Es beginnt in der Reihenfolge die CDU-Fraktion, danach folgen SPD, DIE LINKE, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Herr Abg. Modschiedler, Sie haben jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird richtig gut – so würde ich den aktuellen Gesetzentwurf des Landesbeauftragtengesetzes überschreiben. Schon in der vergangenen Legislaturperiode wurde das Gesetz in Angriff genommen, und es sollte 20 Jahre, nachdem sich das Parlament 1992 für ein Landesbeauftragtengesetz entschieden hat, den aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Leider hat es aus den verschiedensten Gründen damals nicht sollen sein.
Nun aber liegt uns ein Gesetzentwurf vor, der neben den Unterschriften der Koalition aus CDU und SPD auch die der GRÜNEN trägt. Intensive Verhandlungen und Abwägungen gingen dem Gesetzentwurf voraus, der dann – wir erinnern uns – im März-Plenum ins Parlament eingebracht wurde. Der Verfassungs- und Rechtsausschuss, hierfür zuständig, hat sich dann in mehreren Beratungen und einer sehr konstruktiven Anhörung am 8. Juni 2016 mit dem Entwurf befasst. Sachverständige wie der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Herr Roland Jahn, der Alt-OB Dresdens, Dr. Herbert Wagner, oder der Universitätsprofessor Dr. Arndt Uhle haben uns unter anderem wichtige Impulse zur Verbesserung des Entwurfs mitgegeben, die wir auch in wesentlichen Teilen in den
Erstens – die Befugnis und Möglichkeit, im Ausland tätig zu werden. Der Beauftragte kann nun mit Partnern in unseren direkten Nachbarländern Polen und Tschechien, aber auch darüber hinaus zusammenarbeiten – europäische Zusammenarbeit auch an dieser Stelle.
Zweitens – die Berichtspflicht des Landesbeauftragten gegenüber dem Parlament. Bisher hatte der Beauftragte die Pflicht, jährlich den Parlamentariern im Ausschuss Rede und Antwort zu stehen. Die Anhörung ergab, dass ein Tätigkeitsbericht und auch eine Berichtspflicht zur Aufarbeitung alle zwei Jahre sinnvoller erscheinen, da langjährige Projekte so anschaulicher und zusammenhängender dargestellt werden können. Dem können wir ebenfalls folgen.
Zu den weiteren Änderungsanträgen, die wir ausgearbeitet haben, werden die Kollegin Kliese und die Kollegin Meier später noch vortragen.
Erstens – für uns, die CDU-Fraktion, die zeitliche Vorverlegung der Arbeit des Landesbeauftragten. Bisher gab es immer eine Lücke: vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Beginn der Tätigkeit der Staatssicherheit. In dieser Zeit geschah aber schon eine ganze Menge Unrecht. Diese Zeit ist deshalb für die Aufarbeitung ein wichtiges Feld, sodass die Vorgänger der Landesbeauftragten auch in der Vergangenheit diese Thematik immer schon mitbearbeitet haben. Dies soll nun gesetzlich verankert werden.
Zweitens – die Anbindung des Landesbeauftragten an den Landtag. Bisher war die Behörde dem Justizministerium als oberste Landesbehörde unterstellt und damit der Exekutive. Rund 25 Jahre nach der friedlichen Revolution wollen wir als Parlament ein Zeichen setzen und den Landesbeauftragten mit seiner für die Demokratie wichtigen Tätigkeit auch an den Sächsischen Landtag anbinden, an die Legislative, die gesetzgebende Gewalt. Das ist uns wichtig.
Über 25 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur und der Entstehung eines demokratischen und freiheitlichen Freistaates Sachsen ist es gerade im Interesse der jungen Generation wichtig, die Aufarbeitungsarbeit über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes umfassend und zeitgemäß für die Zukunft fit zu machen. Das erreichen wir mit dem Gesetz.
freue mich sehr, den Gesetzentwurf gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der CDU einreichen zu dürfen; denn damit erhält das Thema genau die sachorientierte Überparteilichkeit, die es verdient.
Die gemeinsamen Verhandlungen haben gezeigt, dass bei dem Thema Umgang mit der sowjetischen Besatzungszone und der SED-Diktatur ein durchaus beachtlicher gemeinsamer Nenner vorhanden ist. Für die Konstruktivität und Verlässlichkeit im Rahmen der Verhandlungen danke ich Katja Meier, Martin Modschiedler, aber auch Dr. Karl-Heinz Gerstenberg sowie den Fachreferenten sehr herzlich.
Nach der Anhörung haben wir versucht, das Gesetz zu einem lernenden Gesetz zu machen. Das bedeutet, wir wollten die inhaltlichen Änderungswünsche einarbeiten. Sie waren uns wichtig und wir haben sehr intensiv dazu diskutiert.
Im Ergebnis haben wir einige Änderungen vorgenommen, etwa bei der Berichtszeit – das wurde schon ausgeführt – oder bei der Rolle der Opposition, die eine stärkere Würdigung erfahren sollte. Dazu wird sicherlich auch Katja Meier noch etwas sagen. Mir ist dabei wichtig zu betonen, dass mich der Sachverstand in der Anhörung sehr beeindruckt hat. Die Qualität der Sachverständigenbeiträge hat gezeigt, dass wir auch künftig dem Instrument der Anhörung – das meine ich explizit nicht nur auf diesen Punkt, auf diesen Gesetzentwurf bezogen – eine große Bedeutung beimessen dürfen. Auch das ist eine Frage der politischen Kultur.
Wenn wir heute den Gesetzentwurf verabschieden, werten wir damit die Tätigkeit des Landesbeauftragten auf, und wir erweitern den Fokus seiner Aufgaben. Denn die Frage Stasi oder nicht Stasi greift eindeutig zu kurz. Die Funktionsweise des Machtapparates der SED, aber auch das Alltagsleben in der DDR müssen der jungen Generation nahegebracht werden. Wir wünschen uns, dass die Erweiterung der Aufgaben einhergeht mit der Erweiterung seines Personalbudgets. Auch dafür werden wir uns gemeinsam einsetzen.
Das Thema Aufarbeitung der SBZ- und SED-Diktatur ist längst nicht abgegrast. Es gibt noch zahlreiche Forschungslücken und Leerstellen. Beispielsweise steckt der gesamte Bereich der Zwangsarbeit der politischen Häftlinge noch in den Kinderschuhen. Es gibt zwar dazu eine hervorragende Studie von Tobias Wunschik, jedoch die großen Konzerne, wie zum Beispiel Ikea, die an und mit den politischen Häftlingen ihr Geld verdient haben, üben sich hier noch in Zurückhaltung.
Ebenso wenig abgeschlossen ist das Thema Jugend-IMs. Dabei geht es zum Beispiel um Menschen, die bereits im Jugendalter verpflichtet wurden, ihre Mitschülerinnen und Mitschüler zu verraten. Hierzu wurden gezielt labile Persönlichkeiten in starken Abhängigkeitsverhältnissen ausgewählt, um sie für eine Überwachung ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler zu gewinnen. Auch diese Menschen haben eine Täterakte. Gerade so ein Fall zeigt, wie
schwierig die Kategorie „Täter“ in manchen Fällen sein kann. Das genaue Hinsehen kostet Zeit, und wir sollten uns diese Zeit auch in Zukunft nehmen.
Eine wichtige Aufgabe wird es sein, die Akten weiter zugänglich zu halten, vor allem für jene, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind und/oder einer Beratung bedürfen. Es geht nämlich nicht darum, mit dem moralischen Zeigefinger auf andere zu zeigen – Herr Gebhardt, Sie dürfen bei der Debatte ruhig zuhören –, es geht auch nicht darum, ihnen zu sagen, was sie falsch gemacht haben.
Ich habe in einem MDR-Beitrag vernommen, dass Sie es sehr bedauert haben, dass sich Ihre Fraktion nicht einbringen konnte. Sie sind jetzt herzlich eingeladen, sich zumindest an der Debatte zu beteiligen.
Es geht nicht darum, mit dem Zeigefinger auf andere zu zeigen, und es geht auch nicht darum zu sagen, was jemand falsch gemacht hat. Es geht darum, miteinander darüber zu sprechen, wenn es möglich ist auch mit denen, die die Diktatur gestützt haben. Auch solche Formate sollten durch den Landesbeauftragten gefördert werden. Am Ende können wir aber nicht mehr und nicht weniger tun, als – wie es Hannah Arendt einst formulierte – herauszufinden und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist. Wir hoffen, mit dem Gesetzentwurf dazu gute Bedingungen zu schaffen. Für uns ist die Aufarbeitung der Vergangenheit ein Zukunftsthema.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute, kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit, 26 Jahre nach der Wiedervereinigung steht die Novellierung des Landesbeauftragtengesetzes zur abschließenden Beratung und Abstimmung auf der Tagesordnung des Landtages. Dem Tag der Deutschen Einheit 1990 gingen Monate voraus, die vielen in der einzigen freigewählten Volkskammer der DDR einiges abverlangten. Ihre Aufgabe war klar definiert: Die Schaffung der gesetzlichen Grundlage für die Demokratisierung eines Staates. Die Abgeordneten der Volkskammer haben auf den Weg gebracht, dass die Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ein unabhängiges Leben in Würde, Freiheit und Gleichberechtigung führen können. Diese Errungenschaft gilt es zu stärken, zu schützen und für die zukünftigen Generationen weiterzuentwickeln.
Die heutigen Schülerinnen und Schüler, aber auch die meisten Studierenden sind in der Mehrzahl in einer Demokratie geboren oder sozialisiert worden, und Menschen- und Bürgerrechte sind ihnen so selbstverständlich, dass sie ihnen zumeist gar nicht bewusst sind. Aber gerade heute, in einer Zeit, in der sich einige unsicher fühlen, muss die Demokratie immer wieder aufs Neue
verteidigt werden. Es reicht nicht aus, ihren Wert an sich hochzuhalten. Die Demokratie muss mit Leben gefüllt werden, sie muss erlebbar sein.
Der Instrumentenkasten der Demokratie gibt uns die Möglichkeit, uns nicht Feinden gegenüber zu wissen, sondern politischen Gegnern, mit denen wir Auseinandersetzungen oder Streit über zentrale Fragen führen können. Genau das war in der DDR-Diktatur nicht möglich. Menschen, die sich für Meinungs-, Wahl- und Pressefreiheit einsetzten, für die freie Ausübung ihrer Religion, für eine saubere Umwelt, oder einfach Menschen, die die richtigen Fragen stellten, wurden zu Feinden des Systems erklärt. Der Staat verhinderte eine demokratische Willensbildung, marginalisierte individuelle Freiheit und unterdrückte weite Teile der Bevölkerung mit Hilfe eines perfiden Überwachungsapparates. Wir müssen uns dieses Wissen um dieses System bewahren, dieses Wissen über das perfide System der DDR; denn nur mit einer Kultur der Erinnerung, die auch Interesse weckt, kann verdeutlicht werden, welchen hohen Wert Freiheit und Demokratie heute haben.
Wir haben in Sachsen beispielhafte Erinnerungsorte, Aufarbeitungsinstitutionen, Forschungs- und Dokumentationsprojekte und Bildungsangebote, die sich alle der Aufgabe stellen, einem allzu breiten Vergessenwollen und einem allzu schnellen Vergessenwerden entgegenzuwirken. Aber dazu braucht es selbstverständlich auch einen Landesbeauftragen zur Aufarbeitung der Diktatur.
Die Grundlage für das Wirken des Sächsischen Landesbeauftragten war bisher das Gesetz über die Rechtsstellung des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Doch das 1992 verabschiedete Gesetz setzte eben auch Grenzen. Im Fokus stand damals die Offenlegung der bis dahin verdeckten Arbeit des Staatssicherheitsdienstes. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stand die Beratung, die Hilfe und die Rehabilitation der Opfer. Aber heute, 24 Jahre nach der Verabschiedung des ersten Landesbeauftragtengesetzes, braucht es einen Blick über die Stasi hinaus; denn nur so lässt sich das Ausmaß systematischen Unrechts kenntlich machen.
Ich sagte es bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfes Anfang des Jahres: Wir hätten die Novellierung bereits vor zwei Jahren auf den Weg bringen können, als die GRÜNE-Fraktion einen ähnlich lautenden Gesetzentwurf eingebracht hat. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute gemeinsam mit CDU und SPD einen Entwurf hier zur Abstimmung stellen können. Uns allen ging es vor allem darum, den Blick auf das Gesamtgefüge der Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR zu richten, andererseits aber auch um die Fortschreibung und Konkretisierung dessen, was der Landesbeauftragte seit vielen Jahren schon getan hat. In der Sachverständigenanhörung waren sich alle Anwesenden einig, dass die Neuausrichtung des Landesbeauftragtengesetzes genau der richtige Weg ist.
Gleichwohl – das ist heute schon angeklungen – haben alle Sachverständigen auch Kritik geübt und konkrete Änderungen vorgeschlagen. In einem nicht immer einfachen, aber stets konstruktiven Miteinander ist es uns gelungen, Konkretisierungen und Änderungen vorzunehmen. Uns GRÜNEN ist bewusst, dass wir nicht allen Änderungswünschen, die von Kritikerinnen und Kritikern geäußert wurden, gerecht geworden sind. Aber gleichwohl glaube ich, dass wir wesentliche Kritikpunkte aufgegriffen haben.
So war mir – das sagte Hanka Kliese soeben auch schon – besonders wichtig, die Alltagserfahrung und die Lebenswirklichkeit einerseits und die Rolle der Opposition und des Widerstands andererseits in dem Bildungsauftrag zu verankern. Denn allzu oft wird der Alltag in der DDR heute verklärt. Der Landesbeauftragte kann aber mit seinem guten Netzwerk aus bestehenden Erinnerungsorten, den Forschungs- und Dokumentationsstellen und nicht zuletzt den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu einer reflektierten Auseinandersetzung und Bewusstwerdung beitragen, was Diktatur und Leben in einer Diktatur bedeutet und wo die Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie liegen.
Frau Poppe, die Landesbeauftragte aus Brandenburg, hat das in der Anhörung sehr plastisch dargestellt. Sie sagte nämlich: „Die Menschen müssen sich in der Geschichtsschreibung und Geschichtsdarstellung mit ihrer eigenen erlebten Geschichte wiederfinden. Dazu gehört das Alltagsleben, aber auch die Veranschaulichung, wie sich diese Diktatur auf die Menschen ausgewirkt hat und wie die Menschen darauf reagiert haben. Wie haben sie darauf reagieren können? Welche Spielräume gab es für sie? Woher haben diejenigen, die es geschafft haben, sich dem Zugriff durch das System zu entziehen, ihre Kraft gezogen?“ Genau diesen Anspruch haben wir dann auch in der Zielsetzung des Gesetzes formuliert. Damit bin ich auch wieder am Anfang meiner Rede, warum es sich lohnt, auch heute für diese Demokratie einzustehen.
Menschen, die sich gewehrt und schließlich die Diktatur zu Fall gebracht haben, sollten beispielgebend für die heutige junge Generation sein. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass diese Demokratie verteidigt werden kann und nicht als etwas Selbstverständliches angesehen wird, sondern es ist auch wichtig, dafür zu sorgen, dass sie erhalten bleibt.
Für alle sollte klar sein, dass wir heute hier keinen Schlussstrich ziehen können. Dem Vergessenwerden muss entgegengewirkt werden, und das Erfahrene muss erfahrbar gemacht werden. Das kann aber nicht nur Aufgabe der Institutionen sein, sondern das muss die Aufgabe aller sein. Deswegen würde ich mich freuen, wenn Sie heute unserem Gesetzentwurf mit großer Mehrheit zustimmen.
Nicht zuletzt möchte ich noch Hanka Kliese und Martin Modschiedler für die Zusammenarbeit danken, ebenso Karl-Heinz Gerstenberg und nicht zuletzt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Sachverständigen für ihre Anregungen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Anträge oder Gesetzentwürfe, die von der Regierungskoalition und von Teilen der Opposition im Landtag eingebracht werden, sind ein äußerst seltener parlamentarischer Vorgang.
Entsprechend groß ist das politische Pathos, mit dem eine solche parlamentarische Initiative begleitet wird. Sie schlagen einen hohen Ton an über das wichtige Zeichen bei allen bestehenden Unterschieden der einbringenden Fraktionen. Aber es ist anscheinend auch nicht so wichtig, denn wie schon beim Gedenkstättenstiftungsgesetz ist DIE LINKE auch dieses Mal von der Mitarbeit am Gesetzentwurf ausgeschlossen.
Die Argumentation beim Märzplenum dazu war entsprechend dünn. Deswegen noch einmal zur Erinnerung: In Thüringen stellt DIE LINKE den Ministerpräsidenten, der sich die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit zur Aufgabe gemacht hat. In Brandenburg haben SPD und LINKE gemeinsam eine Enquetekommission zum selben Thema eingerichtet. Der Vorwurf, wir seien unwillig, trifft uns also nicht.