigt, die eine sensiblere Behandlung erfordern.“ Sie sehen, dass man ganz genau hinsieht.

Kollege Kiesewetter, Sie sagten, dass Untersuchungen der sexuellen Reife Ihrer Meinung nach menschenunwürdig seien. Das kam in ähnlicher Weise auch von anderen Rednern. Ich muss Folgendes ehrlich sagen: Für jemanden, der geflüchtet ist, sollte das eigentlich kein Problem sein. Er weiß, dass er hier sicher ist und hier einen besonderen Status als UMA bekommt. Er wird von Dolmetschern belehrt und über die Folgen der Nichtmitwirkung aufgeklärt.

In Hamburg ist es übrigens wie folgt: Wer nicht mitwirkt, wird auf 18 Jahre geschätzt. Im Übrigen kann man das machen. Alle Maßnahmen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII sind freiwillige Maßnahmen. Diese erfordern die Mitwirkung. Wer nicht mitwirkt, möchte die Leistungen offensichtlich nicht haben.

Kollege Kiesewetter, ich komme noch einmal zu Ihnen. Unsere sächsischen Behörden stellen leider nur sehr wenige Dinge fest. Die Altersfeststellung der UMAs, die uns zugeteilt werden, werden in erster Linie in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg gemacht. Deswegen sollten wir etwas genauer hinsehen. Sie sagten, dass die vorgeschlagenen Methoden ungenau seien. Das ist genau nicht zutreffend. Die Methode, die völlig unüberprüfbar und international unüblich ist – nur fünf Staaten verfahren danach –, ist die Methode der psychologischen Untersuchung. Sie wird nur in einer Handvoll EU-Staaten angewendet und von deutschen Gerichten regelmäßig verworfen. Eine Schulung für das Personal, um das Alter festzustellen, gibt es nicht.

Die von uns geforderten Methoden aber sind von der Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik und von der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin als

relativ genau eingestuft und anerkannt worden. Es gibt dazu übrigens einen sehr interessanten widerstreitenden Schriftwechsel.