Protocol of the Session on February 3, 2016

(Allgemeines Gelächter – Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der Kollege Heidan – er ist anwesend, er lacht jetzt schon – hat dazu etwas gesagt.

(Lachen bei den LINKEN)

Kollege Heidan hat gesagt: „Auch Ihre sozialistischen Vorstellungen von der Verteilung des volkswirtschaftlich Erreichten muss kläglich scheitern.“

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Sebastian Scheel)

Ja, klatschen Sie ruhig! Da fällt mir ein Zitat ein, das immer so hintersinnig war. Es passt zu dem, was ich gerade gesagt habe. Es gab in der DDR ein schönes Sprichwort, das damals ein bekannter Politiker verwendet hat – Sie kennen es –: „Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.“

(Allgemeine Heiterkeit – Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dieser Erfahrung bleibe ich ganz ruhig, was die Debatte und die aufgeregte Diskussion zu den Aufzeichnungspflichten bei der Arbeitszeit betrifft. Das teilweise Gebrüll des vermeintlichen Demokratiemonsters – Herr Kollege Krauß sprach es an – bei den Arbeitgebern weist eigentlich nur auf die Missstände hin, die es schon seit Jahren gibt. Das Arbeitszeitgesetz sieht schon immer eine Dokumentation von Arbeitszeiten vor, die über acht Stunden hinausgehen.

Wenn man übrigens Überstunden nachweisen will, muss man vorher natürlich die Regelarbeit dokumentiert haben, sonst funktioniert das überhaupt nicht. Hier wird jedoch offensichtlich von einigen Arbeitgebern seit Jahren dagegen verstoßen; darauf möchte ich hinweisen. In

Branchen, für die der für allgemein verbindlich erklärte Mindestlohn nach der Arbeitnehmerüberlassungsentsendung gilt, gibt es schon immer eine generelle Aufzeichnungspflicht. Dabei ist vorgeschrieben, Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit zu dokumentieren. – So viel dazu.

Damals haben die Arbeitgeber übrigens auf den Aufschrei verzichtet. Warum wohl? Weil es politisch opportun war – oder auch nicht opportun; es gab jedenfalls keine Debatten darüber.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach meiner zehnjährigen Erfahrung bezüglich der Debatte über den Mindestlohn bin ich mir ziemlich sicher, dass dieses Aufbäumen das ziemlich letzte Gefecht der Gegner des Mindestlohns ist. Den Kollegen Kritikern in der CDU kann ich nur zurufen: Vertrauen Sie auch diesmal weiterhin der LINKEN!

(Vereinzelt Lachen bei der CDU)

Die Geschichte des Mindestlohnes zeigt: Mit uns wird alles gut.

Vielen Dank!

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Herr Kollege

Tischendorf sprach für die Fraktion DIE LINKE. – Vielleicht noch ein Hinweis: Er hat umfänglich aus Landtagsprotokollen und anderen Quellen zitiert. Das kann er wortwörtlich machen, sofern es auf saubere Weise geschieht. Die Fülle der Zitate darf durchaus auf dem Redezettel erscheinen.

(Allgemeines Gelächter)

Das soll jetzt keine Empfehlung sein; aber das ist nach unserer Geschäftsordnung ganz legitim möglich.

Wir fahren jetzt in der Rednerliste fort. Für die AfDFraktion spricht jetzt Frau Kollegin Grimm.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir debattieren heute zum Thema „Ein Jahr Mindestlohn – Bilanz und Ausblick“. Ziehen wir Bilanz: Seit Januar 2015 gibt es den Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro.

Bundesweit ist die Zahl der Erwerbstätigen im dritten Quartal 2015 um 0,8 % gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen. In den ersten vier Monaten 2015 wurden bundesweit 216 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Hier werden die Branchen Gastgewerbe, Leiharbeit, Wachdienste, Gebäudereinigung, Sozialwesen und Verkehr aufgeführt. Dennoch ist die Zahl der Beschäftigten in den alten Bundesländern um 0,9 % gestiegen, aber in den neuen Ländern um 0,3 % gesunken. Hängt das wirklich mit dem Mindestlohn zusammen? Wesentlichere Voraussetzung war natürlich die gute Konjunktur. Der Mindestlohn war bei der Entstehung der Arbeitsplätze nicht hinderlich.

Entscheidender als der Mindestlohn ist folglich die konjunkturelle Entwicklung, die auch mit einem Mindestlohn positiv sein kann. Die Betriebe, die schon jahrelang einen Fachkräftemangel haben oder damit kämpfen, müssen den Arbeitnehmern ohnehin schon mehr als 8,50 Euro zahlen, um überhaupt Arbeitskräfte zu bekommen.

Hier ist zu erkennen: Die Nachfrage regelt den Lohn. Die Zahl der geringfügig Beschäftigten ist bis September 2015 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 194 000 zurückgegangen. Spürbare Veränderungen gibt es im Einzelhandel. Durch die extrem langen Öffnungszeiten wurden dort in den Morgen- und Abendstunden häufig Aushilfsarbeitsplätze geschaffen. Diese müssen jetzt dokumentiert werden. Sie sind überwiegend in versicherungspflichtige Teilzeitjobs umgewandelt worden. Hier hat die Aufzeichnungspflicht ihre Pflicht erfüllt. Für Minijobs ist das absolut sinnvoll.

Das andere wurde schon etwas nach unten korrigiert. Hier sagte schon mein Vorredner, dass die Aufzeichnungspflicht nur noch bis 2 000 Euro besteht. Das ist schon ein kleiner Erfolg. Betrachten wir jedoch Sachsen: In Sachsen waren es 2015 0,2 % weniger Beschäftigte als im Vorjahr. Es gab Stellenstreichungen im Baugewerbe, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe. Zusätzliche Stellen gab es hingegen in der Industrie, was wiederum mit der Konjunktur zu tun hat.

Unserer Meinung nach kann man nach einem Jahr keine abschließende Bewertung vornehmen, zumal die Bewertung in die Zeit einer sehr guten Konjunktur fiel und eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften vorhanden ist. Deshalb gab es auch auf die Statistik keine negativen Auswirkungen.

Was ist aber in Zeiten des nachlassenden Wirtschaftswachstums? Wie reagieren dann die Arbeitgeber? Werden sie die Arbeitnehmer schneller entlassen? Die Auswirkungen zeigen sich erst später, weil Unternehmen mit zeitlicher Verzögerung reagieren. Daher sollten keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden. Verlässliche Aussagen sind definitiv erst nach einem längeren Zeitraum und unter Einbeziehung von Zeiten schlechterer Konjunktur möglich.

Welche einzelbetrieblichen Auswirkungen gab es in Sachsen? Die Autozulieferer im internationalen Wettbewerb verlagerten Teile der Herstellung ins Ausland. Laut der Studie im Auftrag der DEHOGA Sachsen verkürzten Hotel- und Gaststättenbetriebe ihre Öffnungszeiten, kürzten am Personal, erhöhten die Preise, und es kam zu Umsatzrückgängen.

(Zuruf von der Staatsregierung: Wegen des Mindestlohns oder wegen des Arbeitszeitgesetzes?)

Vor allem in ländlichen Kleinbetrieben und im grenznahen Raum können die Preise in den Gaststätten nicht erhöht werden, und das ist ein riesiges Gebiet in Sachsen. Die Bäcker- und Fleischerbetriebe kämpfen mit der

höheren Bürokratie durch die vorgeschriebenen Dokumentationspflichten und fordern eine Entlastung ihrer Betriebe durch die Senkung der EEG-Umlage, um die wirtschaftliche Situation zu verbessern und die Stabilität wiederherzustellen.

Ein ganz großes Problem hat das Schaustellergewerbe. Es kämpft auch mit den Auflagen des Mindestlohngesetzes, denn für die Betriebe im Saisongeschäft ist die jetzige Regelung völlig praxisfern und zum Teil existenzbedrohend, zumal die Schausteller in der Saison am Arbeitsort wohnen. Wie trennt man hier Arbeitszeit und Freizeit?

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Auch in Forschung und Wissenschaft sollten die Dokumentationspflichten eingeführt werden, da hier viele wissenschaftliche Mitarbeiter länger arbeiten müssen, als es im Vertrag vorgeschrieben ist.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Für die AfD-Fraktion sprach Frau Kollegin Grimm. Jetzt spricht Frau Kollegin Zais für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Ein Jahr Mindestlohn in Sachsen – Bilanz und Ausblick“, so lautet der Titel der heutigen Aktuellen Debatte. Ganz kurz zum Rückblick und zur politischen Bewertung: Blickt man zurück, so kann und wird man künftig ganz klar sagen, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland eines der besten Dinge gewesen sein wird, die die SPD in Regierungsverantwortung vollbracht hat – ein Vorredner hat es heute schon gesagt –, natürlich unter tatkräftiger Hilfe der Opposition. Ja, es stimmt: tatkräftige Hilfe sowohl der parlamentarischen als auch der außerparlamentarischen Organisationen, wenn ich hier zum Beispiel an die Gewerkschaften denke.

Aber Rückblick bedeutet auch – das muss man ganz klar sagen –, dass die Verweigerung Sachsens im Bundesrat bei der Zustimmung zum Gesetz über den gesetzlichen Mindestlohn zu den peinlichsten Momenten für Sachsen gehören wird. Sachsen hat, als es um das Verhalten zum Mindestlohn ging, eine Politik fortgesetzt, die auf Dauer im Grunde genommen staatliche Subventionierung von Lohndumping zulasten der Beschäftigten, insbesondere in Sachsen, bedeutet hat, und, wenn man das Thema mit Blick auf die gesellschaftliche Wirkung betrachtet, eigentlich über Jahre die ineffizienteste Form der Wirtschaftsförderung hier in Sachsen vorangetrieben hat. Aber es ist Geschichte. Mittlerweile hat sich auch innerhalb der CDU die Meinung zum Mindestlohn geändert.

Was sind die hauptsächlichen positiven Effekte für Sachsen? Einiges ist hier bereits genannt worden. Ganz klar muss man sagen, dass insbesondere die traditionellen Niedriglohnbereiche profitiert haben. Frau Grimm, Sie

haben nicht ganz recht mit dem, was Sie hier gesagt haben. Gerade mit Blick auf die Dienstleistungsbranche ist festzustellen, dass insbesondere im Osten eine stark benachteiligte Gruppe, nämlich die Frauen im Gastronomiebereich, vom Mindestlohn profitierten; es waren 19,5 % der Frauen, die im Gastrobereich beschäftigt sind. Ich meine: Das ist ein guter Erfolg, zumal Frauen besonders von Niedriglohnpolitik betroffen waren. Sie waren hauptsächlich im Bereich der Minijobs beschäftigt. Insofern ist der gesetzliche Mindestlohn bundesweit, aber auch in Sachsen, ein Erfolgsmodell, das das Armutsrisiko verringert und auch mit Blick auf die Altersarmut positivere Ausgangsbedingungen schafft.

Aber neben dem, was wir alle so positiv feiern, sollte man natürlich nicht vergessen, dass es nach wie vor Probleme gibt. Kollege Homann, Sie haben das Thema Schwarzarbeit angesprochen. Es hat eine Veröffentlichung in der „Sächsischen Zeitung“ dazu gegeben. Was man nicht vergessen darf, ist, dass nach wie vor 10,8 % der Wirtschaftsleistung in Deutschland im Schwarzmarktsektor stattfinden; das sind 336 Milliarden Euro. Natürlich sind das 5 Milliarden Euro weniger als 2014. Aber – und das gehört auch zur Wahrheit – es könnten wesentlich weniger sein, wenn insbesondere der Personalabbau im Bereich der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ gestoppt werden würde, der Abzug von Personal in andere Bereiche staatlicher Verwaltung nicht so rasant vonstatten gehen würde und der Aufbau eben nicht erst bis 2019 ausgedehnt werden würde.

Ein Thema, das wir GRÜNE bei der Debatte um den Mindestlohn immer wieder benennen wollen – wo wir uns schon Sorgen machen, dass es zur Absenkung von Standards kommt –, ist die Frage: Wie wollen wir künftig beim Thema Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt mit dem Thema Mindestlohn umgehen? Hierzu gibt es sehr kreative Ansätze, aber ich kann im Moment noch nicht feststellen, dass es tatsächlich ein stringentes Bemühen der Regierungskoalition darum gibt, die Unterschreitung des Mindestlohns genau für diese Gruppe eben nicht zu vollziehen. Das ist so eine Befürchtung. Hier erwarten wir von der Koalition, dass sie damit nicht eine weitere Gruppe aufmacht, die faktisch auf Jahre vom Mindestlohn ausgeschlossen sein wird.

So viel, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den grünen Positionen. Wir hoffen, dass der Mindestlohn weiter seinen Weg nimmt. Zum Abschluss noch ein Zitat. Man hat ja insbesondere auf die Handwerker geschaut und gesagt: Oh, das wird alles ganz kritisch sein. Es hat einen interessanten kleinen Artikel in der „Freien Presse“ gegeben. Der Kreishandwerksmeister Lothar Winter, Zwickau, sagte, dass zumindest für die Handwerker in Westsachsen der befürchtete wirtschaftliche Einbruch ausgeblieben sei, und er könne sich sogar vorstellen, dass der Mindestlohn über kurz oder lang noch einmal angehoben werde.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mit dem Beitrag von Frau Zais sind wir am Ende der ersten Rednerrunde angekommen. Wir kommen zur zweiten Rednerrunde. Für die einbringende Fraktion CDU eröffnet Herr Kollege Colditz die zweite Rednerrunde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, es ist gut und richtig, dass sich die Parlamente ab und zu einmal über die Wirkung dessen, was sie gesetzlich verabschieden, verständigen und analysieren: Wie kommt das in der Bevölkerung an, wie ist die Wirkung dessen, was sie gesetzlich verabschiedet haben?

Insofern wäre es gerade auch mit Blick auf diese Debatte eigentlich wünschenswert – es ist natürlich nicht realistisch –, wenn heute hier am Rednerpult oder vielleicht sogar im Auditorium nicht nur Abgeordnete und Politiker vertreten wären, sondern vielleicht auch Arbeitgeber, Unternehmer und auch Arbeitnehmer, die gemeinsam das, was wir als Mindestlohn festgelegt haben, erst einmal erwirtschaften müssen. Dann hätten wir möglicherweise eine sachlichere, intensivere und auch differenziertere Diskussion, als wir sie zurzeit führen.

Ich will aber trotzdem voranstellen, meine Damen und Herren, auch aus politischer Sicht: Ich meine, angesichts des Themas verbietet sich Euphorie genauso wie fundamentales erneutes Infragestellen. Beides ist sicherlich nicht zielführend. Wir sollten bei aller positiven Entwicklung des letzten Jahres aber trotzdem auch davon ausgehen, dass es Probleme gibt, und uns davor hüten, die Situation nur gesundzubeten. Da hilft zum Beispiel auch keine Stellungnahme der gewerkschaftsnahen HansBöckler-Stiftung, die da original schreibt – ich zitiere –: „Alle Studien haben sich blamiert. Nun sehen wir in Wirklichkeit: Er, der Mindestlohn, hat keine negativen Auswirkungen gehabt.“