Im Land Sachsen-Anhalt wurden bei den Kommunalwahlen in den Jahren 1999 und 2009 am Wahltag ausdrücklich die 16- und 17-Jährigen hinsichtlich der Wahlbeteiligung abgefragt. Im Jahr 1999 lag die Wahlbeteiligung in
dieser Gruppe bei 40 %. Im Jahr 2009 lag sie bei 29 %. Die zehnjährige Erfahrung mit dem Wahlrecht ab 16 Jahre hat in diesem Bundesland in dieser Altersgruppe keinen Anstieg des politischen Interesses gezeigt.
Wir glauben auch nicht, dass die Absenkung des Wahlalters zu einer Verbesserung der Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen per se führen würde. Hierfür wäre eine Veränderung des passiven Wahlrechts erforderlich. Dies dürfte aber aus rechtlichen Gründen – Einschränkung des Mandats durch Minderjährigenschutz und Erziehungsrechte der Eltern – sehr schwierig werden. Viele minderjährige Jugendliche stehen der Absenkung des Wahlalters skeptisch gegenüber. So lehnten laut einer Umfrage in Berlin 63 % der befragten Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren das Wahlrecht ab 16 Jahre für sich ab. Die Ablehnung in der Gesamtbevölkerung lag dabei bei 77 %.
Auch als Maßnahme gegen Politikverdrossenheit ist die Absenkung des Wahlalters nicht geeignet, wenn man in Betracht zieht, dass es sich dabei um ein komplexes Phänomen der Entfremdung und Distanz gegenüber der Politikgestaltung handelt, das sich quer durch alle Altersgruppen zieht. Aus unserer Sicht ist eine andere Herangehensweise sinnvoller.
Die Stärkung der Bildung zu Demokratie und Politik an den Schulen und die Schaffung offener Anspracheformen schaffen es nachhaltiger, die Interessen der Jugendlichen zu vertreten und das bestehende Desinteresse gegenüber der Politik zu überwinden.
In den zurückliegenden Jahren haben wir eine erneute Diskussion, zum Beispiel zum Wahlrecht ab der Geburt, geführt. Das war eine sehr interessante und ich glaube auch wichtige Diskussion in der Gesellschaft. Sehr schnell sind wir dabei an die verfassungsrechtlichen Grenzen gestoßen. Auch das Familienwahlrecht würde den Wahlprinzipien der Verfassung widersprechen. Ich würde dennoch eine Diskussion über eine solche Form eines Familienwahlrechts für sinnvoll halten, auch wenn derzeit die Wahlprinzipien der Verfassung nicht eingehalten sind. Die Gesetzentwürfe wurden aber auch aus verfassungsrechtlicher Sicht in der Anhörung kritisiert.
Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt noch weitere Punkte in den Gesetzentwürfen, mit denen wir nicht übereinstimmen. Es sollen Kinder- und Jugendvertretungen errichtet werden. Es finden sich allerdings keine konkreten Hinweise darauf, wie diese aussehen sollen. Weder eine Altersgrenze noch Wahlmodalitäten, noch eine Zusammensetzung sind nach den Bestimmtheitsgrundsätzen vorgesehen. Allein der Verweis auf die Kommunen, dass diese entsprechende Gremien in geeigneter Form bilden sollen, reicht hierfür nicht aus. Das Bestimmtheitsgebot ist an der Stelle auf keinen Fall eingehalten.
Abgesehen davon halten wir es auch für kritisch, wenn wir als Landesgesetzgeber den Gemeinden und Landkrei
sen vorschreiben wollen, wie sie mit Kinder- und Jugendvertretungen umgehen sollen. Ohne Rücksicht auf örtliche Gegebenheiten sollen hier verbindliche Strukturen für alle Regionen des Freistaates Sachsen etabliert werden. Die Kreistage und die Gemeinderäte treffen aber die politischen Entscheidungen in ihrem Zuständigkeitsbereich. Sie tragen hierfür auch die Verantwortung.
Wir sollten nicht den Weg beschreiten, durch immer neue Nebenparlamente oder Beauftragte den Entscheidungsspielraum einzuengen, effektive und geordnete Entscheidungsprozesse zu behindern und damit den jetzt im Amt befindlichen Gemeinderäten und Kreisräten Verantwortung abzunehmen. Überlassen Sie dies doch den Verantwortlichen vor Ort. Sie kennen die Verhältnisse in ihren Gemeinden und in ihrem Landkreis am besten. Unabhängig davon gibt es in vielen Gemeinden des Landes bereits sogenannte Jugendparlamente, –
zum Beispiel in Freiberg, in Borna, in Taucha, aber auch in meiner Heimatstadt Bautzen. Oder es gibt Bürgermeister, die spezielle Sprechstunden für Jugendliche eingerichtet haben. Dies zeigt doch beispielhaft, dass das Thema Partizipation von Jugendlichen bereits heute in vielen Kommunen, sozialen Einrichtungen oder auch auf Landesebene präsent ist. Diese Entwicklung gilt es zu festigen und auszubauen. Dies kann allerdings nur in einer freiwilligen und von allen Beteiligten – besonders von den Kommunen – gewollten Zusammenarbeit erfolgen. Mit Gesetzesinitiativen oder ähnlichen Maßnahmen besteht immer die Gefahr, dass diese als Muss, weil Gesetz, betrachtet und deshalb nur halbherzig umgesetzt werden.
Ich setze darauf, dass die Kommunen ihrer Verantwortung nachkommen und dies im freiwilligen Rahmen mit ihren Möglichkeiten tun. In den als Beispiel genannten Gemeinden bzw. Städten ist das bereits der Fall. Dort bringen sich auch die Kinder und Jugendlichen entsprechend ein. Außerdem löst dies nicht das Problem, bisher unbeteiligte Kinder und Jugendliche für das zugrundeliegende Ziel zu gewinnen. Wir wollen eine gute Schulausbildung, wir wollen Chancengleichheit bei der Ausbildung, wir wollen gute Rahmenbedingungen in Sport- und Kulturvereinen, und wir wollen engagierte Gemeinden, die Jugendlichen freiwillig Einblick in die Kommunalpolitik gewähren.
Die CDU-Fraktion kann daher der Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen nicht zustimmen und wird beide Gesetzentwürfe ablehnen.
Frau Präsidentin! Herr Schiemann, das kommt davon, wenn man beide Gesetze verwurschtelt und nicht in der Lage ist, auf die unterschiedlichen Vorschläge in den Gesetzen einzugehen. Dann kommt nämlich so etwas Undifferenziertes, wie Sie es hier vorgetragen haben, heraus.
Auf zwei Dinge will ich aber reagieren. Sie haben am Anfang Ihrer Rede gesagt, dass man das nicht allein durch die Senkung des Wahlalters erreichen kann. Ich glaube, Sie haben mir überhaupt nicht zugehört. Ich zitiere mich selbst: „Es ist eben nicht allein die Absenkung des Wahlalters und auch nicht allein die Einrichtung von Jugendparlamenten, die eine Beteiligung hervorbringt. Deshalb geht unser Gesetzesvorschlag darüber hinaus.“
Aber was noch viel schlimmer ist: Sie scheinen den Gesetzentwurf auch nicht gelesen zu haben, denn Sie haben gesagt, dass wir Artikel 9 ersatzlos streichen wollen. Das ist nicht wahr. Artikel 9 soll in einer veränderten Form in der Verfassung stehen. Ich lese das jetzt – zumindest so weit, wie ich komme – vor, weil ich das nicht so stehen lassen kann.
In Artikel 9 Abs. 1 steht: „Kinder und Jugendliche haben als eigenständige Persönlichkeiten das Recht auf Achtung ihrer Würde und auf besonderen Schutz von Staat und Gesellschaft.“
In Abs. 2 steht: „Kinder und Jugendliche haben das Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung. Staat und Gesellschaft schützen sie vor Gefahren für ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl. Sie achten und sichern die Rechte von Kindern und Jugendlichen, tragen für altersgerechte Lebensbedingungen Sorge und fördern sie alters- und entwicklungsgemäß.“
In Abs. 3 steht: „Kinder und Jugendliche haben das Recht, sich an allen Angelegenheiten, die sie betreffen, zu beteiligen.“
Und Abs. 4 lautet: „Es ist Aufgabe des Freistaates, bei allen Entscheidungen die Auswirkung auf Kinder und Jugendliche zu berücksichtigen.“
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe jetzt die Ausführungen meiner Vorrednerin gehört und mir auch noch einmal den Gesetzentwurf zur Hand genommen. Wenn Sie sich den Gesetzentwurf auch noch einmal zur Hand nehmen, werden Sie feststellen, dass der Gesetzentwurf von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN folgenden Wortlaut hat: Artikel 1 – Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen … 1. Änderungsbefehl zu den Wahlrechtsbestimmungen, 2. Artikel 9 wird wie folgt gefasst:... Das heißt, dass der bestehende Artikel, der jetzt geltendes Recht im Freistaat Sachsen ist, nicht mehr im Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erscheint.
(Lachen des Abg. Dr. Volker Külow, DIE LINKE – Elke Herrmann, GRÜNE: Aber nicht ersatzlos! Wir machen einen anderen Vorschlag!)
Nein, ich glaube, wenn Sie die Gesetzessystematik, die hier im Freistaat Sachsen gilt, beachten, dann werden Sie zugestehen müssen, dass es jetzt eine neue Norm gibt, die von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier eingeführt werden soll. Uns ist der Artikel 9 mit den jetzt bestehenden Schutzrechten für Kinder und Jugendliche viel zu wichtig, als dass er ersatzlos gestrichen werden kann.
(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE – Sabine Friedel, SPD, steht am Mikrofon.)
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Schiemann hat in seinem letzten Satz eben noch einmal betont, dass der Artikel 9 ersatzlos gestrichen werden soll.
Ich stelle fest, dass es dazu offenbar unterschiedliche Gesetzentwürfe gibt: einen, der Herrn Schiemann vorliegt, und einen, welcher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorliegt. Dieser ähnelt dem Gesetzentwurf, den auch ich vorliegen habe. Vielleicht sollten wir in einer Auszeit prüfen,
ob beide Fraktionen die gleichen Gesetzentwürfe vorliegen haben und sich eine der beiden Personen irrt, oder ob hier tatsächlich unterschiedliche Dokumente vorliegen.