Protocol of the Session on July 9, 2015

Ich habe eine Bitte an Sie persönlich, Herr Tillich: Ich glaube, wir sollten nie vom Missbrauch des Asylrechts sprechen. So wie ein deutscher Staatsbürger, der vor Gericht nicht erreicht, was er für richtig hält, kein Rechtsmissbraucher ist, so sollten wir auch diese Wahrheit respektieren. Wer einen Asylantrag stellt, wendet unser Asylrecht an. Dieses Recht darf ihm auch im Falle der Ablehnung des Antrages nicht rückwirkend abgesprochen werden.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Menschen in Sachsen sind der Meinung, dass das Thema Migration, Asyl und Integration zurzeit Thema Nummer eins ist und auf Jahre hinaus eine große Rolle spielen wird. So ergab es eine in der letzten Woche von der Staatsregierung vorgestellte Meinungsumfrage. Also werde ich auch keinen Bogen um alle wichtigen Aspekte dieses Themas machen; denn das ist tatsächlich eine, wenn nicht sogar aktuell die wichtigste Zukunftsaufgabe für den Freistaat Sachsen.

Zunächst aber zur Wurzel aller aktuellen Probleme. Wir haben in Deutschland den guten Grundsatz gleichwertiger Lebensverhältnisse im Grundgesetz stehen. 25 Jahre lang waren wir in Sachsen vor allen Dingen auf die Frage fixiert, wie wir diese Gleichwertigkeit zwischen Ost und West, zwischen Sachsen und Bayern hinbekommen. Auch wenn die Antwort nach einem Vierteljahrhundert ernüchternd ausfällt – Stichwort: Sachsen hat nur die Hälfte der Steuerkraft der Westländer –, steht jetzt eine neue Frage ganz oben auf der Tagesordnung: Wie erreichen wir die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse für alle Menschen überall in ganz Sachsen? Das, meine Damen und Herren von der Koalition, wird der Prüfstein für gute Regierungsarbeit sein.

In unserer Landesverfassung ist von Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen zweimal die Rede. Einmal geschieht

das im Zusammenhang mit alten und behinderten Menschen. Diesem Maßstab entspricht die Koalition leider nicht. Beim Thema Inklusion ist von der Überprüfung und Anpassung des Landesrechts entsprechend den Belangen von Menschen mit Behinderungen nichts zu spüren, obwohl das im Koalitionsvertrag zugesagt worden ist. Das zweite Mal geschieht das mit Blick auf freie Träger, die wie die Kirchen in gleichwertiger Weise gemeinnützig tätig sind und deshalb Anspruch auf die gleiche angemessene Kostenerstattung haben.

Über die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen auf dem gesamten Territorium des Freistaates Sachsen sagt unsere Landesverfassung nichts. Das ist eigentlich schade. Wir sollten im Rahmen der Verfassungsdiskussion zwischen den Fraktionen darüber nachdenken, ob wir nicht für die Zukunft Klarheit darüber schaffen, dass niemand aus geografischen Gründen in unserem Land benachteiligt werden darf.

Ich weiß, Herr Kollege Kupfer, Sie wissen noch nicht, ob Sie überhaupt eine Verfassungsdebatte führen wollen. Das unterscheidet Sie von Ihrem Vorgänger Flath, der dafür offen gewesen ist.

(Frank Kupfer, CDU: Ich weiß das schon!)

Es wird Ihnen allerdings schon bald nichts anderes übrig bleiben, als sich entgegen Ihrer bisherigen Gewohnheit zu bewegen, wenn Sie nicht als Fußnote in die CDUGeschichte eingehen wollen.

(Steve Ittershagen, CDU: Darum geht es doch gar nicht!)

Denn beim Thema Bürgerbeteiligung sieht man doch wohl auch in der Staatsregierung Handlungsbedarf, zumindest interpretiere ich die Ankündigung des Ministerpräsidenten, mit Partnern aus der Schweiz und Österreich über Demokratie reden zu wollen, so. Das kann letztlich heißen: Absenkung der Hürden für direkte Demokratie.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Zugleich werden ständig Debatten über eine mögliche Veränderung der Zahl der Landtagsabgeordneten geführt. Auch das ließe sich nur auf dem Wege einer Verfassungsänderung regeln. Deshalb fordere ich Sie, Herr Kupfer, auf, in die Realität und an den Verhandlungstisch in puncto Verfassung zurückzukehren.

(Frank Kupfer, CDU: Nie mit Ihnen!)

Sachsen ist das Land der Parallelgesellschaften.

(Lachen bei der CDU)

Hier Wohnungsnot, da Wohnungsleerstand.

(Steve Ittershagen, CDU: Dort, wo Sie herkommen, jawohl!)

Hier Zuzug und Bevölkerungswachstum, dort Abwanderung und Schrumpfung der Bevölkerung. Hier geben sich

Investoren die Klinke in die Hand, dort stehen Gewerbegebiete leer. Die Fraktion der GRÜNEN hat gerade erst auf Basis amtlicher Zahlen festgestellt, dass selbst die Wahrscheinlichkeit, Abitur zu machen, regional extrem unterschiedlich ist.

Die Weisheit der Leuchtturmpolitik hat das Verfallsdatum längst überschritten. Zwei Drittel der Sachsen wohnen außerhalb der Ballungszentren und wissen das aus eigener Erfahrung.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Tragödie um die Lausitzer Braunkohle ist symptomatisch für das Unvermögen der von der CDU dominierten Koalition, die Entwicklung des Landes neu zu denken. Statt auf Strukturwandel in der Region zu setzen, setzt die CDU zentralistisch auf Kohletagebaue bis 2100, egal, was das Weltklima dazu sagt.

Herr Ministerpräsident, Sie können doch jetzt nicht ernsthaft erst die Verlässlichkeit bei der weiteren Abbaggerung von Dörfern einfordern, um danach über die Zukunftsperspektiven für die Region nach der Kohle reden zu wollen. Auf den Papst hören Sie leider nicht, weder bei der Energie- noch bei der Flüchtlingspolitik. Deshalb ist das Schiff „Christliches Abendland“ in Sachsen ziemlich in die Schieflage geraten.

Ja, Herr Tillich, die Sachsen sind sehr innovativ. Deshalb ist Ihr Spruch, Arbeitsplätze seien wichtiger als Klimaschutz, unsächsisch beschränkt. Die Menschen in Sachsen wollen und können mit Arbeit für mehr Klimaschutz mehr Geld verdienen. Warum stehen Sie dann eigentlich bei der erneuerbaren Energie auf der Bremse und subventionieren weiterhin lieber den Klimakiller Kohle mit der Kohle der Steuerzahler? So geht Sächsisch tatsächlich nicht.

(Beifall bei den LINKEN)

Sie, Herr Tillich, sind mit Ihrem zukunftslosen Verharren auf Veraltetem auch persönlich verantwortlich für die derzeit existierende Unsicherheit der Bevölkerung in der Region Schleife. Sprechen Sie doch einmal mit den Leuten vor Ort, die die Mitteilung von Vattenfall in den Händen halten, dass ihre Umsiedlung gestoppt ist. Diese Verantwortung können Sie weder nach Berlin noch nach Schweden abschieben.

Wie gesagt: Sachsen ist ein Land der Parallelgesellschaften. Das erkennen wir auch dort, wo Integration in den gesellschaftlichen Alltag vor allen Dingen stattfindet, nämlich in der Arbeit. Es gibt bei uns in sechsstelliger Größenordnung Menschen, die seit vielen Jahren davon ausgeschlossen sind. Das rot-rot-grün regierte Thüringen hat einen Plan gegen Langzeitarbeitslosigkeit, ein Landesarbeitsmarktprogramm

(Steve Ittershagen, CDU: Dann ziehen Sie doch dorthin!)

und zusätzliche Projekte, die Menschen von Arbeitslosigkeit befreien. So etwas existiert in Sachsen auch nach dem landespolitischen Tod der FDP leider immer noch nicht.

Was ist in Zukunft wichtig? Dass der sozialdemokratische sächsische Arbeitsminister mehr auf die Weitsicht seiner auch in Thüringen mitregierenden Genossen schaut als auf den Tunnelblick der sächsischen CDU-Mitregenten. Denn die wohlklingenden Zustandsbeschreibungen und geäußerten schönen Wünsche des Ministerpräsidenten helfen nichts, wenn es in Sachsen nicht gelingt, die Menschen, die seit vielen Jahren ausgegrenzt sind, wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Denn darunter leidet bei bestimmten Teilen der Bevölkerung die Akzeptanz zur Integration von Menschen. Nur damit ist das hinzubekommen.

(Beifall bei den LINKEN)

Arbeit könnte auch ein Schlüssel zur Integration der nach Sachsen kommenden Asylsuchenden sein. Die Wirklichkeit ist aber eine Mauer. Da ist der syrische Pizzabäcker, der mit nichts als 20 Jahren Berufserfahrung im Gepäck nach Sachsen gekommen ist. Nach insgesamt fünf Monaten Aufenthalt hier bei uns bekam er auf Basis privater Vermittlung die Chance, in einer renommierten Dresdner Pizzeria sein Können vorzuführen. Man war dort derart begeistert, dass man ihm trotz fehlender deutscher Sprachkenntnisse sofort einen Arbeitsvertrag über

1 600 Euro brutto anbot, eine ordentliche Sache also. Die Angelegenheit scheiterte an der Agentur für Arbeit und ihrer sogenannten Vorrangsprüfung. Vor wenigen Tagen erfuhr ich, dass man sich zwei Monate danach in einem anderen Bereich der Behörde immer noch mit dem Mann beschäftigt, um ihm zu helfen.

Dafür ist es aber nun zu spät, denn er wird nach dem inzwischen positiv beschiedenen Asylantrag Sachsen verlassen und in einer westdeutschen Großstadt leben und arbeiten. So geht Integration nicht, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Was ist in Zukunft wichtig? Dass Geflüchtete schon während des Asylantrages in Sachsen eine normale Erwerbsarbeit aufnehmen können. Dafür sollte die Integrationsministerin alles tun. Dafür sollten alle Zuständigen alles tun.

Der derzeitige diskriminierende Ausschluss vom Arbeitsmarkt demoralisiert diejenigen, die zu uns kommen, und schadet vor dem Hintergrund der bekannten demografischen Situation den Interessen Sachsens.

Von Thüringen gehen auch dazu wichtige Impulse aus. Der Ministerpräsident Bodo Ramelow hat die bürokratische Praxis der bisherigen Asylverfahren infrage gestellt. Ich erwarte auch von Sachsens Staatsregierung, dass sie sich mit Thüringen für die Entbürokratisierung im Dienst der Integration starkmacht und sich nicht – wie aktuell geschehen – mit der Beschleunigung von Abschiebung beschäftigt.

Herr Krauß, als Vertreter der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft, ist herzlich eingeladen, dabei mitzu

wirken, aus Asylsuchenden neue Kolleginnen und Kollegen zu machen. Damit würde er selbst wieder ein nützliches Mitglied unserer landespolitischen Gesellschaft,

(Oh-Rufe von der CDU)

nachdem er sich in Gewaltfantasien – Geflüchtete in den Knast – ins Abseits begeben hat.

(Beifall bei den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Schämen Sie sich dafür, den Kollegen als unnütz zu bezeichnen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Sachsen ist ein Land der Parallelgesellschaften und tut sich gerade deshalb mit Integration und Zuwanderung so schwer.

(Christian Piwarz, CDU: Schämen Sie sich für Ihre Formulierung!)

Es sollte sich Herr Krauß für seine Formulierung schämen und nicht ich, Herr Piwarz.

(Beifall bei den LINKEN)

Das Wir, in das wir die zu uns kommenden Menschen integrieren können – –

(Christian Piwarz, CDU: Linke Einteilung!)