Protocol of the Session on January 29, 2014

Und zur Verantwortung. Die Verantwortung in der Ehe ist eben ganz leicht feststellen, weil die Verheirateten einen Trauschein haben. Wenn jemand arbeitslos ist, sagt man

eben: Jetzt gucken wir einmal ganz genau hin, was du als Ehepartner für ein Einkommen hast, kannst du zum Beispiel deinen arbeitslosen Mann unterstützen.

(Zuruf der Abg. Dagmar Neukirch, SPD)

Das kann auch bei Partnerschaften theoretisch so der Fall sein. Aber was ist denn die Realität? Ich weiß nicht, ob Sie auch einmal in Ihrem Familien- oder Freundeskreis herumschauen. Ich kann Ihnen sagen, was ich da erlebe: Da tut man eben so, als ob man alleinerziehend ist, und zieht nicht zusammen, weil man weiß, dass man dann ein bisschen mehr Geld bekommt.

(Zuruf des Abg. Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE – Heiterkeit)

Ja, da können Sie einmal sehen: Ich komme aus der Mitte der Gesellschaft. Das ist die Realität! Das kann ein verheiratetes Ehepaar nicht machen; die können sich nicht so leicht rausschleichen, sondern da muss einer für den anderen eintreten.

Deswegen finde ich, dass man diese Verantwortung, die die Eheleute übernehmen, auch in einer gewissen Weise würdigen sollte. – Nein, so ist die Realität in diesem Lande! Das ist doch auch ganz nachvollziehbar, dass die Leute irgendwo rechnen und schauen, wie sie am besten durchkommen. Deshalb müsste man einen Anreiz so schaffen,

(Zuruf von der CDU)

dass sich wirklich die Verantwortungsgemeinschaft, die Ehe, auch lohnt. Das macht der Staat derzeit, und ich glaube, er macht es richtig, damit keine Fehlanreize gesetzt werden, dass man sich sozusagen pro forma für alleinerziehend erklärt.

(Beifall bei der CDU)

Das war die Reaktion, die natürlich auch in einer bestimmten zeitlichen Spanne vorgetragen werden muss. Wir fahren in der Aussprache fort. Für die SPD-Fraktion ergreift jetzt das Wort Herr Kollege Dulig.

Ich habe gar nicht so viel Redezeit, um all das zu sagen, was man eigentlich zu diesem Thema sagen müsste. Aber mir läuft das Herz über, und deshalb wollte ich unbedingt auch selbst in diese Debatte gehen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen haben heute eine Fachregierungserklärung gehört. Diese wird eigentlich am Anfang gehalten, indem erklärt wird, was das Programm ist. Jetzt hören wir – wir sind im Jahr 2014 – wieder eine Reihe – das wird wahrscheinlich erst der Anfang sein – von Regierungserklärungen als Bilanz. Ich würde ja gern einmal vergleichen zwischen dem, was vorher als Programm von Ihnen definiert und was heute als Bilanz vorgelegt wurde.

Deshalb frage ich Sie, Frau Clauß: Worauf sind Sie persönlich als Familienministerin stolz? Was haben Sie sich in den letzten viereinhalb Jahren vorgenommen,

damit die Situation von Kindern und Familien in Sachsen besser wird? Was ist das Projekt, bei dem Sie mit ganzem Herzen dabei sind und sagen: Genau das wollte ich, und das habe ich geschafft? Was ist Ihre Bilanz als Familienministerin? Worauf sind Sie stolz? Das frage ich Sie.

Ich möchte die Debatte nutzen, nicht nur in diesem alten Schwarz-Weiß zu bleiben: Da ist die Regierung, die alles schön finden muss, und da ist die Opposition, die alles kritisieren muss. Nein. Ich glaube gerade, wenn wir über Familien in Sachsen reden, dann kann man vieles, was Sie beschrieben haben, unterstützen, weil es stimmt. Gerade wenn Sie an die Leistungen, die in Familien erbracht werden, mit unterschiedlichsten Beispielen erinnern, wo auch jeder mit eigenen Beispielen beitragen kann, wird deutlich, dass der Dank, den man den Familien ausdrückt, ein ehrlicher Dank sein muss und ein ehrlicher Dank ist. Dem kann ich mich nur anschließen.

Ich glaube sogar, dass wir bei der Vielfältigkeit bei Familien in vielen Bereichen gar nicht ermessen können, was wirklich Leistungen von Familien sind, wie es Familien ergeht, die tagtäglich aus sozialen Gründen kämpfen, wie es für Familien ist, die richtige Lösung ihrer Kinder bei der Schulwahl zu treffen, wie schlimm und schwierig es für Familien mit Kindern mit Behinderung ist, für alles kämpfen und sich immer rechtfertigen zu müssen. Das kostet eine immense Kraft. Wir können oft nicht ermessen, was dies wirklich bedeutet. Deshalb findet man gar nicht die richtigen Worte, um tatsächlich diese Wertschätzung und den Dank, den man Familien entgegenbringen muss, auszudrücken.

Ich gebe Ihnen auch recht, dass jede Familie einzigartig ist. Jedes Beispiel ist aber auch wieder gefährlich, weil es eben nicht der Verallgemeinerung dienen kann, weil jede Familie einzigartig ist. Jeder hat ein eigenes Schicksal, eine eigene Geschichte, und jeder bringt eigene Stärken und Schwächen mit ein.

Was ist Familie? Familie ist dort, wo man füreinander Verantwortung übernimmt. Wenn man sich auf diesen Nenner verständigen kann, sind wir schon einmal einen gemeinsamen Schritt weiter. Es geht sowohl um die Beziehung von Mutter, Vater, von Eltern zu ihrem Kind, genauso aber natürlich auch um die Beziehung von Kind/Kindern zu ihren Eltern. Familie ist also nicht nur die Phase am Anfang, sondern der dauerhafte Prozess und auch die Verantwortung, die Kinder für ihre Eltern haben, wenn sie in Pflege gehen und Betreuung benötigen.

Für mich ist das Wichtigste, wenn ich an Kinder denke, nicht die Frage, in welchem Verhältnis sie leben, also ob Vater oder Mutter bei ihnen sind. Das Wichtigste ist für mich, dass Kinder behütet aufwachsen, dass sie ein Umfeld haben, in dem alles getan wird, dass sie gelingend aufwachsen können, dass sie ihr Leben meistern können. Das ist für mich das Zentrale. Was mich an dieser Debatte stört, ist, dass wir Familie und Ehe immer als Einheit diskutieren. Ich wiederhole mich an dieser Stelle: Ich bin über 20 Jahre mit ein und derselben Frau verheiratet und habe mit ihr sechs Kinder. Ich möchte das Privileg der

Ehe nicht durch die Diskriminierung anderer Lebensformen haben.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen doch auch zur Kenntnis nehmen, dass gerade einmal knapp über die Hälfte der Familien mit Kindern in einer Ehe leben. Das heißt, dass es gar keinen Sinn macht, wenn Sie zum Beispiel Leistungen für Kinder an die Rechtsform der Ehe binden. Wir müssen die Debatte darauf konzentrieren, was das Beste für das Kind ist, und nicht eine Rechtsformdebatte führen. Das muss Zentrum einer guten Familienpolitik sein: Was dient dem Wohl des Kindes und nicht, in welcher Rechtsform lebt es? Das ist die zentrale Frage.

(Marko Schiemann, CDU: Das hat Alexander Krauß auch gesagt!)

Da haben wir eine unterschiedliche Wahrnehmung über das, was hier als Schwerpunkt für ein Familienbild gesetzt wurde.

Über wen reden wir? Ich bin mir nicht so sicher, ob Sie tatsächlich wissen, wie es Familien in Sachsen geht, denn jeder führt seine Beispiele an, jeder nimmt seine Statistiken. Ich hätte aber gern einmal das Versprechen, das wir einmal dem Sächsischen Landtag gegeben haben, dass wir nämlich einen Lebenslagenbericht in jeder Legislaturperiode fortschreiben, eingelöst. Wir hatten 2006, in der letzten Legislaturperiode, den ersten Lebenslagenbericht, den ersten Armuts- und Reichtumsbericht des Freistaates Sachsen mit der Aussage, dass dieser fortgeschrieben werden soll. Dazu muss ich Ihnen sagen, dass dieser Lebenslagenbericht der erste und leider auch der letzte war.

Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob Sie wissen, wie es Familien in Sachsen geht. Wir haben keine Sozialberichterstattung, wir haben keine Familienberichterstattung. Da verstehe ich schon, dass Sie natürlich heute in Ihrer Regierungserklärung eher beschreibend unterwegs waren als wirklich programmatisch.

Es macht keinen Sinn, wenn wir über Familienpolitik reden, nur in Extremen zu reden, weder alles schön-, noch alles schlechtzureden. Weder geht es darum, Familien nur als solche zu sehen, denen es sozial gut geht, die alles haben, die alles in den Griff bekommen, als auch die Familien darauf zu reduzieren, dass es alles arme Familien sind, die die sozialen Leistungen des Staates benötigen. Die große Mehrheit lebt nämlich genau dazwischen.

Es gibt Familien, die Leistungen des Staates bzw. des Freistaates bekommen, und es gibt eine große Anzahl von Familien, die verdient so viel, dass sie nicht die sozialen Leistungen bekommt, aber wiederum auch so wenig, dass sie sich trotzdem bestimmte Sachen nicht leisten kann. Da besteht eine Unwucht. Deshalb ist zum Beispiel, dass wir das kostenfreie Vorschuljahr gestrichen haben, für einen Großteil von Familien ein Problem, denen wir das erste Mal eine Leistung geschenkt, sie tatsächlich wertgeschätzt haben, nämlich die große Gruppe, die genau

dazwischen ist. Doch diese verlieren wir zunehmend aus dem Blick.

Die Familien in Sachsen fühlen sich wohl. Es ist ihre Heimat. Sie partizipieren natürlich auch von einem wirtschaftlichen Fortschritt, auch davon, dass sich der Arbeitsmarkt positiv entwickelt. Wir können uns doch alle freuen, dass in bestimmten Branchen die Gehälter steigen. Wir können auch gemeinsam froh sein, dass wir eine gute Bildungsinfrastruktur besitzen, dass wir eine gute KitaStruktur haben, dass wir Schulen und Bildungseinrichtungen haben, dass unsere Kinder und unsere Lehrinnen und Lehrer PISA-Sieger sind. Darauf können wir stolz sein, das ist doch gut.

(Beifall bei der SPD)

Aber es macht doch nur Sinn, wenn wir über die Stärken unseres Landes reden und über das, warum sich Menschen hier wohlfühlen, wenn wir die Schwächen nicht negieren, wenn wir die Schwächen benennen und sie endlich als politische Herausforderung annehmen.

(Beifall bei der SPD)

Es muss uns weiterhin aufregen und empören, wie viele Kinder in Armut leben. Kinderarmut ist ja nicht nur die soziale Dimension von Armut, sondern hat genauso viel mit Beteiligungsmöglichkeit, mit Bildung zu tun. Aber wenn wir selbst dort eine positive Entwicklung haben, sind die Zahlen immer noch skandalös. 20,7 % aller Kinder in Sachsen, jedes fünfte Kind, ist abhängig von sozialen Mindestleistungen. Dahinter stecken Biografien. Das sind über 100 000 Kinder, die alle Namen haben, genau wie Sie aufgezählt haben. Das muss uns weiterhin aufregen.

Wir haben nach wie vor eine Gehaltssituation, die davon geprägt ist, dass wir eine Niedriglohnstrategie in diesem Land hatten und deshalb an drittletzter Stelle im bundesweiten Vergleich liegen, was die Gehälter betrifft. Ein monatliches Durchschnittseinkommen eines Haushaltes – die Zahl kommt aus Ihrem Haus – liegt bei 1 565 Euro. Das mag für den Single ausreichen – das reicht für eine Familie keinesfalls aus.

Oder wenn Sie das Thema Kindeswohlgefährdung ansprechen, dann reden Sie doch auch einmal mit den Jugendämtern, mit Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, dass es eben leider auch so ist – und das finde ich nach wie vor einen Skandal –, dass oft Entscheidungen in den Kommunen nicht nach der wirklichen Frage beantwortet werden: Was ist gut für das Kind?, sondern nach Haushaltslage; weil eben Hilfen zur Erziehung eine Pflichtaufgabe sind.

Wenn man dann überlegt: Was ist preiswert, was ist preiswerter, was können wir uns leisten?, nimmt das inzwischen Formen an, dass bestimmte Leistungen für die Kinder gar nicht mehr über die Kommune finanziert werden, sondern dass zum Beispiel jetzt auch kinderpsychiatrische Dienste in Anspruch genommen werden, weil es dann die Krankenkasse bezahlt. Nur, so können wir

doch nicht mit Kindern umgehen. Wenn es um das Wohl der Kinder geht, muss die Qualität der Betreuung und der Unterstützung in den Vordergrund gerückt werden und nicht die Haushaltsstelle.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Genauso glaube ich, dass wir beim Thema Pflege mehr tun müssen. Die Pflegenetze, die Sie so gelobt haben, kamen zu spät und müssen dringend weiterentwickelt werden. Die von Ihnen so gelobte vernetzte Pflegeberatung ist ja gut und schön, nur sagen Sie doch einmal bitte, wie viel Geld Sie dort hineinstecken. Nicht einen einzigen Euro steckt der Freistaat hinein, aber Sie loben es.

Wir brauchen unbedingt ein Landespflegegesetz, um die Kommunen in den einzelnen Regionen endlich in die Situation einer gesicherten Altenhilfeplanung zu versetzen. Wir brauchen darüber hinaus unbedingt regionale Pflegekoordinatoren, die die vorpflegerischen und pflegerischen Angebote vor Ort miteinander in Beziehung setzen und vernetzen.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die beste Wertschätzung für Familie ist eine gute Politik für Familien. Sie haben es ja selbst gesagt, es ist ein Querschnittsthema. Da frage ich aber auch: Wo war eine Familienministerin? Wo hat eine Familienministerin einem Wirtschafts- und Arbeitsminister widersprochen, als er wiederholt gegen Branchenmindestlöhne gestimmt hat und die Allgemeinverbindlichkeit – zum Beispiel das letzte Mal beim Elektrohandwerk – verhindert hat?

Wo war eine Familienministerin – wo ist eine Familienministerin –, die sich mit der Kultusministerin auseinandersetzt und fragt: Wie können wir endlich den Skandal, dass wir in Sachsen nach wie vor die höchste Quote der Kinder und Jugendlichen haben, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen, beenden? Wo war da eine Familienministerin?

Wo war eine Familienministerin – wo ist eine Familienministerin –, die den Ministerpräsidenten an sein Versprechen erinnert, das er 2009 gegeben hat – ich zitiere –: „Wir starten eine Offensive für eine bessere Betreuungsqualität in den Kindergärten. Wir wollen

15 Millionen Euro in die Hand nehmen, damit auf eine Erzieherin künftig nur noch zwölf Kinder kommen. Ich werbe bei den Kommunen darum, diesen Betrag auf 30 Millionen Euro zu verdoppeln im Interesse unserer Kinder.“? Wo war die Familienministerin?

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Wir wollen, dass wir in diesem Land – das sage ich jetzt als Sozialdemokrat –, wenn es um die Zukunft unserer Kinder geht, genauso viel Ehrgeiz entwickeln, wie Sie den Ehrgeiz hatten, die Landesbank zu retten.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Genau denselben Ehrgeiz wollen wir aufbringen. Wir haben uns vorgenommen, in den nächsten zehn Jahren denselben Betrag – 2,75 Milliarden Euro, das sind 275 Millionen Euro im Jahr – zusätzlich für die Kinder zu investieren. Dann sprechen wir über Betreuung und Qualität in den Kitas, über den Lehrermangel an unseren Schulen, über andere Betreuungs-, Bildungs- und vor allem Unterstützungsangebote. Wir brauchen mehr Zeit für die Kinder.

(Andreas Storr, NPD: Da kann ja die SPD in der Bundesregierung ihren Beitrag dazu leisten!)