Protocol of the Session on January 30, 2013

Vielen Dank. – Werter Kollege, können Sie mir erklären bzw. sich selbst erklären, warum der Begriff „Sozialpolitik“ in einer Nachhaltigkeitsstrategie des Freistaates überhaupt nicht vorkommt?

Ich habe gerade gesagt, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ nur ein Begriff ist.

(Gisela Kallenbach, GRÜNE: Aha!)

Jeder kann selbst interpretieren, ob man da von Nachhaltigkeit oder von anderem spricht. Fakt ist aber, dass soziale Themen in dieser Nachhaltigkeitsstrategie eine Rolle spielen – dass einzelne Worte, wie Sie es vielleicht gern hätten, nicht darin stehen, mag sein – und es ganzheitlich in der Staatsregierung gedacht wird.

(Beifall bei der CDU – Gisela Kallenbach, GRÜNE: Aha!)

Das zeigen auch die acht Handlungsfelder.

(Gisela Kallenbach, GRÜNE: Das zeigen Sie mir dann bitte noch einmal!)

Wenn ich vom „Zusammendenken“ spreche, dann heißt das, dass es keine Schwarz-Weiß-Malerei im Sinne von „regenerative Energien sind gut, konventionelle sind schlecht“ gibt. Das hat man hier heute mehrfach gehört. Es ist eben so, dass die Windradproduktion die Stahlindustrie braucht oder dass bei der Wärmedämmung die Chemieindustrie gebraucht wird. Auch glaube ich, dass es sinnvoll ist, wenn in Lackierereien der Energie- und Wassereinsatz reduziert wird und diese auf einen nachhaltigeren Weg gebracht werden.

Ich will also dafür werben, etablierte Technologien nicht gleich aufzugeben und sie zu stigmatisieren, sondern wir müssen auch diese weiterentwickeln und dabei immer bedenken, dass alles zusammen betrachtet werden muss.

Für ein Industrieland wie Deutschland bedeutet das schlicht: Wir müssen darauf achten, dass die Durchlaufmenge von Material und Energie dauerhaft auf ein übertragbares Niveau angepasst wird. Nur dann kann man

wirklich von Nachhaltigkeit sprechen. Die Nachhaltigkeitsüberlegungen stellen die Zukunftssicherheit unseres Freistaates Sachsen dar. Das klingt beim ersten Hören vielleicht etwas übertrieben, aber in der Tat ist es ein kritischer Erfolgsfaktor, den wir als christlich-liberale Koalition verinnerlicht haben.

Wenn wir im Freistaat Geld ausgeben, dann nur verfügbares Geld, und zwar in Bereichen, in denen wir Mehrwerte schaffen. Aus unserer Sicht sind gerade Bildung und Forschung solche prioritären Bereiche. Wir setzen hier Prioritäten, auch wenn Sie von der Opposition uns und der Bevölkerung immer wieder einreden möchten, dass dem nicht so sei. Gerade lebenslanges Lernen und eine hohe Qualifikation durch Bildung ist die Basis für selbstbestimmtes Leben und Arbeiten und für Wertschöpfung durch neue marktfähige Produkte und Innovationen.

Genauso sind die Entwicklung und der Einsatz von Umwelttechnologien und effizienterer Energienutzung als Beitrag zur Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen zu nennen, indem Klima- und Energieressourcen zugunsten der folgenden Generationen erhalten werden. Dazu sind verlässliche Signale für Investitionen auszusenden. Verbindlichkeit, Planbarkeit, Forschungsförderung, Technologieoffenheit und Technologietransfer sind wichtige Stichworte im Bereich der Wirtschaftsförderung.

Eine langfristige Dekarbonisierung des bislang stark fossil gestützten Weltenergiesystems und eine zunehmende Knappheit bei Rohstoffen verlangen eine ressourceneffiziente Wirtschaft, der sich kein Wirtschaftszweig entziehen kann. Nicht nur ökologische, sondern auch soziale Anforderungen sowie technische und gesellschaftliche Innovationen begleiten diesen Prozess. Nachhaltigkeit wird sich in nahezu allen Märkten durchsetzen und traditionelle Branchengrenzen verwischen. Aufseiten der Unternehmen gewinnen neue Instrumente an Bedeutung, die diesem ganzheitlichen Ansatz der Nachhaltigkeit Rechnung tragen.

Wichtig ist dabei auch, dass man das Thema nicht aufgesetzt platziert, sondern die Menschen direkt einbezieht und sie dort abholt, wo sie sich befinden. Das allein vermittelt Glaubwürdigkeit und Authentizität.

Durch das Klima- und Energieprogramm, welches demnächst durch die Staatsregierung beschlossen wird, werden diese Maßnahmen konkretisiert. Die Nachhaltigkeitsstrategie ist ein Aspekt. Natürlich gibt es auch konkrete fachliche Politikfelder, die entsprechend der Nachhaltigkeitsstrategie mit Leben erfüllt werden. Dabei sollen auch Landwirte, die vom Klimawandel stark betroffen sind, ihren Beitrag leisten können und diesen auch leisten.

Das Energie- und Klimaschutzprogramm muss die Reduzierung von Treibhausgasen und den Ausbau regenerativer Energien als Beitrag zum Klimaschutz gleichermaßen im Fokus haben wie die Sicherung der Versorgung und die Bezahlbarkeit von Energiedienstleistungen. Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels, insbesondere im Energiebereich, sind vielfältig und nicht einseitig zu betrachten, wie es manchmal dargestellt wird.

Der Freistaat Sachsen hat mit seinem Landesamt für Umwelt und Geologie mit der Klimafolgenabschätzung schon 1998 begonnen und daraus eine Klimaschutzstrategie entwickelt, die aus drei Bestandteilen besteht: dass man Projektionen entwickelt, wie sich das Klima in Sachsen verändern wird, dass man plant, welche Anpassungsstrategien dafür notwendig sind, wie erneuerbare Energien in diesem Konzept eine Rolle spielen können – und wie dort vor allem die Steigerung der Energieeffizienz platziert werden kann.

So entwickelt der Freistaat Sachsen seit 2010 gemeinsam mit vier Partnern aus Europa – Schweden, Italien, Polen und Frankreich – ein Projekt zur Lösung von Klimaschutzaspekten. Dieses wurde am 19. März 2010 gestartet; der Freistaat führt dieses Projekt. Hieran sieht man, dass es nicht als Insel gedacht wird – Insel „Freistaat Sachsen“ –, sondern dass das einen größeren Horizont hat.

Hervorheben möchte ich auch unsere Sächsische Energieagentur, die SAENA, die mit ihrer Kompetenz im Bereich Beratung und Information zum Thema Energie eine ganz wichtige Rolle spielt. Energieeffizienz, die zukunftsfähige Energieversorgung, der Einsatz der Regenerativen, aber auch die Verbesserung des Klimaschutzes sind hierbei wichtige Betätigungsfelder.

(Einzelbeifall bei der SPD)

Eine ganz wichtige Initiative im Bereich der frühkindlichen Bildung ist, wie ich finde – weil sie nämlich bei den Jüngsten und damit bei den Lernfähigsten in unserer Gesellschaft ansetzt –, die Kampagne „Klimaschutz an Sachsens Schulen“ oder auch die Unterstützung durch – der Herr Staatsminister ist schon darauf eingegangen – das „Haus der kleinen Forscher“. Hier wird mit verschiedenen Projekten Klimaschutz in Sachsens Kindergärten und Schulen erlebbar gemacht. Dort muss man ansetzen. Das ist ein ganz wichtiger Weg.

Zur Energiewende: Hier, denke ich, sollte man richtig ansetzen und nicht Aktionismus walten lassen. Nur durch eine Kombination aus dem Dreiergespann Einsparung, Effizienz und regenerative Energien ist es möglich, die Energiewende zu schaffen. Unser Anliegen muss es dabei sein, mit kühlem Kopf und ohne hitzige Debatten, wie sie zu häufig stattfinden – also mit Maß und Mitte –, die richtigen Antworten auf die Herausforderungen, insbesondere im Bereich der Netze, der Speicher, aber auch der Bezahlbarkeit, zu finden.

Die Entwicklung von neuartigen und leistungsstarken Technologien und Verfahren im Bereich der Energie- und Umweltwirtschaft findet in Sachsen in Zusammenarbeit mit unseren Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen statt. Die Zusammenarbeit ist ganz eng an die Wirtschaft gekoppelt und bietet die Chance, durch weltweite Innovationen und Wertschöpfung Arbeitsplätze in Sachsen zu schaffen. Zentrale Handlungsfelder sind hierbei die Energieeffizienzsteigerung fossiler Energieumwandlungsanlagen – Boxberg ist ein sehr gutes

Beispiel dafür, dass es gelingen kann –, die Entwicklung von CO2-armen Technologien, die Erhöhung der Energieeffizienz – da denke ich an Gebäude, Gewerbe und Industrie, aber auch Verkehr und Geräte – als auch Speichertechnologien sowie virtuelle Kraftwerke.

Das sind alles Themenfelder, die Gegenstand der Energieforschung in Sachsen sind. Die Effizienz ist aber auf der anderen Seite auch nur ein relatives Maß. Wir müssen uns den absoluten Verbrauch ansehen, und um den Klimawandel zu stoppen, müsste die Effizienzsteigerung ab jetzt sieben Mal so schnell erzeugt werden, wie in den letzten 25 Jahren, und das weltweit betrachtet.

Ich halte das für ziemlich unrealistisch, was aber nicht bedeutet, dass wir hier untätig sein sollten. Im Gegenteil. Um gesamtgesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen, müssen wir uns ambitionierte, aber auch erreichbare Ziele setzen, die nicht ständig angepasst und ausgelegt werden. Schließlich ist auch die grünste Kilowattstunde die, die gar nicht erst verbraucht wird. Deshalb müssen wir uns auch darauf konzentrieren, die erheblichen Einsparpotenziale und Effizienzpotenziale, die in Sachsen existieren, zu mobilisieren.

Im Bereich Industrie und Gewerbe, aber auch im privaten Bereich sind Einsparungen und Effizienzsteigerungen in Größenordnungen möglich. So können zum Beispiel allein durch Verhaltensänderungen und durch effizientere Haushaltsgeräte in einem Vierpersonenhaushalt bis zu 1 000 Euro und vier Tonnen CO2 im Jahr eingespart werden. Unternehmen können durch moderne Pumpen und Druckluftsysteme, optimierte Prozesswärme, aber zum Beispiel auch – der Staatsminister Kupfer ist auf dieses gute, innovative Beispiel der Serverabwärme eingegangen – bis zu 30 % Energie einsparen. Das sind alles Investitionen, die sich auch schnell amortisieren.

Eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen wird bereits in Sachsen umgesetzt und verstetigt, ganz in der Tradition von Carlowitz. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich in meinen Ausführungen den Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht inflationär verwendet habe. Es kommt nämlich aus meiner Sicht nicht auf die Häufigkeit der Wortwahl an, sondern auf die Inhalte und die konkrete Umsetzung in der Praxis. Wie man das nennt, bleibt jedem selbst überlassen.

Ich finde, Wahrheit und Glaubwürdigkeit sind im Handeln begründet. In diesem Sinne sollten wir alle hier in diesem Hohen Hause daran arbeiten, dass unser Handeln stets langfristig orientiert ist, genauso, wie es vor 300 Jahren von Carlowitz vorgesehen hat. Ich denke auch, dass diese Debatte heute hier nur ein Auftakt ist, um in den einzelnen Politikfeldern das Thema zu vertiefen und fortzusetzen.

(Karl Nolle, SPD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Die lasse ich gerne noch zu.

Herr Nolle, bitte.

Herr Kollege, welche Rolle spielt in Ihrem Nachhaltigkeitskonzept der gesetzliche Mindestlohn zur nachhaltigen Sicherung der Lebensgrundlagen der arbeitenden Bevölkerung?

Der gesetzliche Mindestlohn ist schon wieder eine politische Auslegung. Wir sind der Meinung, dass die Tarifautonomie ein sehr hohes Gut ist, dass wir nicht einheitliche Mindestlöhne festlegen und dass es auch in dem Sinne nachhaltig ist, dass Menschen von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können. Aber ob da jetzt der Mindestlohn der Stein der Weisen ist und in dem Nachhaltigkeitskonzept tatsächlich eine Rolle spielt …

Ich habe gesagt, es gibt verschiedene Fachpolitikfelder, in die man solche Themen, wie man das nachhaltig umsetzen kann, hineinbringen kann. Ich habe vom Energie- und Klimaschutzprogramm gesprochen. Genauso ist es in der Wirtschafts- und Arbeitspolitik Aufgabe, über solche Punkte zu sprechen. Ich will es noch einmal deutlich unterstreichen: Der Mindestlohn ist, glaube ich, kein Thema für eine Nachhaltigkeitsstrategie, sondern es ist ein Thema, das die Tarifpartner vor allem in ihren Verhandlungen angehen sollen.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Bitte, Herr Nolle.

Gibt es dann in dem Sinne in Ihrem Konzept auch eine Lohnuntergrenze, oder kommt die auch nicht darin vor?

Ich sagte gerade, das ist etwas Konkretes, das in der Fachpolitik, sprich der Arbeitspolitik, eine Rolle spielen sollte und nicht in einem Konzept einer Nachhaltigkeitsstrategie.

Ich habe auch gesagt, wir haben heute hier den Startpunkt für eine Diskussion gesetzt, die in allen Politikfeldern stattfinden wird und die fachlich dort auch hingehört. Wir brauchen jetzt nicht zu versuchen, in eine Nachhaltigkeitsstrategie sämtliche Aspekte im Detail hineinzubringen. Das muss man dann in speziellen Strategien, Energie- und Klimaschutz, Rohstoffstrategie, im Bereich Hochschulentwicklungsplanung und, und, und mit umsetzen und nicht in dem Konzept der Nachhaltigkeitsstrategie.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön.

Wird jetzt noch von weiteren Fraktionen das Wort gewünscht? – Für die CDU-Fraktion Herr Abg. Schmidt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, die Debatte hat gezeigt, dass es richtig war, durch eine Regierungserklärung einmal das Thema Nachhaltigkeit auch in diesem Hohen Hause zu diskutieren. Es ist auch deutlich geworden, wie unterschiedlich sich die einzelnen Redner der Fraktionen diesem Thema nähern. Wann ist es ein besserer Zeitpunkt oder auch ein besserer Ort, sich diesem Thema auch in einem Parlament zu nähern, als zum 300. Jubiläum der Begriffsdefinition in seinem Ursprungsland Sachsen?

Ich finde, dass Hannß Carl von Carlowitz damals sicherlich ökonomische Aspekte, Frau Dr. Pinka, als Herangehensweise für die Definition dieses Nachhaltigkeitsbegriffes hatte. Aber es waren auch ökologische Aspekte, die durch die Erhaltung und die Wiederaufforstung des Waldes Wirkung zeigten und die letztendlich durch die Erhaltung von Wertschöpfung auch soziale Auswirkungen hatten.

Lange nach Carlowitz hat man diesen Begriff weiterentwickelt, Institutionen haben sich damit befasst, zum Beispiel die UNO mit ihrem Brundtland-Bericht. Der Bundestag hat eine Enquete-Kommission dazu eingesetzt. Viele Konferenzen fanden in Deutschland, Europa und der Welt statt. Rio de Janeiro wurde hier zum Beispiel erwähnt. Trotzdem sind die Schlussfolgerungen daraus für das eigentliche Handeln ziemlich kontrovers.