Ich hatte für den Freistaat Sachsen deutlich gemacht, dass man, wenn man den Mindestlohn mit dem Argument einführt, von dem entsprechenden Lohn leben zu können – das ist in der Bundestagsdebatte angesprochen worden – , natürlich auch fragen muss, wie hoch die Lebenshaltungskosten in bestimmten Regionen in Deutschland sind. Dabei muss man feststellen, dass nach einer Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung der Spitzenreiter im bundesdeutschen Durchschnitt die Stadt München mit 114,4 % ist, und ganz unten in der Reihe stehen die Landkreise Tirschenreuth und Regen im Bayerischen Wald mit 83,4 bzw. 84,0 %. Sie sehen also: eine Spreizung von 25 % im Bereich der Lebenshaltungskosten.
Nun zum Thema Mindestlohn. Der Kollege Machnig, Herr Brangs, hat im Bundesrat angesprochen, dass es Studien aus den USA gibt, in denen man zu der Erkenntnis gekommen ist, dass der Mindestlohn, wenn man ihn richtig justieren würde, keine negativen Arbeitsmarkteffekte hat. Sie haben ja meine Rede im Bundesrat aufmerksam verfolgt, und es ist Ihnen sicherlich nicht entgangen, dass ich dem Kollegen Machnig in dieser Frage ausdrücklich recht gegeben habe.
Wenn wir aber innerhalb Deutschlands Unterschiede in den Lebenshaltungskosten von 25 % haben, sehr geehrter Herr Brangs, dann spricht vieles dafür, dass ein einheitlicher, politisch festgesetzter branchenüblicher Mindestlohn von 8,50 Euro eben nicht diese angepasste, ausgewogene Mindestlohnfindung ist, die der Kollege Machnig mit Bezug auf die Studie aus den Vereinigten Staaten angesprochen hat – deshalb diese Positionierung hier, und ich spreche hier zu dem Bundesratsantrag, der am
1. März 2013 im Plenum behandelt worden ist. Er ist auch Gegenstand der Aktuellen Debatte, nicht nur in der gesellschaftlichen Diskussion über Mindestlöhne, sondern ich spreche über diesen Antrag, weil im Debattentitel suggeriert wird, wir als Freistaat Sachsen sollen genau diesen Antrag unterstützen. Diese Unterstützung ist falsch, weil sie für die Menschen in Sachsen falsche Effekte birgt.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Wie bewerten Sie dann den folgenden Fall: Es gibt im Moment von der Friseurkette Klier eine klare Aussage, die ab dem 1. März 2013 7,50 Euro Mindestlohn einführen wird, weil sie sagt: Es kann nicht sein, dass Menschen, die bei uns arbeiten, trotzdem noch auf Hartz IV angewiesen sind. Es gibt immer regionale Unterschiede,
es gibt auch immer regionale Lohnhöhen, aber wir müssen dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die arbeiten, auch vernünftig leben können. Wie schätzen Sie das ein? Wie passt das zu diesem Bild?
Sehr geehrter Kollege Brangs, das ist die grundsätzliche gesellschaftspolitische Diskussion, die in der Debatte kurz gestreift wurde, indem der Kollege Heidan von der „negativen Einkommensteuer“ sprach und andere Redner davon sprachen, dass der Lohn, den man im Erwerbseinkommen nicht erzielt, durch Transfereinkommen ausgeglichen werden muss.
Das ist eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Frage. Dieser stelle ich mich auch und ich sage ausdrücklich, dass der Staat eine Verpflichtung hat, wenn das Erwerbseinkommen nicht ausreicht, dieses durch Transfereinkommen zu ersetzen, weil ich der Auffassung bin, dass es sinnvoller ist, einen Arbeitsplatz zu haben, weil ein Arbeitsplatz mehr ist als einfach nur Geld verdienen. Ein Arbeitsplatz ist auch eine soziale Integration in die Arbeitswelt am Arbeitsplatz, deshalb hat er einen Wert an sich. Wenn dieser Arbeitsplatz nur mit einer Vergütung erreichbar ist, die nicht zum Lebensunterhalt ausreicht, dann steht der Staat in der Verpflichtung, das Erwerbseinkommen durch ein entsprechendes zusätzliches Transfereinkommen zu unterstützen. Deswegen habe ich damit überhaupt kein Problem. Aber bitte, das ist eine grundsätzliche gesellschaftliche Diskussion, die ich sicherlich jetzt nicht mit Ihnen im Rahmen dieser Aktuellen Debatte zu dem Antrag vom 1. März 2013 im Bundesrat führen kann.
Das will ich hoffen. Es kommt auf die Antwort an. – Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen, es sei Ihnen egal, wie hoch der Lohn ist, Hauptsache, es wird Arbeit geschaffen?
Herr Kollege Brangs, das ist mir nicht egal, weil ich der Auffassung bin, dass wir in allen Bereichen eine angemessene Vergütung haben sollten. Insbesondere bin ich aber der Auffassung, dass wir die schwarzen Schafe bekämpfen müssen, die die Menschen mit Lohndumping und sittenwidrigen Löhnen ausbeuten. Das ist auch die Intention der Staatsregierung. Hierzu gibt es aber gesetzliche Regelungen hinsichtlich der Sittenwidrigkeit von Löhnen.
Ich bin durchaus der Auffassung, dass es zielführend sein könnte, wenn man diesen Bereich etwas ausgestaltet. Sie wissen, das ist eine sehr allgemeine Formulierung, sodass der Arbeitnehmer im Einzelfall aufgrund der gesetzlichen
Grundlagen nicht nachvollziehen kann, ob sein Lohn in der bestimmten Region als sittenwidrig einzustufen ist. Es gibt im Bereich des Mietrechts Regularien, die man unter Umständen auch hierauf übertragen kann, damit es klarer und transparenter wird, wann ein Lohn sittenwidrig ist. Das würde es sicherlich den einzelnen Betroffenen erleichtern, ihre Ansprüche durchzusetzen. Darüber kann man gern in der Diskussion sprechen. Ich bin der Auffassung, dass wir sittenwidrige Löhne und Lohndumping in Deutschland nicht akzeptieren sollten.
Lassen Sie mich aber noch einmal zu den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten zurückkommen. Wenn die Lebenshaltungskosten unterschiedlich sind, dann müssen wir auch die entsprechenden Mindestlöhne, wenn wir uns für Mindestlöhne entscheiden würden – deshalb die Kritik an dem Gesetzentwurf im Bundesrat –, spreizen.
Nun komme ich zu dem Punkt, den Sie an meiner Bundesratsrede kritisiert haben. Ich habe deutlich ausgeführt, dass wir üblicherweise ein verändertes Niveau der Lebenshaltungskosten zwischen Stadt und Land haben, und wenn das nun einmal so ist, dann müssen wir dem auch bei dem Thema Mindestlohn Rechnung tragen. Wenn Sie nämlich in den ländlichen Regionen die gleichen Mindestlöhne wie in der Stadt ansetzen würden, dann würde das dazu führen, dass die Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen verloren gehen, und genau dies würde die Menschen dazu zwingen, in die Stadt zu pendeln oder abzuwandern. Dadurch entsteht der Wanderungsdruck von den ländlichen Regionen in die Städte, und genau diesen wollen wir nicht haben, sehr geehrter Herr Brangs.
Wenn wir schon beim Thema Wanderung sind, müssen wir uns auch die Frage stellen: Warum ist es dann so, dass wir im Freistaat Sachsen einen positiven Wanderungssaldo ausweisen, während unsere Nachbarländer SachsenAnhalt, Thüringen und Brandenburg einen negativen Wanderungssaldo ausweisen, und warum ist es so, dass die direkten Austauschbeziehungen Sachsens mit diesen drei genannten Ländern positiv sind? Wenn es hier in Sachsen so schlimm ist, wie Sie immer behaupten, dann würden die Menschen doch nicht zu uns kommen, denn wenn die Menschen zu uns kommen, dann zeigt das doch gerade, dass der Freistaat Sachsen auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiv ist, sehr geehrte Damen und Herren.
Geduld zahlt sich aus, Herr Minister. Ich möchte Sie, die Bevölkerungswanderung betreffend, fragen: Stimmen Sie mir darin zu, dass die Bevölkerungszuwächse in Sachsen seit circa eineinhalb Jahren – man kann das statistisch ermessen – sich territorial ausschließlich auf die Städte Dresden und Leipzig beziehen und kein gesamtsächsisches Phänomen sind, sondern etwas mit einer Rückkehr zu den urbanen Zentren zu tun haben, und dass deshalb beispielsweise Sachsen-Anhalt oder Thüringen, weil sie über diese mehr als Halbe-Million-Städte nicht verfügen, diese Anziehungskraft von vornherein nicht haben?
Dem stimme ich ausdrücklich nicht zu. Es ist richtig, dass ein wesentlicher Teil dieser positiven Wanderungssalden auf die von Ihnen angesprochenen beiden großen Städte entfällt, aber nicht nur auf diese. Es gibt auch Mittelstädte im Freistaat Sachsen, die sich inzwischen äußerst positiv entwickeln und die entsprechend positive Wanderungssalden vorweisen können.
Aber Ihr Argument macht gerade deutlich, wie wichtig es ist, dass wir eben keinen flächendeckenden Mindestlohn über den gesamten Freistaat, gleichmäßig verteilt, festlegen. Wir haben unterschiedliche Bedingungen und wollen auch erreichen, dass nicht nur unsere Zentren von dem Wanderungseffekt profitieren, sondern dass auch Menschen in den ländlichen Regionen wohnen bleiben, weil sie dort einen Arbeitsplatz finden.
Ich möchte noch einmal auf dieses Thema zurückkommen: Vonseiten der LINKEN ist in die Debatte hineingerufen worden, dass man doch die Mindestlöhne, wie sie in den Staaten der EU vorhanden sind, nennen sollte. Sie haben gefordert: Großbritannien, Frankreich. Wäre es nicht angesichts des Freistaates Sachsen mit seiner sehr
langen Außengrenze zu Polen und Tschechien sinnvoll gewesen, dass Sie mal die Zahlen aus Polen oder aus Tschechien hätten wissen wollen?
Der Mindestlohn in Polen beträgt nämlich 2,10 Euro und der in Tschechien 1,96 Euro. Damit wir uns richtig verstehen, sehr geehrte Damen und Herren, ich plädiere nicht dafür, dass wir entsprechende Löhne hier in Sachsen einführen. Aber es ist ganz offensichtlich, dass ein Unternehmer, der in Sachsen im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien tätig ist, eher mit schlesischen oder böhmischen Unternehmen konkurriert als mit denen aus dem Elsass, wo der Mindestlohn 9,22 Euro beträgt. Auch das muss in der Diskussion berücksichtigt werden, wenn wir Politik für den Freistaat Sachsen machen. Wir sind hier im Sächsischen Landtag und wir diskutieren über Politik für die Menschen im Freistaat Sachsen. Wir führen keinen Bundestagswahlkampf über 8,50 Euro, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Wenn man einen entsprechenden Mindestlohn möchte – ich sage, ich möchte ihn nicht –, dann muss man regional differenzieren. Das war der Gegenstand der Bundesratsinitiative gewesen. Aus diesen Gründen hat der Freistaat Sachsen im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Freistaat Sachsen der Bundesratsinitiative am 1. März nicht zugestimmt.