Dass Sie das sagen, ist eine Bestätigung dafür, dass Sie mit Ihrer Anschauung nicht in dieses Haus gehören! Sie gehören nicht in dieses Haus!
Deshalb ist es wichtig, bei der Frage um diesen Gedenktag diese Menschen zu berücksichtigen – egal, ob es Heimatvertriebene, Asylbewerber oder Bürgerkriegsflüchtlinge sind. Es muss unser Ansatz sein, die unterschiedlichen Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen mussten, bei der Debatte um einen solchen Gedenktag mit zu bedenken.
Ich glaube, dass uns jeder Flüchtling, jeder Asylbewerber und jeder Mensch auch mit ausländischen Wurzeln gleich lieb sein sollte. Die Fokussierung ausschließlich auf Heimatvertriebene halte ich für schwierig und deshalb bitte ich ausdrücklich darum, dass Sie das Thema Flüchtlinge und Heimatvertriebene – so wie in unserem Änderungsantrag vorgesehen – mit aufgreifen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich ist es wichtig, dass wir uns dem Thema stellen. Der vorliegende Antrag wirft schwierige Fragen auf, die im Rahmen einer Landtagsdebatte kaum abschließend beantwortet werden können; das haben wir an der bisherigen Diskussion gesehen. Das ist auch der Grund, warum eine vertiefende Behandlung in den Ausschüssen sinnvoll wäre.
Meine Damen und Herren! Um eines klarzustellen: Das Schicksal der gegen Ende des Zweiten Weltkrieges bzw. danach aus ihrer damaligen Heimat Vertriebenen sollte Gegenstand eines verantwortlich gestalteten Gedenkens sein. Damit stehen wir aber erst am Anfang einer schwierigen Debatte.
Die Koalitionsfraktionen machen es sich zu leicht, wenn sie einfach die Beispiele der Ministerpräsidenten Bayerns und Hessens nachahmen, die 2013 – per Proklamation, Herr Hirche und Herr Zastrow – jeweils einen entsprechenden Gedenktag eingeführt haben. Die Ausrufung eines Gedenktages allein sagt noch nichts über die Gestaltung des Gedenkens aus. Aber hier beginnen die Herausforderungen.
Zuerst ist die angemessene Würdigung des historischen Kontextes zu nennen, auf die ich noch gesondert eingehen möchte. Die bloße Festlegung eines Gedenktages ist noch lange keine Garantie dafür, dass das Schicksal der Betrof
fenen angemessen gewürdigt wird. Im Gegenteil, nichts deutet darauf hin, dass das bloße Vorhandensein eines Gedenktages ein echtes Gedenken in der Gesellschaft befördert. Wir können es doch am 17. Juni beobachten: Dieser ist tatsächlich ein Gedenktag. Aber der FDP reicht das offenbar nicht aus; sie hält es für erforderlich, den Buß- und Bettag abzuschaffen, damit der 17. Juni in Sachsen ein Feiertag werden kann. Auch das würde noch kein echtes Gedenken garantieren. Es ist bekannt, dass in der alten Bundesrepublik das Gedenken an diesem Tag – damals ein Feiertag – immer mehr zugunsten normaler Freizeitgestaltung in den Hintergrund rückte.
Auf der anderen Seite ist ein bloßes Datum vor Missbrauch nicht sicher, was sich gestern wieder an der Nazidemonstration, die in Dresden stattfand – ebenfalls anlässlich des 17. Juni! –, gezeigt hat. Natürlich bestünde dieses Problem in ganz besonderem Maße auch bei einem Vertriebenengedenktag.
Deshalb wäre es wichtig zu wissen, nach welchem Konzept ein Gedenktag gestaltet werden soll. Noch wichtiger wäre es aber zu klären, wie der Umgang mit der Vergangenheit nicht nur an diesem einen Tag aussieht. Wie helfen wir denn Menschen, die immer noch mit den durch die Vertreibung erlittenen Traumata zu kämpfen haben? Mit welchen Maßnahmen vermitteln wir das historische Bewusstsein, um die Ereignisse und ihre Hintergründe an jüngere Menschen weiterzugeben? Ein Gedenktag allein wird dafür nicht ausreichen.
Vor allem bleibt die Frage offen, wie wir die Ereignisse richtig historisch einordnen. Es geht zum Beispiel nicht an, dass Nationalsozialismus, Stalinismus und Krieg in einem Atemzug als Ursachen genannt werden. Nicht alle flohen vor dem Krieg. Nicht alle wurden von Stalinisten vertrieben. Der Nationalsozialismus ist als Ursache natürlich anzuführen. Aber das kann nicht heißen, die Vertriebenen auch noch pauschal als Opfer des Nationalsozialismus zu betrachten. Es gehört nun einmal zur Wahrheit dazu, dass manche Opfer zuvor auch Täter gewesen sein konnten.
Wenn man aus der – ich zitiere aus dem Antrag – „leidvollen Geschichte“ Deutschlands eine besondere Verantwortung ableitet, muss man sehr aufpassen, keine einseitige Opferrolle zu konstruieren.
(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN – Jürgen Gansel, NPD: Das gilt auch für andere Themenbereiche! Ein Schwachmat da vorn am Mikrofon!)
In der Begründung wird zum einen betont, dass die Vertriebenen Heimat und Wurzel verloren haben. Zum anderen wird die „Historisierung der Ereignisse“ angesprochen. Was wir erleben, ist doch, dass die Vertiefung der europäischen Einigung und lebendige Beziehungen zu unseren Nachbarn die Chance bieten, verlorene Heimat wiederzuentdecken, ohne Territorialansprüche zu stellen, und uns dabei die Vergangenheit im Dialog zu vergegen
wärtigen. Der vorliegende Antrag übersieht völlig, dass deshalb das Erinnern an die Vertreibung im Dialog mit unseren Nachbarländern gestaltet werden sollte, die vor der Vertreibung von Deutschen dem nationalsozialistischen Angriffskrieg zum Opfer gefallen waren.
Da dieser Aspekt nicht berücksichtigt wird und der Antrag notwendige Differenzierungen, wie soeben erläutert, unterlässt, können die Mitglieder meiner Fraktion ihm nicht zustimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Eine im Dezember 2002 vom Bonner Haus der Geschichte durchgeführte aufschlussreiche Untersuchung hat gezeigt, dass nur 10 % der Befragten die Zahl der Vertriebenen korrekt zwischen 10 und 20 Millionen einordnen konnten; bei denen unter 30 Jahren waren es nur 4 %. Die meisten Befragten schätzten die Zahl viel zu niedrig, entweder unter 5 oder zwischen 5 und 10 Millionen. Der Durchschnitt lag bei 5,6 Millionen statt der tatsächlichen Zahl von 12 bis 14 Millionen. Weniger als zwei von fünf Personen konnten Schlesien, eines der Hauptvertreibungsgebiete, auch nur annäherungsweise auf einer Karte finden – ein geringerer Anteil als die Zahl der Personen, die bei einer früheren Befragung Äthiopien lokalisieren konnten. Das sind bemerkenswerte Ergebnisse, wenn man bedenkt, dass heute fast drei von zehn Deutschen selbst vertrieben wurden oder die Kinder oder Enkel von Vertriebenen sind.
Während die Geschichte der Vertreibung in Deutschland zu wenig bekannt ist, kann man für den Rest der Welt ohne Übertreibung sagen, dass sie bis heute das am besten gehütete Geheimnis des Zweiten Weltkriegs ist. Die Dimensionen einer Abwesenheit statt einer Präsenz zu bestimmen ist natürlich problematisch; dennoch kann man nahezu sicher sein, dass an westeuropäischen und nordamerikanischen Universitäten die überwiegende Mehrheit der Studenten selbst in Fächern wie Neuere Geschichte Europas, Internationale Beziehungen und Politologie ihr Studium abschließt, ohne je etwas von einer der schlimmsten menschengemachten Katastrophen gehört zu haben, die den Kontinent nach 1945 traf und auch den blutigen Zerfall Jugoslawiens in den Neunzigerjahren weit übertrifft.“
Diese aufrüttelnden Worte finden sich in dem Vorwort zu dem Buch „‚Ordnungsgemäße Überführung‘ – Die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“ des irisch-amerikanischen Historikers Ray M. Douglas, der an der Colgate University in Hamilton bei New York lehrt und dessen im Jahr 2012 ins Deutsche übersetzte Arbeit von dem Rezensenten Karl-Peter Schwarz in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ als „Maßstäbe setzendes Buch“ bezeichnet wurde. Hinzufügen möchte man, dass es eben kein Zufall ist, dass auch diese Arbeit – wie einige andere in jüngerer Zeit erschienene Standardwerke
über die preußische und deutsche Geschichte – im angelsächsischen Raum, nicht aber in Deutschland entstanden ist. All dies, meine Damen und Herren, zeigt doch, wie notwendig, ja überfällig die hier vorgelegte Initiative für einen Sächsischen Gedenktag für die Heimatvertriebenen ist.
Es ist an dieser Stelle sicherlich legitim, darauf hinzuweisen, dass die NPD-Fraktion vor fast genau drei Jahren, nämlich am 17. Juni 2011, einen praktisch inhaltsgleichen Antrag in den Geschäftsgang des Landtages eingebracht hatte. Aber es ist schließlich nicht das erste Mal gewesen, dass eine parlamentarische Initiative der Nationaldemokraten im Plenum erst mit barschen Worten abgelehnt wurde, um ein paar Jahre später in nur minimal modifizierter Form von einer anderen Fraktion wieder eingebracht zu werden.
Aber, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, dieser hier vorgenommene geistige Diebstahl stört uns Nationaldemokraten angesichts des Themas und seiner Bedeutung nicht nur nicht, wir begrüßen ihn sogar ausdrücklich. Schließlich war der Einsatz für die Heimatvertriebenen noch in den Ursprungsjahrzehnten der Bundesrepublik ein unhinterfragbarer nationalpolitischer Konsens, der von allen Parteien aus tiefster innerer Überzeugung mitgetragen wurde.
Erinnern wir uns: Die SPD galt damals als die deutsche Vertriebenenpartei. Ihr erster Vorsitzender nach dem Krieg, der gebürtige Westpreuße Kurt Schumacher, der „Löwe aus Culm“, war der denkbar kompromissloseste und scharfzüngigste Streiter für die deutsche Einheit und die Belange der deutschen Heimatvertriebenen. Genauso deutlich positionierte sich Herbert Wehner gegen einen – wortwörtlich – „Ausverkauf im Osten“. Er ließ es sich nicht nehmen, persönlich an allen Treffen der Heimatvertriebenen teilzunehmen. Für die CDU redete Helmut Kohl noch im Jahr 1985 beim Deutschlandtreffen der Schlesier in Hannover, das ursprünglich unter dem Motto „Schlesien bleibt unser“ gestanden hatte.
Aus heutiger Sicht muss man freilich sagen, dass es – der früh verstorbene Kurt Schumacher ist von dieser Kritik allerdings auszunehmen – um eine parteipolitische Instrumentalisierung der Heimatvertriebenen ging, die als Stimmvieh bei Wahlen ihren Dienst leisten sollten, um nach der Regierungsbildung abserviert zu werden. In den 1990er Jahren und im Jahrzehnt nach dem Jahrtausendwechsel wurde deutlich, dass gemeinsam mit den etablierten Parteien nicht einmal die Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibung zu machen war, obwohl der Stiftungsvorstand, der dieses Projekt realisieren sollte, mit der CDU-Politikerin Erika Steinbach und dem mittlerweile leider verstorbenen SPD-Politiker Peter Glotz sehr ausgewogen besetzt war.
In der Debatte um dieses Zentrum gegen Vertreibung wurde aber schnell deutlich, dass maßgebliche Teile der politischen Klasse in Deutschland die Erinnerung an
Pommern, Ostpreußen, Schlesien und das Sudetenland offenbar ganz tilgen und die grausame Vertreibung der Deutschen als eine Art verdientes göttliches Strafgericht erscheinen lassen wollen. Thorsten Hinz sprach denn auch in der „Jungen Freiheit“ zu Recht davon, dass die Deutschen mit der historischen Beräumung der Vertreibungsgebiete eine neue Stufe ihrer politischen Infantilisierung erklimmen würden. Der an der Universität von Alabama lehrende Historiker Andrew Demshuk wiederum spricht in seiner im Jahr 2012 und bezeichnenderweise noch nicht ins Deutsche übersetzten Arbeit „The Lost German East“ mit Befremden und Sorge von der – so wortwörtlich – Geschichtslosigkeit der Deutschen, die sich im Umgang mit dem ostdeutschen Erbe zeige.
Meine Damen und Herren! Ein so liebloser Umgang mit der eigenen Geschichte und ihren Bruch- und Wendepunkten dürfte in keinem anderen Land, auch nicht in Burkina Faso oder Kamerun, egal wie arm oder reich es nach vordergründigen Wohlstandskriterien sein mag, nur denk- und vorstellbar sein.
Die Wahrheit ist, Deutschland ist auch heute noch undenkbar ohne die geistige Mitgift, die es aus seinen ostdeutschen Provinzen mitbekam. Ferdinand Porsche, Gregor Mendel, Marie von Ebner-Eschenbach, Adalbert Stifter, Rainer Maria Rilke, Otfried Preußler, Franz Fühmann, Gustav Mahler, Christoph Willibald Gluck und der erzgebirgische Volksdichter Anton Günther waren Sudetendeutsche. Heinrich George, Rudolf Virchow, die spätere russische Zarin Katharina die Große, Arthur Schopenhauer und Klaus Kinski stammten aus Pommern oder der Hansestadt Danzig. Andreas Gryphius, Joseph von Eichendorff, Adolph von Menzel, Gerhart Hauptmann, Bernhard Heisig und Bernhard Grzimek waren Schlesier. Aus Westpreußen stammen Hermann Löns, Joachim Fernau und Nikolaus Kopernikus. Lovis Corinth, Johann Georg Hamann, Gabriel Daniel Fahrenheit, Johann Gottfried Herder, E. T. A. Hoffmann, Käthe Kollwitz, Siegfried Lenz, Agnes Miegel, Hermann Sudermann und Ernst Weichert waren Ostpreußen.
In Königsberg wirkten außerdem Heinrich von Kleist, Hannah Arendt und Konrad Lorenz, sodass der Autor Jürgen Manthey nicht umhin kam, in seiner Geschichte Königsbergs diesen Ort als einen der Welthauptstädte des Geistes und der Philosophie zu bezeichnen. Aber auch heute noch sind Ostdeutsche unter uns, die als Meister ihres Faches gelten. Man denke nur an den Danziger Literaturnobelpreisträger Günther Grass, an den schlesischen Ausnahmedirigenten und die Leitfigur der Leipziger Montagsdemonstrationen Kurt Masur oder an den aus Ostpreußen stammenden Erfolgstrainer und heutigen Sportjournalisten Udo Lattek.
Ja, meine Damen und Herren, auch das sollten wir uns heute bewusst machen. Unser ostdeutsches Erbe ist gerade nichts Museales, nichts Abgeschlossenes, nichts, was nur mit älteren Herrschaften in Trachtenkleidung zu tun hat, die sich schlesischen Streuselkuchen reichen
lassen und danach einen „Bärenfang“ oder ein „Danziger Goldwasser“ trinken, sondern es ist etwas stets Gegenwärtiges, woran uns auch ein Blick auf unsere deutsche Fußballnationalmannschaft erinnert, deren Sturm von Miroslav Klose und Lukas Podolski gebildet wird, die beide der heutigen deutschen Minderheit in Schlesien entstammen.
Ja, meine Damen und Herren, wir sind auch heute noch mit tausend Fäden mit den ehemaligen Ostprovinzen des Deutschen Reiches verbunden. Wichtige Grundlagen und Voraussetzungen unseres Denkens stammen von dort. Ich erinnere noch einmal an Immanuel Kant. Erinnert sei hier auch noch einmal an die Hauptstadt des Geistes, die das ostpreußische Königsberg lange war. Wenn wir dieses Erbe weiterhin so verdrängen wie bislang, dann schneiden wir uns beträchtliche Teile unserer ureigensten kulturellen und historischen Überlieferung ab. Das wäre nicht nur eine historische und kulturelle, sondern geradezu eine zivilisatorische Schande. Erweisen wir uns diesem unermesslich reichen und vielfältigen Erbe als würdig. Lassen wir es nicht verkommen, solange wir noch eine Chance dazu haben, solange es noch Zeitzeugen gibt, die befragt werden können und solange viele wichtige Dokumente, Bücher, Manuskripte, Fotografien und Kunstwerke, die endlich fach- und sachgerecht archiviert werden müssten, noch nicht vermodert sind.
Die NPD-Fraktion wird dem heutigen Antrag natürlich zustimmen, sieht in ihm aber nur den allerersten Schritt auf dem Weg zu einem angemessenen Umgang mit unserem gemeinsamen nationalen ostdeutschen Erbe.
Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde der allgemeinen Aussprache. Mir liegt keine Wortmeldung für eine zweite Runde vor. Ich frage trotzdem: Die CDU-Fraktion? – Nein. Die FDP-Fraktion? – Herr Zastrow, bitte.
Frau Dr. Runge, sonst treffe ich Sie doch immer am Mikrofon. Sie sind heute so zurückhaltend. Über Vorlagen für die NPD brauchen wir am heutigen Tag nicht zu sprechen, Frau Dr. Runge.
Ein paar Dinge, die angesprochen wurden, möchte ich noch kurz reflektieren. Kollege Brangs hat gesagt, dass er mit der Fokussierung auf die deutschen Heimatvertriebenen nicht einverstanden ist und das nicht für den richtigen Ansatz hält. Aber genau das wollen wir. Wir wollen die Fokussierung genau auf diese Heimatvertriebenen.
Nein, wir wollen nicht den großen Bogen spannen. Wir wollen mit diesem Tag nicht an die Flüchtlinge in aller Welt denken. Es gibt den Weltflüchtlingstag. Darum kümmert man sich. Da gibt es eine Idee für den 20. Juni, das ist auch eine Sache, aber hier geht es einzig und allein
um die Verantwortung unseres eigenen Landes. Eine Million Heimatvertriebene sind nach dem Krieg hierher gekommen.