Protocol of the Session on October 18, 2012

Aber, Herr Minister, Sie können das ja auch leider nicht richtig registrieren, da Ihre Einschätzung der Zeitschrift „hier & jetzt“ die Realität bestenfalls streift. Sie schreiben auf Seite 107 „Die offensichtlichen Bemühungen, auch Artikel aufzunehmen, deren Inhalte nicht rechtsextremistisch sind, erscheinen als lediglich taktisches Mittel, um das Bild einer pluralistischen Diskussionskultur zu erzeugen.“ Vielleicht hätten ja die wenigen Buchanschaffungen, die das Landesamt für Verfassungsschutz seit 2000 getätigt hat, was wir dank einer Kleinen Anfrage von Kollegen Homann wissen, wenigstens gelesen würden, dann könnten vielleicht solche drastischen Fehleinschätzungen vermieden werden. Aus Erfahrungen, Herr Minister, befürchte ich allerdings auch in diesem Bereich eine gewisse Lernverweigerung.

Ich kann Ihnen zwar nur ausdrücklich an einer Stelle zustimmen, wenn Sie auf Seite 135 bezüglich sächsischer Vertreter der extremen Rechten schreiben – ich zitiere:

„Eine herausgehobene Bedeutung haben diese Personen in europäischen rechtsextremistischen Strukturen nicht.“ Darin stimme ich Ihnen zu. Glücklicherweise haben wir in Deutschland die dämlichste extreme Rechte von Europa – noch!

(Heiterkeit bei der SPD)

Aber wenn Sie, Herr Minister, nicht endlich erkennen, dass es bei den Kontakten ins Ausland um mehr geht als um Informationsaustausch, sondern dass es dabei wesentlich um das Lernen im Bereich von Ideologie und Ideologieentwicklung geht, dann könnte sich das allerdings ändern und die Hilflosigkeit bei den Reaktionen auf ein umgestaltetes Erscheinungsbild wäre dann leider wieder einmal vorprogrammiert. Wenn ein solches Video, wie das eingangs zitierte, übernommen wird, dann geht es eben nicht nur um reinen Informationsaustausch.

Meine Damen und Herren, diese Lernunfähigkeit bei offensichtlichen Fehleinschätzungen durchzieht die

Beantwortung der Großen Anfrage wie der berühmte rote Faden. Insofern ist dieses Dokument realistisch, denn es spiegelt Ihr sonstiges Handeln in diesem Themenfeld wider, Herr Minister.

Ein Beispiel aus jüngster Zeit: In dieser Woche verkünden Sie wild entschlossen, dass Sie jetzt resolut gegen Nazikonzerte vorgehen wollen. Ja, wer hat Sie denn bisher daran gehindert? Sachsen ist doch nicht erst seit gestern Schwerpunkt für diese zweifelhafte Art von Kultur. Ist Ihnen erst jetzt aufgefallen, dass Sachsen einen unangefochtenen Spitzenplatz bei der Durchführung von Nazikonzerten hat?

(Falk Neubert, DIE LINKE: Richtig, und zwar schon ewig!)

Auch hier liegen jahrelange Versäumnisse vor. Die Bedeutung solcher Szeneevents für die Binnenstruktur der extremen Rechten ist sträflich unterschätzt worden.

Und – das darf nicht vergessen werden, wird es aber leider weiterhin –: Wenn eine Gruppierung wie die „Terrorcrew Muldental“ – ich wiederhole: „Terrorcrew Muldental!“ – als „subkulturell“ eingestuft wird, dann ist das an Verharmlosung kaum noch zu überbieten. Wahrscheinlich ist es für Sie „subkulturell“, wenn zahlreiche Mitglieder dieser Gruppierung am Überfall auf den „Roten Stern“ in Brandis beteiligt waren.

Die Polizei allerdings – das möchte ich an dieser Stelle deutlich betonen – vermutet bei dieser „Terrorcrew Muldental“ das Bestehen einer kriminellen Vereinigung. Wenn ich mich zwischen Ihrer Einschätzung, Herr Minister, und der der Polizei entscheiden müsste, dann fiele für mich die Entscheidung sehr leicht.

Meine Damen und Herren, wir haben hier nicht die Zeit, auch nur auf die gravierendsten Mängel in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage der GRÜNEN einzugehen.

Herr Minister, aber einen letzten Punkt möchte ich noch erwähnen, weil er verdeutlicht, auf welch beschämende Art und Weise Sie mit der Öffentlichkeit, den Bürgerin

nen und Bürgern hier im Lande, umgehen. Auf Seite 55 schreiben Sie über ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer terroristischen Vereinigung in Wurzen im Jahre 2003: Nach zwei Jahren, 2005, stellte der Generalbundesanwalt dieses Verfahren ein. Sieben Jahre später wird erstmals darüber informiert! Das, Herr Minister, ist für mich das Gegenteil von notwendiger Transparenz in Zeiten der NSU-Aufklärung. Hierzu erwarte ich von Ihnen demnächst eine Erklärung.

Für eine im Text eher beiläufige Bemerkung bin ich Ihnen allerdings sehr dankbar, Herr Minister. Auf Seite 18 schreiben Sie, dass die kontinuierliche Evaluation der Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz auch Aufgabe der Parlamentarischen Kontrollkommission sei.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Ach, eine neue Aufgabe!)

Verlassen Sie sich darauf, dass ich beim Vorsitzenden dieses Gremiums beantragen werde, dass dieser Tagesordnungspunkt künftig bei jeder Sitzung auch behandelt wird.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Oh, ja!)

Wenn dies schon nicht durch das von Ihnen ebenfalls als dafür zuständig erklärte Innenministerium erfolgt, dann müssen wir eben als Parlamentarier diese notwendige Arbeit erledigen.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zum vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Im Punkt 2 des ersten Teiles wird auf die neue Tendenz hingewiesen, die neue Tendenz hin zu festeren Zusammenschlüssen in der neonationalsozialistischen Szene. Zusammenschluss wird dabei mit Sicherheit nicht als geschlossene Gruppierung zu verstehen sein, sondern als Vernetzung, als Zusammenarbeit. Dem Anliegen des Entschließungsantrages können wir als Fraktion

DIE LINKE nur zustimmen. Er enthält sehr viele Punkte, die wir hier schon mehrfach eingebracht haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN, des Abg. Thomas Jurk, SPD, und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Herr Schimmer, Sie wollen vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen, ist das richtig?

Ja, das würde ich wirklich gern tun, denn ich wurde ebenfalls in dem Beitrag von Frau Köditz auch persönlich angesprochen als Chefredakteur der Zeitschrift „hier & jetzt“.

Was mich sehr verwundert, war, dass Frau Köditz ausgerechnet einen Aufsatz von Alain de Benoist, der in der letzten Ausgabe der „hier & jetzt“ erschienen ist, besonders skandalisiert hat. Dazu muss man wissen, dass der Lebensgefährte von Frau Köditz, also Volkmar Wölk – selbst erklärter Antifaschist –, im Jahr 1999 das Buch von

Alain de Benoist „Aufstand der Kulturen“ eigentlich recht positiv besprochen hat. Deswegen hat es mich sehr verwundert, dass Sie „hier & jetzt“ – also jemand, der Alain de Benoist abdruckt – eben als Beleg für Neonazismus genommen haben.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Wogegen ich mich auch verwahre, ist die Unterstellung, dass die „hier & jetzt“ Meinungspluralismus nur vortäuschen würde, indem wir einfach nur verschiedene Meinungsbeiträge abdrucken würden. Das wurde ebenfalls von Frau Köditz behauptet, und das ist völlig falsch.

Ich lasse aus tiefster Überzeugung in meiner Publikation sowohl Linke als auch Rechte zu Wort kommen. Bei mir kann jeder Linksextremist zu Wort kommen.

Frau Köditz, ich biete Ihnen hier jetzt im Plenum des Landtages an: Beteiligen Sie sich doch an der redaktionellen Arbeit der „hier & jetzt“. Reichen Sie doch einfach mal einen Beitrag ein.

(Beifall bei der NPD – Lachen bei den GRÜNEN)

Und ich würde dann gern darauf antworten, denn ich finde, dass Demokratie daraus entsteht, dass gegensätzliche Positionen kontrovers diskutiert werden; dass Links und Rechts miteinander diskutieren. Das ist unsere Redaktionslinie. Wir haben deswegen ehemalige SEDMitglieder, die früher durchaus der DDR nahestanden, in unserer Zeitschrift – wie eben auch nationale Personen.

Ich biete Ihnen jederzeit an, sich an unserer Zeitschrift zu beteiligen.

(Zuruf von den LINKEN)

Ich persönlich habe eben nie meine politische Identität daraus bezogen, dass ich irgendwelche Feindbilder verabsolutiere wie Sie, Frau Köditz; sondern ich habe immer versucht, auch linke Positionen ernst zu nehmen, und das sollten Sie vielleicht auch einmal tun.

Besten Dank.

(Beifall bei der NPD)

Frau Köditz, Sie möchten nicht darauf antworten? – Dann Herr Homann für die SPD-Fraktion.

(Dr. Johannes Müller, NPD: Sie ist sprachlos!)

Herr Homann, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schimmer, es ist ja interessant: Bei Ihnen dürfen also Linksextremisten schreiben.

(Arne Schimmer, NPD: Ja, gern!)

Damit haben Sie im Grunde genommen zugegeben, dass Sie, wenn wir jetzt nach der Definition der Staatsregierung gehen, mit Extremisten zusammenarbeiten. Das haben Sie ja hier im Plenum immer erfolglos abgestritten,

und ich würde sagen, an der Stelle ein schöner freudscher Versprecher. Sie arbeiten also mit Extremisten zusammen. Ja, die meisten, die mit Extremisten zusammenarbeiten, sind selbst welche. Deshalb an dieser Stelle herzlichen Dank für diese Klarstellung in eigener Sache!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Inhalte der Großen Anfrage sind vielleicht nicht in jedem Punkt neu, aber ich finde es doch wichtig, dass in dieser Großen Anfrage wesentliche Tendenzen noch einmal aufgezeigt und zusammengefasst werden.

Ich sage das auch, weil ich immer, wenn ich in sächsischen Gemeinden und Kommunen unterwegs bin, das Gefühl habe, dass es immer noch Menschen gibt, die Verantwortung tragen in diesem Land – die im Übrigen auch nicht alles falsch machen –, sondern es gibt viele Bürgermeister, die sehr viel richtig machen, aber bei denen man das Gefühl hat, dass so manche Diskussion, die wir hier in den letzten zehn, 15 Jahren zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus geführt haben, an ihnen vorbeigegangen ist und sie das eine oder andere Bild von ein paar harmlosen, verwirrten Jungs in sich tragen, und das stimmt natürlich nicht.

Deshalb finde ich es richtig und wichtig, dass wir diese Diskussion immer wieder führen; dass wir auch immer wieder Informationen neu zusammensetzen, um neue Erkenntnisse und neue Verbindungen miteinander zu ziehen.

Ich will noch einmal sagen: Es ist immer wieder erschreckend – auch in dieser Großen Anfrage –, die Strategien zu hinterfragen und aufgezeigt zu bekommen, mit der zum Beispiel eine NPD in Sachsen antritt. Es ist klar zu erkennen, wie Sie versuchen, in die Alltagswelt der Bürgerinnen und Bürger einzudringen, auch in die Alltagswelt gerade von jungen Menschen, wenn Sie Ihre Anhänger dazu aufrufen, in Sozialverbänden Gesicht zu zeigen, sich in Elternvertretungen einzumischen, aus dem ganz strategischen Argument, wenn Sie von der Nationalisierung der sozialen Frage sprechen, wenn Sie im „Ring nationaler Frauen“ Ihre Mitglieder dazu aufrufen, weil sich Frauen schneller gesellschaftlich engagieren, wenn Sie Schulhof-CDs vor Schulen verteilen. An dieser Stelle wird immer wieder klar: Sie versuchen in die Lebenswirklichkeit, in den Lebensalltag von Menschen, von Jugendlichen vorzudringen