Protocol of the Session on December 9, 2009

Das Zentrum bleibt ihr Vermächtnis, auch wenn sie in der Stiftung am Ende keinen Posten übernehmen sollte. Im Gegenteil, ich bin der festen Überzeugung, dass das Werk Erika Steinbachs für Versöhnung und für Toleranz größer ist

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

als ein Sitz in diesem Kuratorium. Ich hoffe, dass sie darüber noch einmal nachdenkt.

Ihr unbestrittener Einsatz für Versöhnung lebt nicht in einem Sitz im Stiftungsrat, sondern in einem Europa ohne Grenzen. Er lebt in unserer Jugend, für die Grenzen inzwischen ein Fremdwort geworden sind, und die mit Neugier und Interesse die deutsche, die polnische, die sorbische, die kaschubische, die slowinizische und die baltische Geschichte zwischen Elbe, Weichsel und Pregel erkunden

(Zuruf des Abg. Arne Schimmer, NPD)

und auch in einer Jugend, die immer häufiger selbst auf Spurensuche in Polen und anderswo geht und dort zunehmend von ebenfalls jungen Menschen empfangen wird, die ganz entspannt und völlig unverkrampft – also ganz anders als Sie –

(Zuruf des Abg. Arne Schimmer, NPD)

mit ihrer Geschichte, mit deutschen Traditionen und deutscher Kultur in ihrer Heimat umgehen und diese immer öfter hervorholen, betonen und pflegen.

Ich bin sehr glücklich, dass die Auge-um-Auge- und Zahn-um-Zahn-Welt Ihrer Partei untergegangen ist.

(Arne Schimmer, NPD: Niemals!)

Herr Zastrow, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Außer in Ihren weitab vom normalen Leben liegenden trüben Wohnstuben existiert sie nirgendwo mehr auf dieser Welt. Unsere Wohnstube, meine Damen und Herren, heißt Europa mit selbstbewussten, unverkrampften, unaufgeregten

(Andreas Storr, NPD: Na, na! – Weitere Zurufe von der NPD)

und so schön normal gewordenen Nationen. Darauf bin ich stolz.

Danke schön.

(Starker Beifall bei der FDP – Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Als nächster Redner erhält der Abg. Kosel von der Linksfraktion das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es scheint, als habe die NPD Erika Steinbach für sich entdeckt, denn bereits am 13. März 2009 – es ist erwähnt worden – führte sie dazu eine Aktuelle Debatte. Aber – das ist meine feste Überzeugung – es geht der NPD nicht um die Unterstützung Erika Steinbachs, sondern es geht ihr um den Missbrauch ihrer derzeitigen politischen Rolle.

(Zuruf des Abg. Arne Schimmer, NPD)

Umso bedauerlicher ist es, dass bisher keine eindeutige Distanzierung – weder von Erika Steinbach noch vom

Bund der Vertriebenen oder seiner Mitgliedsverbände – von den, wie ich hoffe, ungebetenen und unwillkommenen braunen Hilfskolonnen der NPD erfolgt ist.

(Christian Piwarz, CDU: Das war jetzt unnötig!)

Kollege Dr. Gerstenberg hatte in der Debatte am 13. März 2009 seine diesbezügliche Hoffnung ausgesprochen, indem er sagte: „Ich glaube, dass Frau Erika Steinbach keinen Wert auf die Solidaritätserklärung dieser Truppe legt.“ Der BdV hätte eine entsprechende Erklärung abgeben können. Der politische Schaden dieser Unterlassung ist immens.

Meine Damen und Herren! Ein Muster und ein Motiv des NPD-Antrages ist sicherlich, einen Keil zwischen die demokratischen Fraktionen, besonders zwischen die CDU und die FDP, zu treiben. Es ist scheinbar ideal, indem man die Bundestagsabgeordnete der CDU Erika Steinbach dem FDP-Mitglied und Bundesaußenminister Guido Westerwelle gegenüberstellt. Es freut mich, dass zumindest dies heute der NPD im Sächsischen Landtag nicht zu gelingen scheint.

(Arne Schimmer, NPD: Das denken Sie bloß!)

Meine Damen und Herren! Der hauptsächliche Beweggrund des NPD-Antrages scheint mir darin zu liegen, einen deutsch-polnischen Gegensatz zu konstruieren und stammtischreif zuzubereiten. Dabei ist der NPD alles recht, von A wie Autodiebstahl bis Z wie Zentrum gegen Vertreibung und eben auch Erika Steinbach.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Die Hauptsache für die NPD ist, es lässt sich gegen unsere polnischen und tschechischen Nachbarn instrumentalisieren. Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: Der Antrag ist nach Meinung meiner Fraktion eine Fortsetzung der volksverhetzenden „Poleninvasion stoppen!“-Plakate, die die NPD seit Juni dieses Jahres in Görlitz verbreitete, nunmehr mit parlamentarischen Mitteln. In der gleichen Tendenz wie jene Plakate, bezüglich derer durch höchstrichterliche Rechtsprechung nunmehr die Erfüllung des Straftatbestandes der Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch festgestellt wurde, ist auch der vorliegende NPD-Antrag ausgestattet. Er stachelt zum Hass gegen unsere polnischen und tschechischen Nachbarn auf.

Dies wird deutlich, meine Damen und Herren, indem die Republik Polen und die Tschechische Republik als „Vertreiberstaaten“ diffamiert werden. Dies ist für uns als Linke nicht hinnehmbar; denn diese Darstellung öffnet dem Geschichtsrevisionismus Tür und Tor. Sie stellt eine Verfälschung historischer Tatsachen dar und führt zur Verkehrung von Ursache und Wirkung. Zuerst kam es zum Angriffs- und Vernichtungskrieg Nazideutschlands gegen unsere Nachbarn

(Jürgen Gansel, NPD: Neue Schallplatte auflegen!)

und danach erst beschlossen die Alliierten Maßnahmen, die tief in das Schicksal auch von Millionen Deutschen eingriffen.

Wenn wir uns gegen die Diffamierung unserer Nachbarstaaten als „Vertreiberstaaten“ aussprechen, dann geht es nicht nur um Geschichte und historische Wahrheit, sondern auch um Gefahren für die gemeinsame Gestaltung der Gegenwart und Zukunft. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel erläutern: Vor circa acht Tagen fand eine Veranstaltung zum Thema „Zehn Jahre Partnerschaft des Freistaates Sachsen mit der Woiwodschaft Dolny Śląsk und 50 Jahre Städtepartnerschaft Dresden-Wrocław“ statt.

(Zurufe von der NPD: Breslau!)

Bilanz wurde gezogen und Projekte für die Zukunft wurden diskutiert.

Meine Damen und Herren! Wie soll an den Zukunftsprojekten weiterhin gemeinsam gearbeitet werden können, wenn wir alle gemeinsam und auch unser Ministerpräsident, der die damaligen Verhandlungen dort führte, zum Beispiel nicht gegenüber dem Woiwoden oder dem Marschall unserer Nachbarwoiwodschaft deutlich machen könnten, dass sich der Sächsische Landtag, die Staatsregierung und die gesamte Gesellschaft klar von dieser ungeheuerlichen Beleidigung unserer Nachbarn distanzieren und alle erdenklichen Schritte dagegen unternommen haben? Wir stehen hier in einer gemeinsamen Verantwortung. DIE LINKE wird ihren Teil zu dieser Verantwortung wahrnehmen.

Es ließe sich sicherlich vieles anführen aus der politischen Tätigkeit von Erika Steinbach, aus ihrem Handeln, aber auch aus ihren politischen Verlautbarungen, was bei der Linksfraktion die Auffassung aufkommen ließ, dass Erika Steinbach nicht geeignet ist,

(Zurufe von der NPD)

im Beirat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ mitzuwirken. Ich möchte dies heute nicht vortragen; denn ich halte es für unangemessen, eine solche Debatte, die wir als Demokraten in hoher Verantwortung für die deutsch-polnischen Beziehungen führen müssen, vor dem Hintergrund eines NPD-Antrages zu führen. Eine Partei wie die NPD, die in Punkt 10 ihres Parteiprogramms „Deutschland in seinen historisch gewachsenen Grenzen“ und „die Revision der nach dem Krieg abgeschlossenen Grenzanerkennungsverträge“ fordert, greift nicht nur die Friedensordnung und damit die Lebens- und Überlebensordnung für uns alle an, sondern sie disqualifiziert sich eindeutig und besonders für jegliche Erörterungen von Themen der deutsch-polnischen Nachbarschaft.

Deshalb werden wir den Antrag der NPD ablehnen.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Die SPD signalisiert keinen Redebedarf, die Fraktion BÜND

NIS 90/DIE GRÜNEN ebenfalls nicht. Ich rufe die zweite Runde auf. Die Fraktion der NPD; Herr Abg. Storr, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zastrow hat sich heute wieder einmal – nicht nur bei diesem Tagesordnungspunkt, sondern auch schon, als es um die Aussetzung der Diätenerhöhung ging – als Meister erwiesen, an der Sache konsequent vorbeizureden. So hat er es auch bei unserem Antrag getan. Herr Kosel, sicher würde es sich in der Tat lohnen, auch in diesem Hause Grundsätzliches zum deutsch-polnischen Gegensatz bzw. überhaupt zum deutsch-polnischen Verhältnis zu sagen. Das würde ich sehr gern tun. Aber uns Hass zu unterstellen weise ich strikt zurück.

(Beifall bei der NPD)

Wir haben auch zu den polnischen Nachbarn ein sachliches Verhältnis. Der Unterschied ist, dass wir deutsche Interessen artikulieren und diese vertreten, da wir der Meinung sind, dass Interessengegensätze auch in der Politik bestehen und vielleicht das Wesen der Politik sind. Eine Politik, die meint, es gebe keine Gegensätze oder unterschiedliche Interessen, ist eigentlich keine Politik. Eine Politik, die nur nachgibt, wird zum Spielball fremder Interessen. – Das als kurze Anmerkung von meiner Seite.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einiges zum Hintergrund unseres Antrages sagen. Anfang 1945 zogen Hunderttausend schlesische Flüchtlinge durch Görlitz, das sich nach Augenzeugenberichten der damaligen Zeit kurz vor dem Hungertod befand. Die Behörden verlangten im Juni 1945 zunächst die Rückkehr der vertriebenen Deutschen, bis die polnischen Behörden und Streitkräfte dies verhinderten. Nichts anderes – das muss an dieser Stelle in aller Deutlichkeit gesagt werden – als die ethnische Säuberung Schlesiens von der dort angestammten deutschen Bevölkerung war das Ziel der polnischen Chauvinisten, sodass der sowjetische General Ukov Ende Juli 1945 die, wie es im Jargon der kommunistischen Menschheitsverbrecher beschönigend hieß, zweckmäßige Verteilung der Bevölkerung in der SBZ anordnete. In der gesamten Sowjetischen Besatzungszone wurden schließlich bis 1948 4,3 Millionen Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten aufgenommen.

Viele dieser Ostdeutschen – diese waren tatsächlich Ostdeutsche – gingen Zeit ihres Lebens davon aus, irgendwann in ihre Heimat zurückkehren zu können oder zumindest für das an ihnen begangene Unrecht oder die ihnen geraubten Güter entschädigt zu werden. Sie wurden von den Repräsentanten der bundesdeutschen Politik bitter enttäuscht, wenngleich man sie – gerade bei der Union –noch lange Zeit als Stimmenvieh brauchte und entsprechend umgarnte.

In diesem Zusammenhang sollte man jene zwei Millionen Deutschen nicht vergessen, die im Zuge der gewaltsamen Vertreibung ihr Leben verloren.

Wenn ich nun sehe, wie in diesem Hohen Hause von großen Teilen die bescheidensten Forderungen der Überlebenden jenes unsäglichen Verbrechens und deren Nachkommen, nämlich die Nominierung der Präsidentin des diese Menschen vertretenden BdV für den Beirat der Stiftung „Flucht – Vertreibung – Versöhnung“ als unangemessen betrachtet wird, die dem Vertreiberstaat Polen nicht zuzumuten ist, macht mich das einfach fassungslos.

(Beifall bei der NPD)