Protocol of the Session on February 3, 2016

2. Aktuelle Debatte

Angriffe auf Flüchtlinge und Ehrenamtliche –

Wachpolizei und Gründung von Bürgerwehren –

Regierungsverantwortung für funktionierenden Rechtsstaat wahrnehmen

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Als Antragstellerin erhält die Fraktion DIE LINKE das Wort. Es wird ergriffen von Frau Abg. Köditz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Laut offiziellen Zahlen der Sächsischen Staatsregierung gab es in Sachsen im Jahr 2015 101 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte. Am letzten Wochenende gab es mindestens fünf Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen. Der Polizeipräsident Merbitz macht sich Sorgen und spricht von einer Pogromstimmung, die eine kreuzgefährliche Intensität bekomme.

Ich teile diese Sorgen. Es sind nicht nur die Angriffe auf Unterkünfte, sondern auch die Angriffe gegen Menschen. Allein für den Monat Dezember sind unzählige derartige Straftaten bereits erfasst. Ich will einige Fälle vortragen – nachzulesen in meiner Kleinen Anfrage 6/3691: „3. Dezember, Chemnitz: Körperverletzung, Gegenstand, in/an Ausländer, Wohnung, zum Nachteil Person(en) aus Indien; 6. Dezember, Frankenberg: Körperverletzung, Gegenstand, in/an Ausländer, Straße; Öffentlichkeit, zum Nachteil Person(en) aus Ghana; 20. Dezember, Freital: Körperverletzung, in/an Ausländer, Straße; Öffentlichkeit, zum Nachteil Person(en) aus Tunesien; 23. Dezember – ein Tag vor Weihnachten –: Dresden, Körperverletzung, Waffe – Hieb-/Stichwaffe, in/an öffentlichen Verkehrsmitteln, Ausländer, zum Nachteil Person(en) aus Somalia.“

Entschuldigen Sie an dieser Stelle bitte meine Sprache; ich habe es so zitiert, wie es mir die Staatsregierung mitgeteilt hat.

Aber auch Ehrenamtliche, die sich für Flüchtlinge einsetzen, werden bedroht, in ihrer Arbeit behindert und beschimpft.

Was werden diese Opfer von den jetzt vielerorts entstehenden Bürgerwehren zu erwarten haben? – Ich denke, nichts Gutes. Bundesweit werben derzeit 40 sogenannte Bürgerwehren öffentlich um Unterstützung. Bei fast allen diesen Gruppierungen ist die rassistische Stoßrichtung klar erkennbar: Feinbild sind Asylsuchende. Wo solche Bürgerwehren auf die Straße gehen, fällt ihre Zusammensetzung schnell ins Auge. Wir sehen Neonazis und andere extreme Rechte; wir sehen Hooligans und auch Mitglieder von Rockerklubs. Solche Leute sorgen bestimmt für vieles – aber niemals für Sicherheit.

Schauen wir nach Sachsen: Das Konzept Bürgerwehr ist in Sachsen leider nicht neu. Bekanntestes Beispiel war in den Jahren 2012 und 2013 das Deutsche Polizeihilfswerk. Es handelte sich um mehrere Hundert Personen, zumeist Anhänger der sogenannten Reichsbürgerszene. Diese

Personen haben sich uniformiert und sind unter anderem gewaltsam gegen Gerichtsvollzieher vorgegangen. Anfang März 2015 gründete sich in Meißen die Initiative Heimatschutz. Sie tritt bis heute mit Kundgebungen und Aufmärschen in Erscheinung. Ende April 2015 gründete sich in Freital die Bürgerwehr „FTL 360“ – benannt nach einer Buslinie. Nach rund einem halben Jahr wurden führende Kräfte dieser Gruppe, darunter mehrere Neonazis, festgenommen. Ihnen werden Gewaltstraftaten und Anschlagshandlungen vorgeworfen.

Auch hier ist klar: Diejenigen, die vorgeben, für Sicherheit sorgen zu wollen, sind mitunter selbst Kriminelle. Sie sind keine Hilfe, sondern eine akute Gefahr. Wer ihr Treiben zulässt, macht die schlimmsten Böcke zum Gärtner.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich habe Anfang 2015 und auch im Frühjahr 2015 Anfragen zu Bürgerwehren gestellt. Zunächst behauptete die Staatsregierung, ihr seien keine Bürgerwehren bekannt. Dann hieß es, es gebe sie doch, aber man wisse nichts darüber. Dieses Nichtwissen ist einfach beängstigend, denn die bekannten Beispiele in Sachsen zeigen, mit welchen Leuten wir es hier zu tun haben.

Die Redezeit geht zu Ende, Frau Kollegin.

Wer für Sicherheit sorgen will, muss diesen Gefährdern, egal, wie nobel ihre sogenannten Absichten sind, eine deutliche Abfuhr erteilen.

Ihre Redezeit ist zu Ende!

An dieser Stelle möchte ich dem Justizminister Sebastian Gemkow für seine klaren Worte danken. Sie waren dringend notwendig, nachdem der Innenminister zum Thema nichts sagte.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Frau Köditz für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt spricht Kollege Hartmann für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird mir jetzt sichtlich schwerfallen, mich in fünf Minuten zu dem Potpourri an Themen dieser Debatte abzuarbeiten. Es zeigt natürlich einen in der Sache unzulässigen Ge

mischtwarenladen, der nur schwer auseinanderzunehmen ist.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE, und Carsten Hütter, AfD)

Die Debatte, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht aus dem Kontext der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung unseres Landes herauszulösen. Damit erlauben Sie mir erst einmal einzusteigen mit einem Dank und einer Wertschätzung für die Bevölkerung, die die aktuellen Herausforderungen und die damit verbundenen Belastungen tagtäglich zu tragen hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum ich das an den Anfang stelle, hat etwas mit dem Debattenbeitrag zu tun, der etwas suggerieren will: Angriff auf Flüchtlinge und Ehrenamtliche, Wachpolizei und Gründung von Bürgerwehren. Im gleichen Kontext: Regierungsverantwortung für funktionierenden Rechtsstaat wahrnehmen.

Klar, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist unstrittig: Angriffe auf Flüchtlinge, die Schutz suchen, auf Ehrenamtliche, die helfen wollen, sind inakzeptabel – egal, von wem und vor welchem Hintergrund.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei den LINKEN)

Sie sind jedoch nicht die Einzigen, die sich Anfeindungen ausgesetzt fühlen – auch Journalisten, Politiker, Wachleute und nicht zuletzt die Beamtinnen und Beamten unserer sächsischen Polizei. Es ist klar zu sagen: Eine Grenze ist da erreicht, wo verbale Äußerungen in blinden Hass und Gewalt umschlagen. Das ist nicht zu dulden. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir allein von Oktober bis Dezember 2015 in Sachsen 276 registrierte Versammlungen mit einer Vielzahl von Körperverletzungen hatten, dann ist das indiskutabel und bedarf des konsequenten staatlichen Handelns.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich warne aber an dieser Stelle davor, leichtfertig mit Begriffen zu spielen, und dazu gehört auch der Begriff „Pogrom“.

220 schwere Straftaten gegen Asylbewerberheime bundesweit – das ist indiskutabel; und leider steht Sachsen sehr einsam an der Spitze, das ist nicht zu leugnen. 69 schwere Straftaten entfallen auf Sachsen. Damit sind wir leider einsamer Spitzenreiter. Wir haben uns also mit dem Thema intensiver auseinanderzusetzen.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte und Übergriffe auf Asylbewerber sind nur eine Seite der Medaille. Dazu gehört – neben der Konfrontation mit Übergriffen der deutschen Bevölkerung – auch die Diskussion über die Situation, die wir in Asylbewerberheimen und im Umgang von Asylbewerbern untereinander erleben; nämlich die Tatsache, dass ein Teil der Flüchtlinge auch kriminellen Auswüchsen von anderen Asylbewerbern ausgesetzt ist. Zur Wahrheit gehört dazu – und da will ich hier nur das Beispiel von

Köln anbringen –, dass es auch Übergriffe von Asylbewerbern auf Deutsche gibt. Ich warne hier vor pauschalen Debatten und erwarte eine sehr differenzierte und ernsthafte Auseinandersetzung.

Es gehört dazu vor allem auch die Frage der Integration, nämlich der Definition von Werten, Normen und Rechtsvorstellungen, die für jeden in diesem Land gelten – egal, ob er hier lebt oder ob er hierherkommt. Wer sich daran nicht hält, muss mit entsprechenden straf- und asylrechtlichen Konsequenzen leben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der AfD)

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie betreiben mit Ihrer Debatte auch ein leichtfertiges Spiel mit dem Rechtsstaat.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Echt?)

Denn die Verantwortung der Staatsregierung infrage zu stellen – so wie es der Titel Ihrer Debatte suggeriert, als ob sie den Rechtsstaat infrage stellen – schießt sehr stark am Ziel vorbei und ist bestenfalls billiger Populismus.

Ein Rechtsstaat, meine sehr geehrten Damen und Herren – hier beziehe ich mich auf die Landeszentrale für politische Bildung –, bezeichnet einen Staat, in dem die Regierung und die Verwaltung nur im Rahmen bestehender Gesetze handeln dürfen, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger müssen garantiert sein, staatliche Entscheidungen müssen durch unabhängige Gerichte überprüft werden können.

Deshalb frage ich Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wo sehen Sie das in Sachsen gefährdet?

Die Redezeit geht zu Ende.

Ich kann Ihnen aber sagen, an welcher Stelle ich diese Situation gefährdet sehe – und dazu komme ich in meinem zweiten Debattenbeitrag, ohne rechts zu verharmlosen –: in der Debatte des Umgangs des Linksextremismus mit der Polizei in diesem Land.

(Petra Zais, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Herzlichen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU – Vereinzelt Beifall bei der AfD – Zurufe von den LINKEN – Starke Unruhe)

Frau Zais, wollten Sie eine Kurzintervention halten? – Nein, gut. Das war Kollege Hartmann von der CDU-Fraktion. Jetzt spricht Kollege Pallas für die SPD.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich bei der beantragenden Fraktion für die Gelegenheit bedanken, hier darzustellen, wie ernst diese Staatsregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen von CDU und SPD

den Kampf für einen starken demokratischen und handlungsfähigen Rechtsstaat nehmen. Ich möchte allerdings auf diese Kernfrage erst in der zweiten Runde eingehen.

Meinen ersten Beitrag möchte ich dafür benutzen, um auf eine weitere Gefahr für unseren Rechtsstaat und die Demokratie in Deutschland einzugehen. Meine Damen und Herren! In diesem Sächsischen Landtag ist eine Partei vertreten, deren Bundesvorsitzende kürzlich allen Ernstes gesagt hat, Polizisten müssten illegalen Grenzübertritt verhindern und notfalls dafür auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. Dabei ist sie auch unterstützt worden von einer Parteikameradin aus dem Europaparlament, die auch auf Kinder schießen lassen wollte. Doch ist die Rechtslage eindeutig, meine Damen und Herren.