(Christian Piwarz, CDU: Sie sind einfach widerlich in Ihrer Wortwahl gerade gewesen, Herr Gebhardt! Nehmen Sie das zur Kenntnis!)
Sie ist angemessen für die Aussagen, die Herr Krauß in der Öffentlichkeit über Menschen getroffen hat, die er überhaupt nicht kennt.
Das Wir, in das wir die zu uns kommenden Menschen integrieren können, wurde vielerorts zerstört. Wer etwa in den verschiedenen ländlichen Räumen in Sachsen lebt, seine Kinder in einen Ort zur Kita fährt, selbst tagsüber weit weg arbeitet und abends schnell in einen Einkaufsmarkt am Stadtrand einkaufen fährt, wer so leben muss und seine Nachbarn kaum noch sieht, der tut sich schwer, in Neuankömmlingen eine Bereicherung der Gesellschaft zu erleben – weil es einfach keine funktionierende Gesellschaft mehr gibt. Es gibt nur Vereinzelte, die nebeneinanderher leben. Die größte denkbare Einheit ist dann das eigene Haus, die eigene Wohnung, die geschützt werden muss. Vor diesem Hintergrund wird die gemeldete, kurz bevorstehende Ankunft einer Gruppe von 50 oder 100 Menschen in der Nähe zu einer subjektiven Bedrohung.
Im bunten Großstadtkiez sieht das im Regelfall ganz anders aus – was die CDU natürlich nicht zur Kenntnis nimmt, denn dort wählt sie ja auch niemand mehr.
Auch in großen Städten werden Flüchtlinge oftmals dort untergebracht, wo der Zerfall der Gesellschaft stark vorangeschritten ist. Es gibt Stadtteile mit dem inoffiziellen Beinamen „Kulturbürgertum“ und andere mit dem Stempel „Hartz IV“. Das ist auch in Großstädten in Westdeutschland der Fall.
Die Sachsen sind solche Verhältnisse jedoch nicht gewöhnt. Die über 40-Jährigen erinnern sich noch an die Gesellschaft, in der die Putzfrau neben dem Professor gewohnt hat und diese hatten sich etwas zu sagen.
Was ist in Zukunft wichtig? Dass wir den Trend zum Nebeneinanderherleben in Sachsen mit Modellen einer neuen gesellschaftlichen Zusammengehörigkeit begegnen. Das kann der staatliche geförderte Dorfkonsum, der flächendeckende, fahrscheinlose Nahverkehr und eine Renaissance von Genossenschaften sein. Wohlgemerkt: eine neue Kultur der Geselligkeit statt der Verwaltung der Einsamkeit.
Sachsen braucht eine Bildungsreform, das heißt, statt eines ausgedünnten Schulnetzes wohnortnahes, längeres gemeinsames Lernen für alle Kinder. Eine Verwaltungsreform heißt die Wiederherstellung von Bürgernähe nach der Gigantomanie von Gemeinde- und Kreisfusionen, die soziale und kulturelle Zusammenhänge zerstört hat.
Eine Wirtschaftsreform, eine echte Förderung der Vernetzung kleiner und mittelständischer Unternehmen – die konkrete Form des Fusionsfonds, den wir gefordert haben und den die Koalition auch will –, steht aber noch aus. Eine Reform der Kommunalfinanzen, das heißt, die Mangelverwaltung muss beendet werden und die Rolle der Kommunen als Investoren muss gestärkt werden. Eine Reform der Landesentwicklung, ein Konzept des gegenseitigen Austausches zwischen den Regionen, auch zwischen Metropolen und dem ländlichen Raum, eine Sozialpolitik, die Menschen die soziale Sicherheit gibt, gleichwertig am Leben teilhaben zu können. Diese Perspektiven unterscheiden uns von der CDU.
Die CDU trägt für eine Landesentwicklung in 25 Jahren die Hauptverantwortung, mit der der Zusammenhalt der Menschen als Basis entzogen wurde. Was ist die Antwort der sächsischen CDU? Sie ruft „Zurück zur Familie“, nachdem sie durch ihre neoliberale Politik sie oftmals erst zerstört hat. Das ist genauso geistreich, als wenn ich rufen würde „Zurück zur DDR“.
Die Familie allein kann das Problem nicht lösen. Nur gemeinsam können Menschen aus verschiedenen Milieus Probleme lösen. Das gilt auch für den Bereich Forschung und Wirtschaft. Doch auch hier ist Sachsen ein Land der Parallelgesellschaften. Es gibt einen Trend einerseits zu Hochschulen, die nur noch höhere Lehranstalten sind, und andererseits zu großartigen außeruniversitären Einrichtungen, in denen in puncto Forschung die Musik spielt
und die wundervolle Dinge erfinden. Nur, die kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Nähe haben nichts davon.
Man kann hinschauen, wohin man will, die CDU spaltet alles – nun auch noch die Staatliche Porzellanmanufaktur in Meißen. Zuerst wurde der Kern der Marke, das Porzellan, in hochkünstlerischer Eigengestaltung preisgegeben und das Geschäft auf Luxusnippes zur Befriedung von Statusallüren Neureicher in aller Welt ausgerichtet.
Das ging an den Baum, trotz dubioser Finanzspritzen unter Umgehung der Zustimmungspflicht des Haushalts- und Finanzausschusses jeweils haarscharf unter der 5Millionen-Euro-Grenze. Was ist nun die Lösung? Natürlich eine Parallelgesellschaft: eine Stiftung fürs Alte und ein Geschäftsbetrieb fürs Neue. Finanzminister Unland mag zwar unterm Strich das Geld in Sachsen zusammenhalten, aber nicht die Gesellschaft. Er macht alles kaputt –
die Schulsozialarbeit, die Jugendhilfe, die Krankenhäuser – und am Ende demoliert er auch noch den Kernbestand von Sachsens Erbe: die Porzellanmanufaktur Meißen.
Der Ministerpräsident steht mit entschuldigendem Lächeln daneben, als könne er nichts mehr tun, und wartet ab. Erst wenn der Druck so groß wird wie aktuell in der Flüchtlingsdebatte, wenn es eigentlich zu spät ist, dann wagt er sich aus der Deckung und spricht zum Beispiel von einem integrationsstarken Sachsen. Warum? Weil die Wirtschaft, die Forschungseinrichtungen, die Universitäten, die Medizin und die Kultur ihm gesagt haben: Viele unserer guten Leute, die hierher gekommen sind – Sie erwähnten ja einige Beispiele in Ihrer Rede, Herr Ministerpräsident –, sind wieder weg, wenn sich die Atmosphäre in diesem Land nicht schnellstens ändert. Dann werden Sie plötzlich aktiv. Sie merken, es droht immenser wirtschaftlicher Schaden, wenn wir nicht endlich gegensteuern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Koalition vertagt die Novellierung des Schulgesetzes. Auch vom versprochenen Lehrerpersonalentwicklungskonzept ist nichts zu sehen. Die Sächsische Landesausstellung zur Industriekultur wurde verschoben. Schlaglichtartig offenbart sich immer wieder die Folge des entscheidenden Denkfehlers CDU-geführter Regierungen: Für Sie ist die Dynamik in der Wirtschaft wünschenswert, aber beim Sozialen, der Kultur und der Bildung setzen Sie auf Bewegungslosigkeit.
Alles, was sich nicht ökonomisch durchbuchstabieren lässt, gerät unter die Räder. Ihre soeben gehaltene Rede ist der aktuelle Beweis dafür.
Uns erwartet ja im Herbst nach den Feierlichkeiten „25 Jahre friedliche Revolution“ im letzten Jahr eine Highlight-Orgie zu „25 Jahre Sachsen“ – eine gigantische, staatlich inszenierte Begräbnisfeier für den einstigen Aufbruch, der ausrief: „Wir sind das Volk“. Das Wir liegt in Stücken zerrissen, in unzähligen Parallelgesellschaften. Wo es heute noch „Volk“ ruft, ist es ins Völkische heruntergekommen. Selbst berufsgemäße konservative Volksversteher wenden sich inzwischen mit Grausen ab.
Dazu gibt es eine Alternative: Wir müssen uns neu sortieren. Alle Weisheiten haben ein Verfallsdatum. Das Verfallsdatum Ihrer Weisheiten, Herr Ministerpräsident, ist längst überschritten. Es fehlen Freiheitsrechte, die noch 1989/1990 im Mittelpunkt standen. Heute ist es so, dass Sie aus Angst Veranstaltungen unter freiem Himmel verbieten lassen.
Dazu schreibt Andreas Esche von der BertelsmannStiftung im „Spiegel“: „Wenn wir die Entwicklung einfach laufen lassen, gefährden wir unser Wohlstandsmodell und die Zukunft unserer Gesellschaft.“ Wer also glaubt, die wachsenden Ungleichgewichte würden von alleine verschwinden, der irrt gewaltig.
Heute, zum Ende des ersten Sitzungsjahres dieser Legislaturperiode, geht es um die Orientierung unserer Arbeit bis zum Jahr 2019. Dazu gehört auch unsere Positionierung in Europa. Erst in der zehnten Verhandlungsrunde zu TTIP fängt die Koalition an, sich hier im Sächsischen Landtag mit einem Antrag zu bewegen, nachdem die CDU-regierte Staatsregierung in den letzten Monaten alle Initiativen der Opposition dazu abgeschmettert hat.
Wir als Landtag können viel von Stadt- und Gemeinderäten lernen, die sich bei allen Meinungsverschiedenheiten und harten Auseinandersetzungen als gemeinsame Interessenvertreter der Bevölkerung ihrer Kommune verstehen. Dazu gehört auch eine transparente Staatsregierung, die die Opposition regelmäßig so frühzeitig informiert wie die Koalitionsfraktionen.
Nicht einmal den besprochenen Beteiligungsbericht zu staatlichen Unternehmen haben Sie bisher geliefert. Bis Ende Mai hat es in Sachsen 31 Anschläge auf Flüchtlingsheime gegeben, den zuletzt bekannt gewordenen in Meißen. Obwohl im Internet Rechtsextremisten gegen Flüchtlinge mobil gemacht haben, sieht der CDU-Landrat Arndt Steinbach keine rechten Umtriebe in seinem Landkreis.
Er selbst hat vor wenigen Wochen NPD-Funktionäre zum Dialog ins Landratsamt eingeladen. Eigentlich höchste Zeit, dass Sie, Herr Ministerpräsident, bei Ihren Parteifreunden einmal bei jenen dazwischenfahren, die in ihren Wahlkreisen verächtlich über Wirtschaftsflüchtlinge
Ich habe Ihre Ausführungen heute mit Respekt vernommen, Herr Ministerpräsident, nur: Ob dies tatsächlich Konsens in der CDU in Sachsen ist, bezweifle ich ganz stark. So fallen Hemmungen. Immer mehr Menschen laden sich mit Hass auf. Der Mob will nicht immer nur Dampf ablassen, wie am Montag in Freital. Der Mob hat schon lange auf die nächste Stufe geschaltet. Im Netz wird offen zur Gewalt gegen Flüchtlinge und Ausländer aufgerufen. „Die Heimat verteidigen“ heißt das dann. Das kann dann auch einem Herrn Fischer aus der CDU nicht mehr gefallen. Zum Glück gibt es in Sachsen auch etliche Menschen, die dagegenhalten, Menschen, die sich um Fremde und Flüchtlinge kümmern, anstatt sie zu bedrohen.
Höchste Zeit, Herr Ministerpräsident, dass Sie ihnen die Unterstützung zukommen lassen, die sie verdienen, anstatt wie bisher falsche Rücksicht auf mögliche Wähler rechts von der Union zu nehmen.
Herr Ministerpräsident, Sie müssen sich jetzt entscheiden, was aus dem Freistaat Sachsen werden soll, wie es fortan um unsere politische Kultur bestellt sein soll, welcher Grundton in der Gesellschaft herrschen soll, wie wir mit alternativen Vorschlägen umgehen wollen, wie offen unsere sächsische Gesellschaft für Neues, für neue Mitbewohner ist. All dies entscheidet sich jetzt. Ihre Rede hat mir gezeigt: Sie bleiben beim Altbekannten, beim Durchmogeln, beim Abmoderieren, beim Abwarten. So verspielen Sie die Zukunft auch meiner Kinder, und das, Herr Ministerpräsident, werde und darf ich nicht tolerieren.
Für die Fraktion DIE LINKE sprach Herr Kollege Gebhardt. Nun sehe ich eine Kurzintervention an Mikrofon 5. Das Wort hat Herr Kollege Krauß.
Herr Kollege Gebhardt, Sie haben sehr viel über Parallelgesellschaft gesprochen. Mir ist deutlich geworden, dass es in der Tat eine Parallelgesellschaft in Sachsen gibt. Diese gibt es aber bei Ihnen, bei den LINKEN, und das, was Sie erzählt haben, hat mit der Realität der Menschen in diesem Land überhaupt nichts zu tun. Man hat wirklich den Eindruck, Sie leben in