Meine Damen und Herren! Es sind die Bilder, die wir gesehen haben, die die Terroristen wollen, die in unsere Wohnzimmer gelangen, damit wir zaudern und verunsichert sind, meine Damen und Herren. Doch jetzt gilt es mehr denn je, dass wir für unsere Grundwerte eintreten und diese auch leben.
Der norwegische Regierungschef Stoltenberg hat angesichts der furchtbaren Anschläge im Jahr 2011 in Oslo etwas gesagt, was, glaube ich, für uns heute genauso gilt, wie es damals für die Norweger richtig war. Ich zitiere: „Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“
Meine Damen und Herren, diese Worte von Jens Stoltenberg sollten uns in unserem Handeln hier in Sachsen täglich Mahnung sein, aber letztendlich auch leiten.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident, Herr Stanislaw Tillich, hatte das Wort. Wir treten jetzt in die Redereihe ein. Als Antragstel
ler haben zunächst die beiden einbringenden Fraktionen, CDU und SPD, das Wort. Es beginnt die CDU. Das Wort ergreift Herr Kollege Kupfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin immer noch fassungslos und tief betroffen, wenn ich an den vergangenen Freitag denke. Wenn man sich das einmal bildlich vorstellt: Man geht Freitagabend ins Theater oder ins Café, und plötzlich kommen dort schwer bewaffnete Männer herein und schießen mit Kalaschnikows um sich, sprengen sich selbst in die Luft, es fliegen menschliche Körperteile durch die Gegend. Das ist unfassbar! Das ist unfassbar, und es macht mich tieftraurig. Das war ein Angriff nicht nur auf Frankreich, das war ein Angriff auf alle Staaten der Europäischen Union, das war ein Angriff auf unsere Demokratie und auf unsere Werteordnung.
Viele Menschen in Deutschland und auch in Sachsen haben Angst. Ich werde oft gefragt, ob ich Angst habe, und ich sage offen: „Ja, ich habe Angst.“ Aber das ist keine blinde Angst, die ich habe. Denn ich weiß, dass wir eine wehrhafte Demokratie haben. Wir müssen zusammenstehen, die Länder der Europäischen Union müssen zusammenstehen, und wir werden zusammenstehen. Wir werden dem Terror entgegenstehen.
(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung – Vereinzelt Beifall bei der AfD und den GRÜNEN)
Wir dürfen eins nicht machen, meine Damen und Herren: Wir dürfen nicht den Zustrom an Flüchtlingen und das, was Einzelne im Namen Allahs machen, vermischen.
(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung – Vereinzelt Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)
Wir sollten es nicht vermischen, und doch gibt es da einen Zusammenhang. Es ärgert ja die Terroristen, dass Europa Flüchtlinge aufnimmt, dass wir sie willkommen heißen. Die Menschen, die fliehen, fliehen ja eben vor diesen Terroristen. Wenn wir sie nicht aufnehmen, würden sie in ihren Ländern bleiben und dem Terror ausgesetzt sein. Es gibt, meine Damen und Herren, auch Angst unter den Flüchtlingen, wenn sie sehen, dass die, die sie in ihren Herkunftsländern gepeinigt haben, jetzt nach Deutschland, nach Europa kommen und dasselbe hier veranstalten.
Der extremistische Islamismus ist nicht der gesamte Islam. Das ist mir wichtig zu sagen. Ich möchte die muslimischen Verbände in Deutschland auffordern, das auch stärker zu betonen,
denn viele Menschen auch in Deutschland können es eben nicht unterscheiden. Für die ist Islam gleich Islamismus und gleich Terrorismus. Das ist nicht so.
Wir müssen hier an vielen Stellen engagierter werden, müssen gegen Hassprediger vorgehen, die versuchen, junge Menschen mit ihrer verbrecherischen Ideologie in ihren Bann zu ziehen und für den Extremismus zu begeistern.
Jetzt muss die Gesellschaft zusammenhalten, jetzt und nicht erst, wenn es zu spät ist. Wir werden die Polizei in Sachsen stärken. Wir müssen und werden auch den Verfassungsschutz in Sachsen stärken, anders als in anderen Bundesländern, wo der Verfassungsschutz am liebsten abgeschafft werden soll. Nein, der Verfassungsschutz ist ein wichtiges Organ, um uns vor solchen Angriffen, wie sie in Paris passiert sind, zu schützen.
Ich bin dankbar, dass im Bund nun endlich das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet wurde. Das ist ein Puzzleteil, um besser Gefahren abwehren zu können, auch um besser Aufklärungsarbeit leisten zu können, wenn etwas passiert ist. Vielleicht sollte man sich vor dem Hintergrund von Paris noch einmal anschauen, ob man dieses Gesetz nicht noch etwas verschärfen kann.
Meine Damen und Herren! Meine Angst ist keine blinde Angst. Ich habe Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, mich im Namen meiner Fraktion bei allen Beamtinnen und Beamten zu bedanken, die tagtäglich ihr eigenes Leben und ihre Gesundheit einsetzen, um uns und das Volk zu schützen.
Das war Kollege Kupfer für die einbringende CDU-Fraktion. Es schließt sich unmittelbar für die einbringende SPD-Fraktion Kollege Panter an.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir trauern. Wir trauern um die Opfer des feigen und hinterlistigen Anschlags von Paris. Wir trauern aber auch um die Opfer des Selbstmordattentates einen Tag zuvor in Beirut, um die Opfer des Anschlages vom Sinai, um die Toten von Aleppo, um die Menschen, die den Terroranschlägen in Madrid vor elf Jahren zum Opfer gefallen sind, um die Menschen, die im Mittelmeer ertrunken sind. Wir trauern um alle Menschen, die Terror und sinnlosem Gemetzel zum Opfer gefallen sind.
Und doch betrifft mich, betrifft uns Paris anders. Das sage ich nicht, weil ich selbst ein Jahr in Paris verbringen
durfte, sondern weil diese Anschläge ein Angriff auf unsere westliche Lebensweise waren und deshalb auch einen besonderen Charakter haben.
Kollege Kupfer hat zu Recht von der Angst gesprochen, von der Angst, die momentan allgegenwärtig ist. Ich sage ganz klar: Diese Anschläge dürfen uns nicht lähmen. Wir dürfen uns dadurch nicht einschüchtern lassen. Denn Angst ist Nährboden für neuen Hass und ein ganz schlechter Ratgeber. Deshalb warne ich, genau wie Kollege Kupfer, davor, dass wir auf dem Rücken der Toten von Paris eine Flüchtlingsdebatte beginnen. Die Menschen, die aus Syrien geflüchtet sind und immer noch flüchten, sind quasi die ersten Opfer des Islamischen Staates. Sie flüchten vor genau den gleichen Terroristen, die in Paris diese Anschläge verübt haben. Deshalb dürfen wir den Drahtziehern dieser terroristischen Anschläge nicht auf den Leim gehen. Sie wollen Hass und Zwietracht säen. Das dürfen wir nicht zulassen!
Wer Hass mit Hass beantwortet, macht einen ganz fundamentalen Fehler. Es ist unsere demokratische Verantwortung, dass wir eine Polarisierung der Gesellschaft nicht zulassen. Es ist unsere Pflicht, dagegen anzukämpfen.
Das gilt zum Beispiel auch für die beginnende Kriegsrethorik. Der Islamische Staat will nichts anderes, als diese Kriegsrethorik befördern. Er will, dass wir vom Krieg gegen den Terror sprechen. Ich denke, dass wir dabei Gefahr laufen, den Islamischen Staat zu legitimieren. Deshalb sollten wir mit der Kriegsrethorik sehr vorsichtig sein.
Machen wir uns in diesem traurigen Moment bewusst, dass wir nicht auf einer Insel leben. Unser Handeln, unser Tun, aber auch unser Unterlassen haben Folgen. Wir befinden uns im Jahr 2015, und ich sage es nicht gern, aber Krieg, Terror und Vertreibung sind allgegenwärtig.
Wie kann das sein? Vielleicht sollten wir uns auch nachdenklich fragen, was wir selbst falsch gemacht haben. Was ist unser Anteil am Unrecht in der Welt?
In diesem Zusammenhang denke ich zum Beispiel auch an den 11. September oder an die globale Finanzkrise. Was haben wir nach dem 11. September und deren Folgen für den Frieden in der Welt getan? Ich sage ganz selbstkritisch: Ich denke, teilweise zu wenig. Wenn ich an die globale Finanzkrise, deren Folgen und die ungezügelten Finanzmärkte und an das Unrecht in der Welt denke: Was haben wir dagegen getan? – Nichts Nachhaltiges!
Was werden wir jetzt nach den Anschlägen von Paris tun? – Ich hoffe, das Richtige. Ich unterstreiche auch genau das, was Kollege Kupfer schon gesagt hat: Ich hoffe, wir werden einen starken Staat erleben, der für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger eintritt, einen starken Staat, der Probleme löst und Frieden schafft.
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns allen die feigen Attentate eine Mahnung sein, diese Welt grundsätzlich neu zu denken. Deshalb steht Paris aus meiner Sicht nicht nur für einen Tag. Deshalb sage ich für alle Menschen auf dieser Welt: Nous sommes unis!
Nachdem Kollege Panter gesprochen hat, haben sich die beiden einbringenden Fraktionen geäußert. Die weitere Reihefolge in der ersten Runde ist: DIE LINKE, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, ich habe Ihre Worte vernommen, und ich finde, ein Satz „Wir lieben unser Leben in Freiheit“ ist ein guter und wichtiger Satz.
Wir müssen in einer solchen Situation zusammenstehen, haben Sie gerade gefordert. Jedoch kann es nicht dazu führen, dass wir blind Ihrem Kurs oder dem der Bundesregierung folgen. Ich zitiere Thüringens Ministerpräsidenten, der in den letzten Tagen Folgendes sagte: „Denjenigen, die mit brutaler Gewalt unsere Art zu leben infrage stellen, stellen wir unseren gemeinsamen Willen, die Freiheit zu bewahren, entgegen.“ – Das sind klare und deutliche Worte für einen Ministerpräsidenten.
Die Töne, die wir derzeit laut aus Paris und aus Berlin hören, sind nicht nur Trauer, sondern sie haben auch eine starke Kriegslogik in sich. Der Krieg gegen den Terror dauert jetzt fast anderthalb Jahrzehnte. Die Antwort auf den 11. September 2001 in New York sind viel mehr Tote, als damals ums Leben gekommen sind. Al-Qaida hat das erreicht, was es wollte.
Nun haben wir den Islamischen Staat am Hals, eine neue Terrorformation, die übrigens zuerst Moslems ermordet; Herr Panter hatte darauf hingewiesen. Wir haben am vergangenen Donnerstag Beirut erleben müssen, wir mussten im Oktober Ankara erleben. Jedes Mal hat sich auch der IS dazu bekannt. Was lehrt uns das? Krieg ist die falsche Antwort auf Terror. Wir sollten endlich lernen: Wer noch mehr Krieg mit Terror bekämpfen will, wird noch mehr Terror ernten.
Es gibt keinen vernünftigen Grund, dass diese Logik, die nach dem 11. September 2001 nicht funktioniert hat, jetzt funktioniert. Diesen gibt es nicht.
Herr Tillich, mir ist schon bewusst, dass Sachsen nicht der Nabel der Welt ist, auch wenn das einige Kolleginnen und Kollegen aus der CDU manchmal gern wollen und wir geografisch vielleicht ein wenig der Mittelpunkt von Europa sind. Ein bisschen weniger Hochmut empfehle ich
schon. Ihre heutige Rede steht zwar im Gegensatz zu Ihrer Parteitagsrede – ich weiß, dass man auf Parteitagen manche Dinge sagt, die man vielleicht sonst in der Öffentlichkeit nicht sagt, weil man seine eigenen Leute irgendwie beruhigen muss –, aber Sie sind im Moment tatsächlich auch sächsischer Bundesratspräsident.
Wenn Sie davon sprechen, dass es in Großstädten im Westen rechtsfreie Räume gebe, dann frage ich mich schon: Was meinen Sie denn jetzt mit rechtsfreien Räumen, die Sie festgestellt haben?