Protocol of the Session on April 3, 2012

Wir haben dankenswerterweise sehr, sehr viel Geld aus dem Westen bekommen und bekommen es – wie es vereinbart ist – bis zum Jahre 2019 weiter. Wir müssen uns darauf einstellen, dass es immer weniger wird. Es werden pro Jahr 200 Millionen Euro weniger. Dass das für viele schwierig nachvollziehbar ist, die zum Beispiel im Ruhrgebiet leben, kann ich verstehen. Trotzdem muss man die Fakten zur Kenntnis nehmen, wie es Jens Michel hier vorn schon sagte. Wir erhalten das Geld, um die teilungsbedingten Nachteile in den Griff zu bekommen. Wir bekommen es, weil unsere Steuerkraft immer noch viel, viel geringer ist als selbst in den schlechtesten westdeutschen Großstädten. Wenn man die schlechtesten westdeutschen Städte mit den besten ostdeutschen vergleicht, ist die Steuerkraft immer noch sehr niedrig.

Auch die Wirtschaftskraft ist natürlich viel niedriger. Auch wenn wir heute über den Arbeitsmarkt gesprochen und die sehr positive Entwicklung in Sachsen gelobt haben, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeitslosigkeit in Sachsen immer noch in etwa doppelt so hoch ist wie im Schnitt in Westdeutschland. Das heißt, es gibt noch ein ganzes Stück Arbeit zu tun.

Wir haben ein Bruttoinlandsprodukt in Sachsen, das nur ungefähr 75 % des nordrhein-westfälischen pro Kopf gerechnet entspricht. Das sind alles noch Nachteile, wo wir noch ein Stück weit Zeit brauchen, um aufzuholen. Wir haben gesagt, wir wollen bis 2020 genau diese Lücke schließen und das bis dahin in den Griff bekommen.

Was mich bei dieser Debatte immer stört, ist, dass man eine Sache ausblendet, nämlich dass der Transformations

prozess, den wir in den letzten 20 Jahren hier im Osten bewältigt haben, den Menschen und auch den Regionen viel abgerungen hat. Ich möchte daran erinnern, dass ungefähr 434 000 sächsische Landeskinder unser Land verlassen haben. Es waren oft nicht die am schlechtesten Ausgebildeten. Es sind oftmals auch Fachkräfte, die eine neue Heimat in Westdeutschland gefunden haben.

(Andreas Storr, NPD: Deshalb gibt es auch weniger Arbeitslosigkeit!)

Das darf man nicht vergessen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir nach dem Krieg in Ostdeutschland ganz andere Möglichkeiten hatten als manche Stadt in Westdeutschland. Dort wurde durch die Amerikaner, durch die westliche Gemeinschaft geholfen, während die damalige Sowjetunion hier alles rückgebaut hat. Das sind alles Nachteile. Diese versucht man, durch den Solidarpakt wieder ein Stück weit in den Griff zu bekommen. Deswegen ist es auch richtig, dass es genau das gibt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir haben in Ostdeutschland Enormes geleistet und ertragen. Ich erinnere nur daran, dass wir noch kurz nach der Wende allein in der mitteldeutschen Braunkohle ungefähr 60 000 Arbeitsplätze hatten. Heute sind es noch ungefähr 2 500. Das ist alles, was von der mitteldeutschen Braunkohle übrig geblieben ist. – Dies nur einmal als Erinnerung.

Die Leute im Ruhrgebiet sagen immer, sie würden nicht unterstützt. Sie sollten sich in Erinnerung rufen, dass die Steinkohle anders als die Braunkohle nach wie vor sehr stark unterstützt wird. Etwa 64 000 Euro schießt der Staat pro Jahr für jeden Arbeitsplatz in der westdeutschen Steinkohle zu. Das sind noch ungefähr 24 000. Von wegen, es gibt keine Unterstützung für den Westen! Die gibt es nach wie vor. Es ist auch gut so, dass es das gibt. Trotz alledem sollte man das zur Kenntnis nehmen.

Wir haben in Sachsen mit den Mitteln aus dem Westen viel Richtiges gemacht. Ich glaube, wer in das Land hinausschaut, sieht, dass wir diese Solidarpaktmittel ordentlich verwenden. Wir dürfen sagen: Wir sind Vorbild. Auch der Westen muss sehen: Ja, wir geben viel Geld. Aber hier ist ein ganz enormer Strukturwandel vollbracht worden, ein Strukturwandel, der dazu führt, dass wir in Sachsen hoffentlich möglichst bald – ich behaupte, es geht schneller, als wir alle denken – etwas von der Solidarität, die wir erfahren haben, auch wieder zurückgeben können. Zumindest Schwarz-Gelb kämpft dafür, dass das möglichst schnell passiert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abg. Scheel. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich hatte kurz überlegt, warum diese Debatte heute angezettelt wurde.

Ist es wirklich in der Macht einiger Oberbürgermeister im Westen, den Sächsischen Landtag zu einer Debatte zu zwingen? – Anscheinend ja. Es hat wohl dieses Aufschlages der Oberbürgermeister gebraucht, um hier über den Solidarpakt reden zu müssen. Ehrlich gesagt: Wenn ich die Reaktionen feststelle, die aus den Landesparlamenten von unterschiedlichen Ministerpräsidenten kommen, dann ist das ein wenig wie „getroffene Hunde bellen“. Die Kraft der OBM kann es wohl nicht sein, dass ein im Bundesrat und Bundestag vereinbarter Solidarpakt irgendwie infrage steht.

Oder hat irgendjemand von Ihnen, von CDU oder FDP, das dringende Bedürfnis, im Bundestag eine Debatte loszutreten, dass dieser Solidarpakt aufgekündigt gehört, dass die versprochenen 156,5 Milliarden Euro vorzeitig beendet werden sollen? Gibt es eine Initiative einer Ihrer Fraktionen, im Bundestag darauf hinzuwirken? Ja oder nein?

Ich kann es nicht erkennen. Ich kann nur erkennen, dass mit dem Solidarpakt natürlich eine gigantische Aufbauleistung verbunden ist und dass die Debatten, die im Westen gerade losgetreten worden sind, von einer Krämerseele deuten. So hat es auch die „Süddeutsche Zeitung“ in einem Kommentar beschrieben. Diese Krämerseele tut dem Verhältnis Ost – West nicht gut.

Ehrlich gesagt: Ich muss sagen, dass Ihr Debattentitel auch im Osten nicht guttut. Ein wenig ist es durchgedrungen. Ich hatte die Befürchtung, dass es noch stärker zum Tragen kommen würde. „Kein Aufkündigen des Solidarpaktes! – Solide Finanzpolitik darf nicht bestraft werden“ ist Ihr Titel, und auf Herrn Zastrow kann man sich verlassen. Er hat zumindest festgestellt, dass wir Primus sind, Vorbild. Was heißt das jetzt?

(Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Wenn die soliden Finanzpolitiker, die Sie ja wohl sein wollen, nicht bestraft werden sollen, was heißt das dann für diejenigen, die Sie als nicht solide einschätzen? – Ich könnte aus diesem Debattentitel – ich hoffe, Sie werden das im zweiten Beitrag irgendwie richtigstellen – herauslesen, dass Sie vorhätten, die inneröstliche Solidarität aufzukündigen. Das würde ich doch für sehr bedauerlich halten.

(Beifall bei den LINKEN – Holger Zastrow, FDP: Sie haben eine große Fantasie!)

Aber das passt zu diversen Äußerungen, die auch unser Ministerpräsident ab und zu einmal fallen lässt. Ich will vielleicht noch ein wenig zur Sachaufklärung beitragen, wenn es um den Solidarpakt geht.

Der Solidarpakt hat im Jahr 2011 insgesamt 8 Milliarden Euro gekostet, und zwar Korb 1 und Korb 2. Der Bund, der diesen Solidarpakt finanziert – das sind ja nicht die Länder allein oder nicht, dass es vom Westen direkt in den Osten herüberfließt –, hat im gleichen Jahr 2011 über den Solidaritätszuschlag, der auch mit in Rede steht, 14,5 Milliarden Euro eingenommen. Hier ist eine Lücke

von 6,5 Milliarden Euro, die irgendwie gerade versickert. Sollten wir den Anspruch erheben, dass wir jetzt die 6,5 Milliarden Euro auch noch haben wollen? – Nein, das wollen wir natürlich nicht.

Wir wissen alle, für Steuereinnahmen gilt das Allgemeindeckungsprinzip. Das wird für alles verwendet. Wir wollen nur – und dafür ist diese Debatte vielleicht noch nötig – noch einmal darauf hinweisen, dass der Osten mit dem Bund einen Vertrag hat. Diesen Vertrag gilt es einzuhalten, weil es genügend Gründe gibt, dass die teilungsbedingten Folgelasten im Osten weiterhin finanziert werden müssen und dass nach diesem Vertrag der Osten dann hoffentlich so dasteht, dass er so wenig wie möglich weitere Unterstützung benötigt.

Wenn wir diese Debatte schon hier auf der Tagesordnung haben, würde ich mich freuen, wenn die Staatsregierung vielleicht auch einmal zu einem viel wichtigeren Thema Aussagen trifft. Dieses wichtigere Thema wäre: Was ist eigentlich nach 2019? – Wir werden im Jahr 2013, nachdem die Bundestagswahlen vorbei sind, eine Föderalismusreform auf dem Tisch haben. Wir werden dort eine Debatte dazu zu führen haben, wie der zukünftige Länderfinanzausgleich ausgestaltet ist. Dazu hätte ich schon gern einmal eine Verhandlungsstrategie vielleicht auch hier auf den Tisch gelegt, zumindest ein paar Ansätze.

Im Moment nehme ich nur wahr, dass sich der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen schon auf der anderen Seite der Verhandlungsrunde wähnt, nämlich der der Geberländer. Das ist ein bisschen schwierig, wenn man– auch da wieder – über die innere Solidarität des Ostens spricht und über die Problemlagen, die real sind, und nicht die fiktiven, die man sich so vorstellt. Insofern können Sie vielleicht diese Debatte nutzen, um hier Aufklärung zu schaffen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Es spricht jetzt Herr Abg. Pecher von der SPD-Fraktion. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch einmal an die Adresse von Herrn Michel: Herr Michel, ich bin stolz auf die Tradition meiner Partei von 150 Jahren, und ich bin stolz, dabei gewesen zu sein, als Willy Brandt sagte: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“ Die Frage, ob es eine bessere oder schlechtere Einheitspartei gibt, beantworte ich damit, dass die Deutsche Einheit die Menschen insgesamt – in Ost und West – verursacht haben und nicht die CDU, die SPD oder sonst wer. Es waren die Menschen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Ich finde dieses Auseinanderdividieren schade. Stanislaw Tillich sagte einmal in der „Leipziger Volkszeitung“: Irgendwann möchte man aus dem „Hotel Mama“ auszie

hen. Jetzt wundert man sich, dass die Mama einen schon eher hinausschmeißen will.

(Heiterkeit)

Mama hat zwischenzeitlich gemerkt, dass sich der Junge das Geld beiseitelegt, aber gleichzeitig den Kühlschrank leerfrisst.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Was ich damit sagen will: Das macht es schwierig in der Argumentation, wenn ich auf der einen Seite rund 2 Milliarden Euro Solidarpaktmittel bekomme und

parallel dazu auf der anderen Seite 1 Milliarde Euro in Tilgung, Rücklagen, Pensionsfonds und ähnliche Einrichtungen stecke.

(Christian Piwarz, CDU: Eben zur Vorsorge für später!)

Etwas Verständnis für die Probleme der westdeutschen Kommunen, die sich von Kassenkredit zu Kassenkredit hangeln, um ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen, die sich genauso in Haushaltskonsolidierung befinden, etwas Verständnis für deren Argumentation kann man, denke ich, nachvollziehen. Denn der Aufbau Ost kann kein Verschleiß oder Abbruch West sein! Das kann es doch nicht sein!

(Beifall bei der SPD)

Fakt ist auch: Wir brauchen bei einer Steuerdeckungsquote von circa 56 % noch lange die Solidarität der westdeutschen Länder. Gerade die Flut hat gezeigt, wie uns die alten Bundesländer insbesondere hier in Sachsen unterstützt haben. Ich sage es noch einmal, und ich sage es gern: Wenn wir diese Mittel aus der gesamtdeutschen Solidarität nicht bekommen hätten, wäre unser Verschuldungsgrad um ein Wesentliches an Milliardenbeträgen höher als heute.

(Volker Bandmann, CDU: Da hat er recht! – Beifall bei der SPD und des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Jetzt möchte ich auf die Diskussion Geberland eingehen. Ich würde lieber nicht über ein Geberland diskutieren, sondern über ein wirtschaftlich starkes, liebenswertes und lebenswertes Land Sachsen, nicht über ein Geberland.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man schon beim Geberland Visionen diskutiert – – Ich weiß, ein Kanzler meiner Partei hat einmal gesagt, mit Visionen sollte man ins Krankenhaus gehen. Aus meiner Sicht hatte er aber nicht recht. Ich finde, man kann schon über Visionen diskutieren, aber wäre es nicht eine Vision, dass sich die Bundesländer in der Bundesrepublik dafür einsetzen, dass man keine Geberländer mehr braucht, sondern dass die Wirtschaftskraft auch in Anbetracht der Leistungen, die die einzelnen Länder erfüllen müssen, ausreicht? – Darum zu kämpfen und sich zu bemühen

würde – denke ich einmal – uns auszeichnen und nicht die Frage, ob wir irgendwann einmal Geberland sind.

Unsere Investitionen, die wir hier tätigen sollten, sind wichtig im Bereich der Wirtschaft und der Jobs. Dazu zählen eben auch Schlecker, die Solarindustrie oder Plamag. Wir brauchen die Handlungsfähigkeit der Kommunen. Sie haben mit der Doppik das Problem, dass sie jetzt Abschreibungen von Jahrzehnten einstellen müssen und ihre Haushalte nicht geschlossen bekommen.

Wir brauchen Bildungsinfrastruktur. Ihre eigene Debatte im Bereich Lehrer zeigt doch, wie notwendig das ist. Wir brauchen die Investitionen in Sport oder in rentierliche Investitionen in unsere eigenen Immobilien, um Folgelasten im Bereich Energie abzubauen. Oder wie wäre es denn mit einem leistungsfähigen ÖPNV, bei denen wir 30 % der Mittel nachweislich fehlverwenden? Dort brauchen wir die Investitionen!