Protocol of the Session on July 12, 2012

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die NPD hat sich immer für eine vom deutschen Volk beschlossene neue Verfassung eingesetzt. Das ist nicht etwa Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Haltung, wie man vielleicht aus Unkenntnis oder Bösartigkeit behauptet, sondern das ergibt sich aus dem Provisorium des Grundgesetzes selbst. Ich will hier beispielsweise ein Zitat des Mitglieds des Parlamentarischen Rates, des Sozialdemokraten Prof. Carlo Schmid, anführen, der selbst das Grundgesetz als „Organisationsform einer Modalität der Fremdherrschaft“ beschrieben hat.

Genau das drückt sich auch im Artikel 146 aus, insbesondere in seiner Ursprungsfassung vom 23. Mai 1949, in dem im Grunde genommen schon stand: Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tag, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen wurde.

Die Nichtmöglichkeit, eine freie Entscheidung über eine Verfassung zu fällen – Deutschland war damals ein besetztes Land bzw. nicht souveränes Land – war letztendlich auch der Grund, weshalb man Folgendes sagte: Erst wenn diese freie Entscheidungsmöglichkeit besteht, soll sich das deutsche Volk eine freie Verfassung geben. In dieser neuen Verfassung hat auch ein entscheidendes Prinzip zum Tragen zu kommen, welches natürlich – solange eine Fremdherrschaft andauert – nicht möglich ist: das Prinzip der Volkssouveränität. Es wird im Zu

sammenhang mit dem Grundgesetz immer viel von den Grundrechten gesprochen. Umso weniger wird aber von dem jede demokratische Verfassung tragenden Prinzip der Volkssouveränität gesprochen.

Wenn man den Artikel 146 GG in seiner neuen aktuellen Fassung liest, wird einem klar, dass das Grundgesetz im Grunde genommen eine Verfassung für das deutsche Volk vom deutschen Volk ist. Das gilt natürlich nicht nur für das Grundgesetz, wie es heute gültig ist. Es gilt im Grunde genommen auch für jede andere Verfassung. Allerdings ist das Problem, dass offenbar diejenigen, die zwar immer das Grundgesetz hochhalten, in der praktischen Politik ein instrumentales Verhältnis zum Grundgesetz haben. Die Wertordnung des Grundgesetzes ist oft immer nur ein Deckmäntelchen, wohinter man sich verbirgt.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist ein schönes Beispiel dafür. Wenn man sich einmal – er ist natürlich jahrzehntelang ein Spitzenpolitiker gewesen – an die Amtszeit als Bundesinnenminister zurückerinnert, war es oft so, dass er durchaus die Bürgerrechte des Grundgesetzes zur Disposition gestellt hat.

Es passt natürlich auch, dass jetzt im Zuge der Euro-Krise wieder das Grundgesetz ein Störfaktor ist. Offenbar sind ihm die Souveränitätsanforderungen, die das Grundgesetz formuliert, ein Dorn im Auge, um Souveränitätsrechte von der Bundesrepublik Deutschland auf die Europäische Union zu verlagern. Insofern zeigt sich, dass hier tatsächlich Dinge stattfinden, die man einmal näher betrachten muss.

Sehr aufschlussreich ist ein Interview mit Wolfgang Schäuble im „Spiegel“ vom 25. Juni 2012. Darin macht er deutlich, wohin die Reise – gerade auch verfassungs- und

staatsrechtlich – gehen soll. Ich zitiere aus diesem Interview: „Bislang haben die Mitgliedsstaaten in Europa fast immer das letzte Wort. Das kann so nicht bleiben. Wir müssen in wichtigen Politikbereichen mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagern, ohne dass jeder Nationalstaat die Entscheidungen blockieren kann.“

Nun muss man dazusagen, dass Wolfgang Schäuble nicht irgendwer ist. Er ist nicht nur der Bundesfinanzminister. Nach meiner Wahrnehmung ist er sogar der strategische Kopf der Bundesregierung. Ich glaube sogar und würde so weit gehen zu sagen, dass er vielleicht mehr die Richtlinienkompetenz wahrnimmt, als es die Bundeskanzlerin selbst tut. Sie führt vielleicht eher intuitiv. Insofern glaube ich, dass der Zeitpunkt und der Anlass für dieses Interview kein Zufall ist. Er denkt natürlich weiter.

Herr Storr, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Er sieht, dass möglicherweise verfassungsrechtlich ein Punkt erreicht ist, an dem das Grundgesetz ein Hemmschuh ist, um die staats- oder verfassungsrechtliche Abschaffung der Bundesrepublik Deutschland weiter zu betreiben, und man neue verfassungsrechtliche Grundlagen schaffen muss.

Herr Storr, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Genau! In meiner zweiten Rede werde ich darauf noch näher eingehen.

(Stefan Brangs, SPD: Muss aber nicht sein!)

Meine Damen und Herren! Wir fahren fort. Für die CDUFraktion ist nun Herr Schiemann an der Reihe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es mag richtig sein, dass zu Zeiten von Prof. Carlo Schmid das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eine Vorläufigkeit hatte. Mit der Herstellung der Deutschen Einheit und Freiheit Deutschland ist diese Vorläufigkeit abgeschlossen. Wir sind froh, dass wir als Sachsen auch die Chance hatten, über Artikel 23 GG in dieses Grundgesetz – in diese deutsche Verfassung – einzusteigen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Ich kann bei Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung nicht erkennen, dass es dort Verfassungsfeinde geben muss. Es ist für mich erstaunlich, dass mein Vorredner eben mit diesem Zitat diese Debatte bestreitet. Ich bin in den letzten Jahren immer davon ausgegangen – das haben auch die Redebeiträge der einreichenden Fraktion belegt – dass es eben diese Fraktion ist, die die Verfassung gerade abschaffen will und sich heute auf die Vorläufigkeit von Artikel 146 GG beruft. Ich verweise noch einmal auf Folgendes: Mit der Herstellung der Deutschen Einheit und Freiheit Deutschland ist diese Vorläufigkeit des Grundgesetzes beendet worden. Wir haben jetzt eine

deutsche Verfassung, die für alle Deutschen in Deutschland gilt.

Artikel 146 GG lässt nicht die Frage eines verfassungsbeschwerdefähigen Individualrechts zu. Es wird auch in der Diskussion im Rahmen des alten Zustands diskutiert. Dies ist nicht möglich. Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung über den Artikel 146 GG zu begründen ist auch nach der jetzigen Lesart des Grundgesetzes mit Artikel 146 GG nicht möglich.

Das Grundgesetz bindet alle handelnden Staatsorgane, Staatsgewalten, aber auch die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, keine Souveränitätsrechte abzugeben. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zum Lissabon-Vertrag deutlich festgeschrieben. Herr Präsident, ich zitiere: „Solange im Rahmen einer europäischen Bundesstaatsbegründung nicht ein einheitliches europäisches Volk als Legitimationssubjekt seinen Mehrheitswillen gleichberechtigt politisch wirksam formulieren kann, bleiben die in den Mitgliedsstaaten verfassten Völker maßgeblicher Träger der öffentlichen Gewalt, einschließlich der Unionsgewalt. Für den Beitrag zu einem europäischen Bundesstaat wäre in Deutschland allerdings eine Verfassungsneuschöpfung notwendig, mit der ein erklärter Verzicht auf die vom Grundgesetz gesicherte souveräne Staatlichkeit einherginge.“ Dieser Akt liegt derzeit nicht vor. Die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat sind deshalb angehalten, nicht auf Souveränitätsrechte zu verzichten. Die EU unterliegt dem Vertragswillen souveräner Nationalstaaten. Das soll auch in den kommenden Jahren so bleiben.

Das Grundgesetz ermächtigt die deutschen Staatsorgane nicht – ich wiederhole das noch einmal –, Hoheitsrechte zu übertragen, die in ihrer Ausübung eigenständige EUZuständigkeiten begründen. Das Verfassungsrecht ist klar und deutlich und nicht verhandelbar.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Fiskalpaket und ESM gilt es dennoch, Fragen zu beantworten. Wie kann das Parlament verhindern, dass Deutschland Milliardenbeträge nachschieben muss, wenn beim ESM Defizite auflaufen und andere Nationalstaaten ihren Zahlungen bzw. ihren Aufgaben nicht nachkommen? Es stellt sich auch die folgende kritische Frage: Wird Deutschland künftig in die schwierige Lage kommen, seine Verpflichtungen nicht mehr zu erfüllen und dann für das Nichterfüllen damit bestraft zu werden, vom Stimmrecht für alle weiteren Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union ausgeschlossen zu werden? Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Herr Schiemann, bitte kommen Sie zum Schluss.

– Ich komme zum Schluss.

Die Herausforderung, zu Europa innerhalb der Diskussion über das Grundgesetz in eine volkswirtschaftliche Debatte

zu kommen, ist eine Herausforderung, die die deutschen Staatsorgane zu beachten haben.

Ich komme zu meinem letzten Satz: Auch in Krisenzeiten ist das Grundgesetz nicht verhandelbar!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Nächster Redner: Herr Homann. – Herr Homann, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen. Dieses Zitat ist von Holger Apfel. Holger Apfel sagte: „Jawohl, wir sind verfassungsfeindlich, wenn es darum geht, dieses System zu bekämpfen.“ So einfach könnte man hier Ihr Engagement vom Tisch wischen, weil damit offensichtlich wird: Ihnen geht es nicht um die Demokratie, sondern Ihnen geht es um die Abschaffung der Demokratie.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN, der FDP und den GRÜNEN)

Ich finde aber, wir sind es dem Grundgesetz schuldig, dass wir dem, was Sie hier so an Programmatik andeuten, diesen Legenden, entgegenwirken. Eine dieser Legenden ist ja, dass das Grundgesetz nicht demokratisch zustande gekommen wäre. Man muss ganz ehrlich sagen, der Parlamentarische Rat wurde von elf demokratisch gewählten Ministerpräsidenten in Deutschland einberufen. In diesem Parlamentarischen Rat saßen demokratisch gewählte Mitglieder demokratisch gewählter Landtage. Die haben demokratisch darüber entschieden. Natürlich ist das Grundgesetz demokratisch zustande gekommen, weil auch Parlamentarismus Demokratie ist, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN – Andreas Storr, NPD: Trotzdem hat man die Vorläufigkeit aber betont!)

Herr Kollege Schiemann hat auf das wichtige Urteil zum Lissabonvertrag hingewiesen. Ich will aber auch noch einmal aus dem Grundgesetz zitieren, und zwar aus der alten Präambel, und der Teil ist auch in der neuen Präambel, weil auch suggeriert wird, dass das Grundgesetz grundsätzlich konträr zu dem stehe, was wir in Europa verhandeln. Hier will ich zitieren aus der Präambel. Darin heißt es: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichwertiges Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen...“ Hier ist die europäische Einigung angelegt in der Präambel des Grundgesetzes. Und das ist gut so.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich finde, man muss immer sehen, was denn dahintersteckt. Ja, natürlich, das ist eine ziemlich ekelhafte Weise

von Populismus. Im Kern geht es doch darum, dass die Neonazis wieder versuchen, unsere Demokratie, unser Grundgesetz zu delegitimieren. Wenn man sich ansieht, wie das Ganze dann in der Reinform aussieht – zugegeben in der natürlich abgefahrenen Reinform und auch wahrscheinlich in geschlossenen Räumen und nicht hier im Parlament –, dann muss man sich einmal ansehen, was denn die Reichsbürgerbewegung erzählt. Die Reichsbürgerbewegung – da sind auch prominente NPDUnterstützer wie Horst Mahler dabei –, behauptet, das Deutsche Reich wäre bis heute juristisch nicht abgeschafft worden.

(Andreas Storr, NPD: Sagte 1973 auch das Bundesverfassungsgericht!)

Die gründen Reichsregierungen. Die fordern Deutschland in den Grenzen von 1937. Die stellen Reichspersonalausweise und Reichsführerscheine aus.

(Heiterkeit bei der SPD)

Das ist ein absurdes Ringen. Das ist das, worauf es am Ende hinausläuft. Sie delegitimieren unsere bewährte Demokratie, indem sie die Legitimität des Grundgesetzes infrage stellen. Dafür stehen wir hier jeden Tag auf, um das nicht zuzulassen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN, der FDP und den GRÜNEN)

Ich finde es auch interessant, einmal zu sehen, wie das Ganze juristisch zu bewerten wäre, sollten Sie sich trauen, hier so etwas offen zu erklären. Das Amtsgericht Duisburg hat 2006 dazu ein – wie ich finde – sehr deutliches Urteil gesprochen. Ich bitte Sie, das am Ende auch mit Würde zu honorieren. Ich zitiere, und zwar wörtlich: „Das Bonner Grundgesetz ist unverändert in Kraft.“ Man muss dazu noch erzählen, dass da jemand gekommen ist und gegen die Zwangsversteigerung seines Hauses geklagt hat, weil das Grundgesetz nicht in Kraft wäre und wir eine Reichsverfassung hätten. Dann urteilt das Amtsgericht in Duisburg und sagt: „Das Bonner Grundgesetz ist unverändert in Kraft. Eine deutsche Reichsverfassung, eine kommissarische Reichsregierung oder ein kommissarisches Reichsgericht existiert ebenso wenig, wie die Erde eine Scheibe ist.“

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer, dass wir uns unser Grundgesetz von Ihnen nicht delegitimieren lassen. Wir stehen täglich dafür ein, denn es ist eine große Errungenschaft für unsere Demokratie.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN, der FDP und den GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Biesok für die FDP-Fraktion. Herr Biesok, Sie haben das Wort.