Protocol of the Session on September 1, 2015

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Vielen Dank für die ehrlichen und zum Teil auch klaren Worte. Sie kommen aus tiefstem Herzen, und ich höre neue Töne an Nachdenklichkeit in einer Zeit, die vor allen Dingen von Verantwortungsträgern täglich neue Lageeinschätzungen, Schlussfolgerungen und Entscheidungen abverlangt.

Herr Ministerpräsident, das ist eine Grundlage, die gemeinsames Handeln ermöglicht.

Wahrscheinlich glaubten Sie nach Ihrer letzten Rede nicht, dass es Steigerungen gibt. Doch dann kam der Sommer und die Zeltstadt in Dresden, und wir mussten Heidenau erleben. In Dresden wurden erstmalig Helferinnen und Helfer von Hilfsorganisationen attackiert. Menschen, die Menschen in Not helfen – egal, welche Hautfarbe sie haben, welcher Nationalität sie angehören,

welchem Gott sie sich anvertrauen oder welchen politischen Schattierungen man sich zugehörig fühlt –, solche Helferinnen und Helfer zu attackieren, ist eine Schande.

(Beifall bei allen Fraktionen und der Staatsregierung)

Dann die fremdenfeindlichen Angriffe der Rechtsextremen in Heidenau, erst auf die Unterkunft und die Busse und dann die direkte Auseinandersetzung mit dem Staat, in dem Falle der Polizei. Deutschland und ein Teil der Welt blickte nach Heidenau und sprach vom „Tal der Anfälligen“, wie der „Tagesspiegel“. Für sächsische Verhältnisse hat die Staatsregierung schnell reagiert, erstmalig gemeinsam als Regierungskoalition. Das nenne ich Fortschritt. Jedoch sollten wir beim Kampf gegen Rechtsextremismus Grenzen überschreiten. Ich habe mit der CDU und insbesondere mit der sächsischen CDU ganz viele Meinungsverschiedenheiten. Aber bei diesem Thema müssen wir gemeinsam etwas dagegen tun.

(Beifall bei den LINKEN)

Herr Ministerpräsident, dann haben Sie wieder so einen Satz gesagt – Zitat –: „Das ist nicht unser Sachsen.“ Herr Ministerpräsident, leider ist das auch Sachsen – nicht nur, aber eben auch. Die Mischung aus einem organisierten Nazikern und bürgerlichen Mitläufern mit ganz viel Hang zu rassistischen Äußerungen und Denkansätzen haben wir ja nicht erst seit Freital oder Heidenau. Das Muster erschütterte uns ja schon vor Jahren, unter anderem in Schneeberg. Es brachte uns – Herr Tillich, Sie wissen das – selbst in Phasen des heißen Wahlkampfes zu parteiübergreifenden praktischen Gemeinsamkeiten.

Ich denke, bei Ihnen und auch bei vielen Mitgliedern der Regierung sowie der CDU-Landtagsfraktion ist der Wunsch nach den lieben, dankbaren Landeskindern stark ausgeprägt. Nur so kann ich mir erklären, warum Sie so lange an der Imagekampagne „So geht Sächsisch“ festgehalten haben. Sie und die Kanzlerin haben am Mittwoch in Heidenau selbst erleben müssen, wie es um die politische Kommunikationskultur in unserem Freistaat bestellt ist. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich erleben das seit vielen Monaten, einige schon seit vielen Jahren.

Eine Kollegin aus meiner Fraktion, die im März einen Tag auf dem Theaterplatz bei dem von vielen hier im Hohen Haus kritisierten Flüchtlingscamp stand, schickte mir am frühen Nachmittag eine SMS, in der stand: „Mir bluten die Ohren, hol mich hier raus!“

Ich bleibe dabei: Wir schaffen den Neustart für Sachsen nur gemeinsam oder gar nicht. Sachsen ist immer noch eine starke Marke für technologische Innovation. Umso bedauerlicher ist, dass wir beim sozialen Zukunftsmodell als Freistaat so kläglich versagen.

Im Moment erweckt Sachsen den fatalen Eindruck, es steuere auf einen Bürgerkrieg im Kampf der Kulturen zu, und das nicht erst in den letzten Tagen und Wochen. An dessen Ende werden alle Menschen in Sachsen Verlierer sein. Suchen wir stattdessen gemeinsam einen Weg, der

alle zu Gewinnern macht. Dazu gehört als Basis strikte Gewaltfreiheit – logisch –, übrigens auch verbal. Dieses hysterische Niederschreien von Gesprächspartnern, deren vermeintlich fehlende Gesprächsbereitschaft vorher

beklagt worden ist, kann keine Basis für die Kommunikation sein,

(Frank Kupfer, CDU: Merkt es euch nur!)

egal, ob gegenüber der Kanzlerin, dem Ministerpräsidenten, einem Minister, den Abgeordneten, einer Bürgermeisterin oder einem Kreis-, Stadt- oder Gemeinderat, auch nicht gegenüber Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzen.

Was wir auch nicht brauchen, sind Brandanschläge und Sachbeschädigungen gegenüber Flüchtlingsunterkünften oder Zerstörungswut an politischen Büros, egal welcher politischer Couleur. Was wir auch nicht brauchen, sind die ungezügelten Hasstiraden in sozialen Netzwerken, in Blogeinträgen, bei den Medien. Auch sie vergiften das Klima ins Unerträgliche.

(Frank Kupfer, CDU: Merkt es euch nur!)

Wir bieten Ihnen an: Lassen Sie uns gemeinsam einen Asylgipfel der Zivilgesellschaft machen. Lassen Sie uns gemeinsam vor Ort Runde Tische zum Thema Integration und Flüchtlinge organisieren. Wir brauchen einen Krisenstab in der Staatskanzlei, der bürokratische Hindernisse aus dem Weg schafft, an denen viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer derzeit zu verzweifeln drohen.

Ich sage es Ihnen hier noch einmal öffentlich: Wir werden nicht kleinkariert nach irgendwelchen Verwaltungsfehlern suchen. Jedoch ist das kein Persilschein oder Freibrief für Politik- oder Behördenversagen.

Ich habe im aktuellen „Spiegel“ gelesen: „Die Ankunft der Flüchtlinge wird pragmatische, unkonventionelle, schnelle Lösungen unausweichlich machen.“ Bisher gilt: Es muss alles seine deutsche Ordnung und Regel haben. Der „Spiegel“ schreibt weiter: „Sie“ – gemeint sind die Geflüchteten – „zwingen das Land, weltoffener zu werden, großzügiger und ein bisschen chaotischer.“ Ich sage: Es ist egal, ob das Elfriede, Paul, Mandy oder Mike gefällt.

(Beifall bei den LINKEN)

1990 wurde die Bundesrepublik um das Territorium der DDR größer. Für die Menschen im Osten des Landes änderte sich von einem auf den anderen Tag alles. Das Erfolgsmodell Bundesrepublik wurde übernommen. Die Menschen in den alten Ländern fremdeln bis zum heutigen Tag mit der für sie dramatischen Veränderung der Einführung des grünen Pfeils an wenigen Ampeln.

(Heiterkeit bei den LINKEN)

Jetzt, mit der wachsenden Zahl der bei uns Zuflucht Suchenden, wird sich die gesamte Bundesrepublik verändern. Keiner hat dafür ein fertiges Rezept oder einen fertigen Plan. Wir müssen ausprobieren. Wir werden Erfolge und Misserfolge haben. Die Geflüchteten sind

keine Belastung, sondern eine Herausforderung für unsere Gesellschaft. Sie sind in erster Linie eine Anfrage an unsere Menschlichkeit, aber auch an unseren Mut.

Wir haben jetzt die Chance, uns als Sachsen an die Spitze dieser Bewegung zu setzen. Leisten wir uns also die Kühnheit – ganz in der Tradition eines jahrhundertealten sächsischen Pioniergeistes –, beim Umgang und der Integration mit Geflüchteten bundes- und europaweit die Unbürokratischsten und Pragmatischsten zu sein! Ich habe die Hoffnung, dass wir das gemeinsam hinbekommen. Setzen wir einfach einmal unsere eigenen Rituale eine Weile außer Kraft!

Ich habe Ihnen angeboten, in meiner alten Heimat dafür zu werben, dass in Schneeberg mehr Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, als versprochen wurde oder in dem neuen Unterbringungskonzept stehen. Diese Menschen sollen nicht in Zelten hausen. Es nützt nichts, dass wir uns an jedem Standort wechselseitig vorrechnen, welche Zahl verkraftbar sei oder nicht.

Eines muss klar sein, liebe Staatsregierung und liebe CDU-Fraktion: Wir als Fraktion sind nur bereit, mit Profis zusammenzuarbeiten.

(Lachen bei der CDU)

Ein irrsinniges dreitägiges Totalverbot aller Versammlungen, dem beinahe ein Willkommensfest für Flüchtlinge in Heidenau zum Opfer gefallen wäre, gehört nicht dazu.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Es bescherte Sachsen eine fürchterliche Blamage, wie eine Zeitungskommentatorin zutreffend feststellte. Die Gerichte, einschließlich Bundesverfassungsgericht, haben Schadensbegrenzung betrieben, die wir ausdrücklich begrüßen. Ich weiß, dass sich der Innenminister im Vorfeld der Verwaltungsgerichtsentscheidung am Freitag persönlich darum bemüht hat, dass das Willkommensfest noch stattfinden kann. Ich finde es auch persönlich nicht richtig, wie einige wenige Demonstranten mit Herrn Ulbig in Heidenau umgegangen sind.

(Beifall bei allen Fraktionen und der Staatsregierung)

Wir wollen Integration in allen Richtungen. Das ist in erster Linie eine Frage der Kultur und des Umgangs miteinander.

Herr Ministerpräsident, es war richtig und wichtig, dass Sie heute hier bei der Sondersitzung des Sächsischen Landtags als Erster das Wort ergriffen haben. Sie, Herr Ministerpräsident, müssen die lauteste und deutlichste Stimme sein, wenn es um die Würde der Menschen in unserem Land geht. Dafür haben Sie meine volle Unterstützung.

Glück auf!

(Beifall bei den LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Kollege Gebhardt sprach für die Fraktion DIE LINKE. Für die CDUFraktion folgt jetzt Herr Kollege Kupfer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen spätestens seit Juli dieses Jahres vor einer großen Herausforderung. Wenn Sie sich die Zahlen der ankommenden Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylbewerber anschauen, so lagen wir im ersten Halbjahr noch weit unter 2 000 pro Monat. Im Juli waren es 4 000 und im August sogar 5 200. Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahl mindestens in dieser Höhe bleibt.

Die größte Herausforderung ist, für diese Menschen eine ordentliche Unterkunft zu finden. Erstaufnahmeeinrichtungen sind zu schaffen. Der Freistaat Sachsen, das Kabinett, die Staatsregierung haben sich als Aufgabe gestellt, 13 500 Erstaufnahmeplätze zu schaffen. Das ist eine gewaltige Herausforderung für die Staatsregierung, für die Verwaltung, aber auch eine Herausforderung für die Menschen in den betroffenen Orten.

Wir wissen, dass sich die Begeisterung in Grenzen hält, wenn die SIB kommt und sich Gebäude anschaut, in denen eine Erstaufnahmeeinrichtung etabliert werden soll. Warum hält sich die Begeisterung in Grenzen? Sind das alles Rechtsextreme? – Nein, das sind sie nicht. Es sind ganz normale Bürger, die eigene Probleme, aber auch Fragen haben: Was sind das für Menschen? Wo kommen die her? Warum kommen die zu uns? Es sind Menschen, die auch Fragen zur Religion dieser Flüchtlinge haben, die zu uns kommen. Die muslimische Religion ist keine Religion, die hier in Sachsen ihre Heimat hat. Es ist eine Religion, die vieles anders betrachtet, als wir das mit unserer christlichen Tradition tun. Dass sie kein Schweinefleisch essen und keinen Alkohol trinken, kann man ja noch tolerieren, das ist ja sogar gesund.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Oh, Mann!)

Aber dass die Töchter oft nicht freiwillig ihren Lebenspartner suchen können, sondern zwangsverheiratet werden, das sind Fragen, und diese muss man beantworten.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Ja, Entschuldigung! Sie haben sicherlich Ihre Erfahrungen. Bei Ihnen ist alles in Ordnung. Ich habe meine Erfahrungen, diese gebe ich hier wieder, und das müssen Sie mir bitte gestatten. Wenn Sie sich einmal mit dem muslimischen Glauben beschäftigen, dann werden Sie genau das bestätigt finden, was ich Ihnen jetzt gerade gesagt habe.

(Zuruf von den LINKEN)

Es gibt also Fragen von ganz normalen Bürgern. Das sind keine Rechtsextremen, sondern ganz normale Bürger, die ganz normale Fragen haben; und diese Fragen gilt es zu beantworten.

Meine Damen und Herren, wer kommt zu uns? Das sind Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylsuchende und auch Men

schen, die keinen Anspruch darauf haben, auf Dauer in Deutschland zu bleiben. Auch das ist eine Wahrheit, über die man sprechen muss, und das unterscheidet uns von den LINKEN und vielen anderen.

(Zuruf von den LINKEN: Gott sei Dank!)