Wenn man sich das Design der Studie anschaut, dann hat mein Kollege von den LINKEN, Herr Gebhardt, schon darauf hingewiesen, dass hier Jugendliche mit Festnetzanschluss befragt wurden. Diese Auswahl wurde überhaupt nicht beleuchtet. Wen erwischen Sie damit und wen erwischen Sie nicht?
Da erwischen Sie Jugendliche, die zu Hause wohnen. Da erwischen Sie keine 23-Jährigen in eigener Wohnung. Da erwischen Sie auch keine Studenten; die wohnen in der Regel nämlich nicht mehr zu Hause. Sie haben nur Jugendliche, die zu Hause wohnen.
Wer von den Jugendlichen nimmt sich aber die Zeit, zehn Minuten – so war es, glaube ich, angegeben – auf eine Umfrage am Telefon zu antworten? Wer macht das? Überlegen Sie selber, was Sie tun, wenn Sie angerufen und gefragt werden, ob Sie das machen wollen. Das ist von deren Laune abhängig. Das ist davon abhängig, ob sie vielleicht gerade eine Fünf in Mathe geschnappt haben; dann haben sie sicher überhaupt keine Lust, darauf zu antworten. Sind sie frustriert oder gerade fröhlich? Was dabei herausgekommen ist, kann man ja nicht ernsthaft als Grundlage einer Diskussion nehmen.
Zusätzlich wird nicht differenziert nach ländlichem Raum, nach Stadt, es wird nicht differenziert nach männlich oder weiblich. Alles das sind aber eigentlich existenzielle Grundlagen für eine Studie, die ernst genommen werden will.
Es gibt durchaus andere Aussagen. Auch die dpa hat eine Studie gemacht. Am 04.10.2012 ist ein Bericht in der „LVZ“ erschienen. Darin geht es um die Situation von Jugendlichen im ländlichen Raum. Darin sieht es nicht so rosig aus. Ich zitiere jetzt aus der Zeitung:
„Die klamme Kasse wird von oben nach unten durchgereicht. So bleibt den Kommunen für viele Aufgaben nur der Sparzwang, bei dem immer einer auf der Strecke bleibt. Gerade auf dem flachen Land ist es aber leider doch die qualifizierte Jugendarbeit.“
Ich will nicht sagen, dass alle Ergebnisse, die hier vorgelegt wurden, schlecht sind. Sie sind aber durchaus nicht zum Jubeln geeignet, wie das vor allen Dingen der Kollege von der FDP gemacht hat.
Das war für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abg. Herrmann. Für die NPD-Fraktion ergreift jetzt der Abg. Löffler das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gerade erst wenige Monate her, dass wir die Ergüsse des Ministerpräsidenten zur Halbzeit der Legislaturperiode unter dem Titel „Attraktive Heimat – Sachsen hat Zukunft“ über uns ergehen lassen durften. Nun läuft heute eine Aktuelle Debatte unter fast der gleichen Überschrift. Sind der Koalition etwa die Themen ausgegangen oder braucht man diese Form der Selbstbeweihräucherung in immer kürzeren Abständen, um angesichts wachsender Probleme von den tatsächlichen Entwicklungen abzulenken? Zumindest scheint mir das so, wenn ich die Redebeiträge höre, die heute und bei ähnlichen Anlässen gehalten werden.
Da heißt es immer wieder: noch besser, noch schöner, noch größer. Diese Sprechweise kommt mir sehr bekannt vor. In der Endzeit der DDR wurde diese Steigerungsform gern von drittklassigen Funktionären benutzt und im Volksmund scherzhaft als Sabberlativ bezeichnet.
Das Schönreden von Problemen und die Lobhudelei anstelle kritischer Betrachtungen und einer ehrlichen Bestandsaufnahme scheinen auch heute wieder Konjunktur zu haben. Zumindest teilweise sind es ja auch dieselben Personen, die damals handelten und heute ebenfalls handeln.
Schauen wir uns die tatsächliche Situation der sächsischen Jugend einmal genauer an. Stanislaw Tillich jubelte in seiner Regierungserklärung vom Frühjahr 2012: „Jeder Schulabgänger kann heute in Sachsen einen Ausbildungsplatz finden. Ja, wir haben sogar mehr Plätze als Bewerber. Noch nie waren die Chancen so gut, auch nach der Ausbildung einen Arbeitsplatz in Sachsen zu finden. Die Arbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen ist zwischen September 2009 und Januar 2012 um 40 % – ich wiederhole –, um 40 % zurückgegangen.“ Na toll, kann man da nur sagen. Da schlagen die Folgen der demografischen Katastrophe voll durch. Es gibt kaum noch halb so viele junge Menschen im ausbildungsfähigen Alter. Wenn dadurch und nur dadurch genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, bricht bei der Koalition der große Jubel aus. Der Redenschreiber mag ein wenig von Prozentrechnung verstehen, von bevölkerungspolitischen Entwicklungen oder von bevölkerungspolitischem Handeln versteht er jedoch nichts.
(Beifall bei der NPD – Patrick Schreiber, CDU: In der Aktuellen Debatte werden keine Reden geschrieben!)
Wenn doch, dann ist es schlichtweg kriminell, was in Mitteldeutschland seit zwei Jahrzehnten und in Westdeutschland seit vier Jahrzehnten bevölkerungspolitisch abläuft.
Noch so eine Sprechblase Marke Tillich: „Die Jugend ist unsere Zukunft. Wir wollen die Jugend in Sachsen halten. Dazu braucht es vor allem attraktive und gut bezahlte Arbeitsplätze. Deshalb machen wir eine Wirtschaftspolitik, die für Aufschwung am Arbeitsmarkt sorgt.“ Das ist der Gipfel der Frechheit. Wenn es um die Darstellung Sachsens als Wirtschaftsstandort geht, wird immer noch das niedrige Lohnniveau zu Werbezwecken verwendet, ja geradezu als Standortvorteil gepriesen.
Außerhalb des öffentlichen Dienstes grassieren Niedriglohn und Leiharbeit und selbst die Arbeitnehmer, die halbwegs vernünftig bezahlt werden, leiden unter den ständig steigenden Sprit- und Energiepreisen als Vorzeichen einer sich anbahnenden Inflation.
Noch ein O-Ton Tillich: „Sachsen ist Familienland. Seit 2001 werden hier Jahr für Jahr mehr Kinder geboren, und Dresden ist jetzt schon die deutsche Großstadt mit den meisten Geburten je Einwohner.“ Von der ausblutenden Oberlausitz oder dem überalterten Görlitz spricht er lieber nicht. In meinem Heimatkreis haben wir seit der Kreisgebietsreform im Jahre 2008 auf heute von 388 000 Einwohnern auf 360 000 verloren – und das nicht etwa nur durch Sterbefälle, sondern eben besonders durch Abwanderung.
In der 5. Regionalisierten Bevölkerungsprognose wird für den Erzgebirgskreis von einer Halbierung der Lebendgeburten von 2010 auf 2025 ausgegangen. Welches demografische Echo eine solche Entwicklung hervorrufen wird, dürfte Ihnen, meine Damen und Herren, bekannt sein.
Die Grenzgebiete Sachsens – als Beispiel hierfür möchte ich nur Klingenthal und das Dreiländereck um Zittau nennen – werden von grenzüberschreitenden Banden regelmäßig geplündert, Schulen werden geschlossen – das jüngstes Beispiel ist die Schule in Seifhennersdorf –, es werden Bahnstrecken stillgelegt, und offen wird darüber nachgedacht, Infrastruktur abzubauen bzw. ganze Dörfer aufzugeben. Heimat gibt es dort nur noch für Waschbären und andere Einwanderer.
Über all dem Handeln schwebt wie ein Damoklesschwert die ganz reale Gefahr, dass die unermesslichen Zahlungen für den ESM und sonstige Rettungsschirme fällig werden. Dann gute Nacht, sächsische Jugend!
Das war für die NPDFraktion der Abg. Löffler. Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir treten in eine zweite Rednerrunde ein.
Gestatten Sie mir zuvor noch einmal den ausdrücklichen Hinweis, dass wir unsere Aktuelle Debatte in freier Rede vortragen.
Es ist hier immer häufiger Brauch, dass man nicht nur zum Zitieren – was legitim ist –Textpassagen vorträgt, sondern vorbereitete Texte abliest.
Ich weise noch einmal darauf hin: Aktuelle Debatten sind in freier Rede vorzutragen. Man kann durchaus einen Stichwortzettel beim Zitieren zu Hilfe nehmen. Es ist auch möglich, dass man Textvorlagen benutzt, um ein entsprechendes Zitat zu entnehmen. Ich erinnere Sie diesbezüglich an unsere Geschäftsordnung.
In der zweiten Runde zu unserer Aktuellen Debatte ergreift zunächst die einbringende Fraktion der CDU das Wort. Es hat wiederum Herr Kollege Schreiber.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Herrmann, ich bin schon froh, dass wir dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben. Die lebhafte Debatte gibt uns diesbezüglich recht.
Aber, Frau Herrmann, ich frage mich ganz ehrlich, was Sie gesagt hätten, wenn wir diese Aktuelle Debatte irgendwann im Januar nach den Haushaltsverhandlungen auf die Tagesordnung gesetzt hätten. Sie hätten uns das doch eins zu eins um die Ohren gehauen,
wenn wir erst dann – nachdem die finanziellen Weichen gestellt sind – über Jugendfragen sprechen würden. Man kann es in Ihren Augen machen, wie man will, es ist wahrscheinlich immer falsch.
Das ist der Vorteil, wenn man in der Opposition sitzt: Man kann immer nur schimpfen und muss nicht selbst Verantwortung übernehmen.
Herr Gebhardt, Sie haben anscheinend nur – aus welchen nebulösen Umständen heraus auch immer – die zusammengeschusterte Pressemitteilung Ihrer Fraktionskollegin Klepsch, die heute nicht da sein kann, gelesen. Ich weiß nicht, wie Sie auf manche Zahl kommen, die Sie zitieren. Sie haben gesagt: Mehr als die Hälfte wollen nicht in Sachsen leben.
Die Studie, die ich kenne und die ich auch gelesen habe, besagt, dass 61 % in Sachsen leben wollen. Linksfraktion und Mathe gehen anscheinend nach wie vor nicht zusammen.