Ich muss die Mitglieder des Hohen Hauses, die die Regierung nicht tragen, fragen: Was wollen Sie eigentlich?
Ich erinnere nur an diejenigen, die auch im Stadtrat von Dresden sitzen, die einen Brief an die Mitglieder des Hohen Hauses geschickt haben, doch endlich wirksam zu werden.
Deshalb haben die Koalitionsfraktionen den heute zu beratenden Gesetzentwurf über Versammlungen und Aufzüge im Freistaat Sachsen im Oktober 2009 in den Landtag eingebracht. Im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss haben wir eine umfangreiche Expertenanhörung durchgeführt. Nach der Anhörung haben wir die Expertenmeinungen ausgewertet und
Hier sind wir bei einem Grundrecht, das für alle gilt, und ich sage einmal: Als Fraktionsvorsitzender würde es Ihnen ganz gut zu Gesicht stehen, in der Diskussion vernünftig mit Beiträgen zu dieser Grundrechtsfrage beizutragen.
Wir haben uns den Entscheidungsprozess eben nicht mit lockeren Sprüchen leicht gemacht. Wir haben diesen Abwägungsprozess durchgeführt, und in diesem Abwägungsprozess haben wir einige Anregungen der Expertenanhörung in unserem Änderungsvorschlag zur Diskussion gestellt. Dabei haben wir uns besonders den Fragen der Normenklarheit, der Bestimmtheit, der Verhältnismäßigkeit, des Würdeschutzes, der Gedenkorte des öffentlichen Friedens, der Würde der Überlebenden sowie weiteren Fragen gewidmet.
Wichtig dabei bleibt für uns: Versammlungen und Aufzüge sind ihrem grundrechtlich geschützten und garantierten Wesen nach grundsätzlich staatsferne, unreglementierte
Beiträge zur politischen Meinungs- und Willensbildung und deshalb durch Selbstbestimmung der Veranstalter über Ort, Inhalt, Zeit und Art der Versammlung charakterisiert.
Inhaltsbezogene Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, meine sehr geehrten Damen und Herren, kommen nur insoweit in Betracht, als sie den strengen Anforderungen genügen, die sich aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes ergeben. Meinungsäußerungen, die nicht im Einklang mit Artikel 5 gesetzlich verboten sind, dürfen auf Versammlungen kundgegeben werden. Selbst Meinungen, die sich gegen die Grundprinzipien der Verfassung richten, werden vom Grundgesetz um der Freiheit der politischen Kommunikation willen hingenommen.
(Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD und bei den GRÜNEN – Johannes Lichdi, GRÜNE: So ist es! – Rico Gebhardt, Linksfraktion: Haben Sie gemerkt, dass Ihre eigene Fraktion nicht geklatscht hat?)
Die Abwehrmechanismen der streitbaren Demokratie greifen erst ein, wenn die Schwelle der Bekämpfung der Grundordnung überschritten ist. Das gilt für alle, für den Gesetzgeber genauso deutlich wie für die Versammlungsbehörden. „Der Gesetzgeber muss dem Schutz- und Ordnungsziel des Freiheitsrechtes Rechnung tragen und dafür ein an sich verfassungsrechtlich legitimes Regelungsziel nur unter Beachtung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Beschränkung der Versammlungsfreiheit verfolgen. Die Beschränkung darf nur zum Schutz von Rechtsgütern erfolgen, die der Bedeutung des Grundrechtes mindestens gleichwertig sind, nur unter Wahrung des Übermaßverbotes und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung der Rechtsgüter. Eine abstrakte Gefahr oder Vermutung der Gefährdung sind nicht ausreichend.“ – So das Bundesverfassungsgericht.
Damit stehen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in einem Spannungsverhältnis mit anderen Grundrechten. Die Menschenwürde ist das oberste Prinzip der Verfassung. Grundrechte, Rechts- und Sozialstaat fließen aus ihr. Es ist ganz gut, wenn sich mancher immer wieder einmal daran erinnert fühlt. Dabei kann es eben nicht zur Aushöhlung von Grundrechten kommen, wie es einige in der Öffentlichkeit versuchen glauben zu machen. Änderungen des Versammlungsgesetzes sind dabei an enge Maßstäbe und Grenzen gebunden.
Im Kern des Gesetzentwurfes geht es um den Schutz der Würde des Menschen. Ich verweise dabei auf Artikel 1 des Grundgesetzes und Artikel 14 der Sächsischen Verfassung. Dem Kern der Menschenwürde ist damit jede Abwägung mit anderen Grundrechten, auch der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, entzogen. Auf diesen Kernbereich des Würdeschutzes konzentriert sich der
Gesetzentwurf von CDU- und FDP- Fraktion. Damit bleiben wir in dem von der Verfassung vorgegebenen Rahmen. Die Vorwürfe, die gegen diesen Entwurf erhoben werden, sind unbegründet.
Einem Vorwurf möchte ich mich gesondert widmen. Wir haben in § 15 Abs. 2 Nr. 1a die Regelung, die da lautet: „Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort von historisch herausragender Bedeutung stattfindet, der an Menschen, die unter der nationalsozialistischen oder der kommunistischen Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren, erinnert.“
Ich möchte an dieser Stelle klar und deutlich sagen: Hier geht es eindeutig um den Schutz der Menschenwürde für Opfer nationalsozialistischer oder kommunistischer Gewaltherrschaft. Wir setzen das an Menschen begangene Unrecht dabei nicht gleich, wie es manchmal in der Öffentlichkeit dargestellt wird, sondern wir lehnen beide Unrechtsregime und Gewaltherrschaften entschieden ab.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Es ist keine Gleichsetzung, es ist eine Ablehnung beider Gewaltherrschaften. Dies hat Aufnahme in die Präambel der Sächsischen Verfassung gefunden, und Artikel 116 weist ebenfalls auf diese Verantwortung im Freistaat Sachsen hin. Wir haben das im Zuge der Erarbeitung der Sächsischen Verfassung sehr tiefgreifend und deutlich diskutiert. Ich weiß, dass die damals handelnden Fraktionen dazu unterschiedliche Positionen hatten; aber wir haben uns am Schluss bei der Erarbeitung der Verfassung dennoch darauf verständigen können mit einer Mehrheit, die über der Zweidrittelmehrheit lag, sodass auch die SPDFraktion dieser Formulierung zugestimmt hat, die – –
– Ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage, vielen herzlichen Dank. – Jede Fraktion hat die Möglichkeit, sich hier selbst darzustellen, und ich verweise nochmals darauf, dass wir bei der Erarbeitung der Präambel deutlich gemacht haben, dass wir mit unserer Verfassung in Verantwortung der Geschehnisse stehen, die unser Land in der Epoche vor 1945 durch nationalsozialistische Verbrechen begleitet haben, die aber auch in der Epoche nach 1945 von kommunistischer Gewaltherrschaft geprägt waren, aber niemals die Einmaligkeit des Holocaust, der zu verabscheuenden Verbrechen und den von den Deutschen begangenen Völkermord an den Juden Europas – –
dass ich niemals von Kollektivschuld sprechen würde, weil es genügend anständige Deutsche gegeben hat, die selbst von den Deutschen zu Opfern gemacht wurden, die sich bemüht und versucht haben, Leben jüdischer Menschen zu retten.
(Andreas Storr, NPD: Dann dürfen Sie aber auch nicht von „den Deutschen“ sprechen! – Zuruf von der NPD: Genau!)
Vielleicht sollten Sie mir überlassen, welche Formulierung ich treffe. Tun Sie das bei sich selbst auch. Ich gehe davon aus, dass Sie eh nicht belehrbar sind. Die Deutschen haben auch Deutsche ermordet und in den Tod getrieben. Dresden wäre nie zustande gekommen, wenn Nazideutschland nicht in die anderen Staaten gezogen wäre und Leid und Tod gebracht hätte. Das war die Quintessenz, das Ergebnis, dass der Tod zurückgekommen ist.
(Anhaltender Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)
Gerade deshalb stehen wir in Verantwortung vor all denen, die sich gegen dieses nationalsozialistische Regime gewandt haben, und es waren auch Deutsche dabei, die Kopf und Kragen riskiert haben. Gerade deshalb stehen wir in der Verantwortung, auch hier, in der Landeshauptstadt Dresden, nicht wegzusehen, wenn der Würdeschutz erneut missachtet wird.
Mit der Verletzung der Würde der Opfer des Nationalsozialismus ist auch eine Verletzung der Würde ihrer Nachfahren verbunden. Deshalb kann der Gesetzgeber Persönlichkeitsrechte auch über den Tod hinaus weiter wirken lassen.
Ich halte die Diskussion, die wir im Ausschuss geführt haben und die ich auch aus der Sicht der Experten für unangemessen halte, uns vorzuwerfen, der postmortale Würdeschutz würde bei uns im Mittelpunkt stehen, für abwegig. Ich halte auch Experten, die dieses Schachteldenken haben, für abwegig, weil das nicht Gegenstand des Regelungsinhaltes unseres Gesetzentwurfes ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass eben auch die Persönlichkeitsrechte über den Tod hinaus weiter wirken können.
Schließlich schützt die Norm auch das postmortale Persönlichkeitsrecht der verstorbenen Opfer und könnte auch unter diesem Gesichtspunkt auf die Schranke der persönlichen Ehre gestützt werden. Die Wunsiedel
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sagt klar: Bei nationalsozialistischer Gewaltherrschaft verblasst das postmortale Persönlichkeitsrecht eben gerade nicht. Aus der uneingeschränkten Billigung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems kann regelhaft eine Verletzung der Würde der Opfer abgeleitet werden.
Im Freistaat Sachsen haben wir neben der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus auch die Gewaltherrschaft des Kommunismus erlebt. Das Grundgesetz, meine sehr geehrten Damen und Herren, und die davon betroffenen deutschen Länder sowie die Bundesrepublik Deutschland vor dem Jahre 1990 sind von der Erfahrung des Kommunismus verschont geblieben. Die Länder Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin – teilweise – und eben der Freistaat Sachsen haben die Gewaltherrschaft des Kommunismus erlebt. Stehen wir nicht gerade deshalb in Verantwortung, uns der Würde dieser Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft zu widmen und diese Würde auch zu schützen? Ich glaube, wir stehen in der Verantwortung. Wir können die Verantwortung nicht vom Landtag des Freistaates Bayern oder Nordrhein-Westfalens verlangen. Wir stehen in der Verantwortung, dies selbst zu bedenken.
Denken Sie nur an den Münchener Platz hier in der Landeshauptstadt Dresden. Die dort hingerichteten Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vor 1945 wiegen nicht die Opfer, die nach 1945 unter kommunistischer Gewaltherrschaft umgebracht wurden, auf.