Deshalb schreibt ihr in der Begründung: Na ja, man könnte auch außerhalb der Frist usw. noch Stellung nehmen. Ja, stimmt.
Bei anderen Dingen könnte man das an dieser Stelle auch; offen gestanden: Da seid ihr immer wie die Zicke am Strick.
zeigen wir nicht mit dem Finger auf die EU-Kommission oder auf das Europäische Parlament oder wie auch immer, sondern: dass es hier verhandelt wird, ist Teil dieses Konsultationsverfahrens. Es ist also ermöglicht, lieber Kollege Schiemann. Deshalb glaube ich auch nicht, dass es Sinn macht, die nationale Rechtsetzung nach dem Motto auszubauen: Wir machen das schon alles, sondern: Wir alle zusammen funktionieren in diesem Multi-LevelGovernance-System insgesamt besser, und dann können wir europäische Rechtsetzung auch besser gestalten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Haben Sie dennoch vielen Dank für den vorliegenden Antrag. Er bietet uns die Gelegenheit, über zwei wesentliche Aspekte der Europapolitik in Sachsen zu sprechen. Einerseits müssen wir uns zum zentralen Inhalt des Antrags positionieren, andererseits müssen wir miteinander klar und deutlich besprechen, wie Sie als regierungstragende Fraktionen mit dem wichtigen Instrument des Europaausschusses und der Europapolitik an sich umgehen.
Erstens betrachte ich nun Ihren Antrag. Die Punkte 2 und 3 Ihres Antrages befassen den Landtag mit einem legitimen Ansatz, um die demokratisch gewählten und legitimierten Institutionen in Sachsen, die im System der Multi-Level-Governance der EU wichtige Akteure im EU-Rechtsetzungsverfahren sind – oder zumindest sein sollten –, von den neuen Regelungen des EU-Transparenzregisters auszunehmen. Diesen Ansatz teilen und unterstützen wir, um jeglichen Missverständnissen oder bewussten Unterstellungen oder Verfälschungen von vornherein den Boden zu entziehen.
Zweitens müssen wir feststellen, dass Sie den Kern der Transparenzoffensive der Europäischen Kommission offenbar nicht wirklich verinnerlicht haben. Sie beschränken sich auf die Abwehr unerwünschter Effekte von Vorschlägen der Kommission bzw. solchen interinstitutionellen Vereinbarungen. Gänzlich scheinen Sie das große Bedürfnis breiterer Bevölkerungsschichten nach mehr Transparenz und Klarheit in europäischen und allgemeinen staatlichen Belangen zu ignorieren.
Ich darf Sie auf eine keinesfalls veraltete EmnidBefragung vom November 2015 verweisen: Darin ging es beispielsweise – wir können gemeinsam nachschauen, ich habe es vorliegen – um den Lobbyismus im Deutschen Bundestag, die berühmte Hausausweisfrage. Im Ergebnis ist festzustellen, dass es über alle Kriterien wie Altersgruppen, Parteipräferenzen, Geschlechter, Bildungsniveau der Befragten, Haushaltseinkommen und Ost-WestHerkunftsfragen hinweg eine deutliche Bedürfnisartikulation von mehr als 70 % der Befragten zu mehr Transparenz gab.
Dabei war das Bedürfnis im Osten noch stärker artikuliert als im Westen. Unter den im Ergebnis der öffentlichen Konsultation zu den Transparenzvorschlägen, die uns jetzt vorliegen, veröffentlichten mehr als 1 300 Stellungnahmen – aus Deutschland waren es immerhin 247; mehr als 600 wurden auf Verlangen der Stellungnehmenden allerdings nicht veröffentlicht; so viel zur Transparenz – waren wiederum Länder und Kommunen im Westen der Bundesrepublik stärker bereit, sich im Konsultationsverfahren mit substanziierten Stellungnahmen zu beteiligen, als dies im Osten der Fall war. Mit Osten ist in diesem Sinne das Gebiet der ehemals neuen Bundesländer gemeint.
Drittens will ich ausdrücklich auf die inhaltlich sehr starken Stellungnahmen der Bayerischen Staatsregierung sowie des Regierenden Bürgermeisters von Berlin verweisen, die beide innerhalb der Fristen sehr ausführlich die inhaltlichen Probleme in der Unterscheidung der Teilnahme am Gesetzgebungsverfahren vom Einwirken auf das Gesetzgebungsverfahren darstellen und die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.
Viertens haben sich selbst aus Sachsen Kommunen im Konsultationsverfahren beteiligt. Ich nenne die EU-Büros der sächsischen Kommunen sowie die Stadt Leipzig und die Stadt Hoyerswerda. Auch hier sind sehr substanzielle Einwände gegen die Gleichstellung von Lobbyisten und NGOs mit demokratischen Institutionen eingebracht worden.
Fünftens hat der sächsische Staatsminister für Europaangelegenheiten mit Schreiben vom 19. Mai 2016 – im Übrigen lief das Konsultationsverfahren vom 1. März bis zum 1. Juni 2016 – den Europaausschuss über den Umlaufbeschluss der Europaministerkonferenz vom 5. April 2016 unterrichtet. Das ist am 24. Mai uns Mitgliedern mitgeteilt und weitergeleitet worden.
Eine eigene Stellungnahme der Staatsregierung, Herr Staatsminister, liegt zumindest uns aber nicht vor und ist aus den zugänglichen Übersichten zum Konsultationsverfahren auch nicht ersichtlich. Sehr geehrter Herr Staatsminister, hier wäre es sicherlich interessant, heute dem Hohen Hause – neben dem Hinweis vom 19. Mai, dass eine ähnliche Positionierung durch Beschluss des Landtags im Sinne des Beschlusses der EMK begrüßenswert wäre – die eigene Haltung noch einmal zu verdeutlichen.
Sechstens muss ich der guten Ordnung wegen hier klarstellen, dass der EU-Referent des Landtags, Herr Starke, während der Europaausschusssitzung am 10. Mai auf die Transparenzregelungen und ihre Schwierigkeiten verwiesen hat. Spätestens dann wussten wir also, dass es diese Initiative der EU-Kommission gibt und welche Zeitabläufe vorgesehen sind, bis hin zum Bericht im EU-Parlament am 22. Juni.
Die nächste erreichbare Sitzung des Europaausschusses am 7. Juni verstrich – in dieser Sache zumindest – ungenutzt. Aber der von mir hochgeschätzte Kollege Baumann-Hasske kam während der durch die AfDFraktion initiierten Sondersitzung des Europaausschusses am 22. Juni unter dem Tagesordnungspunkt „Sonstiges“ auf den Gedanken, den Ausschuss zu einem Verfahrensbeschluss für die Sommerpause zu bewegen, um einen eventuell anstehenden, gegebenenfalls erforderlich
Ich wies ihn darauf hin, dass dies ohne weitere Voraussetzungen nur für Subsidiaritätsangelegenheiten gelte. Er zog sein Ansinnen zurück. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das musste zurückgewiesen werden; denn am 22. Juni und noch später bestand keineswegs, auch nicht im Ansatz, eine nach § 40 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung erforderliche Eilbedürftigkeit für einen Beschluss im Umlaufverfahren.
Siebtens bleibt festzustellen, dass Europapolitik, wie wir heute sehen, auch und gerade in essenziellen Fragen der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die regierungstragenden Fraktionen leider nur halbherzig und vor allem als Abwehrinstrument gegen unerwünschte Auswirkungen instrumentalisiert wird. Eine proaktive Rolle als Ausgangsort europapolitischer Initiativen im Sinne gestalten
der Europapolitik in der Verschränkung der Mehrebenenregierung in Europa wird leider von der Koalition bislang verhindert. Die Initiativen, die wir – ich gehe jetzt nur von meiner Fraktion aus – zur Beschlussfassung eingebracht haben, sind allesamt unter fadenscheiniger Begründung abgelehnt worden.
Achtens liegt der in Rede stehende Antrag dem Landtag mehr als nur verspätet vor. Er hat auch keinen tatsächlichen Adressaten; das haben Sie unterlassen. Sie haben auch nicht hineingeschrieben, dass Sie irgendeiner Stellungnahme beitreten wollen. Das alles hätte man sinnvollerweise machen können. So viel zum Handwerk, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Neuntens, Kollege Schiemann, stellt sich uns als Linksfraktion die Frage, ob sich Ihre Transparenzpolitik nun darin erschöpft, diesen Schaufensterantrag feilzubieten, oder ob Sie gewillt sind, nicht nur auf Europa als den vermeintlichen Hort überbordender Bürokratie und demokratischer Defizite zu zeigen, sondern selbst eine entsprechende Transparenzoffensive für die parlamentarische Arbeit und die Regierungsarbeit anzustoßen.
Anlässe dafür gebe es genügend. Ich darf an dieser Stelle auf den viel kritisierten Schulwettbewerb Kindle Storyteller Kids von Amazon verweisen, der durch die Kultusministerin unkritisch gesehen wird. Ganz anders sieht das LobbyControl, die Initiative für Transparenz. Wir könnten hier weitere bedenkliche Entwicklungen darstellen.
Lieber Kollege Schiemann! Lieber Kollege BaumannHasske! Sehr geehrter Herr Staatsminister! Es gibt also viel zu tun, aber warten Sie es bitte nicht ab.
Abschließend bleibt zum Antrag zu sagen, dass wir ihn wegen seiner Defizite, der Verspätung und der Adressatenlosigkeit für nicht zustimmungsfähig erachten. Wir werden uns der Stimme enthalten.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Europäische Kommission, der Europäische Rat, die CDU und die SPD – alles Vereini
gungen, denen das Prädikat, sonderlich transparent zu sein, nicht unbedingt anhaftet. Umso erfreulicher empfindet es meine Fraktion, dass die einreichenden Fraktionen endlich beginnen, sich diesem Thema zu widmen.
Eine weitere gute Nachricht für dieses Haus: Die AfD teilt grundsätzlich das Anliegen des vorgelegten Antrages.
Der Vorschlag der Europäischen Kommission, die Transparenz der Rechtsetzung auf europäischer Ebene durch die Erweiterung des Transparenzregisters zu erhöhen, ist zu begrüßen. Landesregierung und Kommunen, also demokratisch legitimierte Verfassungsorgane, mit Lobbygruppen aus Wirtschaft und Gesellschaft gleichzusetzen ist dagegen zu Recht nicht hinnehmbar. Verfassungsorgane sind nun einmal de facto etwas anderes als organisierte Interessengruppen. Dieser Grundsatz ergibt sich schon aus unserem Grundgesetz. Insoweit gehen wir mit Ihrem eingebrachten Antrag uneingeschränkt mit.
Allerdings wünschen wir uns mehr Konsequenz in Fragen der Transparenz. Sie stimmten der Erweiterung des Transparenzregisters auf europäischer Ebene zu. Wir tun dies auch. Aber wir vermissen in Ihrem Antrag die Forderung oder zumindest den Vorschlag, ein solches Register parallel auf Landesebene für den Freistaat Sachsen einzuführen. Geben sich nicht auch hier in Sachsen Lobbyisten aller Art und Couleur die Klinke in die Hand? Hat der sächsische Bürger hier auf Landesebene kein Recht zu erfahren, wer mit seinen Geldern hofiert wird?
Meine Damen und Herren! Beim demokratischen Gebot der Transparenz möchte ich noch einen Moment verweilen. Es ist ja selbstverständlich, dass die einreichenden Fraktionen keine Strukturreform der europäischen Institutionen beantragen. Es ist jedoch bemerkenswert, wenn sich gerade die Europäische Kommission für mehr Transparenz insgesamt einsetzt.
Der Bürger sollte auch wissen, wie diese Institution funktioniert. Die Kommission wird nämlich nicht etwa demokratisch vom Parlament gewählt, sondern sie wird lediglich vom Europäischen Rat einstimmig im Rahmen eines Systems der Rotation ausgewählt. Selbst der Präsident der Europäischen Kommission ist nur sehr eingeschränkt demokratisch legitimiert. Formal wählt ihn zwar das Europäische Parlament, allerdings erst, nachdem sich die Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit für einen Kandidaten entschieden haben. Letztendlich verbleibt dem Europäischen Parlament lediglich die Möglichkeit der Bestätigung oder Ablehnung. Eine demokratische Wahl, meine Damen und Herren, ist etwas anderes.
Mit welcher Macht nun ist gerade diese urdemokratische Institution ausgestattet? Ich bringe einige Beispiele: Die Kommission ist das einzige EU-Organ, das dem Parlament und dem Rat Gesetzesvorschläge zur Abstimmung vorlegen kann. Die Kommission legt gemeinsam mit dem Rat und dem Parlament die Schwerpunkte der Mittelvergabe fest. Die Kommission verhandelt insgesamt für die EU internationale Verträge im Außenverhältnis. Solch eine gewaltige Machtfülle für ein derart intransparentes
und kaum demokratisch legitimiertes Organ ist kaum noch hinnehmbar. Aber hierzu findet sich natürlich in Ihrem Antrag und in Ihrer Begründung kein Wort, meine Damen und Herren.
Transparenz auf EU-Ebene ist wichtig. Genauso wichtig ist auch die Beseitigung der Divergenz zwischen politischer Macht der Europäischen Kommission einerseits und ihrer fehlenden demokratischen Legitimation andererseits.
Nach alledem, meine Damen und Herren, greift daher der Antrag der Koalitionsfraktionen in doppelter Hinsicht zu kurz. Er greift weder das Grundproblem mangelnder demokratischer Legitimation der EU-Institutionen auf, noch geht er auf fehlende Transparenz im Freistaat Sachsen ein. Eine wahre „Vorbildfunktion“ erfüllt aber der Antrag auch dadurch, dass er in diesem Hohen Haus zur Abstimmung vorgelegt wird, obwohl die entscheidende Frist zur Stellungnahme bereits im Mai 2016 verstrichen ist. Wahrscheinlich hätte die AfD dieses Thema früher bespielen müssen, damit Sie, meine Damen und Herren von CDU und SPD, wenigstens rechtzeitig auf diesen Zug hätten aufspringen können.