Protocol of the Session on April 17, 2013

Bitte, Herr Bartl.

Kollege Krauß, Sie haben vorhin auf mein Zeitungswissen verwiesen, abgesehen davon, dass ich mein Wissen als Anwalt unter anderem aus der Vertretung konkret betroffener Patienten geschöpft habe, bei denen der nicht erfolgte Notarzteinsatz tödlich endete.

Haben Sie die Argumentation der Klinikärzte – die auch in der Zeitung steht – vernommen, dass das kompakter gewordene Dienstsystem und die neuen EU-Regelungen die Belastung der Ärzte an den Kliniken, die zugleich Notarztausbildung haben, so immens gesteigert haben, dass die Ärzte kaum noch verfügbar sind oder nicht verfügbar sein werden, wenn nicht bzw. nicht hinreichend vergütet wird?

Herr Kollege Bartl, Sie haben jetzt Ihre Zeitungsartikel zitiert, was vollkommen in Ordnung ist. Es ist ja gut, dass Sie sich in der Hinsicht bilden und Zeitung lesen. Das will ich Ihnen doch gar nicht absprechen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Jetzt hört’s aber auf! – Weiterer Zuruf von den LINKEN: Das ist unterstes Niveau!)

Es ist auch keine Frage, dass die Arbeitszeiten eine Rolle spielen. Wobei ich sagen möchte: Bei den Ärzten, die dort im Regelfall tätig sind, ist es so, dass die das nebenher machen

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: In Ihrer Freizeit!)

de facto in ihrer Freizeit, wenn man so will. Das ist der Regelfall, aber es gibt auch Ausnahmen. Dass natürlich die Arbeitszeit eine Rolle spielt, steht außer Frage. Ich kann auch jeden Arzt verstehen, der sagt, dass er Beruf und Familie miteinander vereinbaren und nicht mehr unbedingt 80 bis 90 Stunden arbeiten will. Auch das ist ein Problemansatz.

Wir müssen uns einzelne Punkte anschauen: Bei 97 % haben wir eher geringere Probleme. Wir müssen uns die Problemfälle anschauen, bei denen es nicht funktioniert. Bei Chemnitz – das kann man so ehrlich sagen – wünsche ich mir schon, dass sich das Klinikum ein wenig mehr anstrengt und auch beim Rettungsdienst stärker mitwirkt.

Ich komme auf meine Ausführungen zurück. Wir finden runde Tische vor Ort sehr gut, weil sich die Kommunen mit einbringen können. Wir haben die Bereichsbeiräte, die dafür da sind, diese Arbeiten zu machen. Dort sollte man das angehen. Wir haben aber auch auf Landesebene Bedarf zum Gespräch. Wir werden das weiterhin mit allen Beteiligten tun. Ich bin dankbar, dass die Ministerin das macht. Wir nennen das auf Landesebene dann nicht „runder Tisch“, sondern wir sagen dazu: Wir haben ein Gemeinsames Landesgremium nach § 90 a SGB V, das diese Aufgabe mit wahrnehmen kann. Es ist wichtig, dass

wir mit allen Beteiligten sprechen, um das Problem zu lösen.

Wie gesagt, wenn es im Gespräch nicht klappen sollte und wir keine Lösung finden, dann ist auch der Gesetzgeber gefordert, dann sind wir gefordert, gesetzliche Regelungen zu erlassen, bei denen die Pflicht zur Mitwirkung am Rettungsdienst gestärkt wird. Dafür werden wir uns auch auf Bundesebene einsetzen.

Die Redezeit ist abgelaufen!

Wir werden aber mit Sicherheit nicht tatenlos zusehen, wenn Einzelne ihrer Verantwortung nicht nachkommen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war Herr Krauß für die CDU-Fraktion. Für die SPD-Fraktion ergreift jetzt Frau Kollegin Neukirch das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ganz dankbar, dass die Debatte anscheinend doch sehr konstruktiv, sachgerecht und rational abläuft, weil das Thema Notarztversorgung schon eines ist, das potenziell in der Bevölkerung auch Ängste schüren kann. Ich bin der Meinung, wir hier im Landtag sollten versuchen, uns auf objektive rationale Argumente zu beschränken, aber auch rationale Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Worüber sprechen wir? Von den knapp 60 000 Diensten in Sachsen sind im Jahr 2012 3 700 unbesetzt gemeldet gewesen und 1 600 davon unbesetzt geblieben. Jeder hat spezifische Ursachen und Gründe. 2,6 % unbesetzte Dienste sind natürlich im Einzelfall ein großes Problem. Zum Glück konnte in den meisten Fällen eine anderweitige Lösung gefunden werden.

Fast die Hälfte aller Standorte sind betroffen, und zwar sowohl in ländlichen Regionen als auch in städtischen Ballungsgebieten – was ein Hinweis darauf ist, dass die Strukturen in der Notarztorganisation insgesamt nicht funktionieren.

Wo liegen die Ursachen? Die Umstrukturierung von 22 Rettungsdienstbereichen in fünf Disponierungsbereiche hat noch nicht so wirkungsvolle Ergebnisse erzielen können. Es wirken alte Strukturen nach und vor allem in Grenzbereichen gibt es Doppelstrukturen und alte Zusammenhänge, die noch nicht aufgelöst worden sind.

Des Weiteren gibt es die Unterschiede zwischen kassenärztlichem Bereitschaftsdienst und Notarzteinsätzen. Es ist wahrscheinlich auch noch nicht wirklich effektiv, dass man nicht notarztindizierte Einsätze zu vermeiden versucht. Dort muss noch etwas getan werden.

Der Wandel der medizinischen Versorgung insgesamt, vor allem der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser, der in den letzten Jahren enorm gewachsen ist, wirkt sich

natürlich auch im Bereich der Sicherstellung der Notarztversorgung aus, wenn wir daran denken, dass 90 % der Notärzte, die Einsätze fahren, in Krankenhäusern arbeiten. Zwei von drei Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus arbeiten mehr als 48 Stunden pro Woche, und man kann sich ausrechnen, wie viel Zeit für Familie oder anderweitige Dinge übrig bleibt, wenn noch zusätzliche Einsätze dazukommen sollen. Das heißt, wir haben zwar ausreichend Ärztinnen und Ärzte im System; allerdings reichen die Einsätze pro Arzt nicht mehr aus, und das hat eindeutig die Ursache in der Arbeitsorganisation und Arbeitsverdichtung, insbesondere in den Häusern.

Was ist nun zu tun? Die notärztliche Versorgung ist strukturell in die sektorenübergreifende Steuerung der medizinischen Versorgung insgesamt einzubeziehen. Hier ist eine Zusammenarbeit aller Akteure notwendig, die aber mehr Bedarf erfordern als diese netten Appelle und „ihr müsst mal …“. Der wirtschaftliche Druck und die wirtschaftlichen Anforderungen, die dahinterstehen,

bewirken, dass wir mit diesen runden Tischen und Appellen nicht so wirklich weiterkommen. Schon die Versorgung mit niedergelassenen Ärzten hat uns gezeigt, dass es nicht allein damit funktioniert, mehr Geld im System oder mehr Wettbewerb zu haben.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN)

Nein, strukturelle Probleme brauchen andere Instrumente. Wir brauchen übergreifende Einsatz- und Bereichsplanung. Wir brauchen die Mitwirkungsverpflichtungen der Akteure, das heißt konkrete Aufträge und gesetzliche Grundlagen. Wir brauchen sachgerechte Lösungen in Sachsen, denn es ist schwierig, wenn in Sachsen ein Bereich zu regeln ist, in dem mehrere Ministerien mitwirken. Dann gibt es immer Verluste in der Effektivität der Lösungen. Das Rettungsdienstgesetz war im vergangenen Jahr federführend im Ressort des Innenministeriums angegliedert und man muss unter dem Strich erkennen, dass die Aspekte der Versorgungssicherheit im medizinischen Bereich völlig ausgeblendet wurden und nicht in die Novellierung des Gesetzes einfließen konnten. Die Gesundheitsversorgung – und dazu müssen wir hier in Sachsen immer mehr kommen – ist eine öffentliche Daseinsvorsorge.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Markt und Wettbewerb versagen nun einmal in ländlichen Regionen oder in bestimmten Bereichen, in denen kein Geld zu verdienen ist. Aber auch in diesen Bereichen müssen wir die Versorgung sicherstellen. Hierzu brauchen wir mehr Verantwortung, mehr Steuerung, als die Sächsische Staatsregierung und die Regierungsfraktionen bisher Einsatz gezeigt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Das war Frau Kollegin Neukirch für die SPD-Fraktion. Frau Kollegin Jonas, Sie sprechen jetzt für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich glaube, anfangs der Debatte ist es noch einmal notwendig, bestimmte Begriffe zu erklären, weil unsere notärztliche Versorgung und die Notfallrettung sich eben nicht nur auf die Frage nach einem Notarzt orientiert. Deshalb erlaube ich mir, die Begriffe noch einmal ein wenig zu sortieren.

KTW-Einsatz ist der Einsatz mit einem Krankentransportwagen, der mit einem Rettungssanitäter und einem Rettungshelfer besetzt ist. RTW – Rettungstransportwagensysteme – sind Rettungssanitäter und Rettungsassistenten. Notfalleinsatzwagen bedeutet Rettungsassistent mit Notarzt – hier in Sachsen auch in der Duo-Methode angewandt –; das heißt, der Notarztwagen oder der Notarzt kommt separat zum Einsatz.

All diese Systeme sind Teil des gesamten Systems der Notfallversorgung, und es ist entscheidend, dass jeder dieser Beteiligten einen wichtigen Beitrag dazu leistet – auch die Assistenten, auch die Sanitäter –, und von dieser Stelle einfach auch einmal den herzlichen Dank und die Wertschätzung an die Arbeit, die diese Personen leisten.

(Beifall bei der FDP, der CDU, den LINKEN, der SPD und der Staatsregierung)

Patientenversorgung im Notfall bedient eine besondere Herausforderung. Die große Bandbreite der Symptome ist genau der Bereich, der es so schwierig macht: Unangemeldet, nicht planbar, auch häufig mit Bagatellerkrankungen, und schwere Hirntraumata, lebensbedrohliche Herzinfarkte, Übelkeit – mitunter schon seit längerer Zeit – und einfaches Unwohlsein sind die Probleme, die telefonisch gemeldet werden und wo dann koordiniert werden muss, welches dieser genannten Einsatzsysteme das richtige ist.

Die Frage nach der effizienten Versorgungsstruktur, nach der Planbarkeit – das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen.

Die Kollegen haben es schon gesagt: Einzelne Bereiche, kreisfreie Städte haben eine unerklärbare Zunahme. Schauen wir nach Leipzig: Sieben Notarzteinsatzwagen plus zwei Rettungshubschrauber, die sehr regelmäßig nachgefragt werden, stehen in keinem Vergleich zu einer anderen Stadt. In anderen Landkreisen – Görlitz, Mittelsachsen, Vogtlandkreis – ist ein Rückgang der Inanspruchnahme dieser Rettungssysteme zu verzeichnen.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Logisch, weil es keine gibt!)

Es ist nicht, weil sie nicht vorhanden sind, sondern es ist eine Frage des Bedarfs. Ich spreche nur von der Beantragung oder dem Rufen.

(Michael Weichert, GRÜNE: Wo keiner ist, kann keiner gerufen werden!)

Zum Beispiel. Es gibt verschiedene Gründe, warum das so problematisch sein kann.

Schauen wir noch auf einen weiteren Punkt: die Fehleinsätze. Wenn Sie sich mit Notärzten unterhalten, die nachts halb zwei bei Regen und Sturm hinaus in die Bereiche fahren und feststellen, dass es Bagatellrufe waren, dann haben sie auch einen hohen Frust. Wir wissen, dass mittlerweile mehr als 20 % der Notarzteinsätze Bagatellrufe sind. Genau da müssen wir ansetzen.

Natürlich gilt es die Attraktivität des Arztberufes zu steigern. Die Hinterfragung, wie Notfallsysteme und Notfallmedizin ausgebildet werden, die Fragen der integrierten oder einer kombinierten Versorgung sind auch schon gestellt worden. Es ist so einfach: Wenn der Patient mit seiner 112 ruft, kommt ein Notfallsystem, und es geht viel schneller, als den Bereitschaftsdienst des Hausarztes zu wählen. Wir wissen aber, dass 90 % aller Anrufe unter einer Stunde bearbeitet werden.

Ich bin dankbar für jedes Klinikum, das eine Notfallambulanz hat, weil jeder, der hinkommt, kein Rettungssystem braucht, keinen Rettungswagen holt. Auch hier gilt es die Herausforderungen, gerade in der Finanzierung, in den nächsten Monaten gemeinsam mit allen Beteiligten zu diskutieren.

Ich möchte Ihnen noch ein Zitat von Herrn Dr. Burkhardt aus der Anhörung vortragen: „Von den Notärzten wird eingeschätzt, dass 20 % der Notarzteinsätze alleine dadurch bedingt sind, dass der Patient damit seine 10 Euro Praxisgebühr sparen möchte, und dann im System 110 muss er sie nicht zahlen.“ Wir haben an dieser Stelle mehrfach darauf hingewiesen, und genau diesen Punkt haben wir schon erfolgreich abgeschafft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war Frau Jonas für die FDP-Fraktion. Für die Fraktion GRÜNE spricht erneut Frau Giegengack.