Ich frage noch einmal durch. Hat die Fraktion DIE LINKE noch Redebedarf? – Gibt es bei der CDU noch Redebedarf? – Dann Frau Raether-Lordieck für die SPD, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Meine Kollegin Juliane Pfeil-Zabel führte bereits aus, warum wir dem Antrag der Fraktion DIE LINKE nicht zustimmen werden. Ich gehe jetzt in die zweite Rederunde, um deutlich zu machen: Weit wichtiger ist es mir, einmal erstrittene Rechte nicht wieder zu verlieren. Wir leben in einer Zeit erstarkender rechter Strukturen, einer Zeit, in der traditionalistische Kräfte die hart erstrittene Selbstbestimmung der Frau, insbesondere der schwangeren Frau, infrage stellen und geltendes Recht zurückzudrehen suchen.
In dieser hochsensiblen Lebenssituation der Schwangerschaft meint man offensichtlich, am effektivsten angreifen zu können. Wir wenden uns strikt gegen ein Roll-back und die Rückwendung zu konservativen, patriarchalischen Wertvorstellungen. An dieser Stelle möchte ich aufzeigen, wie dieser gefürchtete Roll-back bereits spürbar wird.
befragte Frauen nach ihren Einstellungen zum selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch. 1992 sprachen sich 70 % der Frauen in den ostdeutschen Bundesländern und 2006 immer noch 62 % für einen selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch aus. In den westlichen Bundesländern lagen die Zustimmungswerte 1992 bei 41 % und 2006 bei 35 %. Im Jahr 2012 liegt die Zustimmung zu selbstbestimmtem Schwangerschaftsabbruch – wohlgemerkt, ich spreche hier keineswegs von realen Abbrüchen, ich spreche lediglich von der Zustimmung zur Selbstbestimmtheit – gesamtdeutsch nur noch bei 41 %.
Diese Zahlen belegen, dass traditionalistisches, rückwärtsgewandtes Gedankengut bereits Wirkung zeigt. Genau darauf setzt die AfD mit ihrer Drei-Kind-Politik. Es reicht aber nicht, Kinder nur in die Welt zu setzen. Schwangerschaft – das sagte Frau Wilke schon –, dazu gehören immer zwei, zur Erziehung offensichtlich nicht mehr immer. Die leidige Schwangerschaftsdebatte mit ihrem Fötenzentrismus blendet die Frau einfach aus. Mit populistischen Aktionen, wie dem sogenannten Schweigemarsch für das Leben, den wir alljährlich hier bei uns in Sachsen, in Annaberg-Buchholz erleben, ziehen überdies selbsternannte Abtreibungsgegner gegen geltendes Recht zu Felde. Hier soll die Zeit zurückgedreht werden, und das lassen wir nicht zu.
Der Versuch, von Sachsen aus gegen Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming zu polemisieren, wird nicht fruchten.
An dieser Stelle muss ich noch einmal betonen: Es soll hier nicht Beliebigkeit das Wort geredet werden. Frauen in der Situation ungewollter Schwangerschaft befinden sich in einer tiefen, zukunftsbestimmenden emotionalen Krise.
Sie brauchen die Frühen Hilfen wie Schwangerschaftskonfliktberatungen. Ganz wichtig sind auch Beratungen für Migrantinnen in ihren jeweiligen Landessprachen. Unter Umständen liegen gerade bei ihnen Fluchterfahrungen und Vergewaltigung dem Wunsch nach Schwangerschaftsabbruch zugrunde.
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben sich in ihrer über 150-jährigen Geschichte immer für die sexuelle Selbstbestimmtheit der Frau ausgesprochen. Nach der Wiedervereinigung wurde mit der Beratungsregelung im § 218 eine pragmatische Lösung gefunden. Die SPDFraktion wendet sich gegen die implizite Kriminalisierung und Stigmatisierung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Sie wendet sich ebenso gegen die Unterstellung von fundamentalistischer Seite, in sächsischen Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen
würden Abtreibungsberatungen durchgeführt. Selbstbestimmte Schwangerschaft ist unser gutes Recht, und auch selbstbestimmter Schwangerschaftsabbruch ist heute unser lang und hart erkämpftes Recht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, wir haben ganz andere Anforderungen vor Augen. Ihren Antrag müssen wir ablehnen.
Zu uns sprach Frau Kollegin Raether-Lordieck für die SPD-Fraktion. Nun könnte die AfD erneut das Wort ergreifen. Gibt es Redebedarf? – GRÜNE? – Gibt es überhaupt noch Redebedarf aus den Fraktionen? – Dies kann ich nicht feststellen. Damit hat die Staatsregierung das Wort. Frau Staatsministerin Klepsch, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sächsische Familien haben Vertrauen in die Zukunft. Sie entscheiden sich öfter als anderswo in der Bundesrepublik für ein Leben mit Kindern. Die Anzahl der Geburten in Sachsen ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich angestiegen, eine seit Jahren sinkende Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen geht damit einher. Noch eine Zahl möchte ich Ihnen nennen: Laut einer Studie der BZgA
werden zwei von drei ungewollten Schwangerschaften ausgetragen. Sachsen zeigt auch hier die höchste Kinderorientierung im Vergleich der untersuchten Länder. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass unsere sächsischen Frauen bewusst und selbstbestimmt mit dem Thema Kinderwunsch und Schwangerschaft umgehen.
Ihnen steht dabei eine ganze Palette an unterstützenden Angeboten des Freistaates zur Seite, von der Unterstützung der Kinderwunschbehandlung über die Beratung zu Familiengründung und Paarbeziehung bis hin zur Schwangerschaftsberatung oder der Beratung im
Schwangerschaftskonflikt. Wir als Freistaat stellen schwangeren Ratsuchenden ein bedarfsgerechtes und plurales Angebot zur Schwangerschaftskonfliktberatung bereit. Wir fördern die Vollzeitkräfte jährlich mit 55 000 Euro, wenngleich uns aber – ich denke, darüber müssen wir sprechen – die großen Schwierigkeiten vor allem bei kleinen Trägern bekannt sind, den erforderlichen Eigenanteil aufzubringen. Auf besondere Bedarfe einiger Beratungsstellen, zum Beispiel durch Menschen mit Migrationshintergrund, konnten wir mit der vorübergehenden Bereitstellung zusätzlicher Vollzeitstellen
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auf Bundes-, Landes- wie auch auf kommunaler Ebene gibt es ein breites Angebot an Informationsmaterialien zu Schwangerschaft, Verhütung und Familienplanung. In den Informationsangeboten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung finden Menschen mit anderer sexueller Identität besondere Beachtung. Die Staatsregierung informiert zu den Themen Schwangerschaft und Familienplanung über zwei Portale sowie zahlreiche Printmedien, und in unserem Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention werden wir zudem ein eigenes Handlungsfeld zum Thema auflegen.
Die Auflage weiterer zusätzlicher Maßnahmen, wie im Antrag gefordert, ist aus unserer Sicht wirklich entbehrlich, und mit der Frage der Kostenfreiheit für empfängnisverhütende Mittel haben wir uns in diesem Hohen Haus, wie bereits angeführt, erst im letzten Jahr ausführlich beschäftigt. Die Position hat sich seither nicht verändert. Wir halten die bestehenden Regelungen für ausreichend, um einen gleichberechtigten Zugang aller Personengruppen zu Maßnahmen der Familienplanung zu gewährleisten.
Für die Staatsregierung hörten wir gerade Frau Staatsministerin Klepsch. Wir haben nun die Möglichkeit, ein dreiminütiges Schlusswort zu hören. Es wird durch die einbringende Fraktion DIE LINKE gehalten. Bitte, Frau Buddeberg.
aber zu Frau Kuge möchte ich etwas sagen: Frau Kuge, Sie irren sich. Die Beratungsstellen sind nicht dazu da, ungeborenes Leben zu schützen. Ich habe ein Zitat des Sozialministeriums für Sie, darin heißt es: „Schwangerschaftsberatungsstellen unterliegen dem Schwanger
schaftskonfliktgesetz.“ In diesem Gesetz ist geregelt, dass die Beratung neutral und vor allem ergebnisoffen zu geschehen hat. Das sagt das Sozialministerium, und nichts anderes sollten Sie hier erzählen.
(Beifall bei den LINKEN – Alexander Krauß, CDU: Der Gesetzesauftrag! – Christian Piwarz, CDU: Schauen Sie mal ins Grundgesetz, das würde helfen! – Zuruf des Abg. Alexander Krauß, CDU)
Zunächst wollte ich noch sagen: Ich danke Frau PfeilZabel für ihren sehr sensiblen und Frau Raether-Lordieck für ihren kämpferischen Beitrag. Sie haben meinen Beitrag sehr gut ergänzt, finde ich. Wir sind bei diesem Thema gar nicht so weit auseinander, und wir sollten miteinander im Gespräch bleiben, wenn Ihnen der Antrag so nicht gefällt, damit wir bei diesem Thema weiterkommen.
Im Koalitionsvertrag steht: „Wir stehen zu den Angeboten der Schwangerschaftsberatungen und werden diese entsprechend der Bedarfsentwicklung ausbauen.“ Nun hat, wie ich bereits erwähnte, die Liga diesen Bedarf sehr deutlich formuliert, deshalb finde ich es etwas traurig, dass Sie in der Debatte zu uns sagten, dass wir in der Haushaltsberatung die Anträge dazu stellen sollen. Das können wir natürlich tun, aber wenn der Bedarf so klar ist, kann ich nur sagen: Verantwortungsvolle Politik sieht meiner Meinung nach anders aus.
Meine Damen und Herren, als wir den Antrag auf die Tagesordnung gesetzt haben, konnten wir nicht wissen, dass die damit verbundene Debatte gerade jetzt wieder so
an Aktualität gewinnen würde. In der vergangenen Woche hat das polnische Parlament für ein Abtreibungsverbot gestimmt. Bei unseren direkten Nachbarinnen und Nachbarn sind also erkämpfte Frauenrechte zurückgenommen worden. Das ist ein erschreckendes Signal. Die Forderung nach der Gesetzesverschärfung wurde vor allem und ausdrücklich von der Kirche unterstützt. Damit ist in Polen genau das beschlossen worden, was selbsternannte Lebensschützer(innen) unter Ihnen, nicht nur Menschen aus der AfD, sondern auch prominente Vertreter(innen) der CDU, auch in Sachsen fordern.
Deshalb noch ein Satz zum Kampfbegriff Lebensschutz: Wer sich zum Ziel setzt, Leben zu schützen, sollte nicht nur über ungeborenes Leben sprechen, sondern vor allem auch über den Schutz bereits geborenen Lebens. Jährlich sterben weltweit 47 000 Frauen an den Folgen illegaler Schwangerschaftsabbrüche. Darüber sollten wir sprechen.
Es ist daher ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal, unserem Antrag zu folgen und mit geeigneten Maßnahmen das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft zu achten und zu schützen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung, und ich wünsche allen Frauen in Sachsen, dass sie sich selbstbestimmt entscheiden können, mit einem weiteren Slogan aus den Protesten: May the choice be with you!
Nach dem Schlusswort kommen wir zur Abstimmung. Ich stelle die Drucksache 6/4587 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist die Drucksache 6/4587 nicht beschlossen. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Zuerst hat die einbringende AfD das Wort. Dieses ergreift Kollege Wendt. Danach geht es weiter mit CDU, DIE LINKE, SPD, GRÜNE und Staatsregierung.