Schließlich haben die Beschäftigten im Pflegebereich – und die pflegenden Angehörigen erst recht – einen sehr hohen Anspruch an sich und an die Qualität ihres Handelns. Diese Qualität hängt aber nicht nur vom eigenen Engagement ab, sondern auch von den Voraussetzungen und den Rahmenbedingungen, die in diesem Land dafür vorgefunden werden. Insofern müssen wir endlich etwas tun. Da muss in Sachsen etwas verbessert werden.
Frau Clauß hat in der letztjährigen Debatte sehr richtig auf vieles hingewiesen, beispielsweise auf die sehr belastende psychische und physische Situation der Pflegefachkräfte sowie darauf, dass viele – leider – nach der Ausbildung in andere Bundesländer abwandern. Aber welche Konsequenzen daraus gezogen wurden, ist bis heute unklar. Klar ist, dass bis heute keine Konsequenzen gezogen worden sind. Neu ist nur ein Gutachten, welches immerhin den bisher nur gefühlten Bedarf in konkrete Zahlen gepackt hat. Das „Raffelhüschen-Gutachten“ hat uns doch gezeigt, wie groß der Bedarf an Pflegefachkräften in Zukunft sein wird. Selbst bei einem Status-quoSzenario ist bis zum Jahr 2020 mit einem Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen um 28 % zu rechnen, bis zum Jahr 2030 um 46 %. Demgegenüber wird festgestellt, dass die Anzahl der Pflegenden, ob familiär oder professionell, eher zurückgeht, wenn keine Gegenmaßnahmen erfolgen.
Wenn wir also wissen, dass zukünftig eine wachsende Zahl Pflegebedürftiger einer kleiner werdenden Zahl von professionell und familiär Pflegenden gegenübersteht, dann muss man doch Konsequenzen ziehen und handeln. Eine Konsequenz könnte beispielsweise sein, dass man sich dem Bereich „Vermeidung von Pflegebedürftigkeit/Prävention“ zuwendet. Was aber macht die Staatsregierung? Sie streicht bei der ohnehin nicht ausreichenden Finanzierung des Gesundheitsziels „Aktives Altern“, anstatt dort auf die erarbeiteten Ergebnisse aufzubauen und diese mit konkreten Zielstellungen umzusetzen. Ich sage Ihnen: Jeder Euro, der an dieser Stelle eingesetzt wird, spart hinterher und bedeutet vor allem Lebensqualität für die, die davon profitieren würden.
Trotz dieser bekannten Probleme und Prognosen wird vonseiten der Staatsregierung in Veranstaltungen und Debatten immer nur auf zwei Förderungen hingewiesen: die Alltagsbegleiter und die niedrigschwelligen Angebote. Das sind Förderungen für sehr wichtige, auf dem Ehrenamt beruhende Programme, die aber nur greifen bzw. Wirkung entfalten können, wenn wir das Grundproblem
im Bereich der Pflege lösen: das Kümmern um ausreichend Personal, um ordentliche Arbeitsbedingungen, um gute Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten und um belastbare Hilfestrukturen vor Ort für die Angehörigen, die zu Hause pflegen. Hier muss Aktivität her, hier muss Führung durch die Staatsregierung erfolgen. Sie können nicht weiter so tun, als seien Sie nicht zuständig und als sei alles Sache der Kommunen, der Anbieter und der Kassen.
(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Staatsministerin Christine Clauß: Das machen wir auch nicht! Das wissen Sie ganz genau!)
Andere Bundesländer tun etwas. Niedersachsen beispielsweise hat einen Pflegepakt mit vielen Maßnahmen geknüpft. Die Rahmenbedingungen für die Ausbildung wurden verbessert. Es wurde eine Berichterstattung eingeführt. Hessen hat ein Pflegemonitoring als Grundlage einer Personalplanung eingeführt. Dort ist man auch stolz auf das Heimgesetz, in das sowohl die ambulante Pflege als auch Vermittlungsstellen für ausländische Pflegekräfte einbezogen wurden. Thüringen hat ein seniorenpolitisches Konzept entwickelt und setzt vor allem auf Seniorenmitbestimmung. Alle Bundesländer – außer Sachsen – haben jeweils ein Landespflegegesetz, in dem Zuständigkeiten und Aufgaben beschrieben sowie Verantwortlichkeiten festgelegt werden.
Sachsen aber wurschtelt leider weiter wie bisher nach dem Motto: „Es wird schon irgendwie gutgehen.“ Das wird es aber nicht. Die Situation ist fatal. Während in anderen Bundesländern Pflegepakte geschlossen werden und Geld in die Hand genommen wird, um Ausbildung und Strukturen nachhaltig zu sichern, halten wir uns in Sachsen an einem Gutachten fest und appellieren munter in die Gegend.
In unserem Antrag – von SPD, GRÜNEN und LINKEN – unterbreiten wir Vorschläge, was aus unserer Sicht notwendig ist, um nicht abgehängt zu werden und – vor allem – im Wettbewerb um gute Pflegekräfte in Zukunft nicht das Nachsehen zu haben. Bereits verschlafen hat Sachsen die Entwicklung bei den Angeboten der Hochschulen und der Weiterbildungseinrichtungen. Von bundesweit derzeit 86 Studiengängen im Bereich Pflege finden sich nur drei in Sachsen; von 23 im Bereich Gesundheitswissenschaften und in den Weiterbildungsstudiengängen null in Sachsen. Junge Menschen, die in diesen Bereich gehen wollen, brauchen aber Perspektiven. Diese erhalten sie derzeit leider in anderen Bundesländern, in denen sie noch dazu mehr verdienen und bessere Arbeitsbedingungen vorfinden.
Das ist schlicht und einfach unterm Strich Versagen angesichts der demografischen Herausforderungen und es ist kleinliches Wegducken und Abschiebung der Verantwortung in Sachsen.
Das alles wird leider versteckt in einem System, das an Intransparenz nicht zu überbieten ist. Die Umsetzung des
Heimgesetzes ist derzeit wieder ein aktuelles Beispiel für intransparentes Auskungeln im Hinterzimmer, das Misstrauen sät. Das tut diesem Land nicht gut.
Ich weiß aber auch, warum Sie derzeit so agieren. Sonst würde deutlich werden, dass Sie im Bereich Pflege nichts vorzuweisen haben und dass hinter den Kulissen längst jede Gestaltungsfähigkeit vor dem Kostendruck und – was noch schlimmer ist – jeglicher Gestaltungsanspruch verlorengegangen ist.
Heute wäre die Gelegenheit zu zeigen, dass Sie in der Lage sind, konstruktive Kritik und vernünftige Vorschläge anzunehmen. Fassen Sie sich ein Herz, erarbeiten Sie mit allen Beteiligten ein Landespflegegesetz, in dem Sie Aufgaben und Verantwortung festlegen. Führen Sie ein Pflegemonitoring ein, um den Fachkräftebedarf steuern zu können. Wagen Sie sich an verbesserte Standards in der Pflege, beispielsweise über einheitliche Personalbemessungsverfahren. Wagen Sie sich tatsächlich an regionale Versorgungsnetzwerke und nehmen Sie auch die weiteren Vorschläge unseres Antrages auf. Vor allem, trauen Sie sich zu, mit allen Akteuren gemeinsam zu agieren. Das ist notwendig.
Danke, Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Sachsen braucht endlich eine gründliche Pflegereform. Wir sind die Region mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Europa, nicht etwa nur in Deutschland. Im Durchschnitt sind wir heute 47 Jahre alt. Kurz nach der Wende war der DurchschnittsSachse noch nicht mal 40 Jahre jung. Das kann durchaus als Ergänzung zur heutigen 1. Aktuellen Debatte gesehen werden.
Während Sachsen seit 1990 rund 15 % seiner Bevölkerung verloren hat, ist die Altersgruppe der Männer über 60 Jahre um mehr als die Hälfte gewachsen. Wir wissen nicht zuletzt auch aus der Enquete-Kommission zur demografischen Entwicklung, dass Sachsen altert. Und auch, wenn unsere „Alten“ länger gesünder bleiben – die Zahl der Pflegebedürftigen steigt weiter stark an.
Die Staatsregierung hat bisher noch kein überzeugendes Konzept vorgelegt, wie sie dem begegnen will. Dabei ist mehr als offensichtlich, dass Sachsen endlich eine umfassende Pflegereform benötigt.
Wir als DIE LINKE sehen vier Punkte, in denen dringender Handlungsbedarf besteht: Erstens. Wir müssen die Attraktivität der Pflegeberufe steigern. Dazu gehören ordentliche Löhne, ein sicheres Arbeitsumfeld, familienfreundliche Arbeitszeiten und Aufstiegschancen. Es kann und darf nicht sein, dass top-ausgebildetes Pflegefachper
sonal in Sachsen weniger verdient als ein Hilfsarbeiter im Hamburger Hafen. Genau deshalb erwarten wir heute zahlreiche Pflegekräfte hier vorm Haus, die auf die Situation ihrer Arbeit und ihrer zu Pflegenden aufmerksam machen möchten. Der Dank der Fraktion DIE LINKE und meine ganze Sympathie geht an die Pflegekräfte – ob stationär oder ambulant tätig oder als Familie, die einen Angehörigen pflegt.
Zweitens. Sachsen braucht ein Landespflegegesetz; Frau Neukirch sagte es bereits. Es muss klar sein, wer für welche Pflegeaufgaben zuständig ist und wie eine moderne Versorgung mit Pflegeleistungen auszusehen hat. Warum müssen sich Bürgermeister auf dem Land erst einen langen Bart wachsen lassen, um die Sondergenehmigung zu erhalten, ein dringend benötigtes Pflegeheim bauen zu dürfen?
Drittens. Das erst kürzlich verabschiedete Sächsische Betreuungs- und Wohnqualitätsgesetz muss überarbeitet werden, um den Anforderungen des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes des Bundes gerecht zu werden. Neben den typischen Pflegeheimen werden verstärkt selbstbestimmtere Formen des Wohnens, beispielsweise in Wohngemeinschaften oder betreuten Wohnformen, nachgefragt. Und schließlich müssen auch in der familienunterstützten Pflege mit geeigneten Maßnahmen die Lasten von den pflegenden Familien abgenommen werden.
Viertens. Wir benötigen endlich ein flächendeckendes Netz an Pflegestützpunkten. Die Beratung in diesem Bereich ist nach wie vor unzureichend. Eine unabhängige Pflegeberatung ist mit dem Modell der vernetzten Pflegeberatung nicht möglich. Wer glaubt denn ernsthaft, von einem Leistungserbringer oder Kostenträger wirklich unabhängig beraten zu werden? Ich gehe doch auch nicht zum Metzger, wenn ich eine objektive Ernährungsberatung möchte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle werden älter und das ist auch gut so. Wenn wir guten Gewissens älter werden wollen, müssen wir jetzt das System der Pflege reformieren. Wenn wir wollen, dass ältere Menschen sich in Sachsen wohlfühlen, müssen wir jetzt die Weichen dafür stellen, mit ordentlichen Löhnen und Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte, mit zukunftsfähigen Strukturen und bezahlbaren, flächendeckenden Angeboten, besonders im ländlichen Raum,
und mit vielfältigen Angeboten und Wohnformen, die das Selbstbestimmungsrecht der zu Pflegenden respektieren und eine attraktive Pflegelandschaft schaffen. Wenn wir es schaffen, diese Punkte gut umzusetzen, dann können auch wir selbst ruhigen Gewissens alt werden.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte das gedacht? Der letzte Artikel im letzten MDK-Forum ist ein Gastartikel von einem Wirtschaftsredakteur beim Münchner „Merkur“, liebe Kolleginnen und Kollegen. Er nimmt sich, ich gebe es zu, das Pflege-Neuausrichtungsgesetz des Bundes vor und kritisiert es. Aber im letzten Absatz sagt er: „Höchste Zeit, dass die Bürger den Druck auf die Politik erhöhen.“ Da spricht kein Mensch aus dem Sozialbereich, sondern ein Wirtschaftsredakteur, dem man weiß Gott nicht vorwerfen kann, dass er Klientelpolitik betreibt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das tun die Menschen seit geraumer Zeit in Sachsen, aber auch in anderen Bundesländern. Es gab am 03.09.2012 eine Großdemo in Berlin, es gab mehrere Demonstrationen und eine harte Auseinandersetzung in Mecklenburg-Vorpommern um die Leistungsvergütung im Bereich der Pflege. Es ist wichtig, dass durch diese Aktionen der Betroffenen – seien es Angehörige, seien es professionell Pflegende oder andere Menschen, denen dieser Bereich wichtig ist – uns allen der Bereich Pflege in den Blick gerückt wird.
Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass alle hier denken, es dauert noch eine ganze Weile, bis das bei mir mal so weit ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wollen wir im Alter leben? Diese Frage sollten Sie sich immer wieder stellen. Was sind die Herausforderungen in Sachsen? Das haben die Kolleginnen vor mir schon deutlich gemacht.
Wir haben erstens die Situation, dass wir älter werden – was schön ist, aber im hohen Alter kommt Pflegebedarf dazu –, und dass es immer mehr Menschen geben wird, die pflegebedürftig sind.
Zweitens wissen wir, dass die Familienstrukturen so sind, dass familiäre Pflege immer schwieriger wird. Wir müssen also die Bereiche stärken und die Entwicklung so beeinflussen, dass eine Pflegelandschaft in Sachsen entsteht, die diesen Voraussetzungen gerecht wird.
Drittens haben wir das Problem der Arbeitskräfte. Das steht konträr zur eben zitierten Entwicklung. Wir haben viel zu wenige Arbeitskräfte im Bereich der Pflege.
Es ist für viele Menschen aus verschiedensten Gründen kein attraktives Arbeitsfeld, vor allem auch wegen der niedrigen Bezahlung, aber nicht nur. Pflegekräfte sind oft sehr engagierte Menschen, und sie leiden unter der Situation, die sie im Bereich Pflege antreffen. Sie leiden unter der sogenannten Minutenpflege. Kein Mensch ist glücklich damit, wenn er dem anderen, der offensichtlich Gesprächsbedarf hat, keine Zeit schenken kann, wenn er keine Zeit hat zum Zuhören, keine Zeit, mal die Hand zu halten, sondern wenn er die Pflege schnell vollziehen
Es gibt diese Studie, die schon zitiert worden ist und die die Staatsregierung in Auftrag gegeben hat. Diese Studie führt uns tatsächlich vor Augen, wie die Situation sein wird. Wir hatten im Jahr 2009 rund 45 000 Pflegeheimplätze. Wenn wir diese Entwicklung nicht beeinflussen, werden es im Jahr 2050 85 000 sein. 45 000 – 85 000! Liebe Kolleginnen und Kollegen, halten Sie sich diese Zahlen vor Augen und überlegen Sie sich, wie das auch finanziell für die Kommunen zu stemmen sein soll! Das ist unmöglich.
Welche Fachkräfte sollen eigentlich diese Pflegeleistung erbringen? Wir haben kein Konzept dazu. Den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen nach Individualität, Normalität und Alltagsnähe steht in Sachsen eine in über 20 Jahren aufgebaute Pflege- und Eingliederungshilfeinfrastruktur gegenüber. Es war gut, es war wichtig, auch Investitionen in diesem Bereich vorzunehmen. Im Bundesvergleich sehen wir allerdings, dass in Sachsen überproportional stationäre Angebote vorhanden sind.