Protocol of the Session on June 20, 2013

Es ließe sich noch vieles sagen, obwohl die Große Anfrage und die Antworten recht kurz sind. Ich möchte es damit jetzt bewenden lassen.

Ich finde es allerdings beschämend, dass dieses Dokument die öffentliche Position unserer Staatsregierung darstellt. Jeder Mensch, der es möchte, kann in dieses Dokument Einsicht nehmen und wird entweder – so er die Antworten ernst nimmt – in die Irre geführt oder – wenn er sich auskennt – erhält einen Einblick in den Unwillen des Freistaates, sich fundiert mit der extremen Rechten auseinanderzusetzen.

So, Herr Innenminister, bekämpft man Rechtsextremismus nicht. Wer sich in der Einschätzung von „Blood & Honour“ auf die Staatsregierung und den Verfassungsschutz verlässt, ist leider verlassen.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Die NPD hat keinen Redebedarf angemeldet. Ich frage die Fraktionen, ob sie das Wort noch wünschen. – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich die Staatsregierung; Herr Minister Ulbig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Über dieses Thema allgemein haben wir bereits mehrfach diskutiert. Ich denke, es ist nicht nur selbstverständlich, solch ein Thema im Plenum zu diskutieren, sondern es ist auch immer wieder notwendig, sich mit diesem Phänomen-Bereich öffentlich auseinanderzusetzen.

Zum Thema Einschätzung von „Blood & Honour“ möchte ich neben den Dingen, die hier gesagt worden sind, noch einmal deutlich machen, dass es einerseits auch um den Versuch geht, durch menschenverachtende Musik Geld für die Szene zu erwirtschaften, und auch darum, dass mit rassistischer und gewaltverherrlichender Ideologie die Hirne – ganz besonders junger Menschen – vergiftet werden sollen. Wir stellen „Blood & Honour“ nach meinem Verständnis nicht nur hin, als wäre es irgendein Verein, der sich mit Musik beschäftigt, wie es Frau Jähnigen eben gesagt hat; denn all diese Aspekte ergeben in der Konsequenz, dass wir ganz aktiv gegen den Rechtsextremismus in Sachsen vorgehen müssen, gegen rechtsextremistische Hassmusik, aber auch durch ständigen Druck auf die Neonaziszene bis hin zu entsprechenden Vereinsverboten.

Über die Antworten ist hier diskutiert worden. Ich möchte die Antworten im Einzelnen durchgehen: Natürlich besteht die Gefahr, wenn man aus Antworten einzelne Sätze herauszieht, dass der Gesamtzusammenhang verloren geht. Aber gerade die Frage 11, die sich mit Maßnahmen auseinandersetzt, oder die Frage 14, wo im Ergebnis Ermittlungs- und Strafverfahren aufgezeigt worden sind, machen doch deutlich, dass sich die Kollegen auch damals mit diesem Thema, mit diesem Bereich auseinandergesetzt und entsprechende Aktivitäten entfaltet haben. Es mag sein, dass man zu dem Ergebnis kommen kann: Es war zu wenig, es war nicht weitreichend genug. Aber so, wie es hier teilweise hingestellt worden ist, dass überhaupt keine Aktivitäten entfaltet worden seien und dass es ein völliges Verkennen gegeben habe, kann es nicht stehen bleiben.

Auf die öffentliche Anhörung hin im Oktober 2012, zu dem Vorgängerantrag dieser Großen Anfrage, ist diskutiert worden. Auch dort hat es Gelegenheit zur intensiven Diskussion gegeben. Dass es Interpretationsunterschiede gibt, ist deutlich geworden. Aber mich ärgert, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass am Beispiel „Freies Netz“ der Eindruck erweckt wird, dass wir – die Juristen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben – immer noch zu dem Ergebnis kommen und sagen würden: Eine notwendige Organisationsstruktur, die die Voraussetzung von Verbotsverfahren ist, könnten wir nicht erken

nen, dass der Eindruck erweckt wird, dass man sich mit diesem Thema nicht befasste, und dass man das „Freie Netz“ als solches als harmlos hinstellte. Mir ist zumindest wichtig, das noch einmal deutlich zu machen.

Bei dieser Diskussion ist deutlich geworden, dass „Blood & Honour“, „Hammerskin“, all dieser Themenkomplex problematisch ist, aber auch, dass Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft natürlich deutlich weitergefasst ist – angefangen von der Partei über Substrukturen bis hin zu den Problemen im Internet.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gern.

Frau Köditz, bitte.

Vielen Dank. Herr Minister, wer hat heute hier davon gesprochen, dass es jetzt um einen Verbotsantrag zum „Freien Netz“ gehen sollte? Aus meiner Sicht wurde von mehreren Rednern betont, dass diese Fehleinschätzung, das „Freie Netz“ sei nur ein Kommunikationsportal, als Problem gesehen wird. Wer hat heute über eine Verbotsanstrengung zum „Freien Netz“ gesprochen?

Frau Köditz, wenn es von Ihnen niemand gesagt hat, war es vielleicht eine Interpretation von mir. Ich wollte nur deutlich machen, dass es auch bei uns eine problematische Sicht auf dieses Thema gibt, aber in der Konsequenz, da es einen Antrag gegeben hat, die Organisationsstruktur nicht erkannt wird.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Ja, selbstverständlich.

Frau Köditz, bitte.

Wann wird sich die Staatsregierung dazu durchringen, das „Freie Netz“ als Organisationsstruktur wahrzunehmen, und damit aufhören, immer von einem Internetportal, einem Kommunikationsportal zu sprechen?

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Frau Köditz, ich denke, das ist weniger ein Problem des Durchringens. Wir sind hier an einer Stelle, an der es um ein juristisches Problem geht. Ich will nur deutlich machen, dass aus meiner Perspektive überhaupt keine Verharmlosung gesehen wird, aber die Juristen sagen, dass die Organisationsvoraussetzungen nicht gegeben sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch kurz auf „Blood & Honour“ und „Hammerskins“ als Teil des großen Problems eingehen. Aus diesem Grund ist

es notwendig, dass wir uns mit dem Themenkomplex insgesamt konsequent auseinandersetzen. Wir haben in der letzten Zeit schon das eine oder andere erreicht, wenn wir auch im Bereich der politisch motivierten Kriminalität durchaus einen Rückgang verzeichnen können. Außerdem haben wir die Strukturen verändert bzw. sind dabei, entsprechende Veränderungen durchzuführen. Zum Beispiel haben wir den polizeilichen Verfolgungsdruck durch die Organisation im OAZ erhöht. Dabei können wir durchaus auf einige Erfolge verweisen, wie die Verbotsverfahren und Ähnliches. Das haben wir hier miteinander besprochen. Ich bezeichne das als ein schlagkräftiges Netzwerk der Polizei im ganzen Land gegen Rechtsextremismus.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Ja.

Frau Jähnigen, bitte.

Herr Staatsminister, die von Ihnen eben erwähnte konsequente Aufarbeitung und eine von Ihnen präferierte Neuaufstellung des Verfassungsschutzes würden voraussetzen, dass es eine konsequente Fehleranalyse gibt und Sie offenlegen, welches die Ergebnisse sind.

Ist eine solche Fehleranalyse mit der Arbeit des Verfassungsschutzes vorgenommen worden, und welche Ergebnisse hatte sie?

Frau Jähnigen, Sie haben offenkundig mein Kurzmanuskript vorab gehabt; denn ich habe bisher über den Verfassungsschutz noch nicht gesprochen.

(Kerstin Köditz und Cornelia Falken, DIE LINKE: Aha!)

Ich war gerade erst beim polizeilichen Teil, und auf das Thema Verfassungsschutz als zweiten Aspekt, bei dem eine grundlegende Veränderung und Umstrukturierung notwendig ist, werde ich gleich noch kurz eingehen.

Dass eine Veränderung notwendig ist, ist zu Recht von allen angesprochen worden. Das ist auch von mir erkannt worden, und wir arbeiten daran. Wenn dann so etwas, wie es gestern bekannt geworden ist, zutage gefördert wird, ist das eben Teil des Prozesses und gehört zu der konsequenten Aufarbeitung und Umstrukturierung dazu; denn wir haben, Frau Jähnigen, im Lande eine Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz gehabt. Ich habe eine Expertenkommission eingesetzt. Sie hat 82 Empfehlungen ausgegeben, welche Veränderungen notwendig sind, um mit dem Verfassungsschutz einen wirklichen Philosophiewechsel vorzunehmen. Wir haben regelmäßig darüber unterrichtet, dass wir dabei sind, diese einzelnen Punkte entsprechend umzusetzen, und wir haben auf der Bundesebene nicht nur über einen Philosophiewechsel gespro

chen, sondern auch neue Standards gesetzt. Es geht um einheitliche Qualitätsstandards beim Führen von VLeuten und um die Stärkung der Zentralstellenfunktion des Bundes. Diese Dinge sind auch umgesetzt worden. Deshalb meine Philosophie: Der Verfassungsschutz muss sich zum Dienstleister und Serviceanbieter entwickeln.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Staatsminister?

An dieser Stelle würde ich gern den Gedanken zu Ende führen. – Es geht nicht mehr um Geheimdienst und Verwaltung von geheimem Wissen, sondern um einen modernen Nachrichtendienst, der wichtige Informationen für die Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.

Aus diesem Grunde hat zum Beispiel im ersten Halbjahr 2013 das Landesamt für Verfassungsschutz seine öffentliche Lagedarstellung zur Präventionsunterstützung vor Ort im Vergleich zum ersten Halbjahr 2012 um 57 % von 14 auf 22 und die Teilnehmerzahl um 47 % – von 650 auf 1 000 – gesteigert. Das macht deutlich, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind. Es geht darum, die entsprechende Vernetzung zwischen den Behörden vorzunehmen. Auch hier sind wir auf einem guten Weg. Ein aktuelles

Beispiel: Am 14. Juni 2013 ist eine rechtsextremistische Musikveranstaltung in Döbeln verhindert worden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Letztes möchte ich noch ansprechen: Ohne die Beteiligung der Menschen vor Ort wären all diese Maßnahmen, die wir aus unterschiedlicher Perspektive für notwendig erachten, aber kaum nachhaltig; denn die Neonazis versuchen, sich in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. Deshalb brauchen wir die Bürgermeister, die Netzwerker und die engagierten Menschen vor Ort, die ehrenamtlich Tätigen, also eine starke und wehrhafte Zivilgesellschaft; denn eines ist klar: Wo Demokratie aktiv gelebt wird, hat nach meiner Überzeugung Extremismus keine Chance. Oder anders: Nur dort, wo die Demokraten schwach sind, können die Rechtsextremisten stark sein.

Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Damit ist die Aussprache zur Großen Anfrage beendet. Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

Wegzug des 5. Strafsenates des Bundesgerichtshofes aus Leipzig verhindern

Drucksache 5/12150, Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Auch hierzu können die Fraktionen wieder Stellung nehmen. Die Reihenfolge der ersten Runde: CDU, FDP, DIE LINKE, SPD, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Es beginnt die CDU-Fraktion; Herr Abg. Schiemann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In immer wiederkehrenden Abständen wird von verschiedener Seite gefordert, dass der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der seinen Sitz in Leipzig hat, nach Karlsruhe umziehen soll. Das Gericht solle wiedervereinigt werden bzw. der Senat solle zurückkehren.

Dies ist bereits inhaltlich falsch, da der 5. Strafsenat noch nie – ich betone: noch nie – in Karlsruhe war, sondern vorher seinen Sitz in Berlin hatte. Aber dies nur am Rande. Zuletzt hat der Präsident des Gerichtshofs, Herr Prof. Dr. Klaus Tolksdorf, im April den Wegzug aus Leipzig gefordert. Angeblich bringe diese Außenstelle Nachteile im Geschäftsbetrieb mit sich und koste darüber hinaus Geld. Nachweise hat er nicht vorgelegt, aber darauf kommt es uns heute auch nicht an. Diese Forderung war für uns aber dennoch Anlass, nochmalig gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch gegenüber dem Bundesgerichtshof die Position der Koalition zum Justizstandort Leipzig deutlich zu machen. Mit uns – das möchte ich deutlich betonen – ist ein Wegzug des

5. Strafsenats sowie der Dienststelle des Generalbundesanwaltes aus Leipzig nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Bereits 1870 wurde in Leipzig das Bundesoberhandelsgericht des Norddeutschen Bundes gegründet. 1871 erhielt es die Zuständigkeit des Reichsoberhandelsgerichtes, und schließlich wurde am 1. Oktober 1871 dieses Gericht durch die Eröffnung des Reichsgerichts abgelöst. Leipzig war bis 1945 das Zentrum der Gerichtsbarkeit in Deutschland. Deshalb haben wir bereits Monate nach Wiedergründung des Freistaates Sachsen die Verlagerung des 1950 gegründeten Bundesgerichtshofs von Karlsruhe nach Leipzig gefordert – eine, wie ich meine, nachvollziehbare Forderung nach der Wiedervereinigung des Vaterlandes. Wir waren damals wie heute der Meinung, die Deutsche Einheit kann keine Einbahnstraße sein, sondern sie muss historische Grundsätze mitbeachten. Darum gab es eine klare sächsische Position: Rückgabe vor Entschädigung muss auch für den Bundesgerichtshof gelten. Nach 40 Jahren Sozialismus wäre dies eine gerechte Entscheidung gewesen. Leider kam es anders.