Die Enquete-Kommission des Landtags „Technologie- und Innovationspolitik“ hat dies erkannt. Ich empfehle Ihnen, Frau Kurth, und Ihrem Haus dringend, darin einmal nachzulesen. Darin heißt es nämlich auf Seite 144: „Bestehende Barrieren für die erfolgreiche Beteiligung an der Bildung müssen systematisch erfasst und abgebaut werden. Diese Aufgabe darf auch nicht an vermeintlicher Ressourcenknappheit scheitern, da vermehrte Bildungsinvestitionen langfristig eine hohe Rendite erwirtschaften. Überdurchschnittlich hoch ist insbesondere der Anteil der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Es ist daher notwendig, den Anteil durch verbesserte schulpsychologische Betreuung und Umsetzung geeigneter pädagogischer Konzepte deutlich zu reduzieren.“ – So weit die Enquete-Kommission des Landtags mit der politischen Mehrheit, wie wir sie kennen.
Dass die Strategien, um Bildungsbenachteiligung abzubauen, nicht erst am Ende der Schulzeit ansetzen dürfen, sondern bereits im frühkindlichen Bereich ansetzen müssen, ist bekannt und auch bundesweit anerkannt. Allein der quantitative Ausbau der Zahl der Betreuungsplätze und die Ausweitung der Öffnungszeiten verbessern nicht die Chancengleichheit der Kinder, sondern sind zunächst nur Voraussetzung dafür, dass die Eltern am Arbeitsleben teilnehmen können.
Die Kehrseite ist, dass Geringverdiener, die viel arbeiten müssen, wenige Möglichkeiten haben, ihre Kinder zu fördern.
An dieser Stelle will ich eine kurze Geschichte erzählen. Ich traf neulich eine alleinerziehende Frau mittleren Alters, von Beruf Sekretärin, zwischendurch langzeitarbeitslos. Sie musste von Hartz IV leben. Nachdem sie endlich eine Anstellung als Reinigungskraft in einer Kita gefunden hatte, war sie von früh halb fünf bis abends um sechs berufstätig, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sodass sie wenig Zeit hatte, ihr Kind zu unterstützen. Sie musste hoffen, dass sich das schulpflichtige Kind jeden Tag früh allein betreut und dann zur Schule geht.
Wir haben hier gestern ausführlich über den Mindestlohn debattiert. Ich behaupte, ein angemessener Mindestlohn ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Kinder gut aufwachsen und auch Eltern in den unteren Einkommensklassen Zeit für ihre Kinder haben und nicht als Dienstleistungsproletariat des 21. Jahrhunderts rund um die Uhr arbeiten müssen.
Damit sind wir beim nächsten Punkt. Die Anforderungen an die Eltern und an die pädagogischen Fachkräfte sind in den letzten 20 Jahren deutlich gewachsen. Aus der Betreuungseinrichtung Kita ist eine Bildungseinrichtung geworden. Der Staatsregierung sollte es aber zu denken geben, dass bereits 4,3 % aller Kinder in Sachsen beim Übergang von der Kita in die Grundschule einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben und Sachsen damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt liegt. Aber was macht die Staatsregierung? – Sie verbessert nicht die
Rahmenbedingungen für die Erzieherinnen und Erzieher in der Kindertagesbetreuung, sondern verteilt Almosen. Ich erwähne es gern noch einmal: Mit den 5 Millionen Euro mehr, die in diesem und im nächsten Jahr über die Richtlinie Bildungschancen zur Verfügung stehen, werden 100 zusätzliche Stellen für die Unterstützung der Kitas geschaffen, die einen besonders hohen Anteil benachteiligter Kinder betreuen. 100 Stellen bei 2 800 Kindertageseinrichtungen und 29 000 Erzieherinnen und Erziehern – das ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Ähnliches lässt sich in der Schulpolitik beobachten. Schule in Sachsen wird vorrangig als Ort der Wissensvermittlung und als Fachkräftenachwuchsfabrik, aber eben nicht als Lebensraum und Ort der Persönlichkeitsbildung betrachtet. Die Unterrichtsabsicherung im Zusammengehen mit der Exklusion von Kindern in Förderschulen hat leider nach wie vor Priorität. Ein gezielter Ausbau der Unterstützungssysteme für Kinder, Jugendliche und Eltern durch Fachkräfte zusätzlich zu Lehrerinnen und Lehrern findet kaum statt, sondern ein Modellprojekt jagt das nächste. Kultus- und Sozialministerin doktern jede für sich mit ESF-Mitteln an Symptomen herum. Berufseinstiegsbegleiter treffen an Oberschulen auf Praxisberater oder auf Sozialpädagogen, die irgendetwas zwischen Kompetenzentwicklung von Schülern und chancengerechter Bildung erledigen sollen.
Was bleibt zu tun? Wir als LINKE fordern die Staatsregierung auf, ein Maßnahmenpaket zu entwickeln, das die Bildungschancen benachteiligter und von Armut betroffener Kinder deutlich verbessert. Dazu gehört es aber nicht nur, die finanziellen Mittel zu bündeln, sondern sich auch ressortübergreifend über gemeinsame Strategien zu verständigen. Die Kita ist nicht nur Betreuung, sondern auch Bildung, und Schule ist nicht nur Bildung, sondern sollte auch Betreuung sein. Beide Institutionen müssen Lebensorte sein, die die Grundlagen für erfolgreiches Aufwachsen junger Menschen in Sachsen legen.
Mein Kollege Pellmann wird unsere Forderungen in einem entsprechenden Entschließungsantrag einbringen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wäre eine Plenarsitzung ohne eine Generaldebatte, angezettelt durch die LINKEN, zur Bildung in Sachsen? Uns allen würde wahrscheinlich etwas fehlen. Nur, liebe Frau Klepsch, ich habe irgendwie nicht das Gefühl, dass heute hier wesentlich substanziell Neues in irgendeiner Art und Weise vorgetragen worden ist. Ich weiß auch nicht, warum wir die Diskussion Monat für Monat neu führen. Sie wissen, dass, obwohl Dezember ist, jetzt nicht der Monat oder das Jahr ist, in dem wir über Haushalt diskutieren, auch wenn
wir gerade sehr intensiv über die Dienstrechts- und Besoldungsreform gesprochen haben, die perspektivisch eine haushalterische Auswirkung mit sich bringt.
Sehr geehrte Damen und Herren! Wir diskutieren heute eine Große Anfrage zur Chancengleichheit in der frühkindlichen, vorschulischen und schulischen Bildung im Freistaat Sachsen. Diese soll Aufschluss darüber geben, inwieweit das sächsische Schulsystem Chancengleichheit in der Bildung zur Vorbereitung auf gleichwertige Perspektiven am Arbeitsmarkt bietet.
Dass die Antragstellerin, die Fraktion DIE LINKE, selbst Zweifel an der Allgemeinverbindlichkeit der im Ergebnis der Anfrage erwarteten Antworten der Staatsregierung hat, zeigt allein schon die Begründung zur Großen Anfrage. Ich darf hieraus zitieren: „Ziel muss es deshalb sein, in dieser Zeit der frühkindlichen, vorschulischen und schulischen Bildung allen Kindern und Jugendlichen bestmögliche und vor allem gleichwertige Bildungschancen zu sichern, sodass unabhängig von sozialen Bedingungen innerhalb der Familien durch die einzelnen Kinder und Jugendlichen tatsächlich diejenigen Abschlüsse und Ergebnisse erzielt werden können, die den individuellen Fähigkeiten entsprechen. Damit würde eine wesentliche, wenngleich auch nicht hinreichende Bedingung erfüllt sein, um das Spektrum beruflicher Entwicklung für die Einzelnen nicht vorzeitig einzuschränken.“
Ja. Den Satz muss man ungefähr zehnmal lesen, um überhaupt zu verstehen, was Sie in Ihrer Begründung wollten.
Jetzt denken Sie einfach einmal darüber nach, ob das mit Ihrer eigentlichen Ideologie – wir müssen bloß immer mehr Geld ins System pumpen, dann bekommen wir die Eltern schon dazu, ihre Kinder in die entsprechenden Schulen zu schicken – übereinstimmt.
Aufgabe eines erfolgreichen Bildungssystems wie des sächsischen ist es – und darin sind wir uns einig –, soziale Unterschiede in der Herkunft der Kinder und Jugendlichen im Rahmen der frühkindlichen, der schulischen, aber auch beruflichen und natürlich akademischen Bildung weitgehend auszugleichen, um Bildungschancen zu eröffnen. Was ein Bildungssystem aber nicht wirklich kann, ist, Defizite in der sozialen und familiären Bewertung von Bildung als Zukunftschance auszugleichen. Ich glaube, das können Sie nicht negieren. Sie können das Thema hier im Landtag hoch und runter diskutieren, dass Sie Geld und noch mehr Geld in irgendwelche Programme wollen, aber wo Sie als Politiker – die Erziehungshoheit liegt Gott sei Dank immer noch bei den Eltern – nicht ohne Weiteres hereinfunken können, ist nun einmal das, was nach der Schule, nach der Kita zu Hause stattfindet – oder leider in manchen Fällen nicht stattfindet.
Bevor ich zur Großen Anfrage selbst komme, möchte ich mich allerdings recht herzlich bei Frau Staatsministerin Kurth und ihrem Haus für die umfassende Beantwortung der Anfrage bedanken. Sie haben sich sicher alle die Große Anfrage angesehen, die unzähligen Seiten von Papier, die uns da geliefert worden sind.
Super, ich wollte nur einmal testen, ob sich Herr Gebhardt diese Anfrage auch angeschaut hat. Es ist nämlich kein Stapel Papier gewesen, sondern eine CD. Frau Klepsch hat sie – sicherlich zum Leidwesen aller Bäume in diesem Land – ausgedruckt.
(Dr. Volker Külow, DIE LINKE: Hören Sie den Aufschrei der Bäume? – Zuruf der Abg. Dr. Jana Pinka, DIE LINKE)
Der Umfang zeigt, wie viel Zeit und Aufwand investiert werden mussten, um diese Antworten zu erarbeiten, wobei ich gleichzeitig meine nicht unerheblichen Zweifel äußern möchte, welche Schlüsse die antragstellende Fraktion tatsächlich aus den vielen Statistiken und Analysen in Gänze ziehen möchte.
Am besten fasst die Antwort zu Frage I.20 der Großen Anfrage das Ergebnis zusammen. Ich darf hier nochmals zitieren: „Die Chancengleichheit ist für die Staatsregierung ein zentrales bildungspolitisches Ziel. Nationale und internationale Vergleichsstudien zeigen, dass der soziale Status im Freistaat Sachsen für den Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern weniger ausschlaggebend ist als in den meisten anderen Ländern.“
Meine Damen und Herren! Sachsen ist eines der Bundesländer – und auch das kann man immer mal wieder sagen –, in welchem die soziale Herkunft für den Bildungserfolg eben nicht das ausschlaggebende Moment ist, wo die Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung und Bildungsgängen am größten ist.
Das ist für mich persönlich das Fazit dieser vorliegenden Großen Anfrage. Allerdings – und das möchte ich betonen – heißt das nicht, dass wir in Sachsen supertoll sind und
alles hundertprozentig zur Zufriedenheit aller ist. Es ist unser hehres Ziel, dass jedes Kind in diesem Land einen entsprechenden Schulabschluss und, wenn möglich, einen entsprechenden Berufsabschluss haben sollte. Aber wir haben auch das Recht zu sagen, dass wir besser sind als andere, auch wenn wir vielleicht noch nicht dort angekommen sind, wohin wir wollen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Schreiber, Sie haben schon dazu eingeleitet, worauf meine Frage abzielt. Ich würde gern wissen, was aus Ihrer Sicht die Ursachen für die steigende Zahl der Schülerinnen und Schüler sind, die in Sachsen die Schule ohne Abschluss verlassen. Das ist momentan ein Zehntel. Wir waren schon einmal darunter. Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen dafür?
Frau Klepsch, was ich jetzt sagen werde, ist meine persönliche Einschätzung. Ich glaube, dass das etwas mit gesellschaftlicher Entwicklung zu tun hat. Vor zehn oder 15 Jahren haben wir den Kindern und Jugendlichen noch eingetrichtert, dass sie einen Schul- und danach einen Berufsabschluss machen sollen, weil sie sonst überhaupt keine Chance irgendwo haben. Wenn Sie sich aber heute die mediale Darstellung anschauen, dann reden wir jetzt in dieser Gesellschaft in der völlig entgegengesetzten Richtung. Wir erzählen nämlich allen Kindern und Jugendlichen, dass es relativ egal ist, ob man einen Abschluss hat oder nicht.
Ich rede von der Gesellschaft. Dazu zähle ich alle. Dazu zähle ich Medien, dazu zähle ich zum Teil Politik, dazu zähle ich Berufsverbände, dazu zähle ich Kammern.
Wir reden heute von früh bis spät über Fachkräftemangel. Jetzt ist die Frage, ob man das Wort „Fachkräfte“ dick unterstreicht oder ob man von Arbeitskräftemangel spricht. Wir erzählen heute allen Kindern und Jugendlichen: Es ist eigentlich relativ egal, ob du jetzt einen Superabschluss hast oder nicht, du bekommst auf jeden Fall, weil wir weniger werden, weil unsere Gesellschaft schrumpft, weil die Menschen in Deutschland weniger werden, eine Anstellung, am besten noch in dem Bereich, wo du das auch gern möchtest. Du bekommst auf jeden Fall eine Berufsausbildung, egal, ob du einen Schulabschluss hast oder nicht.
Die Frage ist für mich weniger, wie viele Menschen es ohne Schulabschluss sind; die Frage ist vielmehr, mit welchen Qualitäten selbst die auf dem Ausbildungsmarkt ankommen, die einen Schulabschluss haben. Da würde ich Sie bitten, sich einmal mit Handwerksmeistern zu unterhalten und nachzufragen, was heute teilweise in Vorstellungsgesprächen sitzt, mit welchen Vorstellungen Jugendliche von der Schule oder aus der 10. Klasse in Vorstellungsgespräche kommen, was sie denken, was man als Lehrling so verdienen kann, weil wir ihnen alle erzäh
len: Du bist eigentlich so toll wie der Josef Ackermann. Warum sollst du nicht auch 2 Millionen Euro im Monat verdienen?
Ich übertreibe jetzt. Das sind unsere gesellschaftlichen Diskussionen, die wir mittlerweile führen. Dazu zählt auch – das sage ich Ihnen sehr deutlich – der Bereich des Mindestlohnes, aber darauf komme ich später zurück.