Protocol of the Session on May 9, 2012

Sie haben beschrieben, dass noch viel zu tun ist. Der demografische Wandel, knapper werdende öffentliche Finanzmittel, soziale Disparitäten und real existierende Klimaveränderungen erfordern komplexe Strategien. Der entscheidende Schlüssel ist die integrierte, nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung. Darin stimmen wir überein.

Aber nun kommt es, Herr Minister: Sie haben viele gute theoretische Botschaften gesendet. Ihre konkreten Vorschläge, wie und wo Sie die Rolle des Landes bei der Unterstützung der Kommunen sehen, sind jedoch völlig unzureichend.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich beginne mit dem Schluss Ihrer Rede: Ganze zehn Zeilen Ihrer 30 Seiten widmen Sie der EU. Dabei gibt diese Ihnen eine entscheidende strategische Unterstützung an die Hand, und das bereits seit 2007. Es ist der Freistaat, der bisher entscheiden konnte, wie viele Mittel in die nachhaltige Stadtentwicklung fließen.

Die allerdings vor Ihrer Amtszeit getroffenen Entscheidungen kann ich weder als beispielgebend noch als problemorientiert ansehen. Bei den im Zeitraum 2007 bis 2013 insgesamt in Sachsen zur Verfügung stehenden EFRE-Mittel in Höhe von 3 Milliarden Euro gab es 110 Millionen Euro für die Stadtentwicklung; für die Brachflächenrevitalisierung gab es 50 Millionen Euro. Das sind zusammen etwa 5 %. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen sind es 30 %.

Noch ein Vergleich: Allein 18 % der sächsischen EFREMittel – das sind knapp eine halbe Milliarde – wurden für Straßenverkehrsinfrastruktur, konkret: Neubau von

Straßen, die später zu unterhalten wären und nicht mehr bezahlbar sind, ausgegeben; 150 Millionen Euro sind im Vergleich dazu schlichtweg nur ein Drittel.

Bereits während der Diskussion des letzten Haushalts hatten wir vorschlagen, bescheidene 10 Millionen Euro aus dem EFRE-Programm für Stadtentwicklung umzuwidmen. Leider war die Ablehnung des Antrags nur ein Beispiel von vielen, das den von Ihnen heute beschriebenen Forderungen diametral entgegensteht.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Jedoch erhalten Sie eine neue Chance, Herr Minister. Die Phase der Erstellung der Operationellen Programme für die Förderperiode 2014 bis 2020 hat begonnen. Nach der bisher vorliegenden Richtlinie der EU sollen zukünftig mindestens 5 % der zur Verfügung stehenden Mittel für die nachhaltige Stadtentwicklung allokiert werden. Auch das ist eine Chance, den altersgerechten Umbau von Wohnungen zu befördern. Nur zu konstatieren, dass der Bedarf viel größer ist, reicht nicht.

Auch die von Ihnen lobend erwähnte WächterhausInitiative könnte vielleicht zu einem sachsenweiten Modellprojekt befördert werden.

Sie haben es jetzt also in der Hand, diesen Mittelansatz wesentlich zu erhöhen. Ich weiß, es wird nicht leicht im Kampf um die Begehrlichkeiten, insbesondere mit Ihrem Kollegen Wirtschafts- oder Straßenbauminister Morlok. Dennoch: Es ist Ihre Pflicht, wenn Sie Ihre heutigen Worte ernst meinen.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Unserer Unterstützung können Sie sich gewiss sein.

Ich appelliere an dieser Stelle auch an die Koalition: Geben Sie Herrn Ulbig nicht nur blumige verbale Unterstützung, sondern erkennen auch Sie, dass sich die zukünftige und zukunftsfähige Entwicklung Sachsens in den Städten mit ihrem Umland entscheidet.

Eine weitere Forderung möchte ich gern mit auf den Weg geben: Beziehen Sie bei diesem Verteilungskampf die Kommunen ein. Sie sind wichtige Partner und Akteure vor Ort. Sie haben in Ihrer Erklärung zwar ausdrücklich von Bürgerbeteiligung gesprochen. Jedoch fehlte mir als konkrete Aussage die Einbeziehung der Kommunen bei der Erstellung der operationellen Programme und den passgenauen Förderprogrammen. Das habe ich vermisst. Die Kommunen werden Ihnen auch sagen können, wie man die Förderprogramme von EU, Land und Freistaat sinnvoll verknüpfen und zielbildend gestalten kann, wenn Sie denn eine Stimme zum Mitentscheiden erhalten.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Die Kommunen werden auch Ihre Unterstützung bei der energetischen Sanierung von Gebäuden brauchen.

Nach Ihren Aussagen arbeiten Sie an einem Klimapakt Städte- und Wohnungsbau. Das ist zu begrüßen. Sie nennen als Partner die Wohnungswirtschaft und andere Verantwortliche. Ich kann nur vermuten, dass Sie darunter ausdrücklich die Kommunen subsumieren.

(Zuruf von der Staatsregierung: Ja!)

Sehr schön. – Allerdings – auch das sagten Sie – kostet energetische Sanierung Geld. Klimaschutz kostet Geld. Das jetzt aber nicht auszugeben wird noch sehr viel mehr Geld kosten. Ich darf Sie daher an dieser Stelle an den Bericht des ehemaligen Chefökonomen der Weltbank, Nicholas Stern, erinnern.

Momentan wird in Sachsen erst jede hundertste Wohnung pro Jahr saniert – und das auch nur vorwiegend durch das dankenswerte Engagement der Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften. Die Staatsregierung ist von ihrem Ziel einer jährlichen Sanierungsquote von 2 % meilenwert entfernt und wird dem europäischen Vorschlag von 3 % nicht annähernd gerecht. Das ist jedoch eine Mindestvoraussetzung, um den sächsischen Beitrag zur Erfüllung der Klimaschutzziele zu leisten. Setzen Sie Fördermittel ein! Es zahlt sich aus. Vielfältige Belege beweisen: Jeder Euro staatlicher Förderung löst private Investitionen von bis zu 8 Euro aus; Frau Köpping hat diese Zahl vorhin bereits genannt.

Schaut man die von Ihnen stolz genannten 100 Millionen Euro, die für energetische Sanierung von Wohngebäuden bewilligt wurden, einmal etwas genauer an, stellt man fest, dass 99,5 % davon für Darlehen und 0,5 % für Zuschüsse bewilligt wurden. Damit relativiert sich das Engagement doch gewaltig.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Beim Geldausgeben orientiert man sich auch gern an Vorbildern. Da werfe ich gern einen Blick auf den Freistaat selbst: Er besitzt etwa 5 200 Gebäude. Davon sind 1 700, also fast ein Drittel, in unsaniertem Zustand; Ergebnis Kleine Anfrage. In den Jahren 2007 bis 2010 wurden im Schnitt nur 27 Gebäude saniert. Das ergibt eine Sanierungsquote von 0,6 %. Hier kann man wahrhaftig nicht von Vorreiterrolle, geschweige denn von Vorbildwirkung reden.

Ich denke, wir brauchen eine energetische Sanierungsoffensive. Diese muss beim Freistaat beginnen und sowohl private als auch kommunale Vermieter einbeziehen und diese auch finanziell unterstützen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch bei der Haushaltsberatung hatten wir vorgeschlagen, ein ökologisches und soziales Investitionsprogramm auf den Weg zu bringen. Leider auch hier keine Unterstützung von Koalition und Regierung. Vielleicht, Herr Minister Ulbig, verhandeln Sie gerade mit Herrn Staatsminister Unland. Aber vielleicht können Sie diesen Vorschlag noch einmal durchdenken.

Ich komme nun zu einem Bereich, den Sie heute leider vollends ausgespart haben. Bei aller Großartigkeit der Entwicklung in unseren Städten sind dort leider auch die sozialen Disparitäten zuerst sicht- und erlebbar. Kein Wort zu benachteiligten Stadtteilen, die unserer besonderen Fürsorgepflicht unterliegen, kein Wort zu Armut in den Städten, kein Wort zu Problemen mit Drogensucht und Kriminalität, –

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Halt die Klappe!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

kein Wort dazu, dass es insbesondere Familien mit wenig Geld sind, die in unsanierten Wohnungen leben. Hier möchte ich Sie wiederum besonders in die Pflicht nehmen. Der Entwurf der EU-Förderrichtlinien sieht vor, zukünftig wesentlich mehr Mittel für den ESF einzusetzen. 20 % sollen direkt der Armutsbekämpfung dienen – –

Frau Kollegin, die Redezeit geht zu Ende.

– und die Aufteilung zwischen EFRE und ESF 60 zu 40 sein. Diese Mittel setzen Sie bitte ein! Kompensieren Sie die unsäglichen Kürzungen des Bundes beim Programm „Soziale Stadt“ und erklären Sie, dass Quartiermanagement und Bürgerbeteiligung keine Bespaßungsprogramme sind.

Ich muss jetzt leider aufhören. Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Zurufe der Abg. Andreas Storr und Jürgen Gansel, NPD)

Frau Kallenbach sprach für die Fraktion GRÜNE. – Für die Fraktion der NPD spricht jetzt Herr Storr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Vorwort zu der Stadtentwicklungsstrategie Sachsen 2020 schreibt Staatsminister Ulbig, dass Sachsen die Funktionalität seiner Städte auf weniger Einwohner einrichten müsse. Diese Aussage gleich zu Anfang eines Papiers, das sich als strategisches Konzept ausgibt, verwundert mich doch sehr.

Sie schwadronieren zwar von lebenswerten Städten, attraktivem Wohnumfeld, kurzen Wegen und gesundem Stadtklima. Dennoch sind Sie überzeugt, dass all diese Ziele nicht ausreichen werden, einen weiteren Einwohnerrückgang aufzuhalten. Mit Ausnahme von Leipzig und Dresden nimmt die Einwohnerzahl in allen sächsischen Städten stetig ab, und als ob dieser Einwohnerschwund auch noch politisch gewollt ist, schreiben Sie diese Entwicklung als Strategie fort.

Die lebenswerte Stadt, in der sich Wirtschaft und Arbeit entwickeln und gute Wohnbedingungen für Familien mit Kindern herrschen, Kultur, Bildung, Gesundheitsdienste

und Freizeitangebote einen hohen Stellenwert haben, ist sicher ein notwendiges und wünschenswertes Ziel der Stadtentwicklung. Aber sind diese Ziele bei einer auch weiterhin massiv schrumpfenden Bevölkerung, insbesondere in den Klein- und mittleren Städten Sachsens, wirklich realistisch?

Städteplanung und die Wohnungswirtschaft sehen schon die zweite Leerstandswelle auf Sachsen zurollen. Stadtteile, die heute vollständig modernisiert sind und derzeit nur geringe Leerstände haben, werden in zwei Jahrzehnten hohe Leerstände im Wohnungsbestand haben, weil die Bevölkerung in diesen Stadtteilen schon heute stark überaltert ist und in den nächsten zwei Jahrzehnten den Weg in das Jenseits antreten wird.

Der Stadtumbau Ost wird absurderweise als große Erfolgsgeschichte gefeiert, weil der Leerstand von Wohnungen durch Massenabriss gemildert werden konnte. Doch hat Rückbau weder etwas mit Bewahren noch mit Erneuern noch mit Gestalten gemein, sondern ist die gigantische Vernichtung von Vermögen.

Im Rahmen des Stadtumbaus Ost wurden vom Bund 1,2 Milliarden Euro bereitgestellt, um Immobilienvermögen in Milliardenhöhe zu vernichten. Das allein zeigt schon, wie absurd es ist, einen solchen Massenabriss von circa 300 000 Wohnungen und den bis zum Jahr 2016 geplanten weiteren Abriss von 250 000 Wohnungen als Erfolg zu bezeichnen.

Genauso absurd ist es, den demografischen Niedergang unseres Volkes, also die Tatsache, dass wir als Volk älter und weniger werden, als eine große Chance zu verklären. Das Gegenteil ist der Fall. Einer alt gewordenen Gesellschaft geht das Innovations- und Erneuerungsvermögen verloren, und sie erstarrt in ihren Strukturen. Ein Altersheim Deutschland wird das letzte Kapitel in der Geschichte unseres Volkes sein. Wer glaubt, diese Entwicklung durch Zuwanderung aufzuhalten oder gar umkehren zu können, ist ein politischer Traumtänzer, dem nicht bewusst ist, auf welchen anthropologischen Voraussetzungen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft beruhen und dass mit dem Verschwinden des deutschen Volkes auch diese Voraussetzungen verschwinden werden.

(Beifall bei der NPD)

Nur wenn man geschichtlich mit Blindheit geschlagen ist, wie es typisch für die Funktionseliten der Bundesrepublik ist, kann man diese Entwicklung schönreden. Die Stadtentwicklungsstrategie der Sächsischen Staatsregierung ist deshalb nicht mehr als das typische Schönreden der kommenden negativen Entwicklung. Das bisherige Stadtumbauprogramm Ost in den letzten 10 Jahren hat nur zu einem geringen Teil stadtentwicklungspolitische Ziele verfolgt, sondern war auf die durch hohen Leerstand und Altschulden verursachten großen wirtschaftlichen Probleme von Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften und den Rückbau dieses Wohnungsbestandes ausgerichtet.

Die neue und an sich richtige strategische Entscheidung, zum Beispiel, dass die Innenentwicklung der Städte Vorrang vor der Entwicklung der Randbereiche haben muss, stößt aber auf eine Reihe bislang ungelöster Probleme. In den Innenstadtbereichen haben wir eine andere Eigentümerstruktur als in den bisher stärker durch öffentliche Mittel geförderten Randbereichen. Statt mit großen kommunalen Wohnungsgesellschaften oder Wohnungsgenossenschaften haben wir es in den Innenstädten mit kleinteiligen, privaten Eigentumsverhältnissen zu tun.

Die wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen für eine Förderung zum Erhalt der Innenstädte sind deshalb ganz andere als bei der bisherigen Förderung von großen Wohnimmobiliengesellschaften am Stadtrand. Es ist nicht erkennbar, ob sich die im Jahr 2010 erfolgte Anpassung der städtebaulichen Förderung bislang als praxisgerecht erwiesen hat. Aber das ist wohl doch nur eine Detailfrage am Rande; denn die Grundprobleme Sachsens – Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Alterung – sind weiter ungelöst.