Protocol of the Session on January 25, 2012

Die Bürger fragen sich natürlich, ob diese Regierung noch planvoll unterwegs ist. „Haben die die Dinge noch im Griff?“ Ich rede jetzt nicht von Berlin und nicht von Brüssel. Die Koalition hat es mit diesem Auftakt und jetzt mit diesem Popanz, dieser Marketingaktion der FDP – und, Herr Zastrow, schlechte Politik ist schlechte Politik, da hilft auch keine Imagekampagne – verpatzt, was ich schade finde. Eine Erpressungssituation ist keine Verhandlungsbasis. Ich kann nur sagen: Avanti, dilettanti!, wenn das so weitergeht. Dann wird dieses Unternehmen scheitern. Das ist doch ganz klar.

Das hat damit zu tun, dass man überlegen muss, was eine echte Schuldenbremse ist. Es gibt in der Praxis erprobte Beispiele. Man kann sich – mit der Schweiz wird gern kooperiert – in der Schweiz kundig machen, was dazugehört. Eine atmende Schuldenbremse ist übrigens bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit zwei Jahren Beschlusslage. Wenn man den Artikel 95 der Verfassung ändern will, um ihn mit dem Grundsatz konform zu machen, dann muss man ihn anfassen, aber einen Popanz daraus zu machen, als ginge es um den Untergang des Abendlandes, das halte ich wirklich für eine merkwürdige Diktion. Sie haben versucht, in der Debatte staatstragend aufzutreten, aber draußen haben Sie nur Marketingpropaganda gemacht. Ich finde das bedauerlich. Dieser Popanz war unnötig. Meine Erfahrung sagt mir übrigens, dass beim Kuhhandel die Ochsen im Allgemeinen keine Rolle spielen.

(Heiterkeit und vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Trotz dieser Anmaßung sollten wir uns, finde ich – und mit „wir“ meine ich die drei angesprochenen Oppositionsfraktionen dieser Seite des Hauses – nicht ins Bockshorn jagen lassen. Auf gar keinen Fall. Ein Gesprächsangebot ist ein Gesprächsangebot, und das muss unter demokratischen Parteien möglich sein. Wir wollen eine atmende Schuldenbremse, einen in Notlagen atmenden Haushalt, der eine klare Haushaltsdisziplin im Normalfall vorsieht und auf solche Umwelt- und Naturkatastrophen, wie zum Beispiel das Hochwasser 2002, reagieren kann. Das kann Ihr absolutes Neuverschuldungsverbot nicht. Da sitzen wir im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen. Des Weiteren muss man starke Einnahmeneinbrüche

durch Konjunktureinbrüche abbilden und vielleicht auch Kürzungen im Solidarpakt II, die deshalb kommen können, weil zum Beispiel die Bundesregierung wegen der Rettung des Euro nicht in der Lage sein wird, ihre Versprechungen zu halten. Der Solidarpakt II beruht auf einem normalen Gesetz, das können die mit einer einfachen Mehrheit ändern. Also sollte man zumindest in Sachsen in der Lage sein zu reagieren, wenn man das für nötig hält.

Ich habe das Gefühl, dass eher ein bisschen der Angstschweiß der Koalition durch den Raum wabert, sie möge 2014 ihre Macht verlieren. Angst ist kein guter Ratgeber, schon gar nicht für Verfassungsdebatten. Wir hätten eine ganze Reihe von anderen Fragen, die wir gern zum Thema Modernisierung der Verfassung beitragen würden. Aber eins ist klar: Wenn es wirklich zu einer vernünftigen Debatte über Substanz statt Monstranz kommt, dann können solche Plakatserien, wie zum Beispiel von der FDP im letzten Wahlkampf „Steuern runter“, „Kostenlose Kitas“, „Steuern runter“, „Kostenlose Kitas“ nicht mehr passieren. Dann findet das nicht mehr statt. Ich bedauere diese Aufstellung hier mit monatelangen Presseabschlägen zwischen den Fraktionen wie im Hildebrand-Lied „Enti tuem herem“, aber wenn Sie diesen Vorwahlkampf beenden, dann ist es durchaus realistisch, darüber zu sprechen, dieses Parlament zum Ort der Demokratie zu machen, denn Zweidrittelmehrheiten im Parlament sind aus meiner Sicht wichtiger als Zweidrittelmehrheiten in Regierungen. Die gibt es auch ganz selten. Es würde also das Parlament als Ort der Demokratie stärken, wenn hier in solchen Fragen mit Zweidrittelmehrheit entschieden würde.

Sachsen braucht Handlungsfähigkeit, und nicht erst 2020, wie hier gern vorgetragen wird. Es gibt einen Druck. Wir müssen in der Lage sein zu handeln. Es wird eine Reihe von Herausforderungen geben. Was ich nicht will, ist, dass Sie beim nächsten Haushalt 2013/2014 Haushaltsrisiken abbilden, bis hin zum Reissack in China, der umzufallen droht, und dann sagen, dieses Geld müssen wir in Rücklagen stecken. Dann wird es im Wahlkampf drei Tage vorher ausgegeben, damit jeder Einzelne von Ihnen noch einmal ein Bändchen beim Straßenbau durchschneiden kann. So nicht!

Mit einem Wahlkampfhaushalt 2013/2014 läuft es nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die Abg. Antje Hermenau sprach für die Fraktion GRÜNE. – Jetzt spricht für die NPD-Fraktion der Abg. Schimmer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema des Neuverschuldungsverbots ist eines der Lieblingsprofilierungsfelder sowohl der Staatsregierung als auch der Finanzpolitiker der CDU- und FDP-Fraktion. Das klingt auch zunächst alles ganz vernünftig, denn eine höhere Neuverschuldung verschlechtert die Generationenbilanz und macht es möglich,

dass heutige Generationen auf Kosten von zukünftigen Generationen leben.

Im Grunde ist richtig, dass Staatsschulden nur in die Zukunft verschobene Steuererhöhungen sind und von zukünftigen Generationen getragen werden müssen, weshalb sie nur dann verantwortbar sind, wenn sie für Zukunftsinvestitionen und nicht für konsumtive Zwecke verwendet werden. So weit sind die Dinge völlig klar.

Man muss der CDU- und der FDP-Fraktion leider auch in der heutigen Aktuellen Debatte eine gewisse und nicht zu kleine Heuchelei vorwerfen. Das fängt schon damit an, dass es auch im aktuellen sächsischen Landeshaushalt Schattenhaushalte gibt, mit denen Lasten aus dem aktuellen Haushalt in ein Sondervermögen transferiert werden. Ich rede vom Garantiefonds für die Sächsische Landesbank, in den Verbindlichkeiten in Höhe von 2,75 Milliarden Euro gesteckt wurden und aus dem schon 300 Millionen Euro an sächsischen Steuergeldern abgeflossen sind. Außerdem fragt man sich auch, wie es zu dem Standortegesetz der Staatsregierung mit seinen 309 Millionen Euro teuren Umzugsplänen kommen konnte, wenn die Staatsregierung ihr Ziel einer Neuverschuldung null wirklich ernst meint. Am Ende – da ist sich die NPD-Fraktion ganz sicher – wird dieser ganze Umzugszirkus ohne jeden Mehrwert für den Bürger bzw. die Angestellten des sächsischen Staates sein.

Man kann hier nur an den Vorstandssprecher des Sächsischen Bundes der Steuerzahler Knut Schreiter erinnern, der in der Sachverständigenanhörung zur Großen Anfrage zum Standortekonzept der Staatsregierung ankündigte, dass der Bund der Steuerzahler die äußerst kostspieligen Umzüge der Sächsischen Aufbaubank von Dresden nach Leipzig und des Rechnungshofes von Leipzig nach Döbeln unter der Rubrik Steuergeldverschwendung einstufen wird.

Jetzt komme ich zu einem ganz wichtigen Punkt. Endgültig zur Farce wird der Wunsch nach einer Neuverschuldung null aber dann, wenn man noch hinzurechnet, dass die Sächsische Staatsregierung die Harakiri-Politik der Bundesregierung in der Eurokrise im Bundesrat mit unerschütterlicher Nibelungentreue unterstützt.

Die deutsche Haftungssumme in der Eurokrise ist nach Berechnungen des Ifo-Instituts mittlerweile auf

593 Milliarden Euro gestiegen und beträgt mehr als das Doppelte der Summe von 211 Milliarden Euro, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als Haftungsobergrenze angegeben hat. Mit der Installierung des permanenten Rettungsschirmes ESM, die noch in diesem Jahr erfolgen wird, wird endgültig der Weg in die Finanzdiktatur bestritten werden.

Bekanntermaßen soll diesem ESM ein sogenannter Gouverneursrat vorstehen, der mit einfacher Mehrheit – ich betone: mit einfacher Mehrheit – über angeblich notwendige Zuschüsse in das Grundkapital des ESM entscheiden kann. Es ist ganz klar, dass der deutsche Vertreter in diesem Gouverneursrat des ESM immer wieder und immer wieder überstimmt werden wird. Selbst

Carsten Schneider, der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, hat jetzt davon gesprochen, dass es sich um nichts anderes handelt als eine unbegrenzte Abbuchungsvollmacht auf den deutschen Bundeshaushalt.

Praktischerweise – das muss man auch dazu wissen – ist das gesamte Personal dieses ESM über eine Immunitätsklausel abgesichert. Das heißt, die absehbar vollständige Vernichtung des deutschen Volksvermögens wird eben keine juristischen Folgen für diese neostalinistischen Finanzverbrecher haben.

(Beifall bei der NPD)

Die NPD findet es wirklich traurig, dass nicht nur der Bundestag seiner Selbstentmachtung zustimmen wird, sondern dass sicherlich auch wieder der Freistaat Sachsen im Bundesrat für den ESM stimmen wird.

Angesichts dieser Perspektive müssen wir es als riesigen Politbetrug bezeichnen, wenn die CDU und die FDP auch in der heutigen Aktuellen Debatte wieder von einer Neuverschuldung null reden, aber sich hinter den Kulissen genauso wie alle anderen politischen Kräfte an der Totalenteignung unseres deutschen Volkes unter der EUFahne beteiligen.

Ich kann hier für die NPD ankündigen: Die NPD wird auch weiterhin als einzige politische Kraft in Deutschland gegen dieses miese Doppelspiel ihre Stimme erheben und dieses miese Doppelspiel kritisieren.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Das war für die NPDFraktion der Abg. Schimmer. In der ersten Rederunde sehe ich noch keinen Redebedarf der Staatsregierung. Wir eröffnen eine zweite Rederunde. Für die einbringende Fraktion der CDU spricht Herr Kollege Michel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! „Von jetzt an werde ich nur so viel Geld ausgeben, wie ich einnehme, und wenn ich mir dafür Geld borgen muss.“ Das hat Mark Twain gesagt, und das fiel mir ein, als die LINKEN hier sagten, sie wollten die Einnahmenseite stärken.

(Zurufe von den LINKEN)

Die Einnahmenseite kann man nur über Steuererhöhungen oder Schulden steigern. Da sind wir dann schon bei der Staatsverschuldungskrise, die wir im Moment in Europa erleben.

Ich glaube aber nicht, dass das, was im Moment abläuft, dem Anspruch entspricht, den das Volk an geordnete Verhältnisse haben kann. Dazu gehören auch geordnete Finanzen. Geordnete Finanzen bedeuten für mich, Generationengerechtigkeit und Handlungsspielräume zu

erhalten. Das bedeutet, dass wir auf das süße Gift von Schulden und Zinsen verzichten.

Es gibt da auch eine gewisse Scheindebatte: Sprechen wir von Schuldenbremse oder vom Neuverschuldungsverbot? In Sachsen ist es ein Neuverschuldungsverbot, da wir ja keine Schulden mehr aufnehmen.

Ich stimme mit Kollegin Hermenau überein, dass es notwendig ist, die Verfassung zu ändern. Sie entspricht nicht mehr dem Grundgesetz. Das hängt damit zusammen, dass wir in der sächsischen Verfassung einen Kreditbezug im Zusammenhang mit der Investitionssumme haben. Das stimmt nicht mehr mit dem Grundgesetz überein und bedarf einer Änderung. Aber uns steht es genauso gut an, wenn wir den politischen Willen in der Verfassung manifestieren. Man kann dafür genug Ausreden finden: Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, wir haben Wichtigeres zu tun.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Finanztransaktionssteuer!)

Finanztransaktionssteuer, Bettensteuer oder was Sie noch alles erfinden mögen. Man kann immer Ausreden haben.

(Zurufe von den LINKEN)

Aber wir sollten uns jetzt bekennen: Keine Schulden! Wir dürfen aber auch nicht zu feige sein zur Prioritätensetzung.

(Zurufe von den LINKEN und der SPD)

Das ist der eigentliche Angstfaktor, der umgeht. Wenn wir uns dazu verpflichten, keine Schulden aufzunehmen, müssen wir Prioritäten setzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Mit dem Neuverschuldungsverbot legt sich die Politik selber Fesseln an. So ein bisschen habe ich immer hin- und hergeschwankt, meine Damen und Herren, wenn ich mir die Legende „Keine Neuverschuldung mehr!“ vorgestellt habe, als die SPD mit in der Regierung war. Das stimmt aber; das war so. Ab 2006 hat der Freistaat keine Schulden mehr gemacht. Ich stelle mir immer vor: Die Realpolitiker Jurk, Frau Ludwig und später Frau Dr. Stange sitzen in einer Reihe und müssen Metz, Milbradt, Tillich überzeugen, keine Schulden mehr zu machen. Okay, das können wir einfach einmal so im Raum stehen lassen.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Zumindest habe ich festgestellt, dass früher der Hausfrauenreflex bei Frau Stange noch funktioniert hat.

Ich möchte noch eines klarstellen: Man kann einen schuldenfreien Haushalt haben und PISA-Sieger sein. Gerade intelligente Kinder nutzen es, wenn ihnen die Vorgängergeneration Gestaltungsspielraum erhält.

Und ich möchte noch einen Aspekt anführen: Im Dezember des letzten Jahres ist der Bildungsfinanzbericht veröffentlicht worden. Die geringsten Bildungsausgaben für öffentliche Schulen und die schlechteste Lehrer

Schüler-Relation in den Flächenländern haben NordrheinWestfalen, das Saarland und Schleswig-Holstein.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Dort ist die Pro-Kopf-Verschuldung höher als 11 000 Euro. Das ist kein Zufall. Dasselbe ist in den Studienfächern für Medizin der Fall.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)