Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Debatte in diesem Hause über den VW-Abgasskandal ist richtig und wichtig;
denn es ist ein ausgewachsener Skandal. Dafür sorgt allein schon die internationale Medienrezeption.
Was es sonst noch ist und auf welcher Managementebene, das werden die weiteren Untersuchungen zeigen. Selbstverständlich hat dabei – wie überall – zunächst die Unschuldsvermutung zu gelten; egal, welchen öffentlichen Druck es dabei gibt.
Das Thema Abgasskandal greift aber viel tiefer als nur in zwei VW-Dieselmotoren, denn jahrelang gab und gibt es ein gemeinsames Handeln von Industrie und staatlichen
Akteuren, Standards und Vorschriften vor allem hersteller- statt verbraucherfreundlich zu gestalten.
Die denkbaren mittelfristigen Konsequenzen für Unternehmen und Beschäftigte müssen analysiert werden bei VW in Sachsen, bei der Zulieferindustrie und für heimische Unternehmen weit darüber hinaus. Ganz unmittelbare Konsequenzen zeigen sich für die Kommunen: Haushaltssperre in Zwickau. Investitionszurückhaltung der öffentlichen Hand aber produziert weitere Probleme in der regionalen Wirtschaft. Markenreputation ist ein extrem starkes Marketinginstrument, von dem nicht nur die Marke VW betroffen ist. Die Marke „Made in Germany“ könnte hier Schaden nehmen.
Wir sehen deshalb die Konsequenzen aus dem Desaster auch in Sachsen in einem wesentlich größeren Rahmen, als es der Titel dieser Aktuellen Debatte ausdrückt. Die Ursachenanalyse darf keinesfalls bei der Aufklärung individuellen Fehlverhaltens stehen bleiben. Wenn eine Industrieanlage in die Luft fliegt, reicht es doch auch nicht aus zu fragen: Wer hat den falschen Knopf gedrückt? Wieso gab es dort einen falschen Knopf, und wieso war es dem Einzelnen möglich, ihn zu drücken? So muss die Frage lauten.
Was hier offenbar wurde, ist ein gravierendes Beispiel für nicht nachhaltiges Agieren in der Wirtschaft.
Dabei wurde für den Moment, für heute und morgen, zur zweckdienlichen Umschiffung eines kurzfristigen Problems so gehandelt, dass man für übermorgen Existenzbedrohungen in Kauf genommen und sogar erzeugt hat. Solche – auf Dauer immer sehr teuren – Strategien sind aber nicht auf Handelnde in Wirtschaft und Banken beschränkt. Gravierende Nachhaltigkeitsdefizite finden wir auch im Handeln von Regierungen und Kommunen. Bei VW wurde versucht, die harten Stickoxidemissionsvorgaben im Automobilbereich zunächst mit Softwaretricks zu umgehen, vielleicht auch in der Hoffnung, das Problem an sich später noch „weglobbyieren“ zu können. Ist es denn etwas anderes, wenn man in der Energiewirtschaft und in der Politik mit Nebelkerzen in der Hand versucht, sich um klare nationale Emissionsminderungsziele herumzutricksen in der Hoffnung, die Ziele ließen sich dann noch rechtzeitig kippen?
Insofern gilt: Wir alle sitzen irgendwie im Glashaus und sollten die Steine lieber in der Tasche lassen.
Meine Damen und Herren! Mit Blick auf unsere Verantwortung für künftige Generationen gibt es keine Alternative zur Nachhaltigkeit – im unternehmerischen und im politischen Handeln. Wenn hier der rasche Ruf nach dem Staat ertönt, um auch bei krassem Managementversagen sozusagen als Vollkaskoversicherer zu agieren, so springt uns das viel zu kurz. Die ordoliberale Rolle des Staates besteht im Setzen der richtigen Leitplanken, nicht im permanenten Mikromanagement.
Wir sollten vor allem nach Konsequenzen rufen, die solche Desaster künftig verhindern oder zumindest
unwahrscheinlicher machen. Wir fordern deshalb, angesichts des VW-Desasters auch grundsätzlicher über Kriterien der Ansiedlungs- und Förderpolitik im Freistaat nachzudenken und nicht bei Symptomlinderungsansätzen stehen zu bleiben.
Wir fordern seit Langem Nachhaltigkeitskriterien bei der staatlichen Förderung und Unterstützung von Ansiedlungen, Investitionen und Entwicklungen. Kriterien wie Compliance, Corporate Governance und Unternehmensethik müssen hier ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Hohe Standards sind zu fordern. Deren Einhaltung ist zur Bedingung für öffentliche Förderung zu machen. Zukunftsfähiges, gesellschaftlich dienliches Verhalten ist ein entscheidendes Kriterium dafür, dass auch die Gesellschaft sich in besonderem Maße engagieren kann.
Eine weitere Schlussfolgerung tritt klar hervor: Eine Ansiedlungspolitik, die regionale Monostrukturen erzeugt, schafft auch enorme regionale Abhängigkeiten und Risiken. Eine ausgewogene, diversifizierte Wirtschaftsstruktur mit hohem KMUAnteil wirkt stabilisierend und darf angesichts der Großansiedlungen nicht vernachlässigt werden.
Die einbringende Fraktion eröffnet jetzt die zweite Rederunde. Es spricht Frau Kollegin Neuhaus-Wartenberg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Heidan, ich bin 1980 geboren. Ich bin es verdammt noch mal leid, mir von Ihnen in solchen Debatten immer erklären zu lassen, dass wir hier angeblich mit der ideologischen Keule arbeiten. Ernsthaft: Meine Generation zieht sich diesen Schuh nicht mehr an. Ich finde auch, dass das nichts mit kulturvollem Parlamentarismus zu tun hat, schon gar nicht mit einem sinnvollen Verständnis von Regierung und Opposition. Das wollte ich Ihnen einmal gesagt haben.
Ich habe das Parteiprogramm gelesen, Herr Heidan. Wir können gern an anderer Stelle darüber diskutieren.
Punkt eins. Es ist nicht das erste Mal, dass Automobile weltweit millionenfach zurückgerufen werden. Das ist uns
klar. Aber bei VW haben wir es mit einer ganz anderen Dimension zu tun. Fehler passieren; sie kosten viel Geld und kratzen am Image. Ich erinnere an Toyota 2010 mit vier Millionen Autos, die zurückgerufen worden sind, und an General Motors 2014 mit 2,6 Millionen Autos.
Nun ist aber etwas viel Heftigeres passiert: Jahrelang wurde ganz bewusst betrogen. Die viel gerühmte deutsche Ingenieurskunst hat hier vermutlich geschummelt, auch wenn die Unschuldsvermutung immer gilt. Es ist überhaupt noch nicht absehbar – insoweit bin ich ganz bei Dr. Lippold –, was das mit dem Label „Made in Germany“ machen wird. VW hat in den letzten Tagen einiges dafür getan, dass dieses Label in den Ruf gerät, der ihm ursprünglich einmal zugedacht war.
Der Konzern erlebt nun einen Kurseinbruch. Zu erwarten sind sinkende Verkaufszahlen. Sehr sicher sind Strafzahlungen und Schadensersatzzahlungen. Der Schaden wird in Milliardenhöhe zweistellig sein.
Was aber auch sicher ist: VW wird das überleben, ganz im Unterschied zu den Zulieferern – damit komme ich zu meinem zweiten Punkt –, unter denen viele kleine und mittelständische Unternehmen sind. In Sachsen unterhalten mehr als 200 Unternehmen Geschäftsbeziehungen zu VW. Sind es bei VW Sachsen rund 10 000 Beschäftigte, so kommen bei den Zulieferern noch einmal 20 000 bis 25 000 hinzu.
Nun ließ das Automobilzulieferernetzwerk AMZ verlauten, dass die sächsische Zulieferindustrie nicht auf Dieselmotoren spezialisiert sei und so aus einem konkreten Fall nicht auf eine generelle Krise geschlossen werden könne. Aber so ist es mit dem Image: Die Kunden unterscheiden nicht zwischen Diesel oder Benziner, sondern wenden sich von der Marke VW ab.
Während der Großkonzern zweistellige Milliardenbeträge zu leisten imstande ist und Verkaufseinbrüche stemmen kann, sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen sofort in ihrer Existenz bedroht. Ihnen fehlt – zumal in Sachsen; darin sind wir uns einig; das haben wir auch schon oft miteinander besprochen – die Kapitaldecke für ganz schwere Zeiten. Es wird sich zeigen: Wenn ein Leuchtturm zu flackern beginnt, stehen die Zulieferer zuerst im Dunkeln.
Die nächsten Leidtragenden – damit komme ich zu meinem dritten Punkt – sind die Kommunen; auch das hat Herr Dr. Lippold schon angesprochen. Wolfsburg, Braunschweig und Ingolstadt haben bereits eine Haushaltssperre verhängt. Hier in Sachsen hat die Stadt Zwickau – größter sächsischer VW-Standort – die gleiche Konsequenz gezogen. Wie es mit Chemnitz und der gesamten Region weitergeht, lässt sich noch nicht endgültig sagen. Der Absturz von VW könnte aber zu einer Abwärtsspirale bei den Kommunen führen – könnte. Das würde dazu führen, dass freiwillige Aufgaben, die ja zu mehr Lebensqualität führen sollen und auch eine Art „weichen Standortfaktor“ darstellen, gestrichen werden. Die öffentliche Hand ist aber nicht nur der größte Arbeitgeber, sondern auch der größte Auftraggeber. Wenn nun Investitionen, etwa in die
Infrastruktur, gestoppt werden müssen, schlägt das auf die Lebensqualität zurück, sinkt die Zahl öffentlicher Aufträge und sind die kleinen und mittelständischen Unternehmen, auch das Handwerk, die Leidtragenden.
Von Bundeswirtschaftsminister Gabriel, der, wohlgemerkt, einmal niedersächsischer Ministerpräsident war – das Land Niedersachsen ist an VW wohl irgendwie beteiligt –, aber auch von der Sächsischen Staatsregierung haben wir bisher nichts Konkretes gehört, wie vonseiten der Politik auf die anstehenden Probleme reagiert werden soll. Vielleicht ist diese Aktuelle Debatte ja ein Anfang. Meine Fraktion und ich möchten, dass sie ein Anfang ist.
Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass die Leute da draußen, von denen wir in den letzten Wochen gesprochen haben, nicht den Eindruck gewinnen, der Freistaat werde von der Entwicklung überrollt. Gerade in den jetzigen Zeiten sollten wir versuchen, das Problem vernünftig zu übermitteln und zu übersetzen.
Für die einbringende Linksfraktion war das Frau Neuhaus-Wartenberg. – Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Springer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Diese Aktuelle Debatte steht unter der Überschrift: „VW-Desaster – Auswirkungen für Beschäftigte im Automobil-Cluster Sachsen rechtzeitig abwenden". Gestatten Sie mir, dass ich mit einem Zitat beginne. Am 24. September dieses Jahres ist unter der Überschrift „Wem nutzt das Volkswagen-Bashing“? von Redakteur Dirk Müller bei n-tv ein Artikel veröffentlicht worden. Daraus zitiere ich jetzt:
„Machen wir uns bei allem Blutrausch dieser Stunden noch einmal klar, dass wir über geschönte Abgaswerte sprechen. Lassen wir die Kirche im Dorf und helfen wir den Mitbewerbern jenseits des Atlantiks nicht noch dabei, unsere eigene Wirtschaft in den Boden zu stampfen. Bei General Motors und Ford dürften dieser Tage die Champagnerkorken knallen. Die defekten Zündschlösser bei GM führten zu 174 Toten und wurden mit einer Strafe von 900 Millionen US-Dollar geahndet. Bei Volkswagen spricht man nun [aber] über 18 Milliarden US-Dollar Strafe wegen geschönter Abgaswerte. Bemerkenswert ist übrigens auch, dass am gleichen Tag in Brasilien Klage gegen VW erhoben wird, weil der Konzern in den Jahren 1964 – 1985 (!) mit der damaligen Diktatur zusammengearbeitet haben soll. Es gibt schon merkwürdige Zufälle.“
Wenn wir hier gemeinsam diskutieren, sollten wir uns vor Augen halten, dass dies sehr schnell gegen Arbeitnehmer, gegen unsere Region und gegen die Zulieferer verwendet wird, denn im Moment läuft bei VW erst die Aufklärung. VW hat sich sehr frühzeitig zum Fehlverhalten bekannt. Das verdient unseren Respekt, nicht noch unsere Schelte.
Fakt ist für Sachsen: Seit 2012 sind keine VW-Fahrzeuge produziert worden, die von dem jetzigen Abgasdesaster, wie Sie es bezeichnen, betroffen sind. Wir sind überzeugt, dass VW alles tun wird, heute dem Kraftfahrt-Bundesamt einen vernünftigen Plan vorzulegen, wie alle betroffenen Fahrzeuge umgerüstet werden können, um wieder der Norm zu entsprechen. Wenn wir von der Kostenbelastung des VW-Konzerns ausgehen und heute in unserer Aussprache zur Kenntnis nehmen mussten, dass verschiedentlich sogar ein Generalverdacht geäußert worden ist, dann muss man in aller Bescheidenheit daran erinnern, dass gerade bei VW der Betriebsrat und die Gewerkschaft einen massiven Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen. Meine Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN, auch daran sollten Sie denken, wenn Sie Schelte üben, dass Ihre Freunde von der Gewerkschaft hier massiven Einfluss nehmen.
Wichtig ist doch hier an dieser Stelle, ein deutliches Signal an unsere Standorte des Konzern zu senden, dass wir uns nicht verrückt machen lassen von Pressemeldungen, dass wir uns nicht verrückt machen lassen von Vorverurteilungen, sondern dass wir zu unseren Standorten, zu den Beschäftigten und zu den Zulieferern stehen und dass wir