Ich kann deshalb nur noch einmal wiederholen: Es ist höchste Zeit, dass das Volk eine echte Chance bekommt, gleichberechtigt – ebenso wie das Parlament – Gesetze zu beschließen.
Aus diesem Grund hat die Fraktion DIE LINKE am 13. November den vorliegenden Antrag eingereicht. Wir wollen mit diesem Antrag das Parlament ermuntern und auffordern, nach über zwei Jahrzehnten des Inkrafttretens der Sächsischen Verfassung deren Artikel 74 Abs. 3 Satz 1 mit Leben zu erfüllen. Der Satz lautet: „Die Verfassung kann durch Volksentscheid geändert werden, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Landtags dieses beantragt.“
Wenn wir heute beschließen, dem Volk direkt den Antrag zur Änderung der Verfassung und damit zur Erleichterung
der Volksgesetzgebung zur Abstimmung vorzulegen, dann erleben wir eine Sternstunde des sächsischen Parlamentarismus.
Erstens: Wir wenden zum ersten Mal den Artikel 74 Abs. 3 an, den die Verfassungsmütter und -väter bewusst aufnahmen, in Tradition der Verfassungen in Sachsen vor und nach der Zeit des Faschismus.
Zweitens: Seit 1990 ermöglichten wir zum ersten Mal dem sächsischen Volk, ein Referendum über seine Verfassung durchzuführen.
Drittens: Wir geben dem Volk als gleichberechtigte Partner bei der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt die Entscheidung über ihre Volksrechte, über Quoren und Verfahren zur Volksgesetzgebung in die Hand. Das sind, so meinen wir, drei beachtliche Gründe, diesem Antrag heute zuzustimmen.
Das Instrument der direkten Demokratie, auf Beschluss des Parlaments ein fakultatives Verfassungsreferendum durchzuführen, gibt es lediglich in Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und bei uns in Sachsen. Wir haben heute die Möglichkeit, den anderen zwölf Bundesländern zu zeigen, wie souverän der Sächsische Landtag mit diesem Instrument umgehen kann und dass ein Referendum ein würdiger und wichtiger Beitrag zur Stärkung der Demokratie ist.
Mit dem Beschluss zum Antrag wird die Durchführung eines Volksentscheids auf den Weg gebracht, mit dem das Volk über folgende Änderungen in der Verfassung entscheiden kann: a) Senkung des Quorums für einen Volksantrag von 40 000 auf 35 000 Unterschriften, also auf maximal 1 % der Stimmberechtigten, b) die Ausweitung des Themenkatalogs auf „sonstige Gegenstände der politischen Willensbildung“, c) die Senkung des Unterschriftenquorums für ein Volksbegehren von 450 000 auf 280 000, also auf maximal 8 % der Stimmberechtigten, und d) die Einführung einer Referendumsinitiative, die den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit eröffnet, über ein vom Landtag beschlossenes Gesetz mit einem Quorum von 175 000 Unterschriften – das sind 5 % der Wahlberechtigten – zu entscheiden. Die Initiative zu diesem Referendum geht also vom Volk aus.
Damit dieses verfassungsändernde Gesetz beschlossen wird, ist die Mehrheit der Stimmberechtigten notwendig. Das Volk stimmt bei diesem Referendum für seine Volkssouveränität – ganz im Sinne von Jean-Jacques Rousseau. Der begründet schon vor 250 Jahren in seiner Schrift „Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts“, dass er keine andere Quelle legitimer staatlicher Machtausübung als die freie Zustimmung der vollberechtigten Bürgerinnen und Bürger sah. In Sachsen sind wir ganz schön weit von einem solch „modernen Staat“ entfernt, habe ich erfahren müssen.
Nachdem ich jetzt in meinem Beitrag überzeugende Argumente zur Anwendung des Artikels 74 Abs. 3 Satz 1
vorgetragen habe, erwarte ich vom Hohen Haus Zustimmung. Wir verbessern damit, meine Damen und Herren, die Möglichkeit der Bevölkerung, sich an der demokratischen Gestaltung des Landes Sachsen zu beteiligen.
Nächster Redner ist Herr Schiemann, der für die CDU-Fraktion spricht. Herr Schiemann, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich ist die Volksgesetzgebung ein wichtiger Bestandteil der Sächsischen Verfassung. Sie ist natürlich erst durch die friedliche Revolution und durch eine sehr umfassende Diskussion im Sächsischen Landtag in den ersten zwei Jahren seines Bestehens ermöglicht worden. Für die CDUFraktion bleibt die Volksgesetzgebung deshalb ein bedeutender, unverzichtbarer Bestandteil der Sächsischen Verfassung und damit ein prägender Teil des Verfassungsstaates Freistaat Sachsen. Die Volksgesetzgebung wurde zum stützenden Schlussstein bei der Erarbeitung des Verfassungskompromisses dieser modernen Sächsischen Verfassung.
Für die CDU-Fraktion ist es wichtig, dass es eine Bürgerbeteiligung in modernen Formen gibt. Das heißt in erster Linie natürlich mehr Transparenz bei der Vorbereitung politischer und gesetzgeberischer Entscheidungen, mehr Bereitschaft der fachlich Berechtigten, auf vernünftige Änderungswünsche zu reagieren, mehr Kommunikation und Beteiligung. Das Einmischen des Bürgers in das politische Handeln darf nicht als Störfall, sondern muss als demokratische Normalität begriffen werden.
Nun hat die Sächsische Verfassung, was die Gesetzgebung angeht, eine Gleichrangigkeit zwischen dem Sächsischen Landtag, in den Vertreter aus der Mitte des Volkes entsandt werden, in freien, geheimen und gleichen Wahlen die Aufgaben als Gesetzgeber entsprechend der Volksgesetzgebung zu erfüllen, und zwar bewusst bei der Entstehung der Sächsischen Verfassung. Natürlich ist die Hauptarbeit bei der Erarbeitung von Gesetzen vom Sächsischen Landtag zu erfüllen. Deshalb wurden wir in den Landtag gewählt. Deshalb will der Wähler bzw. der Bürger des Freistaates Sachsen, dass es einen starken Landtag gibt, der die Interessen des Volkes vertritt.
Es ist auch wichtig, dass man über Themen, die in der Verfassung niedergeschrieben sind, eine Debatte führen kann. Dennoch muss ich der einreichenden Fraktion Folgendes sagen: Wir haben bereits im Jahr 2011 eine sehr umfassende Debatte mit vorheriger Anhörung zu dem gleichen Gegenstand gehabt. Der Unterschied heute
Ich glaube dennoch, dass sich die einreichende Fraktion in einer Sache klar sein sollte: Wir haben nach einer sehr intensiven Diskussion die Sächsische Verfassung gerade erst mit großer Mehrheit in diesem Hohen Haus geändert. Das geschah in einem über einjährigen Diskussionsprozess. Alle, die daran beteiligt waren, haben sehr viel Zeit dafür aufgewandt und die zu ändernden Passagen der Verfassung entsprechend beleuchtet.
Wir haben alle Themen beraten und nicht ein Ranking mehr oder weniger als Grundlage genommen. Deshalb kann doch niemand ernsthaft daran glauben, dass die Verfassung jetzt im Schnelldurchlauf geändert werden kann.
Am 01.01.2014 tritt die Änderung der Verfassung in Kraft. Ich glaube nicht, dass man jeden Monat die Verfassung ändern kann.
Bei den Diskussionen über den Inhalt der Verfassungsänderung wurde bewusst die Entscheidung getroffen – das geht zurück auf die Entstehungsgeschichte –, die Volksgesetzgebung bei der Änderung des Verschuldungsverbotes nicht in diesen Prozess einzubeziehen.
Ungeachtet dessen ist Ihr Antrag auch aus inhaltlichen Gründen abzulehnen. Sie erwecken mit Ihrem Antrag den Eindruck, dass die Sächsische Verfassung nicht volksgesetzgebungsfreundlich sei.
Egal, wen Sie jetzt benennen: Jeder muss sich dem Maßstab unterziehen, die Vergleichbarkeit der deutschen Verfassungen zu dokumentieren und zu sagen, welche Verfassung in Deutschland denn nun die bessere ist.
In Hessen gibt es beim Volksbegehren ein Quorum von 20 %, das innerhalb von 14 Tagen erreicht werden muss. Beim Abstimmungsakt zum Volksentscheid gibt es kein Quorum.
(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Aber, Herr Schiemann, wir wollen uns doch immer mit den Besten vergleichen!)
Im Saarland beträgt es auch 20 % und 50 % Zustimmungsquorum. In Baden-Württemberg sind es 16,6 %, 14 Tage Sammelzeit, 33,3 % Zustimmungsquorum.
Ich kann auch in das Land Brandenburg schauen: Dort sind es 3,7 %, ein niedriges Eingangsquorum, aber ein Abstimmungsquorum von 25 %. Das fehlt bei der einreichenden Fraktion.
Wenn man das Einreichungsquorum niedriger gestaltet, dann muss man das Abstimmungsquorum beim Volksentscheid entsprechend einführen.
Herr Schiemann, Sie müssen erst einmal entscheiden, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. – Gut, Sie lassen eine Zwischenfrage zu.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Schiemann. Meine Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, dass in dem gestern unterzeichneten schwarz-grünen Koalitionsvertrag in Hessen – wenn ich es richtig gelesen habe – vereinbart worden ist, auch in Hessen eine Diskussion zu führen, die Hürden für Volksanträge, Volksbegehren herabzusetzen, also auch Ihr Parteikollege Herr Bouffier dem zugestimmt hat?