Protocol of the Session on September 1, 2016

23 minderjährige Verheiratete, alle weiblich, eine unter 16 Jahren, 27 minderjährige verheiratete Flüchtlinge sind nach Sachsen eingereist. Das sind die Zahlen, die wir erheben konnten, wobei das Ministerium in der Tat Schwierigkeiten hatte, dazu Angaben zu machen. Das hat diverse Gründe.

Nun könnte man sagen, minderjährige Ehen seien nur Einzelfälle und Randphänomene, weil: Hunderttausende von Migranten – andere Kulturen, andere Sitten. So wird häufig argumentiert. Für Betroffene allerdings, meine Damen und Herren, für die Mädchen, für die jungen Frauen ist die Missachtung ihrer Würde nicht nur ein Randphänomen, es betrifft sie im Kern ihrer Persönlichkeit und jeder, der weiß, wie labil, wie empfindlich Persönlichkeiten gerade in dem Alter der Pubertät sind, der weiß, was hier für das Leben kaputt gemacht werden kann.

Überhaupt, müssen wir nicht in der Politik sehr häufig über Randphänomene reden? Wir reden zu Recht über die Bekämpfung von Extremismus an beiden Rändern des Spektrums. Wir reden über Einzelfälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Wir reden darüber, weil es richtig ist, in einer freien Gesellschaft darüber zu reden. Also müssen wir auch über Kinder- und Zwangsehen reden und sie eben nicht nur als Randphänomene begreifen, sondern als Tendenzen, bei denen wir eingreifen müssen. Das scheint auch überparteilich – zumindest höre ich es aus den Unionsparteien – bereits Konsens zu sein. Ich höre allerdings wenig von denjenigen Parteien, die sich klassischerweise als diejenigen verstehen, die insbesondere Frauenrechte vertreten, und das betrifft vor allem die GRÜNEN.

Meine Damen und Herren! Es ist völlig klar, dass die Zunahme der Einwanderung, insbesondere die Zunahme der illegalen Migration nach Deutschland, hier zu einer Zunahme des Problems von Zwangs- und Kinderehen führt. Wir müssen gesetzliche Regelungen dafür schaffen, wie wir mit diesem Problem umgehen. Dafür müssen wir uns zuerst darauf verständigen, woher das Problem kommt. Jeder, der ein bisschen ehrlich mit dem Thema Migration umgeht, muss feststellen, dass wir hier durch

die Hintertür oder sagen wir durch unkontrollierte Grenzen Stammessitten, religiöses Schariarecht, ein Moralverständnis der frühmittelalterlichen, vormodernen Welt und einen totalen Gegensatz zum modernen Rechtsstaat importieren.

(Unruhe bei den LINKEN und der SPD)

Das kann man ignorieren, man kann sich wie die LINKEN darüber lustig machen, man versündigt sich aber damit an denjenigen, die man zu schützen glaubt. Das sollten Sie überlegen, wenn Sie sich hier derartig äußern.

(Beifall bei der AfD)

Es ist völlig inakzeptabel, dass schariarechtliche Regelungen vor deutschen Gerichten akzeptiert und damit legalisiert werden. Das muss sich jeder Politiker überlegen. Er muss auch überlegen, welche Verantwortung er für diese Gesellschaft und insbesondere für die betroffenen Mädchen trägt.

Mehr dazu in der zweiten Runde.

(Beifall bei der AfD)

Die erste Runde der Redner wurde eröffnet durch die einbringende AfDFraktion. Es sprach Frau Kollegin Dr. Petry. Die weitere Reihenfolge ist CDU, DIE LINKE, SPD, GRÜNE. Für die CDU spricht jetzt Herr Kollege Anton.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Frage des Umgangs mit im Ausland geschlossenen Minderjährigenehen hat seit Mitte letzten Jahres für Sachsen an Relevanz gewonnen. So ist es wichtig und gut – das will ich dieser Diskussion voranstellen –, dass wir zu diesem Thema im Hohen Hause debattieren.

Wie ist die Rechtslage? Im Ausland wirksam geschlossene Ehen haben grundsätzlich auch in Deutschland Bestand. Die gegenseitige Anerkennung von Ehen ist im internationalen Recht eine vernünftige Sache. Was wäre denn die Folge, wenn Ehen außerhalb der Grenzen des jeweiligen Staates grundsätzlich keine Geltung hätten? Dieser Grundsatz gilt aber nicht schrankenlos. Artikel 6 EGBGB regelt, dass eine Rechtsnorm eines anderen Staates dann nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.

(Zuruf: Hört, hört!)

Die Frage, ob diese Einschränkung ausreicht, um die Anerkennung von Minderjährigenehen wirksam zu verhindern, ist Gegenstand einer Bund-Länder

Arbeitsgruppe, in der auch der Sächsische Staatsminister der Justiz mitwirkt. Wie die Antwort auf diese Frage lautet, hängt nicht zuletzt davon ab, wie ernst wir unsere grundlegenden Werte nehmen.

(André Barth, AfD: Das ist keine Frage!)

Ich bin dankbar, dass die unlängst von den Innenministern beschlossene Berliner Erklärung hierzu eine klare Aussage enthält. Ich zitiere: „Minderjährigenehen entsprechen nicht unseren Werten.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Regeln zur Ehemündigkeit sind Ausfluss unserer grundlegenden Wertvorstellungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen und deren Menschenwürde. Die Ehe eines Kindes mit einem Erwachsenen ist mit diesen Werten unvereinbar. Wir würden uns an diesen Kindern und Jugendlichen versündigen, wenn wir hier irgendwelche Abstriche machen würden. Jedes Kind und jeder Jugendliche hat das gleiche Recht auf Schutz. Die Ehemündigkeit sollte deshalb allein nach den Maßgaben des deutschen Rechts beurteilt werden,

(Dr. Frauke Petry, AfD: Richtig!)

dem selbstverständlich auch Angehörige fremder Kulturen ohne Wenn und Aber zu unterwerfen sind, wenn sie ihren Wohnsitz in Deutschland haben.

Was bedeutet die Anwendung deutschen Rechts konkret?

Erstens. Ehen mit Kindern bzw. Jugendlichen unter 16 Jahren können unabhängig von der Rechtslage im Herkunftsland aufgehoben werden.

Zweitens. Ich will es mit aller Deutlichkeit sagen: Die Vornahme sexueller Handlungen an Personen unter 14 Jahren ist Kindesmissbrauch. Daran vermag kein Trauschein dieser Welt irgendetwas zu ändern.

(Beifall bei der CDU, der AfD und vereinzelt bei der SPD)

Das Kind ist unverzüglich in die Obhut des Staates zu nehmen und der erwachsene Ehepartner nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuches zu bestrafen.

Drittens. Der Vollzug der Ehe mit einer 14- oder 15Jährigen erfüllt immerhin den Straftatbestand des Missbrauchs von Minderjährigen, zumindest wenn der erwachsene Ehepartner wenigstens 21 Jahre alt ist. Auch wenn es sich hier um ein Antragsdelikt handelt, gilt es, das festzustellen.

Viertens. Zwangsehen sind unabhängig vom Alter der Ehepartner strafbar. Auch in diesen Fällen kann die Ehe aufgehoben werden.

Die uneingeschränkte Anwendung deutschen Rechts gewährleistet damit den Schutz der Kinder und Jugendlichen. Unbefriedigend ist allerdings, dass § 1314 BGB lediglich vorsieht, dass bei fehlender Ehemündigkeit die Ehe aufgehoben werden kann. Mindestens für die Fälle, in denen Ehepartner unter 14 Jahren beteiligt sind, sollte die Ehe kraft Gesetzes als nichtig gelten.

So ist auch das Urteil des Oberlandesgerichts Bamberg zu erklären. Die Aufhebung der Ehe war in diesem Verfahren gar nicht beantragt. Deswegen konnte das Gericht die Ehe auch nicht aufheben. Da liegt das Versäumnis an einer anderen Stelle.

Komplizierter ist die aktuelle Rechtslage bei 16- oder 17jährigen Jugendlichen. Auch für diese Altersgruppe ist die Ehemündigkeit grundsätzlich erst ab der Volljährigkeit gegeben, jedoch kann das Familiengericht hier auf Antrag eine Befreiung von der Erforderlichkeit der Volljährigkeit erteilen. Wie man in diesem Zusammenhang mit bereits im Ausland geschlossenen Ehen umgehen soll, ist in der Tat keine leichte Frage.

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Das kann man in internationalen Verträgen festlegen!)

Die kontroversen Meinungen reichen von der nachträglichen Prüfung einer Befreiung über die Abschaffung dieser Ausnahmeregelung bis hin zur Frage des Alters für die Ehemündigkeit.

Die Redezeit!

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der AfD und des Abg. Henning Homann, SPD)

Kollege Anton sprach für die CDU-Fraktion. Jetzt hat Frau Nagel für die Fraktion DIE LINKE das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wenn Kinder heiraten (müssen) – 56“ – jetzt korrigiert – „Kinderehen in Sachsen“, so lautet der Titel dieser Debatte. Frau Dr. Petry, Sie sind dankenswerterweise schon auf den Fehler eingegangen. Es ist natürlich eigenartig, wenn man einen Titel erst aufplustert und dann seine Kleinen Anfragen richtig liest und sich ein bisschen zurückzieht. Der Titel weckt aber auch im zweiten Teil die Intention, dass Sie ein äußerst sensibles Thema – auch wir finden es gut, dass wir hier über dieses Thema sprechen können – vor Ihren rassistischen Karren spannen wollen.

(Proteste von der AfD – Dr. Frauke Petry, AfD, steht am Mikrofon.)

Wir wollen in Ruhe darüber sprechen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich würde gern ausführen.

Es sind, wie wir gehört haben, 23 Minderjährigenehen, die es momentan in Sachsen gibt. Ob diese jungen Menschen – es sind zu 98 % eben keine Kinder mehr, sondern Über-16-Jährige – wirklich heiraten mussten, wie der Titel eingeklammert suggeriert, wissen wir nicht. Wenn wir das absolute Gros der Minderjährigenehen in Sachsen anschauen, dann müssen wir konstatieren, dass diese rein faktisch mit unserem Recht vereinbar sind. Dabei ist ausgeblendet, wann die Eheschließungen stattgefunden haben.

Kollege Anton hat die rechtliche Situation vor mir schon ausgeführt. Wir haben den Artikel 1303 BGB und die Bestandsschutzregelungen für im Ausland geschlossene Ehen. Genau das griff im medial beachteten Fall am Oberlandesgericht Bamberg bei der Wirksamkeitserklärung einer Ehe zwischen einer 15-Jährigen und einem 21Jährigen, die in Syrien geschlossen wurde.

Die Knackpunktfrage ist nun, ob wir diese Bestandsschutzregelungen anpassen wollen. In Deutschland geschlossene Kinderehen können bereits unter bestimmten Voraussetzungen nach Bürgerlichem Gesetzbuch aufgehoben werden. Über diese Knackpunktfrage – das werden wir hier sicher noch miterleben – können jetzt Juristinnen und Juristen trefflich streiten. Aber es ist auch eine politische Frage, genau wie jene, wenn wir über das Burkaverbot oder über Kopftücher diskutieren. Sie, meine Damen und Herren von der AfD und womöglich auch von der CDU, wollen dies mit der christlichen Werteordnung und dem Sittlichkeitsgefühl beantworten. Unsere Richtschnur sind Menschen, Kinder und hart erkämpfte Frauenrechte.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Ganz genau! Furchtbar! Mit 15!)

Gibt es Anzeichen für Zwangsverheiratung, für die Missachtung von Selbstbestimmung oder Kindeswohlgefährdung, dann müssen die Ehen sehr wohl auflösbar sein. Ich möchte an diesem Punkt einschieben, dass wir uns vergegenwärtigen müssen, dass auch die hiesige Rechtsordnung nicht in Stein gegossen war, sondern sich im Fluss der Zeit verändert hat. So patriarchal und im Grunde frauenfeindlich uns das sunnitisch-syrische Eherecht entgegentritt – Mädchen gelten dort ab 13 und Jungen ab 15 als heiratsfähig, wenn richterlich die Geschlechtsreife festgestellt wird und ein männlicher Vormund es befürwortet –, so wenig fortschrittlich war das Eherecht in der BRD bis 1974; das ist sicher bekannt. Mädchen galten hier ab 16 Jahren als heiratsfähig, Männer ab 21 Jahren, und mit Zustimmung des Vaters konnte dieses Alter, 16 Jahre, unterschritten werden.

(Mario Beger, AfD: Zurück zum Thema, bitte!)

Die Praxis von geschlechterdiskriminierenden Minderjährigenehen war also hier bis vor circa 40 Jahren auch Recht und Gesetz.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Deshalb wollen Sie dahin zurück, oder was? Das finde ich super! Rückwärtsgewandt! – Gegenruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)