Protocol of the Session on January 20, 2010

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU)

Herr Lichdi, bitte

Vielen Dank, hochverehrte Frau Präsidentin. – Herr Kollege Biesok, die Antwort mag aus Ihrer Sicht möglicherweise rhetorisch brillant pariert worden sein,

aber leider hat sie nicht meine Frage beantwortet. Deshalb möchte ich die Frage wiederholen. Es geht nicht darum – –

(Zuruf von der CDU)

Ich habe die Frage gestellt: Wollen Sie allen Ernstes behaupten, dass wir dieses Gesetz tatsächlich brauchen, um Gewalttätigkeiten zu unterbinden? Sie haben in Ihrer Antwort auf die politischen Herkünfte abgehoben – Links- und Rechtsextremismus – und nicht auf die Gewaltfrage. Könnten Sie in Ihrer Antwort auf die Gewaltfrage fokussieren?

Wir benötigen dieses Gesetz, um Aufmärsche von Rechtsextremisten am 13. und 14. Februar in der Form, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben, zu unterbinden. Wir benötigen das Gesetz, um entsprechende linksextremistische Ausschreitungen als Antwort auf diese Aufmärsche zu unterbinden.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion – Beifall bei der FDP und der CDU)

Möchten Sie noch eine dritte Anfrage beantworten?

Sehr gern.

Bitte, Herr Lichdi.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es ist die vorerst letzte Frage. – Herr Biesok, wie vereinbaren Sie Ihre gerade gemachte Aussage mit der vorgeschlagenen Regelung, zum Beispiel in der Stadt Dresden die innere Verbotszone auf die Altstadt plus diesen Streifen in der Neustadt zu begrenzen? Das bedeutet im Klartext, dass außerhalb dieses Bereiches diese Demonstrationen stattfinden können. Wollen Sie das bestreiten?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Was ändert sich?)

Herr Kollege Lichdi, gerade die Frauenkirche hat eine besondere historische Bedeutung in der Stadt. Deshalb ist es uns wichtig, diesen Bereich zu schützen. Wir müssen bei allen Gesetzen – das werden Sie in Ihrer Rede sicherlich auch noch hervorheben – den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anwenden. Und wenn wir diesen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anwenden, dann ist es verhältnismäßig, diesen besonderen Ort in Dresden zu schützen. Wenn die Rechten demonstrieren wollen, okay, dann können sie in Kaditz/Mickten demonstrieren. Dort können sie es machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Jürgen Gansel, NPD: Das können wir vor Ihrer Haustür machen!)

Wenn es keine Zwischenfragen von Herrn Lichdi mehr gibt, dann möchte ich meine Rede abschließen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wünsche uns allen einen friedlichen 13. und 14. Februar 2010 in Dresden mit einem würdigen Gedenken an die Opfer der Bombennächte.

Ich bitte um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Herr Abg. Bartl für die Fraktion DIE LINKE, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Schiemann, Kollege Biesok, es ist halt so: Man kann im gleichen Plenarsaal und in derselben Anhörung sitzen und trotzdem eine unterschiedliche Wahrnehmung haben. Am 25. November 2009 waren von dem, was sich an führenden Verfassungsrechtlern im Bereich des Versammlungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland konstituiert, mindestens drei Verfassungsrechtler anwesend. Dr. Hahn hatte es gerade gesagt: Es wurden circa 20 Bedenken

verfassungsrechtlicher Art artikuliert. Kollege Schiemann, es gab auch Bedenken dahin gehend, einmal darüber nachzudenken, dass wir mit dem Gesetz nicht irgendetwas tun. Sie doktern an einem Stück Grundgefüge der freiheitlichen demokratischen Grundordnung herum, des demokratischen Gemeinwesens. Sie sind am Grundgefüge, am Stützpfeiler.

(Marko Schiemann, CDU: Sie haben mir wieder nicht zugehört!)

Und weil es um eine Regelungsmaterie geht, die für die Bundesrepublik Deutschland, für die Demokratie in diesem Land konstitutiv ist, ist es dem Freistaat Sachsen mitnichten in das Recht gestellt, zu tun und zu lassen, was er will.

(Marko Schiemann, CDU: Macht er doch gar nicht!)

Natürlich macht er es! Das Problem ist, dass letztlich die Frage des Versammlungsrechts dem Homogenitätsgebot der Bundesrepublik Deutschland unterliegt. Dazu lohnt sich ein Blick auf die Entwicklung der Zuständigkeit der Länder für das Versammlungsrecht.

Ein Rückblick: Als seinerzeit über die Föderalismusreform 2006 gesprochen wurde und darüber, dass das Versammlungsrecht an die Länder gehen soll, war klar, dass den Landesgesetzgebern aufgrund der umfassenden Festlegungen des Bundesverfassungsgerichts im Schutzbereich von Artikel 8 Abs. 1 Grundgesetz trotz Übertragung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder ganz selbstverständlich Grenzen in ihrer Gestaltungsfreiheit zu ziehen sind.

Weil das Versammlungsgesetz nicht in erster Linie ein Polizeigesetz ist, sondern ein für alle Länder – sprich: für alle in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen – gleichermaßen geltendes Ausführungsgesetz zur Grundrechtsgarantie aus Artikel 8 Abs. 1 Grundgesetz ist, hat seinerzeit der Bundesrat darüber beraten, wie man dennoch gewährleistet, dass es eine Einheitlichkeit im Versammlungsrecht gibt. Es geht jeden an. Das Versammlungsrecht kann doch nicht in Hessen, in Sachsen, in Mecklenburg-Vorpommern oder in Berlin gravierende Unterschiede aufweisen. Das geht doch überhaupt nicht.

Das geht auch deshalb nicht, weil es für die Demokratie konstitutiv ist. „Es ist die Luftröhre der Demokratie“, sagte ein führender Verfassungsrechtler. Weil das der Maßstab ist und das Verfassungsgericht als Auslegung zum Versammlungsrecht gesagt hat, zum Beispiel in der Brokdorf-Entscheidung, der Magna Charta des Versammlungsrechts: „nur bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“, dann ist der Landesgesetzgeber an diese Auslegungstatbestände gebunden.

Was hat man gemacht? Man hat letzten Endes unter diesem Aspekt der Harmonisierung – Sie wissen das, Herr Dr. Martens, nehme ich mal an – in einer Arbeitsgruppe der Länder im Bundesrat einen Gesetzentwurf einge

bracht. Der wurde gemeinsam mit dem Bund beraten und enthielt Postulate der von Verfassungs wegen zu beachtenden Regelungen im Versammlungsrecht für die Zukunft. In den Gesetzentwurf nahm man auch die entsprechenden Neuerungen und Rechtsprechungen auf. Das müssten wenigstens Sie wissen, Herr Ulbig. Den Gesetzentwurf veröffentlichte die letzte Zeitschrift der Polizei, die Zeitschrift der Fachhochschule für öffentliche Sicherheit, mit Beiträgen aus der deutschen Hochschule der Polizei in einem Beitrag „Die Länderversammlungsgesetze – ein vermeidbares Ärgernis“. Der Beitrag ist von Herrn Dr. Ginsel, Direktor der Bereitschaftspolizei des Landes Nordrhein-Westfalen, Ausgabe 2010. Darin wird noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass seinerzeit im Bundesrat exakt darauf orientiert worden ist, dass die Ländergesetzgeber selbstverständlich in der einfachgesetzlichen Regelung ein homogenes Prinzip zu beachten haben.

Der entsprechende Entwurf, der der Musterentwurf sein sollte, ist im Bundesrat mit den Stimmen von Sachsen noch verabschiedet worden. Und dann kam er nicht mehr in das Gesetzgebungsverfahren des Bundestages, weil inzwischen, im Oktober 2006, über die Föderalismusreform entschieden worden war.

Aber auch das weiß der Herr Staatsminister der Justiz mit Gewissheit: Das Bundesinnenministerium hat mit Schreiben vom 20. November 2006, drei Monate nach der Föderalismusreform, den Ländern dringend empfohlen, diesen Gesetzentwurf zur Grundlage zu nehmen. Warum haben Sie bis dato im gesamten Gesetzgebungsverfahren – eine 1. Lesung gab es gar nicht erst, es wurde gleich qua Überweisung des Präsidenten in den Ausschuss gebracht – nicht mit einem Ton darauf Bezug genommen, dass es diesen Musterentwurf gibt, und nicht mit einem Ton versucht zu rechtfertigen, weshalb Sie sich in keinster Weise an diesem Musterentwurf orientieren? Woraus rechtfertigen Sie, dass Sie in dem Fall ganz flagrant gegen das Homogenitätsverbot verstoßen? Woher nehmen Sie, Herr Kollege Biesok oder Kollege Schiemann, die Berechtigung zu sagen: Wir sind Sachsen und wir können uns ein Nationalmuseum leisten, und wir können uns ein eigenes Versammlungsrecht leisten.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Porzellanmuseum!)

Oder ein Porzellanmuseum. Das, was Sie hier veranstalten, ist gerade das Gegenteil von dem, was es in der Verständigung vor der Föderalismusreform zum Versammlungsrecht gegeben hat, und dort liegt die Krux. Wie Sie aus der Problematik herauskommen wollen, wenn wir den Mustergesetzentwurf – aus der Polizeizeitschrift abgeschrieben – vorlegen, darauf bin ich gespannt. Sie gehen sehenden Auges in das Gegenteil dessen, was das Bundesinnenministerium empfohlen hat. Das müssten Sie einmal erklären, Herr Innenminister – unter der Sichtweise Homogenitätsgebot –, und noch mehr der Herr Justizminister als Verfassungsminister.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ganz kurz zu einigen Regelungen. Sie haben letzten Endes alles, was die Verfassungsrechtler in der Anhörung vor allem mit Bezug auf § 15 gesagt haben, der neben dem § 14 die sensibelste Regelung im Versammlungsrecht – Versammlung unter freiem Himmel – ist, in den Skat gedrückt. Sie haben von den Hinweisen der Verfassungsrechtler zwei Dinge aufgegriffen:

Erstens: Sie haben tatsächlich geändert, dass im Gesetz nicht mehr DM, sondern Euro steht. Gewaltige Leistung!

(Carsten Biesok, FDP, steht am Mikrofon.)

Zweitens haben Sie gar nicht gemerkt, dass Sie in den Straftatbestand drei Jahre Freiheitsstrafandrohung schrieben, wozu dann die Sachverständigen sagten: Wenn Sie schon das Gesetz abschreiben, bedenken Sie bitte, die Länder dürfen maximal zwei Jahre Freiheitsstrafe androhen. Da haben Sie aus drei Jahren zwei Jahre gemacht. Das war alles.

Herr Bartl, wollen Sie bitte eine Zwischenfrage von Herrn Biesok zulassen?

Ja, bitte, Herr Kollege.

Herr Kollege, stimmen Sie der Aussage zu, dass es in einem föderativen Bundesstaat durchaus möglich ist, in den einzelnen Ländern unterschiedliche Gesetze zur Regelung von Einzelfragen zu beschließen?

Aber nicht im Grundrechtsbereich Grundgesetz. Das ist aber bekannt. Wir sind in einer föderativen Republik, in der das Grundgesetz über den Länderverfassungen steht, wo wir Homogenitätspflichten haben.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Erstes Semester Studium!)

Erstes Semester Studium.

Gestatten Sie eine weitere Frage.

Selbstverständlich.

Gilt das auch bei Grundrechten, die eingeschränkt werden dürfen, bei denen es lediglich um die Ausgestaltung der Einschränkung geht?

Herr Kollege, es geht um die Frage, dass ich mit der Einschränkung nicht den Kernbereich des Grundgesetzes verlassen darf, und das tun Sie. Das wird Ihnen das Verfassungsgericht sehr wohl ins Stammbuch schreiben. Sie verlassen es um Längen. Sie sind in den § 15 hineingegangen, und ich sage noch einmal: Es ist die sensibelste Bestimmung, die es im Versammlungsrecht überhaupt gibt. Sie haben im Grunde genommen in diesen Paragrafen zum allgemeinen Gefahrenabwehrtatbestand einen Zusatz hineingebastelt, wonach Gefährdungen, die ein Verbot oder Auflagen der Versammlung rechtfertigen, im Freistaat Sachsen – jetzt kommt „insbesondere“ – auch dann zu besorgen sein

sollen, „wenn die Versammlung einen Bezug zu gefährlichen früheren Versammlungen aufweist“. Davon haben Sie jetzt nichts gesagt, Kollege Schiemann; Kollege Biesok auch nicht. Das ist die eigentlich sensible Bestimmung hierin, dass Sie dem Gefährdungstatbestand eine Ausweitung beifügen, wonach in Zukunft die Versammlungsbehörde überall im Lande sagen kann: Da gab es schon einmal eine gefährliche Versammlung, und weil es die schon einmal gegeben hat, lassen wir das nicht mehr zu. Diese Ausweitung des § 15 ist die eigentliche extensive und restriktive Ausweitung der Eingriffsmöglichkeiten.