Protocol of the Session on October 18, 2012

Ich halte es für durchaus zumutbar, den darüber hinausgehenden Betrag von Vermögen auch einzusetzen, wenn man einen Rechtsstreit führen möchte. Das ist keine Zumutung.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Im Übrigen unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit diese Anmerkung. Es gibt viele Prozessgegner, die solche Vermögen nicht haben und trotzdem gezwungen werden, eigenes Vermögen einzusetzen oder das Kostenrisiko zu tragen.

Der Gesetzentwurf sieht im Weiteren im Bereich der Prozesskostenhilfe vor, dass die Prüfung der finanziellen Bedürftigkeit in allen Gerichtsbarkeiten auf den Rechtspfleger bzw. dort, wo es keinen solchen Rechtspfleger gibt, auf den Urkundsbeamten übertragen wird. Das ist zu begrüßen; das vereinfacht das Verfahren. Es dient der Entlastung des Richters und schafft die Voraussetzungen für eine möglichst einheitliche Beurteilung der Frage der Bedürftigkeit. Gegen die Entscheidung des Rechtspflegers oder Urkundsbeamten kann dann der Richter angerufen werden, meine Damen und Herren.

Über die hinreichenden Erfolgsaussichten oder die fehlende Mutwilligkeit entscheidet ohnehin weiter allein der Richter.

Herr Lichdi, hier sind Sie einer Fehlvorstellung aufgesessen, wenn Sie formulieren: Entscheidend für die Gewährung der Prozesskostenhilfe sei jetzt die tatsächliche Erfolgsaussicht. Das ist nicht zutreffend, das ist falsch.

(Geert Mackenroth, CDU: Da ändert sich gar nichts!)

Es ändert sich überhaupt nichts. Ausreichend für die Gewährung der Prozesskostenhilfe ist weiterhin die

hinreichende Erfolgsaussicht, nicht der tatsächliche Nachweis eines bestehenden Erfolges, sondern die hinreichende Erfolgsaussicht;

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das haben wir doch gar nicht behauptet!)

das heißt, die Einschätzung eines vernünftigen, nicht eines querulatorischen oder sonst wie fixierten Prozessbeteiligten. Einen sinnlosen Prozess etwa gegen eine abgemeldete Briefkastenfirma auf den Cayman Islands würde niemand führen, der wirtschaftlich denkt, und ein solches sollte auch bei der Finanzierung vom Steuerzahler nicht verlangt werden, meine Damen und Herren. Mehr steht dort nicht drin. Über die Erfolgsaussicht entscheidet der Richter.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das habe ich nicht gesagt! Das ist unglaublich!)

Herr Lichdi, da ändert sich nichts für Sie. Diese Aufregung ist völlig unnötig, meine Damen und Herren. Die Begriffe der Mutwilligkeit und der Erforderlichkeit der Vertretung werden lediglich legal definiert. Aber das orientiert sich an dem, was die Rechtsprechung bereits in vielen Jahrzehnten, in Tausenden von Entscheidungen im Einzelnen in einer reichen Spruchpraxis herausgebildet hat.

Im Übrigen wird die vorherige Antragstellung zum Regelfall erhoben, um eine höhere Erledigungsquote von Beratungsfällen direkt bei den Gerichten zu ermöglichen.

Der Gesetzentwurf sieht zudem eine Öffnungsklausel für die Länder hinsichtlich der Einführung einer ausschließlichen Zuständigkeit anwaltlicher Beratungsstellen für die Gewährung von Beratungshilfe vor. Sie wird neben den Stadtstaaten dann auch in den Flächenländern mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei der Beratungshilfe eröffnen. Für Sachsen bestehen allerdings derzeit keine Planungen in dieser Richtung. Wir haben mit dem 2009 begonnenen Projekt der anwaltlichen Beratungsstellen sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie sollen auch weiterhin als Ergänzung und nicht als Aliud oder Ersatz zur klassischen Beratungshilfe über den Beratungshilfeschein des Amtsgerichtes hinaus Rechtsschutz möglich machen.

(Beifall des Abg. Geert Mackenroth, CDU)

Zwischenzeitlich gibt es sachsenweit zehn solcher Beratungsstellen, und die überwiegend in Rathäusern eingerichteten Stellen werden von den finanziell bedürftigen Rechtsuchenden mit hoher Zufriedenheit angenommen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen daran, dass wir in Sachsen überobligatorisch Rechtsberatungsmöglichkeiten und Rechtsschutzmöglichkeiten für Bedürftige vorsehen. Wir werden auch nicht zulassen, dass im Gesetzgebungsverfahren der Grundsatz des Zuganges zu Rechtsberatung und Rechtsschutz für jeden, unabhängig vom Einkommen und Vermögen, eingeschränkt wird. Was wir wollen, ist nur, dass der Staat weiterhin in der Lage ist, dieses zu finanzieren, und zwar für alle. Das liegt gerade im Interesse der besonders Bedürftigen.

Summa summarum begrüße ich den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Er enthält wichtige Maßgaben, um das Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferecht effizienter zu gestalten. Die Ziele werden sich dadurch nicht verändern.

Im Übrigen werden wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu Einzelheiten sicherlich noch Änderungen erfahren. Wie Sie wissen, ist der ursprüngliche Entwurf des Bundesjustizministeriums auch im Bundesrat noch in die Ausschüsse verwiesen worden. Er wird dort diskutiert und wir werden in diesem Haus noch einmal über das Ergebnis der Beratungen des Gesetzgebungsverfahrens sprechen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, wir kommen zum Schlusswort; dieses hat die Fraktion DIE LINKE. Herr Abg. Bartl, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, nun bin ich einigermaßen platt. Der Bundesrat hat am 12.10. eine Beschlussempfehlung verabschiedet – mit welchem Stimmverhalten des Freistaates Sachsen auch immer; dazu haben Sie nichts gesagt –, und zwar auf der Grundlage von vier Ausschüssen. In dieser Begründung für die Beschlussempfehlung, zurück zur Bundesregierung,

überarbeitet – meinethalben gravierend –, heißt es, dass zwar mit diesem Ansatz eine Neuordnung des Prozesskostenhilferechts ermöglicht wird; aber der letzte Satz lautet dann, dass der Gesetzentwurf durch die Mehrbelastungen, die durch die jetzt eingebauten entsprechenden Prüfungen und Ähnliches mehr Personalbedarf sowie erhebliche Mehrausgaben befürchten lassen, insgesamt zu keinem positiven Saldo führen wird.

(Genauso! und Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Was soll ich dazu sagen? Wie geht die Staatsregierung oder die Koalition in diesem Haus mit dieser Einschätzung um?

Eine zweite Frage: Herr Mackenroth – jetzt ist er nicht einmal anwesend –, wenn ich in einem Verfahren, in dem der entsprechende Gesetzentwurf im Bundesrat liegt, im Landesparlament nicht einmal mehr darüber reden darf, nicht einmal mehr Auskunft einholen darf von der Staatsregierung, weil ich angeblich im Kernbereich bin, wie sich meine eigene Staatsregierung im Bundesrat bewegt – was ist denn dann eigentlich noch der Stellenwert des Landesparlaments im föderalen System? Es ist doch nun die vornehmliche Aufgabe eines Landesparlaments, sich exakt in einem solchen Gesetzgebungsverfahren zum Abstimmungsverhalten des eigenen Freistaates, der

eigenen Staatsregierung im Bundesrat eine Meinung zu bilden und als Parlament dem Staatsminister, in diesem Fall dem Justizminister, eine Erwartung auszusprechen.

Kollege Biesok weiß das, nehme ich an. Dass es nicht Ihr alltägliches Brot ist, mit Mandanten umzugehen, die Beratungs- und Prozesskostenhilfe beantragen, ist mir klar. Die Anwälte aber, die es tun, sagen schon heute – holen Sie 100, dann sagen es Ihnen 99 –: Ich brauche mehr Zeit für die Begründung des Antrags auf Prozesskostenhilfe als für den Hauptsacheantrag bzw. die Klage. Ich brauche bereits heute wesentlich mehr Zeit für die Bearbeitung der entsprechenden Antragsunterlagen und die Begründung, weshalb die Erfolgsaussichten hoch sind, keine Mutwilligkeit vorliegt etc. pp., als für das, was ich nachher in die Klage selbst an Aufwand hineinstecke. – Das wird doch bereits gründlich – gründlichst! – geprüft. Was die Anwälte letztlich beklagen, ist exakt dieser bürokratische Aufwand.

Herr Staatsminister, ich hielt Ihre Argumentation mit dem Grundgesetz zum Einstieg in Ihre Rede für hervorragend. Der Hinweis auf die Unteilbarkeit sollte auch alle Abgeordneten in diesem Hause binden. Wenn man aber so argumentiert, dann muss man das auch durchhalten.

Bitte zum Schluss kommen.

Der Grundsatz der Sozialstaatlichkeit ist einer der fundamentalen Grundsätze im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Dann aber kann man nicht beklagen, dass die Bundesrepublik Deutschland in diesem Punkt ihre Bürgerinnen und Bürger wesentlich günstiger stellt als Slowenien oder die Malediven. Das ist doch genau das, was den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland ziert.

Herr Bartl, bitte!

Herr Präsident, ich bin sofort fertig. – Wir meinen, es gibt tatsächlich guten Anlass, dass das Parlament sich mit dieser Frage befasst.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Ich stelle nun den Antrag in der Drucksache 5/10334 zur Abstimmung. Wer zustimmen möchte, zeigt das bitte an. – Wer ist dagegen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen und zahlreichen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden.

Tagesordnungspunkt 5 ist beendet.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 6

„Pflege braucht Zeit“ – Reformstau in der Pflegepolitik in Sachsen auflösen

Drucksache 5/10337, Antrag der Fraktionen der SPD,

DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: SPD, DIE LINKE, GRÜNE, CDU, FDP und NPD. Die Staatsregierung erhält das Wort, wenn sie es wünscht.

Die Aussprache ist eröffnet. Für die SPD-Fraktion spricht Frau Abg. Neukirch. Sie haben das Wort, Frau Neukirch.

Danke schön, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor genau einem Jahr versammelten sich vor dem Sächsischen Landtag Beschäftigte der Pflegeberufe und Angehörige, die im damaligen Jahr der Pflege auf die vorhandenen Mängel im Pflegebereich aufmerksam machen wollten. Viele von uns Abgeordneten aus allen Fraktionen nahmen die Gesprächsangebote auf dem Platz vor dem Landtag an und diskutierten mit. Das kam gut an und weckte durchaus auch Erwartungen.

Bis heute – ein Jahr später! – ist jedoch nichts passiert. Es gibt keine Verbesserungen für die Betroffenen und die Beschäftigten. Es ist leider auch keine Verbesserung in Aussicht, weil weder Regierung noch Regierungsfraktionen ein Konzept für notwendig erachten. Dagegen gibt es viele Appelle an die Kommunen und Appelle an das Ehrenamt. Aber eigentlich hält sich die Staatsregierung für nicht zuständig. Das wird bei jeder Veranstaltung und jedem Grußwort deutlich. Sie verwaltet den Mangel, hat Angst vor eventuellen Kosten und keine Ideen und Konzepte. Am Beispiel der Pflege wird offensichtlich, wie wenig die Staatsregierung und die Regierungsfraktionen noch Kontakt zu den Menschen, zu den Betroffenen dieser – nicht vorhandenen – Politik in unserem Land haben.

Jeder und jede Angehörige, der in Sachsen einen Angehörigen zu Hause pflegt, fühlt sich nicht ernst genommen, wenn er auf das Pflegenetz verwiesen wird, das, wenn überhaupt vorhanden, in den seltensten Fällen tatsächlich Pflegebegleitung und fallbezogene Hilfe leisten kann. Jede und jeder Ehrenamtliche fühlt sich fehl am Platz, wenn Vereine mangels Finanzierung wegbrechen, wenn Modellprojekte auslaufen und Unterstützungsstrukturen – auch Begleitung und Weiterbildung – für diese psychisch anspruchsvolle Tätigkeit fehlen.

Jede und jeder Beschäftigte fühlt sich nicht anerkannt, wenn er zwar verbalen Dank erhält, aber dann Lohn in einer Höhe, von dem eine Familie nicht ernährt werden kann, und wenn Arbeitsbedingungen vorherrschen, die über kurz oder lang krank machen und oftmals überhaupt nur durch Teilzeittätigkeit zu leisten sind. „Pflege braucht Zeit“ – das ist das Motto des heutigen Aktionstages. Es ist ein gutes und mit Bedacht gewähltes Motto der Organisatorinnen und Organisatoren. Denn: Minutenpflege ist

unwürdig – nicht nur für die Pflegebedürftigen, sondern auch für die Pflegenden.