Protocol of the Session on June 14, 2012

– eine Vielfalt von Lebensweisen und als Zukunftschancen für diejenigen, die hier aufwachsen und leben.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE sprach Frau Klepsch. – Jetzt spricht Kollege Dulig für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir wohl neben dem Standortwettbewerb den nächsten Wettbewerb ausgerufen: den nach der schönsten Heimat, so nach dem Motto „Deutschland sucht die Superheimat“, oder was?

(Zuruf von der CDU: Den besten Kabarettisten haben wir schon gefunden! – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Also ich sehe nicht die Tausenden, die aus BadenWürttemberg, Bayern oder Hessen in das attraktive Sachsen kommen. Ich sehe nicht, wie sie ihre glücklose Heimat verlassen, um ihr Glück in Sachsen zu suchen. Wollen Sie mir wirklich sagen, dass die gesamte Zuwanderungspolitik damit zu tun hat, dass Sie eine gute Politik machen? Wollen Sie mir wirklich das sagen?

(Zuruf von der CDU: Sie haben den Begriff Heimat nicht verstanden! – Zuruf von der CDU: Schwarzmaler!)

Schwarzmaler? Entschuldigen Sie, Sie hätten sich vielleicht einmal, als Sie die Aktuelle Debatte beantragt haben, mit den Zahlen des Statistischen Landesamtes auseinandersetzen müssen. Die Zahlen sehen nämlich komplett anders aus als die, von denen Sie uns hier erzählen. Nach wie vor gibt es einen negativen Wande

rungssaldo. Es verlassen immer noch mehr Menschen das Land Sachsen und ziehen in andere Bundesländer, als Menschen aus anderen Bundesländern nach Sachsen kommen.

(Zuruf von den LINKEN)

1 200 beträgt der negative Wanderungssaldo. Das heißt, wenn Sie sagen, die Wanderungen liegen an Ihrer guten Politik, dann bedeutet das, dass die Menschen gerade wegen Ihrer guten Politik fliehen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Der eigentliche positive Wanderungssaldo kommt durch den Zuzug aus dem Ausland zustande.

(Zuruf von der Staatsregierung: Das wollen wir auch!)

Das heißt, wir haben mehr Zuzug aus dem Ausland als Wegzug in das Ausland.

(Zuruf von der FDP: Das ist schlimm!)

Jetzt können Sie mir nicht erzählen, dass die Leute aus dem Ausland wegen der guten FDP- oder CDU-Politik kommen. Also Vorsicht!

(Zuruf von den LINKEN: Das ist nicht schlimm!)

Was heißt hier „nicht schlimm“? Dass die zu uns kommen, liegt schlichtweg an zwei Dingen: zum einen daran, dass wir seit dem 1. Mai 2011 die Arbeitnehmerfreizügigkeit haben, zum anderen daran, dass gerade aus den Ländern mit großer Wirtschaftskrise – Spanien und Griechenland – Menschen kommen. Nur müssen Sie uns jetzt auch beantworten, warum der größere Teil über Sachsen hinwegzieht, in die Länder, in die auch der sächsische Jugendliche geht, nämlich dorthin, wo sie eine andere Perspektive haben: Bayern oder Baden

Württemberg.

Sie müssen mir auch erklären, warum das von Ihnen immer so kritisierte Berlin fünfmal mehr Zuwanderung hat als Sachsen. Also: Vorsicht mit Ihren Zahlen! Die können Ihnen ganz schnell auf die Füße fallen.

Wenn Sie mit dem Begriff „Heimat“ kommen, dann muss ich Ihnen sagen: Ich würde mich gern einmal mit Ihnen über den Begriff „Heimat“ unterhalten, weil ich glaube, dass Ihre bräsige Heimattümelei nicht das ist, was die Menschen wirklich unter Heimat verstehen.

(Oh! von der CDU)

Heimat, das ist doch der Ort, an dem ich mich sicher fühle. Heimat, das ist doch der Ort, an dem ich mich wohlfühle. Heimat, das kann sowohl die Familie als auch der Freundeskreis sein. Das kann der Ort sein, an dem ich geboren bin. Das kann der Ort sein, an dem ich lebe.

(Zuruf von der CDU)

Das kann aber auch der Ort sein, an den ich mich wünsche, wonach es mich sehnt, den ich noch nicht gefunden habe. Heimat ist durchaus etwas, was jeder sucht und

viele schon gefunden haben. Aber es ist eben nicht ein Begriff, der sich in die Kategorien einreiht, die Sie hier vorbringen.

Wenn wir über attraktive Heimat reden, dann geht es doch in erster Linie darum, dass wir für unsere Kinder hier in Sachsen die Perspektive schaffen, dass sie auch hier ihre Perspektive haben können – nicht müssen! Sie können natürlich überall ihre Zukunft finden. Aber wir sollten alles dafür tun, dass sie in Sachsen ihre Perspektive haben.

Wir sollten, wenn wir über Zuwanderung reden, vor allem über eine Willkommenskultur und darüber reden, dass Menschen gern hierherkommen wollen, weil sie sich hier zu Hause fühlen können, weil sie hier willkommen sind. Da haben wir in Sachsen noch einiges zu tun. Ich kann Sie an dieser Stelle nur erinnern bzw. bitten, den aktuellen „Spiegel“-Artikel mit dem Titel „Florian, wir kriegen dich“ zu lesen. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht schon wieder mit „Das ist Schwarzmalerei“ und „Das sind Einzelpunkte“ oder so etwas. Lesen Sie einmal diesen Artikel und verstehen Sie, welche Probleme wir als Freistaat Sachsen haben, wenn solche Geschichten in Sachsen passieren:

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und den LINKEN)

dass Menschen sich nicht sicher fühlen, dass es Rechtsextreme gibt, die das Gefühl haben, es tun zu können, und dass auch die das Image dieses Landes prägen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle sei noch einmal ganz deutlich gesagt: Ein weltoffenes Sachsen, eine weltoffene Heimat, die kann man nicht proklamieren, –

Die Redezeit läuft ab, Herr Kollege Dulig.

– die muss man gestalten.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion sprach Kollege Dulig. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN spricht jetzt Frau Kollegin Giegengack.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war mir nicht ganz sicher, wohin die Debatte heute gehen soll, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass die Koalition wirklich den – jedenfalls für die Zahlen, die ich gefunden habe – Mehrzuzug von 214 Personen feiern möchte. Also ich fand es etwas vermessen und lächerlich, dass unser Wirtschaftsminister in der Pressemitteilung vom 29.05. den Mehrzuzug von 214 Personen in Sachsen damit kommentiert, dass das ein Beweis dafür sei, dass Sachsen ein zunehmend attraktiver Ort zum Leben und Arbeiten sei.

Der Bevölkerungsrückgang ist seit Jahren zum großen Teil der Tatsache geschuldet, dass wir ein großes Gebur

tendefizit haben. Das hat etwas mit den Geburteneinbrüchen in den Neunzigerjahren zu tun. Die Kinder, die damals nicht geboren wurden, können heute auch keine Kinder bekommen. Es sind weniger die Wanderungsverluste, die das Problem in Sachsen ausmachen.

Uns wird immer vorgeworfen, dass wir die Leistungen, die in Sachsen erbracht worden sind, nicht angemessen würdigen. Seit 2000 zeigt Sachsen ein außerordentliches Wirtschaftswachstum, das stärkste von allen Bundesländern. Wir haben die höchste Investitionsquote. Wir haben gut ausgebildete Fachkräfte. Wir haben international agierende Unternehmen in Sachsen, einen starken Mittelstand, und wir haben Potenzial an Forschung und Entwicklung. Ja, das finde ich gut, das räume ich ein.

Aber gleichzeitig möchte ich darauf hinweisen, dass wir hier auch eine Debatte in Bezug auf den Wirtschaftsstandort Sachsen geführt haben. Als es um die Solarbranche ging, musste unser Ministerpräsident quasi zum Jagen getragen werden, als die Einspeisevergütung abgesenkt werden sollte – im Gegensatz zu den Ministerpräsidenten aus Thüringen und Sachsen-Anhalt, die sich ganz klar vor die Solarbranche in ihren Bundesländern gestellt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Ich möchte auch an die gestrige Debatte erinnern. Da ging es um die Einstellung von bestimmten Berufsausbildungen, wobei deutlich geworden ist, dass eben nicht der Bedarf der sächsischen Wirtschaft abgefragt wird, dass man nicht Bescheid weiß, wo wir tatsächlich ausgesuchte Fachkräfte brauchen.

Also „attraktive Heimat“ einfach nur Standortvorteile in Sachsen? Ich glaube, Heimat – das hat schon Martin Dulig angesprochen – ist häufig ein ganz persönliches Empfinden. „Heimat ist nicht da oder dort, Heimat ist in mir drin oder nirgends“, sagt Hesse. Die meisten Menschen verorten eben Heimat im Privaten. Sie verbinden es mit ihrer Kindheit und ihren Wurzeln.

Ein politisches Heimatkonzept ist, denke ich, viel, viel schwieriger zu bestimmen. Ich glaube nicht, dass man dabei auf Vergangenheit, auf gemeinsame Erlebnisse oder Geschichte abstellen kann. Das halte ich für schwierig, weil es alle die ausschließt, die diese Geschichte nicht teilen oder die neu hinzugekommen sind.

Nun hat die CDU in ihrem Grundsatzprogramm verschiedene Möglichkeiten von Heimatkonzepten angeboten. Im 90-Seiten-Grundsatzprogramm kommt über 30-mal der Begriff „Heimat“ vor. Da wird „Heimat“ zum Beispiel als ein Gefühl bestimmt. Wir bekommen dort mitgeteilt, dass sich die sächsische CDU in Sachsen zu Hause, geborgen und gut aufgehoben fühlt. Das freut mich, das hilft uns aber für ein politisches Heimatkonzept nicht unbedingt weiter.

Es wird auch angeboten, Heimat sei dort, wo Familie lebt. Okay, da würde ich auch mitgehen. Da müssen wir uns noch darüber unterhalten, was wir unter „Familie“ verstehen. Wenn Sie „Familie“ mit „Ehe“ gleichsetzen, schlie

ßen Sie 54 % der Familien in Sachsen aus, weil dort die Mütter und Väter nicht miteinander verheiratet sind.

Als weiteres Konzept bringen Sie: Heimat sei dort, wo sich Menschen in die Gemeinschaft einbringen. Diese Formulierung könnte fast von uns sein. Allerdings müssen wir uns auch darüber klar sein, dass das Einbringen in die Gemeinschaft Voraussetzungen bedarf, nämlich verlässliche Informationen und auch verbindliche Mitwirkungsrechte. Da, denke ich, gibt es sehr große Unterschiede in unserem Empfinden. Wir erleben Sie als sehr restriktiv, was Informationen und Mitwirkungsrechte angeht. Doch daheim fühlen sich Mann und Frau nur dort, wo er/sie sich einbringen, mitgestalten und einmischen kann.

Ich erlebe Sie – und das haben die heutigen Redebeiträge gezeigt – eher als selbstgefällig und selbstgerecht. Allzu gern und allzu oft rechnen Sie die Leistungen, die in Sachsen vollbracht worden sind, sich selbst und Ihrer Politik zu. Damit aber verhindern Sie Identifikationsmöglichkeiten für all diejenigen, die nicht die CDU wählen und dieses Land mitgestaltet haben.