Protocol of the Session on September 16, 2015

lediglich Mindestlohn. Ebenso geht der Aufschwung an Langzeitarbeitslosen und Menschen mit multiplen Vermittlungshindernissen bisher vorbei. Dass sich hier etwas ändern muss, darin sind wir uns einig; aber Grund zu überbordender Freude besteht trotz allem nicht, ist doch auch hier viel Marketing und wenig Substanz im Spiel. Ein eigenes, in sich konsistentes und auf die sächsischen Bedürfnisse abgestimmtes Landesarbeitsmarktprogramm sucht man vergeblich.

(Beifall bei den LINKEN)

Es genügt nicht, die von Großkonzernen der Automobilindustrie selbst ins Leben gerufenen Musterprojekte aufzuzählen, und es genügt auch nicht, die – noch dazu rückläufigen – Gelder des Europäischen Sozialfonds einfach durchzureichen und dann das Kampagnenlabel „Gute Arbeit für Sachsen“ draufzukleben. Die angekündigte Neuorientierung ist bisher weder materiell – mit eigenen Mitteln – noch wirklich konzeptionell ausreichend untersetzt.

Wenn Sie es ernst meinen, dann handeln Sie doch einfach! Es reicht nicht aus, auf Dauer ausgerichtete Zeit- und Leiharbeit oder den Missbrauch von Werkverträgen zum Zwecke des Lohndumpings zu kritisieren und dann nichts Wirksames dagegen zu unternehmen. Binden Sie endlich öffentliche Gelder zur Wirtschaftsförderung an die entsprechenden Kriterien, damit dauerhaft reguläre Arbeitsverhältnisse statt Leiharbeit geschaffen werden!

(Beifall bei den LINKEN)

Im Gegensatz zu Sachsen gelten ähnliche Regelungen bereits heute in anderen deutschen Bundesländern und haben sich dort auch in der Praxis bewährt: Tarifbindung, der steuerliche Hauptsitz des geförderten Unternehmens vor Ort, die strukturelle Bevorzugung von Kleinunternehmern bei der Gewährung öffentlicher Gelder – alles keine weltfremden Vorschläge, sondern bereits gelebte Praxis in unserem Nachbarland Sachsen-Anhalt, hier übrigens eingeführt von einer CDU/SPD-Regierung.

Sie haben die Rolle des Arbeitsschutzes für die Gesundheit der Menschen genannt. Warum statten Sie ihn dann nicht endlich wieder mit den Mitteln aus, die notwendig sind? Ihre Arbeitsschutzallianz verkommt zur Makulatur; denn trotz vollmundiger Worte gibt es bisher keine Umkehr im Kaputtsparen der sächsischen Arbeitsschutz

verwaltung. Und was ist eigentlich aus Ihrem versprochenen Mindestlohnmonitoring geworden?

Sehr geehrter Herr Staatsminister, Sie haben davon gesprochen, die Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Not nach Sachsen kommen, als Chance für unsere Gesellschaft und unseren Arbeitsmarkt zu begreifen und ihre schnelle Integration zu ermöglichen. Dabei haben Sie uns auf Ihrer Seite. Eine Einteilung in nützliche und lästige Migranten, wie sie die AfD und Teile der CDU regelmäßig vornehmen, machen wir nicht mit!

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Das Problem ist aber auch hier: Außer Ihrer Vision von einem wachsenden Sachsen und vagen Absichtserklärungen haben Sie bisher nichts Greifbares anzubieten. Wie sieht es denn konkret mit der Abschaffung der Vorrangprüfung aus, ohne die für einen Asylbewerber die Arbeitsaufnahme nahezu unmöglich ist?

(Zuruf des Staatsministers Martin Dulig)

Was ist mit der Anerkennung erworbener Qualifikationen mit systematischen Orientierungs- und langfristigen Sprachkursen? Sie fordern uns auf, gemeinsam dafür zu sorgen, dass sich Zuwanderer und Flüchtlinge hier sicher fühlen und eine neue Heimat finden. Das würden wir gern tun. Dazu müssen Sie aber auch handeln und nicht weiter im reinen Ankündigungsmodus bleiben.

Im Ankündigungsmodus, sehr geehrter Herr Staatsminister, sind Sie bisher auch in der Strukturpolitik hängen geblieben. Sachsens Wirtschaft ist kleinteilig. Sie haben es positiv verklausuliert und von der hohen Bedeutung des Handwerks gesprochen. Fakt ist: Im verarbeitenden Gewerbe beschäftigt ein durchschnittliches sächsisches Unternehmen 86 Mitarbeiter. Das ist nicht nur deutlich weniger als der Bundesschnitt, sondern auch im ostdeutschen Vergleich sind sächsische Unternehmen klein.

Sie haben es selbst erkannt: Um bei der Produktivität aufzuholen, um aus eigener Kraft in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist es notwendig, dass Unternehmen wachsen. Nun frage ich Sie: Wenn Sie das wissen, warum gibt es den im Doppelhaushalt bereits finanziell untersetzen Fusionsfonds noch nicht, obwohl auch seitens der Kammern immer wieder darauf gedrängt wird?

(Beifall bei den LINKEN)

Das Gleiche betrifft übrigens die Fortsetzung des Programmes „Regionales Wachstum“. Auch hierfür ist Bedarf vorhanden.

Sachsen wird nur dann zu einen selbsttragenden Aufschwung kommen und nachhaltig wirtschaftlich wachsen, wenn hier Innovationen entstehen und diese von lokalen Unternehmen umgesetzt werden. Es werden vor allem diese innovativen Betriebe sein, die es schaffen, Vorreiterpositionen einzunehmen, sich neue Marktfelder zu erschließen und dadurch Wachstum zu generieren.

Aber hier schließt sich der Kreis zum eingangs Gesagten: Ein Land, welches zwar in Sonntagsreden von „Industrie 4.0“ und vom Internet der Dinge träumt, aber bereits bei der Sicherung einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur nicht mithalten kann, ein solches Land verschlechtert die Ausgangsbedingungen für die eigene Wirtschaft und vertreibt gerade junge und flexible Startups gleich ganz.

Im Frühjahr dieses Jahres wurde die von der Bundesregierung initiierte Plattform „Industrie 4.0“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, das Thema auf eine breitere politische und gesellschaftliche Basis zu stellen. Es geht um Fragen der Sicherheit vernetzter Systeme, der Standardisierung und Normung, der Forschung und Innovation sowie unter dem Schlagwort „Arbeit 4.0“ um Probleme der Aus- und Weiterbildung und der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter. Kurz gesagt: Es geht um Fragen der Zukunft.

Welche Rolle spielt dabei Sachsen? – Von offizieller Seite gar keine. Während Bayern und Baden-Württemberg sich aktiv einbringen, hat das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr auf Nachfrage noch nicht einmal Ahnung, wer seitens der sächsischen Wirtschaft, der Wissenschaft und der zivilgesellschaftlichen Verbände hier eingebunden ist.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt eingehen, der auch zu einer modernen Wirtschaftsstruktur gehört – ein Punkt, bei dem man der Staatsregierung nicht Nichtstun vorwerfen kann, sondern bei dem Sie voller Stolz im Bremserhäuschen sitzen. Zwar haben wir heute etwas von erneuerbaren Energien gehört, aber im nächsten Satz fiel sofort wieder die Unverzichtbarkeit der Braunkohle.

Sie bauen einen Popanz auf, wonach der Ausstieg aus der Kohleverstromung dem Ende ganzer Regionen gleichkommt. Nur um nicht handeln zu müssen, werden Arbeitsplatzverluste in irrwitziger Größenordnung prognostiziert und neue Chancen durch regenerative Energien negiert.

(Beifall bei den LINKEN – Andreas Nowak, CDU, steht am Mikrofon.)

Kollege Brünler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Kollege Nowak.

Ist Ihnen bekannt, welche Position die Regierung des Landes Brandenburg, der auch Ihre Partei angehört, in dieser Frage hat?

Das ist mir bekannt, und Sie wissen genau, dass wir hier eine andere Position haben und diese durchaus gut begründen können.

(Beifall bei den LINKEN – Dirk Panter, SPD: Der Grund ist ja nur, weil Sie nicht regieren! Das ist der Grund! – Gegenruf der Abg. Dr. Jana Pinka, DIE LINKE)

Wollen Sie damit sagen, dass die SPD regelmäßig, wenn sie regiert, ihre Position über Bord wirft und umfällt? Habe ich Sie da richtig verstanden?

(Beifall bei den LINKEN)

Die Wahrheit unterm Strich ist einfach: Sachsen hat den Strukturwandel schlicht verschlafen, und der Wirtschaftsminister sitzt nun wie das Kaninchen vor der Schlange. Für ein Strukturwandelprogramm für das Lausitzer und das Mitteldeutsche Kohlerevier fehlen sowohl der Wille als auch die notwendige Kreativität.

Meine Damen und Herren! Man wird zum Schluss doch wieder an den Stoff der Oper „Aida“ erinnert: Sie sitzen schicksalergeben eingemauert in Ihrer Kohlegruft und kommen nicht mehr heraus.

(Zuruf des Abg. Andreas Nowak, CDU)

Sehr geehrter Herr Staatsminister, für ein modernes Sachsen müssen Sie endlich anfangen zu handeln, und das ist nach rund einem Jahr im Amt sicher nicht zu viel verlangt.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Das ist wohl wahr! – Beifall bei den LINKEN)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Kollege Brünler sprach für die Fraktion DIE LINKE. Es schließt sich für die CDU-Fraktion Herr Kollege Prof. Wöller an.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Diskussion „Wir schaffen das moderne Sachsen“ steht im Zeichen eines weltpolitischen Konjunkturumfeldes, wie es günstiger nicht sein könnte.

Wir haben niedrige Zinsen – das wird wohl eine Zeit lang noch so bleiben –, die die Unternehmen und die Investitionen begünstigen, aber nicht gänzlich unproblematisch sind. Wenn wir auf die fleißigen Sparerinnen und Sparer in unserem Land sehen, dann bleibt ihnen nichts davon.

Des Weiteren haben wir einen Eurowechselkurs, der auch seinen Tiefstand erreicht hat. Das begünstigt die deutsche Exportkonjunktur, an der auch die sächsische hängt. Auch das muss nicht so bleiben.

Ferner haben wir – wir sprachen soeben über Energie – einen Ölpreis, der sich im Tieffall befindet. Auch das begünstigt unsere Industrie, die im Wesentlichen auf Öl basiert.

Das ist kein Naturzustand, worauf heute früh auch Bundesbankpräsident Weidmann hingewiesen hat; denn der Markt kennt nicht nur die Entwicklungsrichtung nach oben, sondern auch nach unten. Die ersten Wolken am Konjunkturhorizont – Russland oder China – sind sicht

bar. Deshalb müssen wir uns darauf einstellen, dass es auch einmal anders werden kann.

Von der Konjunktur zur Struktur, meine Damen und Herren. Die sächsische Geschichte seit 1990 ist eine Erfolgsgeschichte. Das betrifft auch die Transformation und Überführung eines maroden Wirtschaftssystems in eine funktionsfähige und offene Marktwirtschaft. Die Arbeitslosenzahlen sind genannt worden; sie haben auch ihren historischen Tiefstand erreicht.

Dennoch ist auch wahr: Die Arbeitslosenquote in Sachsen liegt circa 50 % über dem Schnitt der westlichen Bundesländer. Sie ist gesunken – das hat auch mit dem Beschäftigungsaufbau in den letzten Jahren dank der Förderpolitik zu tun –, aber zur anderen Hälfte ist sie auch darauf zurückzuführen, dass wir einen demografischen Wandel hatten. Wir hatten die Abwanderung der 25- bis 35Jährigen und wir hatten einen Geburtenknick – das macht sich als Schleifspuren auf dem sächsischen Arbeitsmarkt bemerkbar.

Wir haben also eine komplette Trendumkehr in Sachsen zu verzeichnen. Früher hatten wir reichlich Fördergeld und Massenarbeitslosigkeit. Heute haben wir weniger Fördergeld und noch weniger nach 2019 und schon jetzt einen sich abzeichnenden Fachkräftebedarf. Darauf müssen wir reagieren.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Das alte Motto „Viel hilft viel“ wird nicht mehr funktionieren. Das heißt, nicht mehr Geld ist das Thema, sondern Geist, Ideen, Konzepte.