Protocol of the Session on July 8, 2015

auch dann, wenn Identität und Herkunftsland wegen fehlender Dokumente nur schwer oder gar nicht festzustellen sind. Nicht ohne Konsequenzen hinnehmbar ist allerdings die häufig auftretende Situation, dass Antragsteller auf Asyl bei der Identitätsfeststellung nicht ausreichend mitwirken oder sich im Fall einer Ausreiseverfügung dieser entziehen. Dies sollten wir, meine Damen und Herren, nicht verschweigen. Es gilt auch hier, eine rechtsstaatlich saubere Lösung zu finden. In diesem Zusammenhang werbe ich für eine differenzierte und sachliche Herangehensweise ohne Überspitzungen.

73 % der Personen im laufenden Asylverfahren gaben an, keine Identitätsdokumente zu besitzen. Geht es hier nur darum, die behördliche Durchsetzung einer Ausreisepflicht in vorwerfbarer Weise – ich betone: in vorwerfbarer Weise – zu verhindern, so darf das letztendlich nicht mit einem Aufenthaltsrecht honoriert werden.

Wirtschaftliche Not, fehlende Perspektiven und Hunger sind nachvollziehbare Gründe für eine Flucht. Wenngleich viele dieser Gründe menschlich akzeptabel sind, so führen sie nach geltendem Recht nicht zu einem Bleiberecht in Deutschland. Noch einmal sei betont: Hierüber muss zügig entschieden und danach auch gehandelt werden, damit wir Platz haben, um denjenigen helfen zu können, die eine echte Aufenthaltsperspektive haben, Stichwort: Schutz den Schutzbedürftigen.

Ich wiederhole es: Die Frage, wer bleiben darf und wer gehen muss, entscheidet nicht der Bauch, nicht die Meinung oder die Überzeugung einer Gruppe oder eines Einzelnen, sondern im Rechtsstaat allein der Gesetzgeber.

Wir im Freistaat sind hinsichtlich der noch fehlenden Erstaufnahmekapazitäten und der entsprechenden neuen Einrichtungen in Dresden und Leipzig leider auch in Verzug. Das sage ich ohne Schuldvorwurf, weil Dinge schlicht nicht vorhersehbar waren. Je schneller diese Einrichtungen arbeitsfähig sind, desto besser können wir die Aufnahme der Ankommenden organisieren. Die Zahl der Asylsuchenden wird in absehbarer Zeit nicht geringer, und es darf nicht sein, dass Flüchtlinge aus Platzgründen auf Dauer ohne jede Registrierung auf unsere Landkreise und Kommunen verteilt werden.

Ganz gleich, wie viele kommen, eine angemessene Unterbringung ist unsere erste humanitäre und gesetzliche Pflicht. Die Außenstellen der Erstaufnahmeeinrichtungen sind in den letzten Wochen wiederholt in die Schlagzeilen geraten. Der Platzmangel und manche hygienischen Zustände in den provisorischen Heimen sind in der Tat kaum akzeptabel.

Vier kurze, in die Zukunft weisende Aspekte möchte ich heute auch in Richtung Lenkungsausschuss hervorheben:

Erstens. In den von mir besuchten Landkreisen und kreisfreien Städten wurde ich immer wieder auf die fehlenden Möglichkeiten zur Behandlung und Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen hingewiesen.

Die eigentlich zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienste und Gesundheitsämter können diese Aufgaben nicht mehr

bewältigen und wir dürfen die Kommunen mit der enorm gestiegenen Zahl von traumatisierten Flüchtlingen nicht alleinlassen. Dies gilt auch im Hinblick auf die anstehende Umsetzung einer europäischen Richtlinie.

Zweitens: Eine weitere Herausforderung wird ab 2016 die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sein; etwa 1 200 von ihnen sollen zu uns nach Sachsen kommen. Darüber werden wir morgen debattieren. Es handelt sich jedenfalls um eine besonders schutzbedürftige Gruppe, andererseits aber auch um eine Gruppe mit hohem Betreuungsbedarf, deren Versorgung uns vor spezielle Herausforderungen stellt.

Ich frage mich: Haben wir genügend Unterbringungsmöglichkeiten? Sind die Jugendämter personell und fachlich ausreichend dafür aufgestellt? Wenn wir jetzt nicht entsprechende Vorbereitungen treffen, wird es im Dezember zu spät sein; denn,

drittens, der nächste Winter kommt bestimmt. Wir bringen jetzt provisorisch in Zelten unter. Jetzt haben wir vielleicht noch Notquartiere, aber im Winter brauchen wir wetterfeste Unterbringungsmöglichkeiten.

Viertens schließlich: Es fehlt im Freistaat an Dolmetschern bzw. Sprachmittlern. Alle unsere Angebote in Richtung Integration nützen nichts, wenn eine Kommunikation fehlschlägt. Nicht nur Flüchtlinge, sondern alle Migranten müssen von Anfang an mit Behörden, Ärzten, Beratern und ihrer Umwelt kommunizieren können. Dazu sind nicht immer professionelle teure Übersetzer nötig; auch ehrenamtlich Engagierte können den Zugewanderten bei ihren ersten Schritten helfen.

Wir brauchen regionale Ehrenamtsportale, bei denen sich Sprach- und Kulturmittler melden und weiterbilden können und ihr Engagement koordiniert wird. Ich glaube, dass insbesondere unsere ausländischen Studierenden hier ein wichtiges Glied in der Vermittlung von Sprache und Kultur sein können.

Meine Damen und Herren, der Titel der Aktuellen Debatte sagt es: Die Kommunikation mit den Bürgern ist unabdingbar. Vorletzte Woche war ich in Rossendorf im Kreis Bautzen unterwegs. Dieser kleine Ort mit 90 überwiegend älteren Einwohnern und ohne ausreichende Infrastruktur direkt am Waldrand gelegen soll 72 Asylsuchende beherbergen. Die Bürger erfuhren es aus der Zeitung, sie waren bisher grundsätzlich positiv eingestellt und hilfsbereit; doch dieses Verhältnis scheint mir schlicht nicht angemessen.

Wir haben doch gelernt, dass nur eine offene und frühzeitige Kommunikation, basierend auf einem klaren Konzept, und der Dialog mit den Einwohnern das notwendige Verständnis erreichen können. Damit können wir vor Ort viele Probleme im Vorfeld ausräumen. Handeln wir bitte auch in Rossendorf nach dieser Erkenntnis.

Denn, meine Damen und Herren, wir brauchen insgesamt eine ehrliche Debatte mit der Bevölkerung. Unser Rechtssystem beruht auf der Akzeptanz unserer Bürger. Sie müssen unsere Entscheidungen mittragen können. Die

Akzeptanz ist sehr wichtig; ginge sie verloren, wäre unser Gesamtsystem gefährdet.

Die Ergebnisse des aktuellen Verfassungsschutzberichtes belegen bundesweit eine Zunahme rechtsextremer Einstellungen und Handlungen. Dieses Problem besteht nicht nur im Freistaat – das wäre eine verkürzte Sicht –; vielmehr muss sich die ganze deutsche Gesellschaft aktiv mit menschenverachtenden Tendenzen, Meinungen, Vorbehalten, Unsicherheiten, Ängsten, vor allem aber mit Fakten auseinandersetzen.

Wir Abgeordnete sollten in dieser Diskussion die Meinungsführerschaft übernehmen; nur zu klagen reicht nicht. Hier sind wir alle gefragt – ganz gleich, ob als Bürgermeister, Landräte, Kreis- oder Landtagsabgeordnete, Mitglieder des Bundestages oder des Europäischen Parlamentes.

Das Asylthema, meine Damen und Herren, ist Chefsache; denn es hat sich gezeigt, dass besonders dort, wo sich die Mandatsträger und regionale Verwaltungsspitzen wegducken, wo sie Probleme auszusitzen versuchen und dazu schweigen, Randgruppen ermutigt und laut werden. Wir müssen vor Ort und persönlich an die Menschen heran und auch dorthin gehen, wo es wehtut.

Das ist natürlich mühsamer, als sich nur in den Medien zu äußern. Wir haben nämlich Verständnis für die Ängste der Einwohner, aber kein Verständnis für diejenigen, welche Hass und Ängste bewusst schüren. Ich habe wenig Hoffnung, alle Unbelehrbaren zu erreichen, aber wir können sie isolieren und Uninformierte und ideologisch Verführte mit Daten und Fakten aufklären und überzeugen. Wir können durch ehrliche, tabulose Debatten den Menschen die Augen öffnen und mit ihnen gemeinsam vor Ort Herausforderungen meistern und für eine bessere Integration kämpfen.

Die Redezeit geht zu Ende.

Wer aber auf Bürgerversammlungen oder auf der Straße Hetzparolen brüllt und jeden Dialog verweigert, der bewegt sich außerhalb des demokratischen Konsenses und kann mit meinem guten Willen nicht rechnen.

Wer den Hass dann auch noch – sei es in Form von dumpfer Einschüchterung direkt vor Flüchtlingsunterkünften oder durch Gewalt gegenüber den Schwächsten – an den Flüchtlingen auslässt, der macht sich nicht nur strafbar, –

Die Redezeit ist zu Ende!

– sondern handelt in meinen Augen schlicht unanständig.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei der AfD – Beifall bei der Staatsregierung)

Das war der Ausländerbeauftragte, Geert Mackenroth. Jetzt kommt die Staatsregierung zu Wort; bitte, Herr Staatsminister Ulbig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Das Thema Asyl steht wieder einmal auf der Tagesordnung – nicht nur deshalb, weil es eine Herausforderung nur für den Freistaat Sachsen ist, sondern – der eine oder andere Vorredner hat es deutlich zum Ausdruck gebracht –: Es ist eine Herausforderung, vor der die Bundesrepublik steht und vor der wir in Europa stehen. Deshalb gehört an den Anfang und zur Einordnung in dieses Thema – so ähnlich, wie es der Ausländerbeauftragte gerade getan hat – ein klares Wort und ein deutlicher Appell an die entsprechenden Verantwortungsebenen.

Das bedeutet einerseits, dass bei einer europäischen Herausforderung, die dieses Thema stellt, natürlich auch eine europäische Antwort notwendig ist. Es geht um Verteilgerechtigkeit und darum, Lösungen auf europäischer Ebene zu finden und diese Aufgabe nicht bei einzelnen Staaten abzuladen.

Das Zweite, meine Damen und Herren, ist eine Herausforderung für die Bundesrepublik insgesamt. Deshalb hat die Ministerpräsidentenkonferenz eine Entscheidung getroffen; es sind sehr viele Punkte klar geregelt worden. Ein Punkt ist unter anderem, dass eine Strukturreformkommission ins Leben gerufen wurde. Am 15. Juli wird sie zum ersten Mal mit Vertretern aus allen Ländern und dem Bund zusammensitzen. Die Erwartungshaltung nicht nur von mir und von Sachsen, sondern von allen ist, dass noch einmal grundsätzlich über den Umgang mit diesem Thema diskutiert und nachgedacht wird: Sind die Verfahren, so wie sie jetzt angelegt sind, richtig? Kann und muss der Bund gegebenenfalls Dinge komplett übernehmen? Wofür sollen die Länder und die kommunale Ebene zukünftig zuständig sein? Die Klärung dieser Fragen ist wichtig, um es entsprechend einzuordnen und deutlich zu machen.

Dass wir in diesem Themenkomplex auch eine Aufgabe, eine Herausforderung haben, ist völlig klar; die Diskussion hat es deutlich gemacht.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, um das Thema noch ein Stück einzuordnen: Noch Ende vergangenen Jahres war die Prognose des BAMF 200 000 Asylbewerber in diesem Jahr. Im Februar dieses Jahres waren es noch 250 000, die kommen sollten, und jetzt haben wir 400 000 Erstantragsteller. Dass wir darauf reagieren müssen, ist richtig; deshalb hat die Staatsregierung auch reagiert und gestern einen klaren und deutlichen Beschluss gefasst. Dieser Beschluss beinhaltet, einerseits die Erstaufnahmekapazitäten deutlich zu erweitern und andererseits auch die personellen Kapazitäten für den Bereich der Zentralen Ausländerbehörde, aber auch

für den Bereich der Justiz zu verbessern, um diesen Aufgaben gerecht werden zu können.

Wenn ich höre, das ist alles nichts Neues, das haben wir schon einmal gesehen oder gehört, dann muss ich sagen, Teile davon sind natürlich bekannt, gar keine Frage, weil wir ja nicht gestern angefangen haben, uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Aber es gibt auch neue Fakten. Es bleibt dabei: Die drei Standorte Dresden, Leipzig und Chemnitz werden jeweils eine Einrichtung mit 700 Plätzen haben; zusätzlich Schneeberg mit 280. Das sind insgesamt 2 380 Plätze, die als Kernkapazität zur Verfügung gestellt werden. Dazu kommt in Leipzig die Friederikenstraße, die Anfang August mit 420 Plätzen zur Verfügung stehen wird.

Dann wird in Dresden auf dem Objekt der Landesdirektion an der Stauffenbergallee eine Containereinrichtung mit 500 Plätzen zur Verfügung gestellt. Das bedeutet, wir werden Ende dieses Jahres zusätzlich 1 000 Plätze anbieten können. Die Staatsregierung hat den Auftrag erteilt, nach der Sommerpause zwei weitere Standorte mit jeweils 500 Plätzen bereitzustellen, um diese der Kapazität zuzuordnen. Dazu soll es 600 Plätze geben, die je nach Bedarf zugeordnet werden können.

Ziel des Ganzen ist natürlich, aus der Situation herauszukommen, auf temporäre Einrichtungen zugreifen zu müssen. Es ist an der einen oder anderen Stelle Kritik geübt worden, und diese ist an der einen oder anderen Stelle gerechtfertigt, meine sehr verehrten Damen und Herren, gar keine Frage. Aber wenn wir darüber reden, dass wir allein im Juni fast 2 300 Menschen zusätzlich zugewiesen bekommen haben, und wenn wir dann darüber reden, dass es in jedem Land – die Länder sind unterschiedlich betroffen – mal Windpocken oder andere Quarantänegründe gibt, was zur Konsequenz hat, dass den einzelnen Ländern schnell sehr viel mehr Asylsuchende und Flüchtlinge zugewiesen werden können, dann muss ich an dieser Stelle auch um Verständnis dafür bitten, dass gelegentlich kurzfristig reagiert werden muss.

Natürlich kann Kommunikation immer noch verbessert werden. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das Kommunikationsargument dazu verwendet wird, im Kern eigentlich die Diskussion dahin zu lenken, dass man die Einrichtung nicht haben will – man will es nur nicht so deutlich zum Ausdruck bringen –, dann sind wir auch bei des Pudels Kern.

Ich möchte noch das eine oder andere aus der Diskussion aufgreifen. Frau Zais, Sie haben Görlitz genannt.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das war Frau Köditz!)

Es war Frau Köditz.

Dann will ich Görlitz gern noch mal aufgreifen, weil es im Kern deutlich macht, dass man, wenn vernünftige Kommunikation stattfindet, auch vor Ort mit diesem Thema gut und vernünftig umgehen kann. Natürlich hat es im ersten Moment eine Diskussion gegeben, als es darum ging, dieses Heim von Studenten zu nehmen. Von Görlitz kam eine Gegenreaktion. Aber der Unterschied

zum Beispiel zu Freital ist: In Görlitz haben der OB, der Landrat und der Abgeordnete vor Ort gesagt: An dieser Stelle ist es problematisch, aber wir sagen euch, an welcher Stelle es geht, und wir machen das gemeinsam mit euch.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Das ist der Unterschied, und das macht aus meiner Sicht auch deutlich, dass bei diesem Thema die Verantwortung nicht nur bei der Staatsregierung liegt, sondern dass es auch darauf ankommt, wie man vor Ort mit diesem Thema umgeht und wie die Diskussion vor Ort verankert ist.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich möchte noch ein Wort zu Freital sagen. Es haben ja viele über Freital und die Diskussion vor Ort geredet. Diejenigen, die sich da zu Wort gemeldet haben, habe ich in der Diskussion in Freital nicht gesehen.