Protocol of the Session on July 10, 2013

Durch die verpflichtende Tilgung solcher neuen Schuldenaufnahmen innerhalb von acht Jahren wird aber sichergestellt, dass solche außerordentlichen Lasten in einem überschaubaren und konkret festgelegten Zeitraum geschultert werden und damit eben kein langfristiger Schuldenaufwuchs stattfindet.

Berücksichtigt wird zudem, dass neben den expliziten Schulden auch implizite Verpflichtungen bestehen – etwa im Hinblick auf zukünftig fällige Pensionszahlungen, die heute bereits rechtlich begründet werden, heute also zur Vorsorge anstehen. Dafür hat der Freistaat Sachsen schon 2005 mit der Einrichtung eines Vorsorgefonds begonnen, Vorsorge zu treffen. Dieser Vorsorgefonds wird jetzt auch in der Verfassung abgesichert. Auch dies ist ausdrücklich zu begrüßen, meine Damen und Herren.

Die Schuldenbremse spiegelt auch ein weiteres Merkmal sächsischer Politik wider, nämlich über den Tagesrand der aktuellen Handlungsnotwendigkeiten hinaus zu schauen und Lastenverschiebungen auf kommende Generationen zu verhindern. Das heißt, wir machen Sachsen auch zukunftsfest.

Die Verfassungsänderung beschränkt sich nicht allein darauf, Lastenverschiebungen zu verhindern, sondern stellt zugleich klar, dass eine gerechte Verteilung von Lasten innerhalb der heutigen Generation erforderlich ist.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Zum einen wird klar geregelt, dass die Rechte der Kommunen aus Artikel 85 und 87 unberührt bleiben; zum anderen wird der Anwendungsbereich des Mehrbelastungsausgleichs erweitert. Im Übrigen werden die Finanzbeziehungen zwischen Freistaat und Kommunen weiterhin nach dem Gleichmäßigkeitsgrundsatz gestaltet.

Weiter wird klargestellt, dass etwaige Einsparungen nicht einseitig zulasten sozialer Belange gehen dürfen und dass das in der Sächsischen Verfassung verankerte Sozialstaatsprinzip selbstverständlich auch bei der Haushaltsplanung und der Haushaltsausführung in besonderer Weise zu berücksichtigen sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Abschließend möchte ich das Wort an die vier einbringenden Fraktionen richten, die den Entwurf in langen und bestimmt nicht einfachen Verhandlungen erarbeitet haben. Es verdient große Anerkennung, dass Sie ungeachtet aller Schwierigkeiten an dem Ziel, in dieser für die Zukunft des Freistaates so bedeutsamen Sache einen breiten Konsens zu finden, festgehalten haben. Die Sorgfalt, mit der Sie beraten und bis zum Schluss um Formulierung gerungen haben, zeugt zugleich von dem sehr hohen Respekt, den auch der Landtag gegenüber der Verfassung aufbringt.

Die Staatsregierung – lassen Sie mich das zum Schluss klarstellen – hat diese Diskussion immer begleitet und sie begrüßt ausdrücklich das jetzt vorliegende Ergebnis. Wir

würden uns freuen, wenn dieser Antrag heute eine möglichst breite Zustimmung in diesem Haus fände.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Herr Staatsminister Dr. Martens hatte gerade das Wort für die Staatsregierung. – Wir treten jetzt in eine weitere Rednerrunde ein und das Wort ergreift zunächst für die miteinbringende Fraktion der CDU Herr Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer eine Verfassung ändern will, steht in der Verantwortung, dies in umfangreicher Form zu begründen. Dies trifft im Allgemeinen, aber hier im Besonderen bei der Sächsischen, bei unserer Verfassung zu. Im Allgemeinen deshalb, weil Verfassungen eben weder nach parteipolitischem Kalkül noch nach tagespolitischem Belieben zu ändern sind. Im Besonderen, weil der Verfassungsstaat Sachsen eine andere Verfassungstradition hat.

Der Sächsische Landtag hat als verfassungsgebende Versammlung am 26. Mai 1992 nach umfangreichen Beratungen und umfassender Einbeziehung des sächsischen Volkes die Sächsische Verfassung beschlossen. Bis zum heutigen Tag ist es die einzige – ich betone: die einzige – deutsche Verfassung, die bisher nie geändert wurde. Darauf, glaube ich, kann Sachsen stolz sein.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Sie haben Verständnis dafür, dass es für mich heute keine einfache Situation ist. Verfassungen sind für lange Zeiten gemacht und unterliegen nicht dem ständigen Wandel. War die Verfassung 1992 nach der friedlichen Revolution und der Wiederbegründung des sächsischen Staates erarbeitet worden, so geht die heutige Änderung auf Regelungen des Bundesstaates zurück.

Das Grundgesetz verbietet den deutschen Ländern ab 2020 jegliche Neuverschuldung. Hier liegt aber dennoch eine Sondersituation vor. Damit die Existenz des Freistaates Sachsen besonders in Notsituationen nicht noch zusätzlich gefährdet wird, sollen Ausnahmen vom Verschuldungsverbot normiert werden – Grund genug, sich an dieser Diskussion zu beteiligen.

Dennoch: Die Eingriffsintensität der Änderung kann als schwerwiegend bezeichnet werden. Sie bindet die künftigen Landtage in ihren politischen Gestaltungsmöglichkeiten, die Haushaltsgesetzgeber, nur das auszugeben, was vorher durch Steuern eingenommen wurde. Sie bindet und verpflichtet aber auch alle künftigen Staatsregierungen, alles Erdenkliche für die Staatseinnahmen zu tun.

Was geschieht, wenn der Bundesstaat Steuern senkt? Wie werden wir unsere Aufgaben erfüllen? Ich frage mich: Sind Steuersenkungen damit für den Freistaat Sachsen vorbei und damit tabu?

Standarderhöhungen kann es wohl künftig nicht mehr geben. Das habe ich in dem langen Diskussionsprozess in der Arbeitsgruppe, aber auch jetzt im Verfahren im Sächsischen Landtag gemerkt, weil viele bzw. die beteiligten Fraktionen durchaus der Meinung sind, das können wir uns mit unserem geringen Finanzbudget künftig nicht mehr leisten. Und: Es wird natürlich stärkere politische Auseinandersetzungen über den richtigen Weg, das richtige Verteilen der weniger werdenden Finanzmittel, die uns in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen, geben.

Nun zum Einzelnen der Verfassungsänderung.

Bei der Änderung der Finanzverfassung handelt es sich um eine äußerst schwierige finanzrechtliche Materie. Noch schwieriger, meine sehr geehrten, hochgeschätzten Damen und Herren, bleibt dabei die verfassungsrechtliche Betrachtung, und ich glaube, dass es in Deutschland wohl kaum mehr als ein Dutzend Experten gibt, die in der Lage sind, die finanzpolitischen Schwierigkeiten und die verfassungsrechtlichen Besonderheiten entsprechend

fachlich ausreichend zu betrachten. Dies haben wir im Beratungsverfahren und in der Anhörung deutlich gespürt.

Ausdrücklich, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich Herrn Prof. von Mangoldt für seine exzellente Beratung im Laufe des Beratungsverfahrens herzlich danken.

Nun zum Einzelnen. In Artikel 95 soll festgelegt werden, dass der Haushaltsplan ab dem 1. Januar 2014 grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen ist. Dieses Verbot der Nettokreditaufnahme bezieht sich auf den gesamten Haushalt und gilt damit auch für die unselbstständigen Sondervermögen des Freistaates Sachsen, so wie wir es in Artikel 95 normiert haben. Hierdurch wollen wir die Voraussetzung dafür schaffen, dass das Kreditaufnahmeverbot nicht umgangen werden kann.

Ein weiterer wichtiger Teil des Änderungsgesetzes sind die Regelungen zum Schutz der kommunalen Ebene. Das Neuverschuldungsverbot darf nicht zulasten der Kommunen im Freistaat Sachsen gehen. Die Kommunen müssen auch zukünftig in der Lage sein, ihre Aufgaben im Interesse der Bürger zu erfüllen.

Dazu gelten mehrere Grundsätze:

Erstens. Die Grundsätze der Finanzbeziehungen zwischen dem Freistaat Sachsen und den sächsischen Kommunen bleiben unberührt.

Zweitens. Der Gleichmäßigkeitsgrundsatz wird nicht angetastet.

Drittens. Der Mehrbelastungsausgleich wird ergänzend ausgerichtet: Alle Mehrbelastungen nach Artikel 85, die vom Freistaat Sachsen verursacht werden, sind auszugleichen. Es ist ein Vollkostenausgleich damit verbunden; Standarderhöhungen sind ausgleichspflichtig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein vollständiger und finanzkraftunabhängiger Mehrbelastungsausgleich erforderlich. Sinn und Zweck des Arti

kels 85 der Verfassung des Freistaates Sachsen ist, den Kommunen ebendiese Finanzgarantie für die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung zu geben.

Es wird somit auch bei Kostenermittlungsverfahren keine Änderungen geben. Wir haben das im Verfassungs- und Rechtsausschuss sehr ausgiebig besprochen. Wir wissen, dass es ein Prognoseverfahren nach Artikel 85 geben wird und dass natürlich diese Prognose dann mit den fachlichen Diskussionen über Artikel 87 in der Zukunft weitergeführt wird.

Bleibt festzustellen: Die Wirkung der Grundrechte kann durch diese Änderung nicht eingeschränkt werden. Die Grundrechte und die damit in Verbindung stehenden Staatsziele aus den Artikeln 5 und 6 sind zu garantieren. Die Grundrechte werden auch künftig im Freistaat Sachsen den Rahmen der Gesetze bestimmen.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier, DIE LINKE)

Sachsen blickt auf eine über 900-jährige Staatstradition, eine 182-jährige Verfassungstradition und eben auf eine 21-jährige Verfassungstradition seit Wiedererstehung des Freistaates Sachsen nach der friedlichen Revolution. Damit die Verfassung ihre bindende Wirkung und den Willen des Verfassungsgebers entfalten kann, braucht sie Kontinuität und Verlässlichkeit. Damit steigt der Wert der Verfassung; denn diese einmalige Änderung – das möchte ich ausdrücklich betonen – kann kein offenes Tor für weitere, inflationäre Änderungen der Verfassung sein. Verfassungen sind keine Steinbrüche für tagespolitische Profilierung. Ich warne vor einer ständigen Ankündigungsdemokratie, damit Verfassungen zu ändern.

Kurt Biedenkopf hat bei der Verabschiedung 1992 zur Sächsischen Verfassung gesagt: „Von Anfang an galt es, Bewährtes zu erhalten und Neues zu entwickeln. Die Sächsische Verfassung vereint beides auf gelungene Weise. Anhand ihrer Artikel eine Diskussion über Konservatismus und Modernismus zu führen würde einen Versuch am untauglichen Projekt bedeuten.“ – Dem habe ich heute nichts weiter hinzuzufügen.

Die Sächsische Verfassung wird modern bleiben, wenn sie gelebt, die Rechte geachtet und geschützt werden und es bei der einmaligen Änderung der Sächsischen Verfassung am heutigen Tage für die nächsten 25 Jahre bleibt.

(Allgemeine Heiterkeit, besonders bei den GRÜNEN, und Zurufe)

Dafür würde ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war Kollege Schiemann für die CDU-Fraktion. Für die Fraktion der SPD – – Ich sehe am Mikrofon 3 Frau Kollegin Jähnigen. Sie möchten eine Kurzintervention vorbringen? – Bitte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Kollege Schiemann! Nicht die Nichtänderung

macht eine Verfassung modern, sondern es ist ihr Inhalt. Nicht das Beharren auf einmal festgeschriebenen Inhalten ohne Weiterentwicklung macht eine Verfassungspraxis besser, sondern es ist immer das Abwägen zwischen Praxis und Realität im Gesetz.

Und wenn es nun einmal so ist, dass die Einwohnerzahl sinkt und durch die festgeschriebene Anzahl der Antragsteller bei Volksbegehren in der Verfassung de facto das Quorum nach oben gehoben wird, dann müssen wir darüber diskutieren. Das ist der Geist dieser Verfassung: dass eine Verfassung fortgeschrieben werden muss.

Dass gerade Sie jetzt sagen, das darf man nicht machen, und ausdrücklich davor warnen, finde ich enttäuschend. Denn ich fand es in den Verhandlungen gut, dass Sie die am Anfang sehr starre Position, man dürfe den Artikel 85 nicht fortschreiben, weil man dann den Artikel 87 infrage stellen würde mit seinen Grundsätzen, zu denen wir ja gemeinsam stehen, aufgegeben haben. Das war gut.

Es ist in der Anhörung auch noch einmal von allen Sachverständigen bestätigt worden: Dieser Teil Konnexitätsprinzip, den wir ja einführen, beschädigt den Gleichmäßigkeitsgrundsatz nicht. Okay. Das ist Teil des Kompromisses. Aber bitte, jetzt warnen Sie doch noch nicht einmal mit der Beschäftigung der Realität im Lande und der Verfassung! Da ist noch einiges zu tun. Das verkraftet diese Verfassung nicht nur, das wird sie sogar stärken. Verfassungen, die nicht geändert wurden, weil es blockiert wurde entgegen einer gesellschaftlichen Entwicklung, haben keinen Bestand. Das wünsche ich dieser Verfassung nicht. Ich wünsche ihr einen Modernisierungsprozess. Lassen Sie sich endlich darauf ein!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der NPD)

Auf die Kurzintervention von Frau Kollegin Jähnigen reagiert Kollege Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erster Punkt: Ich weiß, dass Verfassungen nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Ich weiß aber auch, dass das politische Tagesgeschäft dorthin gehört, wo man die entsprechenden Fragen ausstreiten muss: in die Mitte der Gesellschaft. Dazu benötige ich nicht ständig die Diskussion über eine Verfassungsänderung, sondern ich benötige ständig die Diskussion mit dem sächsischen Volk. Es ist ein großes Manko, dass politische Parteien zu wenig mit dem sächsischen Volk diskutieren und nur noch in ihren eigenen Reihen das Gespräch suchen.