Protocol of the Session on September 18, 2013

Die Redezeit beträgt 10 Minuten je Fraktion. Es beginnt die CDU. Danach folgen DIE LINKE, die SPD, die FDP, die GRÜNEN, die NPD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht.

Herr Abg. Schowtka, ich bitte Sie, das Wort zu nehmen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Mai 2011 als neuer Sächsischer Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR berufen, liegt dem Hohen Hause heute der erste von Lutz Rathenow verfasste Tätigkeitsbericht im Umfang von 60 Seiten für den Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2012 vor. Das ist eine anerkennenswerte Arbeit, die trotz längerer schwerer Krankheit die Handschrift des Literaten verrät.

Der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss hat in seiner Sitzung am 4. September dieses Jahres den Bericht mit Mehrheit zustimmend zur Kenntnis genommen. Allein die Linksfraktion, die offensichtlich immer noch Schwierigkeiten mit der Bewältigung ihrer Vergangenheit hat, glänzte mit Stimmenthaltung. Wenn das ein Zeichen der Solidarität mit den in ihren Reihen noch immer präsenten zwei Stasi-Spitzeln ist, kann ich Ihnen den Anspruch, zu den demokratischen Parteien zu gehören, nicht abnehmen.

(Beifall bei der CDU)

Auch kann ich nicht verstehen, dass Ihre jungen Leute diesen Kurs mitmachen. Kriterium Ihrer Demokratiefä

higkeit wird auch immer Ihr Verhältnis zur Vergangenheit sein, während der Ihre Vorgängerpartei den Osten Deutschlands tyrannisierte.

Meine Damen und Herren! Seitdem die friedlichen Demonstranten im Herbst 1989 das Ende des von Stalin geschaffenen Vasallenstaates auf deutschem Boden erzwangen, ist fast ein Vierteljahrhundert vergangen. Aber noch immer belastet die Bewohner der ehemaligen DDR die Erinnerung an die Demütigungen, Benachteiligungen und Leiden, die ihnen durch die Stasi – Schild und Schwert der Partei der Arbeiterklasse – angetan worden sind und Leib und Seele oft unheilbar beschädigt haben.

Das beweist die wieder steigende Zahl von Anträgen auf Akteneinsicht bei der seit März 2011 von Roland Jahn geleiteten Stasi-Unterlagen-Behörde. Waren es 2011 80 600 Anträge, so stieg diese Zahl im vergangenen Jahr auf 88 200. 25 % der Anträge kamen aus Sachsen, zwei Drittel davon waren Erstanträge.

Das liegt sicherlich auch daran, dass seit der 2011 erfolgten Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auch nahe Angehörige von Verstorbenen Einsicht in deren Akten nehmen dürfen. Das bedeutet, dass sich nicht nur die Erlebnisgeneration, sondern auch immer mehr junge Menschen dafür interessieren, wie man mit nicht linientreuen Zeitgenossen im real existierenden Sozialismus umgegangen ist.

In Sachsen hat der neue Landesbeauftragte Lutz Rathenow viele Impulse seines verdienstvollen Vorgän

gers Michael Beleites aufgegriffen, aber auch neue Akzente in Bezug auf die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gesetzt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Neue Projekte und Bildungsangebote in Kooperation mit Zeitzeugen, Gedenkstätten und anderen Bildungsträgern wurden auf den Weg gebracht, wobei man bewusst auch künstlerische Ansätze verwirklichte, um das Anliegen der Vergangenheitsaufarbeitung zu veranschaulichen.

Wie im vergangenen Jahr war auch im Berichtszeitraum die Beratung von Opfern des SED-Unterdrückungsapparates ein Schwerpunkt der Arbeit des Landesbeauftragten und seiner kleinen Mitarbeiterschar.

Dazu heißt es im Bericht: „Auffällig ist, dass relativ viele Bürger Beratung suchen, deren politisch begründete Haftstrafen noch nicht rehabilitiert wurden. Die Betroffenen hatten eine strafrechtliche Rehabilitierung nicht einmal beantragt. Wie ist es möglich,“ fragt Lutz Rathenow, „dass 23 Jahre nach dem Mauerfall dieser Schritt von einigen Betroffenen bislang nicht gegangen wurde? Bei unseren Gesprächen stellen wir häufig fest, dass einigen Betroffenen die seit Jahren bestehenden Entschädigungsregelungen nicht einmal bekannt sind. Sie wissen schlichtweg nicht, dass es eine Kapitalentschädigung für die erlittene Haftzeit und eine monatliche Opferrente gibt. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass die Opfer der SED-Diktatur in den Medien kaum eine Lobby haben und über konkrete Unterstützungsleistungen kaum berichtet wird.“

Eine weitere große Gruppe Ratsuchender sind Menschen, denen die Rehabilitierung als Voraussetzung für eine Opferentschädigung verweigert wird, weil sie nicht in der Lage sind, Beweismittel für ihre Haft oder sonstige Diskriminierung vorzulegen.

Meine Damen und Herren! Lebenslang im Rechtstaat aufgewachsene und ausgebildete Menschen können eben nicht nachvollziehen, dass in einer Diktatur politisch motiviertes Unrecht nicht als solches in Akten dokumentiert wird, wie der Landesbeauftragte feststellt, sodass die Betroffenen heute erhebliche Schwierigkeiten haben, den politischen Charakter bestimmter Entscheidungen profund nachweisen zu können.

Der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Entzug verschiedener Rechte wurde in der DDR nicht politisch begründet, sondern mit anderen vorgeschobenen Gründen legitimiert. Das habe ich selbst erleben dürfen, als mir 1969 nach einem Disziplinarverfahren das Diplom der Universität Rostock mit der Begründung mangelnder gesellschaftspolitischer Reife verweigert wurde. Ein schriftlicher Beleg über das Disziplinarverfahren und seine Konsequenzen ist mir niemals ausgehändigt worden.

Tausenden, die Folter und Haft erleiden mussten, ist es schlimmer ergangen, und sie haben große Schwierigkeiten, ihre Leiden juristisch relevant unter Beweis zu stellen, was bei einigen Opfern häufig zu Verbitterung und Frustration führt.

Der Landesbeauftragte bringt in seinem Bericht seine persönliche Betroffenheit darüber deutlich zum Ausdruck, auch angesichts seiner begrenzten Ressourcen und Zuständigkeiten an der Spitze der kleinsten Behörde des Freistaates. Neben der persönlichen Beratungstätigkeit und Öffentlichkeitsarbeit widmete sich der Landesbeauftragte auch der politischen Bildung an Schulen, um unsere Jugend mit unserer jüngsten Vergangenheit vertrauter zu machen. Dass der Geschichtsunterricht über die DDR an einigen Schulen noch zu wünschen übrig lässt bzw. von einigen Lehrern lustlos und wenig überzeugend vermittelt wird, kann man zuweilen bei Schülergesprächen im Landtag feststellen. Das ist wohl auch noch Teil unseres Erbes aus dem Volksbildungsministerium der Margot Honecker, die – im Gegensatz zu vielen Stasi-Opfern – heute in Chile eine gute Rente bezieht und Gift und Galle auf das wiedervereinigte Deutschland spuckt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der CDU-Fraktion möchte ich dem Landesbeauftragten und seinen Mitarbeitern für die wichtige und komplexe Arbeit danken, die weit über die im vorliegenden Bericht skizzierten Aktivitäten hinausreichen dürfte.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich bitte Sie, die Ihnen durch dieses Hohe Haus übertragene Aufgabe weiterhin mit Engagement, Verantwortungsbewusstsein und Gewissenhaftigkeit zu erfüllen. Dazu wünsche ich insbesondere Ihnen, lieber Lutz Rathenow, beste Gesundheit.

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, entsprechend der Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses den 20. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zustimmend zur Kenntnis zu nehmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Herr Abg. Prof. Besier. Bitte, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist spät darauf hingewiesen worden und um es gleich zu sagen: Der 20. Tätigkeitsbericht des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ist inhaltlich wie formal deutlich besser als der vorangegangene.

Als Probleme seiner Behörde nennt Herr Rathenow die unzureichenden Kompetenzen des Landesbeauftragten, die knappen Mittel und zu wenig Personal. Ein zentrales Aufgabenfeld sieht die aus vier Mitarbeitern bestehende Behörde in der Beratung von Bürgern im Zusammenhang mit der gewünschten Akteneinsicht. Neu ist, dass das Beratungsangebot vor Ort auf zwei Tage ausgeweitet wurde.

Als weiterer Schwerpunkt kristallisiert sich die Beratung von Bürgern heraus, die in der DDR politisch motivierte Haftstrafen verbüßt hatten, noch nicht rehabilitiert worden sind und daher auch nicht berechtigt sind, eine Opferrente zu beantragen. Zum Teil haben die politischen Häftlinge auch noch keine Entschädigung für erlittenes Unrecht erhalten. Der Bericht führt uns eindringlich vor Augen, wie schwierig es angesichts der manchmal lückenhaften Aktenlage für die Geschädigten oft ist, ihren Anspruch durchzusetzen.

Als ein zentrales Problem wird herausgestellt, dass sich die Betroffenen scheuen, einen Rechtsanwalt zu konsultieren; offenbar doch, weil sie die Kosten fürchten. Werden Rehabilitierungsanträge abgelehnt, ist die Behörde wiederum Anlaufstelle für Beschwerden.

Als dritten Schwerpunkt der Beratung nennt der Bericht jene Zielgruppe, der in DDR-Kinderheimen, namentlich in Spezialkinderheimen und Jugendwerkhöfen, schweres Leid zugefügt wurde. Der Bericht benennt Probleme bei der Umsetzung des beruflichen Rehabilitierungsgesetzes, weil die Betroffenen der Ansicht sind, die Arbeitsagenturen ließen sie nicht ausreichend in den Genuss der von ihnen bevorzugten Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen kommen.

Auch im Falle der Rehabilitierung verfolgter Schüler und der nötigen Wiedergutmachung sieht der Bericht einigen Handlungsbedarf.

Ein weiterer Komplex befasst sich mit den Bildungsangeboten an Schulen, die zum Teil in Kooperation mit anderen Bildungsträgern geleistet wurden. In diesem Zusammenhang regt der Bericht an, in die Ausbildung von Juristen obligatorisch Informationen über die politische Justiz in der DDR zu integrieren. Ferner wird über eine ganze Reihe von Projekten, darunter aus grenzüberschreitenden Ausstellungen und Veröffentlichungen, berichtet, auf die ich hier auch aus Zeitgründen nicht näher eingehen will.

In der Lehrerfortbildung geht man zum Teil neue Wege. Ich bin nach wie vor skeptisch in dieser Frage. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Der Bericht weist auf eine Reihe von Desideraten hin, die gerade von jenen ernstgenommen werden sollten, die sich für den Aufbau einer solchen Behörde entschieden haben. Besteht nicht die Gefahr, dass diese Behörde zu einem gut Teil nur Symbolcharakter trägt, wenn sie aufgrund ihrer mageren Ausstattung gar nicht in der Lage ist, all dem gründlich nachzugehen, was sie sich zur Aufgabe gestellt hat? Wie soll man es beurteilen, dass einerseits die Mittel gekürzt werden, andererseits aber der Landesbeauftragte sein Aufgabengebiet weiter ausdehnt und vertieft? Welche Konsequenzen werden aus den vorsichtig, aber dennoch deutlich markierten Defiziten gezogen, die der Bericht auflistet? Müsste man nicht darüber nachdenken, wie man den Opfern von DDR-Unrecht entgegenkommen kann, indem man beispielsweise die Prozeduren bei der Rehabilitierung und bei Entschädigungszahlungen erleichtert?

Ungeachtet der Tatsache, dass meine Fraktion seinerzeit eine andere Struktur favorisiert hat, eine Stärkung der Bundeszentrale wie der Landeszentralen für politische Bildung und eine Überstellung der Akten an das Bundesarchiv bzw. die Landesarchive sowie eine deutlichere Professionalisierung des Personals, spricht sie der Behörde des Landesbeauftragten ihren Respekt für die geleistete Arbeit aus.

Entscheidend bleibt, dass das in der DDR geschehene Unrecht möglichst vollständig aufgeklärt wird, die betroffenen Bürger eine angemessene Entschädigung erhalten und ihnen keine weiteren Demütigungen zugemutet werden. Gerade Letzteres wird in diesem Bericht häufig angesprochen. Meine Fraktion ist sich auch der besonderen Verantwortung bewusst, auch der Verpflichtung, die sie hat, wenn es darum geht, die Geschichte der DDR vollständig und mit allen wissenschaftlich möglichen Mitteln aufzuarbeiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Abg. Mann. Sie haben das Wort, Herr Mann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren, insbesondere Herr Rathenow!

„Wir kümmern uns so lange um die Aufarbeitung, wie die Gesellschaft es will“, sagte Roland Jahn trotzig im Frühsommer in der Debatte um die Zukunft seiner Behörde. Doch woran misst man, was eine Gesellschaft will? Was sind die Indikatoren für den Wunsch der Deutschen nach Aufarbeitung? Ein Indikator könnte sein, wie die Arbeit der Stasiunterlagenbehörde in Bund und Land und in einzelnen Stellen angenommen und abgefragt wird. Genau darüber legt der Bericht des Landesbeauftragten Zeugnis ab, und die Bilanz des Jahres 2011/2012 kann sich wahrlich sehen lassen.

Fernab jeder Schlussstrichdebatte suchen die Menschen in Sachsen das Gespräch mit den Mitarbeitern in den Außenstellen, lassen sich beraten und informieren, denn: Die Stasiunterlagen dienen nicht der einseitigen Beschuldigung, sondern vor allem der Aufklärung – nicht selten auch der Rehabilitation, manchmal der Entschädigung für begangenes Unrecht.

Ein Einblick in die Akten kann zudem helfen, den eigenen Lebensweg neu zu bewerten, Unklarheiten zu beseitigen und natürlich die Auseinandersetzung mit unbequemen Wahrheiten anzuschieben. All das brauchen wir im Prozess der Aufarbeitung einer Diktatur.

Die zunehmende Zahl von Anträgen auf Akteneinsicht beweist, dass sich die Menschen gerade mit mehr zeitlicher Distanz oft erst im Herbst ihres Lebens an die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wagen. In diesem Prozess leisten Lutz Rathenow und seine Kolleginnen und Kollegen einen wichtigen Beitrag. Sie wirken nicht nur in Einzelgesprächen mit Opfern und Tätern, sondern leisten

auch Beiträge zur politischen Bildung in ganz Sachsen. Die Zahl und Auswahl der Ausstellungen beweist das deutlich. Auch eigene Publikationen legen Zeugnis darüber ab, dass hier weit mehr als Archiv- und Beratungsarbeit geleistet wird.

Besonders hervorheben möchte ich die Studie „Via Knast in den Westen“ von Clemens Heitmann und Nancy Aris, die kurz nach dem Berichtszeitraum erschien und große Beachtung fand. Der Häftlingsfreikauf als einmaliger Vorgang des devisenbringenden Menschenhandels ist uns ein bisher zu wenig beachtetes Thema, das in diesem Sammelband differenzierte Würdigung erfährt.

Auch der Freistaat Sachsen hat die Möglichkeit, diesen Teil der deutsch-deutschen Geschichte mit der Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Kaßberg in Chemnitz gerecht zu werden.

(Unruhe bei der CDU – Glocke des Präsidenten)