Protocol of the Session on September 1, 2016

(Uwe Wurlitzer, AfD: Deshalb wollen Sie dahin zurück, oder was? Das finde ich super! Rückwärtsgewandt! – Gegenruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Ich will nur darauf hinweisen. – Wir halten die Praxis der Einzelfalllösung und die Möglichkeit der Auflösung von Minderjährigenehen, zum Beispiel durch Antrag der Betroffenen oder durch Behörden, beispielsweise aus Erwägungen des Kinderschutzes, für sinnvoll. Eine generelle Heraufsetzung des Heiratsalters und die Möglichkeit der Unwirksamkeitserklärung aller im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen dagegen fände unsere Zustimmung nicht.

(Carsten Hütter, AfD: Wunderbar!)

Ich möchte aber noch auf einen Punkt hinweisen, der uns vor allem wichtig ist: Was wir in diesen Fällen brauchen, ist die Stärkung von Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für weibliche, aber auch für männliche Geflüchtete, sich ihre Rechte, aber auch die Grenzen, die unsere vereinbarten Normen, Riten und religiösen Praktiken setzen, bewusst zu machen. Es braucht empathische, interkulturell geschulte Behörden mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern usw. usf., die kultursensibel Problemlagen und Bedürfnisse erkennen können; und nicht zuletzt muss gesichert sein, dass minderjährige Verheiratete auch den Zugang zu Bildung garantiert bekommen.

Zum Abschluss meines Redebeitrages möchte ich einen Kommentar aus dem „Tagesspiegel“ von Anfang dieser Woche zitieren, der die politische Debatte, die wir hier führen bzw. die bundesweit geführt wird, sehr gut zusammenfasst – Zitat –: „Den Politikern muss schon etwas sehr Gutes einfallen, um eine klügere Regelung zu schaffen“, als wir sie haben, „eine, die Minderjährige besser schützt und zugleich notwendige Spielräume erhält. [...] Bislang drängt sich der Eindruck auf, dass hier ein weiteres Zeichen gesetzt werden soll. Ein Symbol gegen das, was an Fremden nicht willkommen ist.“

(Daniela Kuge, CDU: Freie Rede! – Heiterkeit bei den LINKEN – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Na, na, na!)

Ich habe markiert, dass es sich um ein Zitat handelte.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war ein Zitat zum Abschluss. Frau Nagel sprach für die Fraktion DIE LINKE. Wir kommen nun zum nächsten Redner. Das ist Kollege Baumann-Hasske für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rechtslage ist ja jetzt schon ausführlich erörtert worden.

(Heiterkeit bei den LINKEN – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das geht noch besser!)

Ja, viel besser; aber ich glaube, ich brauche meine Redezeit nicht darauf zu verwenden.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Nein, ich werde jetzt nicht über das internationale Privatrecht referieren – was ich sonst getan hätte, keine Frage.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Das gehört ja dazu, ja?)

Frau Nagel, Sie sagten gerade, dass das Oberlandesgericht Bamberg nur das internationale Privatrecht korrekt angewendet habe und es keine Möglichkeit gegeben hätte, anders zu entscheiden.

(Zuruf der Abg. Juliane Nagel, DIE LINKE)

Das heißt also, es sei nur konsequent die ausländische Ehe anerkannt worden. Das ist den Buchstaben des Gesetzes nach zutreffend. Das OLG Bamberg konnte so entscheiden, die gesetzlichen Voraussetzungen sind so. Allerdings hätte es möglicherweise etwas stärker die Anwendung der deutschen Grundrechte in Erwägung ziehen können. Wir haben einen Grundsatz im IPR, den sogenannten ordre public, Artikel 6 EGBGB.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Sie haben ihn verteidigt. Es gibt allerdings Stimmen, die sagen, er sei in diesem Bereich zu wenig berücksichtigt worden. Ich wollte damit nur sagen: Die rechtlichen Instrumente, um Menschenrechte, Frauenrechte usw. einzubeziehen, sind gegeben. Insofern sehe ich an dieser Stelle eigentlich keinen wesentlichen Änderungsbedarf unserer Rechtsordnung.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Doch!)

Ich würde sagen, dass wir dabei bleiben müssen, dass ausländische Ehen grundsätzlich anerkannt sind. Wir selbst eröffnen im BGB die Möglichkeit, Eheschließungen auch mit Personen vorzunehmen, die unter 18 Jahre alt sind; mit gerichtlicher Genehmigung kann schon ab 16 eine Ehe geschlossen werden. Man müsste sich natürlich darüber unterhalten, was passiert, wenn nach der Zuwanderung ausländische Ehen beurteilt werden müssen, bei denen ein Ehepartner jünger als 16 Jahre ist. Das ist in der Tat eine Angelegenheit, über die zu sprechen sein sollte. Es ist ein Problem, das sich jetzt neu stellt, und ich denke, es ist wichtig, dass die bereits zitierte Bund-LänderArbeitsgruppe einmal darüber nachdenkt.

Ich würde sagen, das Mindestalter von 14 Jahren sollte keinesfalls unterschritten werden. Man kann darüber nachdenken, ob man es tatsächlich gesetzlich kodifiziert. Ich bin allerdings schon der Auffassung, dass die Gerichte auch jetzt in diesen Fällen bereits genügend Instrumentarien haben, um die Ehe gegebenenfalls aufzuheben, und ich denke, wenn Ehepartner(innen) jünger als 14 Jahre sind, dann wird dies in aller Regel auch geschehen. Ich wüsste nicht, was dann dafür sprechen sollte, eine solche Ehe zu bestätigen.

Allerdings sehe ich auch, dass die Ehe bzw. der Ehevertrag auch von unserem Grundgesetz geschützt ist und geschützt bleiben sollte und dies immer einbezogen werden muss. Es ist eine Abwägung, die das Gericht vorzunehmen hat, die es auch jetzt schon vornehmen kann und die bisher zu zufriedenstellenden Ergebnissen geführt hat. Dass dies jetzt unter dem Druck aktueller Ereignisse auch einmal anders ist und eine Entscheidung, die zunächst auf den ersten Blick nicht ganz verständlich ist, zur öffentlichen Skandalisierung führt, ist nachvollziehbar. Menschen, die den Skandal lieben, werden das natürlich dann auch hochziehen; aber ich denke, die Rechtslage ist

eigentlich so, dass die Gerichte sie ordentlich handhaben können, deshalb sehe ich grundsätzlich keinen Änderungsbedarf.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Uwe Wurlitzer, AfD: Alles in Ordnung!)

Kollege BaumannHasske hatte gerade das Wort für die SPD-Fraktion. Dasselbe ergreift nun Kollege Zschocke für die Fraktion GRÜNE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorwegschicken: Ganz klar ist – darin teile ich die Auffassung von UNICEF –, dass die Kinderehe eine Menschenrechtsverletzung ist, die international gebannt werden muss. Meine Damen und Herren von der AfD, Sie benutzen die politische Debatte über Kinderehen aber, um Stimmung gegen den Islam zu machen. Um das Menschenrecht bzw. das Kinderrecht geht es Ihnen nicht, das sagen Sie auch ganz unverhohlen.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Nein, es zu verteidigen, darum geht es uns!)

„Sollen doch die Asylbewerber in die Länder reisen, in denen sie nach Scharia-Regeln leben können“, das sagen Sie, „da können sie ja die Kinderrechte verletzen.“ Ich finde die Haltung, die darin zum Ausdruck kommt, schlimm und entlarvend, weil als Kinder verheiratete Mädchen ihres Rechts auf Schutz, auf Entwicklung und Bildung beraubt werden.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Dann tun Sie etwas dagegen!)

Sie werden in die Rolle einer Ehefrau gezwungen und gehen hohe gesundheitliche Risiken ein, vor allem, wenn sie schwanger werden; und es gibt, wenn Sie sich die weltweite Entwicklung anschauen, einen deutlichen Zusammenhang zwischen Frühehen und Armut. Notwendig wäre wirklich einmal eine Debatte über nachhaltige Armutsbekämpfung, über Initiativen und Kampagnen, die die Rechte von Mädchen auf Gleichbehandlung, auf Bildung, auf Nichtdiskriminierung, auf Schutz vor Gewalt und Ausbeutung stärken; denn weltweit werden jährlich Millionen Mädchen viel zu früh verheiratet. Sie rechnen uns lieber falsche Zahlen angeblicher Scharia-Ehen in Sachsen vor, aber für die Ursachen des Problems interessieren Sie sich offensichtlich nicht.

Noch einmal zu Ihren Zahlenspielen, die Sie ja zurückgenommen, aber vorher kräftig durch die Öffentlichkeit getrieben haben: In der Antwort des Staatsministeriums steht, 22 von den 23 in Sachsen lebenden Minderjährigen, die schon im Kinder- und Jugendalter geheiratet haben, sind 16 Jahre und älter, und auch drei deutsche Staatsangehörige sind darunter, weil nach deutschem Recht unter bestimmten Voraussetzungen die Ehe eben auch ab 16 Jahren möglich ist.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Hört, hört!)

Ich sage es ganz deutlich: Wenn es um Zwang und Gewalt geht, dann darf es keine Rolle spielen, wo und wie Minderjährige geheiratet haben.

Wenn eine junge Frau ihren Ehemann verlassen oder sich in Schutz bringen will, weil sie Übergriffen oder Gewalt ausgesetzt ist, dann müssen die Beratungs-, Hilfs- und Schutzangebote der Jugendhilfe, auch der Frauenschutzhäuser, ohne Hürden zugänglich sein. Wenn Zwang und Gewalt zu erkennen sind, dann muss eingegriffen werden. Es kann aber auch Fälle geben, in denen die Trennung das Leben der Jugendlichen sogar noch erschwert. Darauf gibt es keine einfachen Antworten.

Sie suchen nicht nach lösungsorientierten Antworten. Sie wollen mit dem Finger darauf zeigen, Sie wollen anprangern, Sie wollen Empörung und Hass schüren, und das gelingt Ihnen auch. Wenn man sich die Reaktionen auf Ihre Kampagne in den sozialen Netzwerken anschaut, dann sage ich Ihnen ganz klar: Ihnen gelingt es, Empörung und Hass zu schüren.

(Zuruf von der AfD: Wir reden wenigstens darüber!)

Die Rechtslage ist nicht so eindimensional, wie Sie sich das wünschen. Es existieren verschiedene und miteinander kollidierende Rechtsnormen. Die Gerichte müssen eine Rechtsgüterabwägung im Rahmen der bestehenden Rechtslage vornehmen. Auch zu der viel zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichtes Bamberg, die für öffentliche Empörung gesorgt hat,

(Dr. Frauke Petry, AfD: Bei Ihnen?)

in der eine Ehe einer minderjährigen Syrierin mit einem 21-jährigen Vetter für gültig erklärt wurde, ist noch nicht das letzte Wort gesprochen worden. Es wurde nämlich Rechtsbeschwerde zugelassen.

Der Bundesgerichtshof wird sich mit dieser Frage befassen. Mehr Rechtsklarheit und Handlungssicherheit im Umgang mit unter 16-Jährigen sind diesbezüglich zu erwarten.

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist angesprochen worden. Sie wird der Frage nachgehen müssen, ob die im Ausland von Kindern und Jugendlichen geschlossenen Ehen in Deutschland nicht anerkannt werden, wenn sie zum Beispiel mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts nicht vereinbar sind. Wenn es notwendig sein sollte, werden in der Bundesrepublik dann auch Gesetze angepasst, um die Rechte Minderjähriger besser zu schützen.

Die Suche nach einer rechtsstaatlichen Lösung, meine Damen und Herren von der AfD, wird durch Ihre Skandalkampagne torpediert. Wir kämpfen seit Jahren gegen den Widerstand konservativer Kräfte für die Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen.

(Jörg Urban, AfD: Wir machen das erst möglich!)

Es hat lange gedauert, zum Beispiel das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wirklich durchzusetzen. Ich finde es

wirklich unerträglich, wenn gerade Rechtskonservative und Rechtspopulisten die Kinder- und Frauenrechte immer dann beschwören, wenn sie möglicherweise von Ausländern verletzt wurden.